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Take C@re

Es beginnt am 20. August 2003 mit der "freundlichen Anfrage“ an den Gigi-Herausgeber, das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk). Nicht nur man selbst betrachte "sexuelle Neigungen auf Kinder bezogen als eine schwere pathologische Störung“, so Gabriel Gawlik vom C@reChild e.V. aus Münster, "die keinesfalls mit der Homosexualität vergleichbar ist, sondern allenfalls Paralellen (sic!) zur Sodomie bzw. Nekrophilie aufweist“. Dies habe man schon den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) wissen lassen, daselbst "zu diesem Punkt offizielle Stellungnahmen“ erfragt und zuvor versichert, "daß wir schwule und lesbische Liebesbeziehungen/Lebensgemeinschaften selbstverständlich als gleichwertig zu heterosexuellen Beziehungen betrachten“. Und weil man beim LSVD so dankbar blind ist für jene neokonservative Ausdrucksform der Homophobie, die nur in Liebe und Monogamie domestizierte Homosexualität generös duldet, kann C@reChild dessen Unterwerfungsgeste gleich mitliefern: "Wir teilen Ihre Auffassung, daß Homosexualität und Pädophilie nicht vergleichbar sind. Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen schaden niemand. Das ist bei sexuellen Handlungen von Erwachsenen mit Kindern ganz anders.“ Kurzum: C@reChild würde sich freuen, auch vom whk, "eine Antwort zu der o.g. Frage zu bekommen“. Doch das whk läßt sich nicht drängen, unter den wissenschaftlich wie politisch zweifelhaften Prämissen eines ihm unbekannten Kinderschutzvereins opportune ideologische Statements abzugeben, und ignoriert die Email.

Die Sache ruht, bis der veranwortliche Gigi-Redakteur Ende Dezember 2003 im Internet seinen Namen auf einer mit Literaten, Wissenschaftlern und Bundestagsmitgliedern prominent besetzten Schwarzen Liste findet. Die erbetene Erklärung geht am 29. Dezember ein: "Sie schreiben für das ‘Magazin’ namens ‘Gigi’, und Sie solidarisieren sich unseres Erachtens durch diese Tätigkeit mit *Kinderfickern*!“ Denn: „’Gigi’ ist ein *Schweinemagazin* ... Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis und wundern Sie sich nicht darüber, wenn wir Sie auch weiterhin als ‘persona non grata’ betrachten. Das tun wir übrigens mit all den Gestörten, die sich für diesen gedruckten Müll als Autoren prostituieren.“ Gezeichnet: Gabriel Gawlik, C@reChild e.V.

Tags darauf erscheint in der Rubrik "Müllhalde/Wenn defekte Personen sich äußern“ derselben Website zwecks Denunziation das komplette Editorial aus Gigi Nr. 29 (Januar/Februar 2004). Die eingeschaltete Gewerkschaft ver.di beauftragt einen Anwalt, die Urheberrechtsverletzung zu unterbinden. Daß dieser seine Kosten später einklagen muß, verteuert den Spaß für C@reChild etwas.

Ende Januar 2004 erfährt die Redaktion erst aus einer Ladung der Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) zur Sitzung am 4. März, daß Kaplan Jochen Reidegeld von der Pfarrgemeinde St. Laurentius im münsterländischen Senden unter C@reChilds Beihilfe am 4. Dezember 2003 die Indizierung der Gigi-Ausgabe 27 (September/Oktober 2003) wegen des darin dokumentierten "Stefan-Texts“ als "sexualethisch desorientierend“ angeregt hat. – Vergeblich, zumal schon am 27. Oktober 2003 die (nach wessen Denunziation auch immer) durch ihre Trierer Kollegen alarmierte Staatsanwaltschaft Berlin darin "keine zureichenden tatsächlichen Anzeichen für eine verfolgbare Straftat festgestellt“, sprich: den Kriminalisierungsversuch mittels "Verfahren wegen Verbreitens pornographischer Schriften“ zurückgewiesen hat.

