Wiener
Walzer rechts herum
Als am 4. Februar 2000 die FPÖ/ÖVP-Regierung angelobt wurde, fanden
wütende Proteste statt, aber auch Angst machte sich bei vielen breit. Die
Regierungsbeteiligung der FPÖ war schließlich ein Bruch mit allem,
was in Österreich seit 1945 zumindest offiziell tabu war.
Nach einem Jahr wurden viele Befürchtungen bestätigt. Ein Beitrag
über den autoritären Umbau in Österreich und seine GegnerInnen
von der ROSA ANTIFA WIEN
Das in den 70er Jahren etablierte und seit der Koalition der SPÖ mit der
ÖVP seit 1986 schrittweise wieder demontierte Sozialsystem sollte mit dem
Regierungswechsel nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören. Kaum
eine Sozialleistung wird mehr, sofern sie nicht Sache eines Bundeslandes ist,
bedingungslos ausgezahlt. Der erste Angriff erfolgte auf die Arbeitslosenversicherung.
In Österreich hatte bisher jede/r Anspruch auf Arbeitslosengeld, der/die
ein Jahr lang einem angemeldeten, versicherten Arbeitsverhältnis nachging
und zwar egal, ob die Kündigung einvernehmlich oder nur seitens
des Arbeitgebers vorgenommen worden war. Der erste Plan von FPÖ und ÖVP
war, daß das Arbeitslosengeld bei einvernehmlicher Kündigung erst
ein Monat später ausgezahlt werden sollte. Nach heftigen Protesten wurde
dies zurückgenommen, dafür jedoch die Anwartschaft (d.h. die Zeit
des vorangehenden Arbeitsverhältnisses) um einen Monat verlängert.
Was das für viele in Zeiten von McJobs bedeutet liegt auf der Hand und
zeigt, wessen Interessen diese Regierung dient. Die Angst, arbeitslos zu werden,
wird viele dazu bringen, noch mehr zu kuschen.
Für diejenigen, die bereits arbeitslos sind, hat die Regierung ein
Programm, das den "Sozialschmarotzern" schon das Arbeiten beibringen
wird: Zwangsarbeit nach längerer Arbeitslosigkeit, im Schönsprech
"Integra" genannt. Arbeitslose sollen für ein sogenanntes "Bürgergeld",
das zusammen mit dem Arbeitslosengeld noch weit unter dem gesetzlichen Kollektivvertragslohn
liegt, angeblich gemeinnützige Arbeiten wie zum Beispiel Heldendenkmäler
säubern verrichten, und damit auch noch in den Arbeitsmarkt integriert
werden.
Ebenfalls unter die Räder kommt das bisherige Rentensystem. Vor allem
BeamtInnen werden in Zukunft weniger Rente beziehen. Die Pensionsversicherungs-anstalten
sehen sich von der Regierung schwer unter Druck gesetzt, es wird unverhohlen
für private Pensionsversicherungen geworben (der Grund dafür wird
weiter unten beschrieben). Die Invaliditätsrente, bisher unversteuert,
soll ab sofort mit Steuern belegt werden. Begründung: Auch Unfallrenten
sind besteuert. Gleichzeitig werden von der Regierung aber die Arbeitsinspektorate
entmachtet, die bisher für einigermaßen ungefährliche Arbeitsschutzstandards
gesorgt haben. Die Zahl der Arbeitsunfälle wird zwangsläufig steigen,
allerdings werden nunmehr die Opfer für die Folgen zu zahlen haben.
Besondere Einschnitte drohen im Mietrecht. Mit der Liberalisierung soll
der "Friedenskronenzins" fallen. Das sind (sehr niedrige) Uraltmieten,
die vor allem MindestrentnerInnen gerade noch das Überleben sichern. Ferner
wurde soeben bekannt, daß das Justizministerium plant, die Delogierungen
zu vereinfachen. Demnach sollen sie ohne Gerichtsbeschluss nach einem Monat
Mietrückstand vorgenommen werden können. Die Wohnsituation wird sich
überhaupt massiv verschlechtern. Der Berufsstand der HausbesorgerInnen
wurde gesetzlich abgeschafft. Das bedeutet, wenn das Licht im Treppenhaus ausfällt,
dürfen die MieterInnen den Schaden in Zukunft selbst beheben, obwohl sie
dafür Mieten zahlen. Es mutet schon einigermaßen bizarr an, daß
die FPÖ damit ausgerechnet den Beruf ausgewiesener StammwählerInnen
abgeschafft hat.
