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Die Tunte gibt es nicht


An der Tunte versagen Definitionen und scheiden sich die Geister. Doch in der Vielfalt steckt die Chance, meint Sven Glawion

Was gehört zu einer richtigen Tunte? Klar, der Stöckelschuh, das Handtäschchen und – kreisch, fast vergessen – die Federboa. Apropos "kreisch" – natürlich gehört auch die richtige Inszenierung dazu: hysterische Schreie, Colliergriff, Fallhand. Zu guter Letzt muss die Tunte nur noch dem richtigen Ort zugeordnet werden: CSD-Wagen, Varieté, Schwulendisco. Perfekt, die richtige Tunte ist komplett.

Doch schon häufiger entdeckte ein begeisterte Tuntenfreund unter dem Glitzerfummel eine geradezu atemberaubende Unwahrscheinlichkeit: Den Körper einer biologischen FRAU! Mit den Eindeutigkeiten scheint man(n) bei der Tunte also nicht so weit zu kommen. Nur der Duden übt die ihm zugewiesene Aufgabe, Inhaber der Definitionsmacht zu sein, mit erhabener Gelassenheit aus: "Tunte – die; -n (ugs. für Frau; Homosexueller mit femininem Gebaren)". In der Realität hat der schwule Mann im Kleid aber längst Verstärkung bekommen: die lesbische Tunte, die Hetentunte, der heterosexuell lebende Transvestit, die Drag-Queen. Gender trouble par excellence!

Besonders dort, wo Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle Aufklärungsarbeit in der heterosexuellen Mehrheitskultur leisten, wird ordnend in das Bezeichnungs-Chaos eingegriffen. Obwohl die Schubladen nie so richtig passen mögen, versucht man Begriffe wie Tunte, Schwuchtel, TranssexuelleR, Transvestit, Drag genau voneinander zu unterscheiden. Für diejenigen unter den Heteras und Heteros, die meinen festlegen zu dürfen, was "normal", "gesund" und "richtig" ist (zu dieser Spezies gehören leider auch manche Homos), stehen diese Begriffe alle für den selben Typus: Der Mann (meistens ist es der Mann), der Probleme mit seinem Körper hat und einfach "anders" ist. Damit wird eine Anti-Norm konstruiert, die sie in ihrem Verständnis von Norm bestätigt.

Doch auf Unverständnis oder Ablehnung stößt die Tunte nicht nur bei ignoranten Heten. Für viele Mann-zu-Frau-Transsexuelle ist es – besonders in der Zeit vor einer Hormonbehandlung oder einer operativen Geschlechtsangleichung – oft verletzend, wenn sie für Tunten gehalten werden, obwohl sie die ersten Schritte als Frau zu gehen versuchen. Dieses Unbehagen ist verständlich. Bleierne Schwere verbreitet hingegen die Kritik, die von einzelnen Schwulen an der Tunte geübt wird. Verunsichert dadurch, daß einem durch das Schwulsein auch das Mann-sein abgesprochen wird, werden Grenzen zwischen Mann und Frau präzise festgelegt und in peinlicher Genauigkeit eingehalten, um die eigenen Unsicherheiten bewältigen zu können. Von existenzieller Wichtigkeit ist die Abgrenzung auch für viele Vertreter integrativer Homo-Politik. Wer alles in Bewegung setzt, um an der Hetero-Welt partizipieren zu dürfen, der muß ständig beweisen, daß er eigentlich ganz brav die zugewiesene Männerrolle akzeptiert. Die Tunte ist dafür zu schräg und nicht integrationskompatibel genug.

Neben den Bedenken der Vorzeige-Schwulen gibt es auch Anklagen von links. Viele FeministInnen kritisieren, daß die Tunte eine Parodie von Weiblichkeit sei, sexistisch, indem sie männlichen Erwartungshaltungen Frauen gegenüber entgegenkommt und diese dadurch reproduziert. In linken Gruppen ist sie oft als unpolitisch kritisiert worden, als Personifizierung von Dekadenz und Vergnügungssucht.

An der Universität erhält die Tunte ihren Platz in einem Netzwerk verschiedenster Theorien. Der neuere Feminismus, der konstruktivistische Diskurs und die "Queer"-Bewegung haben nicht nur das Verkleidungsspiel der Tunte, sondern besonders die Inszenierung der "normalen" Weiblichkeit und Männlichkeit als Maskerade erkennbar gemacht. Das alltäglich praktizierte Spiel mit Gesten und Kommunikationsverhalten, Kleidung und Verhaltensmuster ist es, das die Vielfalt von Geschlecht auf nur zwei Bilder – Frau und Mann – reduziert, Begehren auf Heterosexualität verknappt und die Denk- und Sehgewohnheiten so sehr prägt, daß alles, was sich anders verhält, als unnormal oder pervers bezeichnet wird. "Natürlich" ist also das, was Menschen als solches bezeichnen und was sie durch Traditionen stabilisieren. Die Tunte greift demnach nicht "natürliche" Geschlechtsidentitäten an, sondern die Bilder, die "Natürlichkeit" vortäuschen.

Was sagt eigentlich die Tunte?

Die Tunte kann dazu nichts sagen, da es DIE Tunte nicht gibt. Es gibt viele Tunten: Gelegenheits- und Dauertunten, homo-, hetero-, bi- und multi-sexuelle, revolutionäre und opportunistische, frauenfeindliche und feministische Tunten. Sie als Beweis für bereits erreichte Geschlechtervielfalt zu feiern ist ebenso falsch, wie sie politisch zu verachten; sie akademisch zu vereinnahmen ist ebenso problematisch, wie sie in die Party-Ecke zu drängen.

Doch in der Vielfalt des Lebensentwurfs "Tunte" verbirgt sich die große Chance. Wenn die Tunte nicht mehr eindeutig ist, dann beißen sich die KritikerInnen an ihr die Zähne aus. Die Trümmertunte parodiert Schönheitsbilder und verstärkt sie nicht, die lesbische Tunte konfrontiert den konservativen Schwulen mit Situationen, denen er nicht gewachsen ist, die feministische Kampf-Tunte überholt viele autonome Gruppen von links. Innerhalb der vielfältigsten Inszenierungsmöglichkeiten können kleine, wandelbare Aktionsräume geschaffen werden, die vom kommerziellen Zugriff übersehen werden. Während die Glamour-Queen das große Geld in der Werbebranche macht, bemüht sich die Kittel-Fraktion im Supermarkt um tuntige Präsenz im Alltag. Obwohl die Kommerz-Tunte und ihre subversive Schwester wahrscheinlich Welten – besonders politische – trennen, stören beide die Sehgewohnheiten und verändern dabei, ob gewollt oder nicht, die Wahrnehmungsraster. Doch Tunten können mehr als irritieren. Diejenigen, die "tuntig" als gelebte Kritik verstehen, als zelebrierte Alternative zum Bestehenden, entlarven die sozialen Ordnungen als das, was sie sind – pseudologisch, ausgrenzend, konstruiert.

Die Transgender-Bewegung gewinnt an Sichtbarkeit. Dort tummeln sich Frauen, die sich als Frauen verkleidete Männer verkleiden, Männer, welche die butch mimen, und mittendrin immer auch die Tunten – manchmal gar nicht als solche erkennbar, zwischen Trümmer und Glamour, Mann und Frau, Original und Fälschung. Sie machen Mut! Mut zum Spinnen, Träumen, Kämpfen und Experimentieren.