Mitnichten bremsen teure Irrtümer die "Kinderschützer“. Nachdem der whk-Pressedienst den Ausgang des Indizierungsverfahrens politisch einordnet, verlangt der C@reChild-Anwalt am 3. Mai 2004 vom Förderverein des whk e.V. als Anbieter der whk-Website eine kostenpflichtige Unterlassungserklärung der angeblichen "üblen Nachrede i.S. des §186 StGB zu Lasten unserer Auftraggeberin. Die Begriffe ‘dubios’, ‘Sekte’ und ‘rechte Gruppierung’ sind geeignet, unsere Mandantin verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“, so die Begründung. Als der fromme Wunsch trotz Fristverlängerung bis zum 7. Oktober 2004 unerfüllt bleibt, verklagt C@reChild am 7. Dezember unter Ansetzung eines vorläufigen Streitwerts von 10.000 Euro wegen "übler Nachrede, Beleidigung“ den Förderverein des whk und "Eike Stendefeld“ als den für www.whk.de juristisch Verantwortlichen. Die 12. Zivilkammer des Düsseldorfer Landgerichts nutzt die mehrminütige Sitzung am 19. Oktober 2005 weitgehend zur redaktionellen Korrektur der Klageschrift und datiert die Urteilsverkündung auf den 9. November 2005, 11 Uhr.

Daß Urteil zwingt die Beklagten schon aus politischen Gründen in die Berufung. Läßt die Vorgeschichte sie doch vom Vorsatz der Gegenseite ausgehen, Deutschlands einziger – rein ehrenamtlicher – sexualpolitischen Zeitschrift via Prozeßkosten die finanzielle Basis zu entziehen und sich so eines Medium zu entledigen, das anhand unbequemer Fakten und Überlegungen die "Kinderschänder“-Hysterie als Mittel wie auch Tarnung des Demokratie- und Grundrechteabbaus sowie die tieferen Interessen ihrer Protagonisten erkennbar macht. Gewiß, eine nächstinstanzliche Niederlage bedeutete den Konkurs, nur: Welche Daseinsberechtigung hätten schon ein erpreßbares whk und eine Gigi mit amtlichem Maulkorb?

Der unter "Mitteilungen des whk“ in diesem Heft dokumentierte Erfolg vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht vom 10. Mai 2006 rechtfertigt das Prozeßrisiko: Das whk darf vor der gemeinnützigen dubiosen rechten "Kinderschützer“-Sekte warnen. Sogar der 15. Zivilsenat bezieht sich zur Charakterisierung der Praxis des Klägers auf ein Zitat vom 6. Juli 2003 im Med1-Forum – hier in Originalfassung: "Frederike, kennen Sie ‘Schmeißfliegen’? Sie sind äußerst hartnäckig und Sie können diese nur auf drei Wegen davon abhalten, ihr primäres Ziel zu erreichen: Entweder Sie verscheuchen sie aus dem Zimmer, in dem es Ihnen gelingt, sie aus dem Fenster zu jagen, oder Sie nehmen eine Fliegenklatsche/Paralspraydose und beenden ihre Existenz, oder aber Sie jagen sie in die luftdichte Abstellkammer und lassen die Tür dauerhaft geschlossen. Bei den Pädomanen/-kriminellen verhält es sich nicht anders. Allerdings bin ich der Meinung, daß die Abstellkammer die beste aller Reaktionen ist.“ Daß Vernichtungsphantasien oft die Entmenschung der Betroffenen vorausgeht, ist bekannt. Gawlik am 7. Mai 2002 im Gießener Anzeiger über Pädophile: "Wir setzen uns nicht mit Personen – wir bezeichnen sie nicht als Menschen – auseinander, die eine schwere pathologische Persönlichkeitsstörung haben.“ Und die er andernorts als "genetische Fehlproduktion“ tituliert, "allesamt in den gelben Sack für Evolutionshemmnisse“ stecken will, die aber "keinen ‘grünen Punkt’ auf der Stirn“ trügen, denn sie seien "nicht recyclebar und landen eines Tages im gesellschaftlichen Restmüll“. Dagegen wirkt das Anschwärzen bei Nachbarn, Ämtern und Arbeitgebern (was schon mal den Namensvetter der Zielperson treffen kann) geradezu nett.

Doch auch wenn C@reChild e.V. in Person des Vorsitzenden mehrfach wegen Verleumdung und Beleidigung vor Gericht stand und, so die Verfahren nicht in Vergleiche mündeten, auch rechtskräftig verurteilt wurde: Die Liste seiner "Freunde & Partner“ reicht von Anwälten über die Regionalfluglinie bis zu Weltkonzernen und die Reputation bis in höchste Kreise. "Franz Müntefering zeigte sich sehr interessiert an den Ausführungen der Kinderschützer“, bejubelt die Website den Empfang im Bundeskanzleramt am 9. Mai 2005. "Die Vertreter von C@reChild e.V. forderten die Anwendung der Sicherheitsverwahrung auch für jugendliche Straftäter ...“