Die Strom- und Heizkosten sind ebenfalls gestiegen, wobei die Regierung
meint, daß die Preise sich schon einpegeln würden, sobald die Liberalisierung
des Strompreises einmal greift. Wohin dies führen kann, erweist sich mit
einem kurzen Blick nach Kalifornien, wo im Februar 2001 der Energienotstand
ausgerufen wurde. Überhaupt greift ein Privatisierungswahn um sich, der
in vielen anderen Bereichen folgerichtig zu einem Qualitätsverlust und
zu Teuerungen führen wird. Das betrifft auch große Teile der Österreichischen
Bundesbahnen (ÖBB). Was dies bedeuten wird, haben die Vorstände der
ÖBB schon angedeutet. Um "wettbewerbsfähig" (mit wem?) zu
sein, müßten die Tarife angehoben werden. Die Verbundabkommen, die
die ÖBB in Ballungsräumen mit anderen Verkehrsbetrieben geschlossen
haben, sind somit akut gefährdet, eine weitere Teuerung ist in Sicht.
Last but not least kommen zahlreiche Maßnahmen hinzu, die getrost
als Kopfsteuern betrachtet werden können. Die Ausstellung eines Reisepasses
etwa kostet nunmehr das Doppelte: umgerechnet 150 DM. Die Autobahnvignette wurde
ebenfalls auf 200 Prozent verteuert, zahlreiche gebührenpflichtige Amtswege
reißen weitere Löcher ins Portemonnaie.
Speed kills"
Die Regierung mache sich mit all dem furchtbar unbeliebt, sollte man meinen.
Mitnichten. Denn obwohl die Abgabenrate die höchste seit 1945 darstellt
und keine der beiden Koalitionsparteien mit dem Slogan "Steuern anheben"
angetreten ist (im Gegenteil, die FPÖ warb vollmundig mit der putzigen
Parole: "Wir haben die Lösung: Steuern senken Arbeit schaffen"),
geht das bei weiten Teilen der Bevölkerung anstandslos durch. Gebetsmühlenartig
wird wiederholt, daß das achtreichste Land der Welt plötzlich vor
dem Bankrott stünde und wir alle unseren Beitrag zu leisten hätten,
dies zu verhindern. Dabei werden Milchmädchen/knaben/rechnungen wie "ich
könne auch privat keine Schulden machen" strapaziert, was suggeriert,
ein Staatshaushalt sei ungefähr so kompliziert wie der Einkauf im Supermarkt.
Mag sein, daß die Auffassung der FPÖ von einem Staat tatsächlich
so simpel gestrickt ist, aber es ist schon erstaunlich, welche Einigkeit darüber
besteht, daß gespart werden muß. Denn wofür sagt niemand. So
fällt auch niemandem ein, daß Jörg Haider vor den Wahlen das
Gerücht in die Welt setzte, der SPÖ-Finanzminister Edlinger gedenke
die Reserven der Nationalbank anzuzapfen, um Staatsschulden zu begleichen, und
der FPÖ-Finanzminister nun genau dieses im Sinn hat.
GegnerInnenschaft bei den Interessenvertretungen wird einfach überrollt
mit der ausgegebenen Parole "Speed kills". Und das funktioniert tatsächlich.
Zuerst stellt die Regierung völlig arg anmutende Forderungen in den Raum,
um damit einerseits heftige Aufschreie zu provozieren und andererseits Verwirrung
zu stiften. Die Gewerkschaften beispielsweise reagieren darauf zwar schwerfällig,
aber doch und machen sich anschließend lächerlich, wenn das
Belastungspaket dann ganz anders daherkommt. Seriös auf die Belastungen
zu reagieren ist somit schwer möglich; das Einzige, was bleibt, ist die
Art und Weise zu attackieren, wie dies vonstatten geht. Der FPÖ schadets
zwar (zumindest im Moment, wenn man den Umfragewerten glaubt), solange die ÖVP
sich aber steigender Beliebtheit erfreut, hilft es wenig: Die Mehrheit rechts
der Mitte bleibt stabil.
