Am
1. März 1999 erging vom Förderverein des whk der Aufruf für
eine sexualemanzipatorische Zeitschrift. Darin fand sich folgende Zustandsbeschreibung:
Die lesbisch-schwule Presselandschaft ist verödet. Kommerzialisierung,
politische Indifferenz und redaktionelle Mittelmäßigkeit prägen
die bundesweite Monatspresse. Emanzipatorisches Gedankengut, subtile Analysen,
wissenschaftliche Erkenntnisse, fundierte Gesellschaftskritik finden in dieser
Subkultur kein Medium mehr. Dringender denn je wird heute eine sexualpolitische
Zeitschrift gebraucht (...), die: journalistisch gemacht und zitierfähig
ist; beim Publikum nicht auf dessen Dummheit spekuliert; ihre Existenz nicht
auf die kommerzielle Verwertung des menschlichen Körpers gründet;
sich nicht als Sprachrohr schwuler Bürgerrechtler mißbrauchen läßt;
Gesellschaft noch in soziale Klassen einzuteilen vermag; die Kirche im Dorf
läßt und nur dort; sich nicht scheut, auch schwule und lesbische
SoldatInnen als Mörder zu bezeichnen; den Mythos der Zweigeschlechtlichkeit
als soziale Konstruktion entschlüsselt; sich rektaler Integrationspolitik
verweigert und Feminismus und Patriarchatskritik nicht unter Fremd- oder Schimpfwörter
einordnet; die Vielfalt der Lebensformen statt ihrer Gleichschaltung propagiert;
jedwede Art von Diskriminierung und Unterdrückung bekämpft, insbesondere
rassistische.
Fünf
Wochen später erschien die erste Ausgabe von Gigi, die herausgegeben
wird vom wissenschaftlich-humanitären komitee (whk) und verlegt von dessen
Förderverein. Das whk ist eine Wiedergründung der 1933 von den Nazis
zerschlagenen ersten sexualpolitischen Organisation der Welt, aus der die
Weltliga für Sexualreform hervorging. Die sexualreformerische Bewegung
erlebte in den Weimarer Jahren ihre Blüte. Bedeutende Mitglieder innerhalb
des historischen WhK waren: der jüdische Arzt Magnus Hirschfeld, der
mit dem Werk "Berlins Drittes Geschlecht" und seiner Theorie der
sexuellen Zwischenstufen Furore machte (aber heute mehr denn je wegen seines
Hanges zur Eugenik umstritten ist); die Schriftstellerin Toni Schwabe, eine
der wenigen Frauen im alten WhK; Richard Linsert, exponierter Kader der Weimarer
KPD, der in den 20er Jahren den Begriff der "Freien Liebe" in die
Linke trug, sowie einer seiner engsten Freunde, der Publizist Kurt Hiller,
der gemeinsam mit Kurt Tucholsky und Helene Stöcker 1926 die Gruppe Revolutionärer
Pazifisten gründete.
Vor
diesem Hintergrund läßt sich das publizistische Anliegen der Gigi-Redaktion
so einordnen: Themen wie Trans- und Intersexualität, Rechtsruck der Lesben-
und Schwulenbewegung, Lebensformenpolitik, Prostitution und sexuelle Gewalt
stehen im Mittelpunkt. Verständlich werden diese Themen jedoch erst durch
die Einbeziehung des gesamtgesellschaftlichen Rahmens, seien es Rassismus,
patriarchale Geschlechterrollen oder die Vergesellschaftung durch den Wert
eine Vernachlässigung dieses Rahmens führt in die identitätspolitische
Verdummung und auf das Niveau von schwul-lesbischen Heimatblättchen.
So ist Gigi heute das einzige Magazin, das den Raum einer politischen
Zeitschrift in der Lesben- und Schwulenbewegung ausfüllt ohne
sich zugleich selbst dieser zuzurechnen.
Dabei ist es seit der ersten Ausgabe im wesentlichen geblieben; weiterhin
ist die Lesben- und Schwulenszene mal mehr, mal weniger dominantes Thema in
Gigi. Kein Wunder, den Raum einer politischen Zeitschrift
hat ihr dort bisher niemand streitig gemacht.
Aus
Ermangelung ernsthafter Alternativen nimmt es daher auch wenig Wunder, daß
die Gigi-Redaktion am 22. September 2001 in Köln mit einem Sonderpreis
des Felix-Rexhausen-JournalistInnenpreises des BLSJ für die beste
Zeitschrift aus dem lesbisch-schwulen Bereich ausgezeichnet wurde
obwohl sie sich nicht als solche versteht. Der Vollständigkeit halber
dokumentieren wir an dieser Stelle den Systemfehler in Form der vielsagenden
Urteilsbegründung des Bundesverbandes der lesbischen und schwulen
Journalistinnen:
"... Die Jury war überrascht, ein so unabhängiges Magazin zu
finden: Ganz abgesehen von eigenen politischen Orientierungen, möchten
wir mit dieser Auszeichnung auch den Mut loben, unbequem zu sein und unbequem
zu bleiben. Zwei wichtige Punkte sind der Jury aufgefallen: Gigi greift
Themen auf, über die bereits ein vermeintlicher Konsens in der Gesellschaft
besteht (wie z.B. bei der sogenannten "Homo-Ehe") und zeigt
hervorragend recherchiert kritische Perspektiven auf. Gigi ist
aber auch eine Zeitschrift, die sich neuen Themen zuwendet und Diskussion
und Erkenntnis darüber vorantreibt. Der Preis soll auch Ansporn sein,
diese Arbeit weiterzumachen. Herzlichen Glückwunsch!"