Autoritäres Gehabe
Daß die FPÖ ihren GegnerInnen seit jeher die Rute ins Fenster gestellt
hat, es würde ein anderer Wind wehen, wenn sie erst an der Macht sei, hat
immer schon für Unruhe gesorgt. Auch vor der Regierungsbeteiligung wurden
unliebsame JournalistInnen, KünstlerInnen und andere Personen des öffentlichen
Lebens mit Klagen überzogen, öffentlich verhöhnt oder mit schamlosen
Lügen diskreditiert. Das Spiel mit den Ängsten, die der Nationalsozialismus
hervorruft, gehörte und gehört ebenso zum Repertoire blauer Drohungen.
Mit der Machtübernahme wurde aber vieles, was befürchtet wurde,
Realität. Am journalistischen Sektor herrscht seit dem 4. Februar 2000
eine seltsame Mischung aus Repression, vorauseilendem Gehorsam und Arrangement
mit den neuen Machthabern. Am augenscheinlichsten wurde dies beim Staatsfunk
ORF. Der ÖVP-nahe Generalintendant Weis kam schwer unter Druck, nachdem
einige NachrichtensprecherInnen zum Teil offen Kritik an der FPÖ übten
oder es gewagt hatten, vor laufender Kamera den freiheitlichen Angriffen Paroli
zu bieten. Die Nachrichtensendungen Zeit im Bild (ZiB) wurden politisch
eingefärbt. So sind nun die Mittags- und Nachmittagssendungen reine Regierungshuldigungen.
Die ZiB 1 am Abend wurde mit dem FPÖler Seledec besetzt, die ZiB 2 um 22.00
Uhr mit dem ÖVP-nahen Adrowitzer. Einzig die ZiB 3 um Mitternacht fiel
aus dem Rahmen und wurde gerade deshalb zum Ziel freiheitlicher Angriffe, die
so ausfielen, daß der freiheitliche Klubobmann Hojac (vulgo Westenthaler)
bei nicht genehmen Äußerungen sofort in der Sendung anrief oder wütende
Emails schickte. Nachdem große Teile der Nachrichtenredaktion gegen derartigen
Interventionismus protestiert hatten, unterblieb diese Praxis zumindest bei
der ZiB 3. Weiters haben ÖVP und FPÖ eine Mehrheit im ORF-Kuratorium,
das den Generalintendanten bestellen und absetzen kann. Wohl deshalb stellt
sich Weis nicht schützend vor seine JournalistInnen, sondern ermahnt sie
zur Vorsicht.
Derartiges hat bekanntlich in Tschechien vor kurzem zur Besetzung des Fernsehsenders
geführt. Anders in Österreich. Hier geht man lieber in Deckung. Der
FPÖ-Kritiker Johannes Fischer, der von der ZiB 2 abberufen und in die Diskussionssendung
"Betrifft" versetzt wurde, macht keine Anstalten mehr, sich zu wehren.
Im Dezember wurde eine Sendung ausgestrahlt, bei der auch der Österreich-Korrespondent
der Süddeutschen Zeitung zu Gast war. Im Laufe der Diskussion rief der
Freiheitliche Klubobmann (in Deutschland würde man Franktionsvorsitzender
sagen) an und wurde prompt durchgestellt. Nach der Kritik des deutschen
Journalisten an solchen Vorgängen verteidigte sich Fischer mit der Entschuldigung,
"wer von einer Diskussion betroffen sei, solle die Möglichkeit haben,
sich zu äußern". Das wars denn auch schon.
Die ÖVP steht dem oft in nichts nach. Als die Maßnahmen der EU-14
noch aufrecht waren und in der ZiB 1 von Sanktionen gegen die Regierung die
Rede war, rief der ÖVP-Klubobmann Andreas Khol umgehend an, und forderte
die Bezeichnung "Sanktionen gegen Österreich" (anstelle von "Sanktionen
gegen die österreichische Bundesregierung") ein. Diesem Wunsch wurde
nachgekommen.
Selbst die Privatmedien blieben nicht verschont. Gerade FPÖ-kritischen
Zeitungen und Magazinen wurde nach Klagen der FPÖ und gerichtlichen Beschlüssen
der Maulkorb umgehängt. Gerichtsurteile zugunsten der FPÖ haben seit
deren Regierungsbeteiligung massiv zugenommen. Kein Wunder, sind doch viele
Richter Mitglieder schlagender deutschnationaler Verbindungen. Aber auch in
den Redaktionen wurde fleißig gesäubert. Schon einen Tag nach der
Regierungsbildung wurde bei den Oberösterreichischen Nachrichten (ÖON)
der Kolumnist Gerhard Marschall gefeuert, weil er es gewagt hatte, die Regierungsbildung
zu kritisieren. Dabei waren die OÖN zuvor nicht unbedingt FPÖ-freundlich
gewesen. Die in Wien erscheinende Presse hat die "Wende" sowieso herbeigeschrieben,
Österreichs rechtslastige und zugleich auflagenstärkste Zeitung ist
ganz auf Regierungslinie eingeschwenkt. Ein Sonderfall ist die Kärntner
Kleine Zeitung. Früher auch nicht wirklich FPÖ-nah, hat sie sich seit
Jörg Haiders Amtsantritt als Kärntner Landeshauptmann zu dessen Haus-
und Hofpostille entwickelt, und zwar in einer Art und Weise, daß man getrost
von Gleichschaltung sprechen kann.
Angriffe gegen die freie Meinungsäußerung haben aber noch auf
anderer Ebene stattgefunden. Vereine, die nur irgendwie in den Verdacht geraten
konnten, regimekritisch zu sein, wurden kurzerhand die Subventionen zusammengestrichen.
Betroffen sind davon vor allem Frauenorganisationen, Kulturvereine, freie Radios.
Wer davon noch nicht heimgesucht wurde, ist dann beim Wegfall des ermäßigten
Zeitungsportos dran. Es war bisher üblich, Parteien oder Vereinen den Zeitungsversand
zu vergünstigen. Selbst kleine Organisationen konnten so ihre SympathisantInnen
(oder wen auch immer) regelmäßig erreichen und informieren. Wenngleich
diese Maßnahme unmittelbar die "Kleinen" betrifft, dürfte
die Stoßrichtung des Ganzen aber gegen die Gewerkschaften und die ArbeiterInnenkammer
gehen. Dort geht es dann jährlich um mehrere Millionen Schilling, die sie
zusätzlich aufbringen müssen, um ihre Mitglieder zu informieren bzw.
zu mobilisieren. Ein von Schwarz und Blau verhaßter Gegner wurde damit
empfindlich getroffen.
Repression drückt sich darüber hinaus in regelrechten Amtsenthebungen
aus. Die Kärntner Frauenbeauftragte wurde von Jörg Haider des Amtes
enthoben, weil sie ihm gegenüber nicht gerade Sympathien gezeigt hatte
und nach Kaisers Gnaden wieder eingesetzt. Der Kärntner Kulturbeauftragte
wurde noch vor seinem Amtsantritt wieder abgezogen, und nach dessen Einspruch
man höre und staune! von der Polizei einem Psychiater vorgeführt.
Kritik an Jörg Haider ist demnach wenn schon nicht Landesverrat, so doch
zumindest eine psychische Störung.
Für besonderes Aufsehen sorgt die bevorstehende Ablösung des Vorsitzenden
des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger. Der gleichzeitige Vorsitzende
der Gewerkschaft der Privatangestellten soll von diesem Posten abgesetzt werden,
weil er "reformunwillig" sei und obendrein noch die Regierung kritisiere.
Und das, obwohl die Sozialversicherungen selbstverwaltete Betriebe sind. In
der Hitze der Debatte redete ein aufgebrachter Freiheitlicher schon von "zerschlagen",
womit sich der Kreis schließt zum freiheitlichen Gedankengut: Jede Selbstorganisierung
arbeitender Menschen, sei es die Gewerkschaft, die ArbeiterInnenkammer oder
die Sozialversicherungen, ist ihnen ein Dorn im Auge.
Widerstand!
Dieses Wörtchen wurde zum Schlagwort der ganzen Bewegung, die seit einem
Jahr auf die Straße geht. Eigentlich erklärt dies schöne Wörtchen
schon recht gut, wie die Bewegung aussieht. Sie besteht aus KommunistInnen fast
aller Arten, AnarchistInnen, SozialdemokratInnen, Grünen, Liberalen, ChristInnen
und vielen Personen, die sich nirgends zuordnen würden. Der Grundkonsens
ist die Nichtakzeptanz der FPÖ-Regierungs-beteili-gung. Das mag auf den
ersten Blick als nicht sehr weitsichtig erscheinen, ist aber durchaus interessant.
Die vielen grausigen Facetten der FPÖ Rassismus, Antisemitismus,
Antifeminismus, Sozialdarwinismus und die offene Nähe zu NS-Gedankengut
werden dadurch von den einzelnen Spektren des Widerstandes recht gut
abgedeckt. Mag die Bewegung auf der Straße sichtbar kleiner geworden sein
und nicht wenige sich resigniert zurückgezogen haben, so ist doch nach
wie vor eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten spürbar. Ob es
sich um Infotische, Kundgebungen, Lesungen, Dokumentationsgruppen, Kulturinitiativen,
Internet-Initiativen und vieles andere mehr handelt die Ablehnung dieser
Regierung ist an allen möglichen Orten (zumindest in Wien) gut sichtbar.
Das unter linken Gruppen übliche alltägliche Hickhack existiert zwar
nach wie vor, ist aber insgesamt zurückgegangen. Es geht mittlerweile eher
darum, selbst etwas zu tun, als sich ständig über andere aufzuregen.
Insofern waren die zahlreichen Begegnungen mit nicht linksradikalen WiderständlerInnen
für alle Seiten durchaus heilsam. Die vielen Versuche von bürgerlichen
Teilen, sich von angeblichen GewalttäterInnen innerhalb der Demos zu distanzieren,
haben nach einigen Wochen aufgehört.
Stärker sind hingegen einzelne linke Organisationen zu kritisieren,
weil sie in ihrer Profilierungssucht und mit übersteigertem Organisationsfetischismus
mehr Schaden anrichten, als daß sie die Bewegung beflügeln würden.
Gerade trotzkistische Gruppen stellen sich gerne als die Widerstandsgruppe hin,
haben dadurch kurzzeitigen Zulauf und verheizen dann die vielen unerfahrenen
Leute. Viele wollen sich nachher nie wieder politisch betätigen. Andererseits
gibt es wieder Grüppchen und Personen, die meinen, die Weisheit mit dem
Löffel gefressen zu haben und dazu neigen, andere, sich nicht auf universitärem
Niveau befindliche, zu verspotten. Der Respekt vor den anderen fehlt oftmals;
dieses Gebaren ist aber sicher nicht unüberwindbar.
Die Organisationsformen werden teilweise kaum der Situation gerecht. Für
eine Vielzahl von Menschen, die sich nicht in ein Schema pressen lassen, fehlen
offene Strukturen. Gerade in der Anfangsphase gab es viele Leute mit guten Ideen,
sie konnten sie aber strukturell nicht umsetzen. Sich an bestehende Gruppen
zu wenden, trauten sich diese vielfach nicht aus der oft berechtigten Angst
heraus, vereinnahmt zu werden. Bestehende Gruppen werden sich schon überlegen
müssen, ob ihnen das "Wohl" der eigenen Organisation wichtiger
ist als einen effizienten, langanhaltenden Widerstand auf die Beine zu stellen.
Die Perspektive ist schwer absehbar. Wenn jemand die Regierung zu Fall bringt,
wird es wohl nur Jörg Haider sein. Der "Widerstand" wird danach
trachten müssen, nicht in sich selbst zu erstarren, genauso wie die Demonstrationen
nicht zu Selbstzweck verkommen dürfen. Widerstand ist eben mehr als das.
Was diese Regierung an die Macht gebracht hat, war eine Mehrheit, die autoritär
denkt, die keine Solidarität kennt, sondern im Gegenteil auf ohnehin schon
Unterdrückte auch noch eintritt. Die Widerstandsbewegung wird, wenn sie
erfolgreich sein will, den Menschen Grundsätzlichkeiten wie eben Solidarität
näher bringen müssen. Das erfordert Geduld und einen starken Magen.
Das ist es, was kleinere Gruppen oder Einzelpersonen leisten können. Ob
sich Institutionen wie die Gewerkschaften effektiv zur Wehr setzen, entzieht
sich unserem Einflußbereich. Es wäre wünschenswert, aber bis
auf etwas rauhere Töne war bislang nichts zu bemerken. Wer 50 Jahre schläft,
ist nicht gleich hellwach. Und dazulernen müssen wir irgendwie alle.