Während sich die Regierungsfraktionen bei dem Versuch, Prostitution
zu entkriminalisieren und zu legalisieren, zunehmend als politikunfähig
erweisen, droht eine mit Regierungsbeteiligung liebäugelnde PDS als Interessenwahrerin
von Anschaffenden ebenfalls unglaubwürdig zu werden. Zeitgleich dokumentieren
Gewerkschaften freimütig ihre professionelle Inkompetenz im horizontalen
Gewerbe. Ein Lagebericht von Ortwin Passon
"Die
Sexarbeitergewerkschaft Pro Prostitution, abgekürzt ProPros, unter dem
Dach von ver.di und die deutsche Erotikindustrie haben ihre festgefahrenen
Tarifverhandlungen nach Gewerkschaftsangaben am Sonntag an einem geheim gehaltenen
Ort wieder aufgenommen. Eine Sprecherin von ProPros sagte am Nachmittag, die
deutsche Erotikindustrie habe bisher kein neues Angebot vorgelegt. Die Forderung
der Gewerkschaft nach einem Mindestlohn von 100 DM für eine sexuelle
Dienstleistung bestehe weiterhin. Beim ersten ganztägigen Streik der
Huren und Stricher in ProPros am Donnerstag waren 300.000 Sexarbeiterinnen
nicht zur Arbeit erschienen. Die meisten Bordelle blieben geschlossen. Für
kommenden Donnerstag ist ein weiterer Streik angekündigt, wenn es bis
dahin zu keinem Ergebnis kommt."(1)
Diese
Nachricht wird fiktiv bleiben, wenn sich die rot-grünen Koalitionäre
nicht endlich von ihrem im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend des Deutschen Bundestages durch Sachverständige zerfetzten(2)
Gegen-Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen
Situation der Prostituierten(3) verabschieden und einem ausgereiften,
durch entsprechende Änderungsanträge erweiterten Entwurf eines Gesetzes
zur beruflichen Gleichstellung von Prostituierten und anderer sexuell Dienstleistender(4)
der Demokratischen Sozialisten zustimmen. Schon jetzt begreifen viele Callboys
ihren Beruf als Dienstleistungsangebot, welches auf die vorhandene Nachfrage
reagiert und auch wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllt. Der
Entwurf der PDS ist hier konsequenter, z.B. in der Forderung nach Streichung
der Sperrgebietsverordnung(en) oder der Möglichkeit einer legalen Arbeitssituation
auch für ausländische Prostituierte, meint querstrich, das bei SUB/WAY
in Berlin angeschlossene Projekt von und für Callboys.(5)
Obwohl
der seit November letzten Jahres vorliegende PDS-Entwurf anders als der rot-grüne
Gegenentwurf unter anderem Regelungen zum Dienstleistungsrecht enthält,
hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di überraschenderweise
auch mehr als ein halbes Jahr danach noch keine Meinung dazu und verweist
stattdessen auf eine undifferenzierte Pressemitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
(DGB) (6): Dieser begrüßt das geplante Gesetz, ohne zu erklären,
welche der beiden Vorlagen er damit eigentlich meint, und faxt ganz banal
und lakonisch: Es sei überfällig, den 400.000 Frauen in Deutschland
Zugang zur Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung zu ermöglichen,
so der DGB. Damit werde endlich die gesetzliche Schieflage beseitigt, daß
Prostituierte zwar Steuern zahlen müßten, von der Sozialversicherung
aber ausgeschlossen blieben.(7) So kann man seinen Job auch erledigen.
Nicht
weniger irritierend die Sozialverbände, deren vorrangige Aufgabe die
Gestaltung der Sozialpolitik und der Sozialrechte ist: Der SoVD bittet um
Verständnis, dass wir auch im Hinblick auf diese Satzungsaufgaben zur
Problematik der sozialen Absicherung von Prostituierten nicht als Organisation
Stellung beziehen, erklärt Hans-Jürgen Leutloff, Leiter der Abteilung
Sozialpolitik(8), während der VdK eine Stellungnahme gleich ganz verweigert.(9)
Qualifiziert
dagegen highLights und Lady Vera vom Aktionskomitee Pro Prostitution, die
Bundesfinanzminister Hans Eichel im März symbolisch 8.000 Pfennige für
alle in Berlin in der Prostitution tätigen Menschen vor die Stufen seines
Ministeriums schütteten: "Wir wollen damit demonstrieren, daß
die meisten SexarbeiterInnen sich ihrer Steuerpflicht durchaus bewusst sind".
Die momentane Situation zeichnet sich durch den Widerspruch der Steuerpflicht
einerseits und der Rechtlosigkeit andererseits aus, womit sie ihn an seine
Erklärung vom 21. Februar erinnerten, Prostitution, die auf freiwilliger
Basis erfolgt, ein Stück weit zu legalisieren und ihn aufriefen, dieses
Vorhaben umzusetzen und den Worten Taten folgen zu lassen.(10) Im Mai
wiederholten sie ihre Forderungen Streichung der §§ 180a und 181a
StGB (Förderung der Prostitution und Zuhälterei), Aufhebung der
Sperrgebietsverordnungen (Landesrecht) und des Werbeverbots nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht,
Streichungen im Gaststättenrecht und ganz wichtig Verbesserungen im Ausländerrecht
und mahnten die Volksvertretung an, sich für vorgenannte Rechtsänderungen
einzusetzen und entsprechend abzustimmen, nachdem sich letztes Jahr bei einer
Umfrage unter allen 669 Bundestagsabgeordneten die gesamten Fraktionen der
PDS, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP mit insgesamt 430 Stimmen
positiv dafür aussprachen.(11)
Mimikri,
die Beratungsstelle für anschaffende Mädchen und Frauen der Diakonie
Oberbayern, bei der auch das Münchner Stricherprojekt Marikas
angegliedert ist, moniert, dass mit dem rot-grünen Gegenentwurf Sperrgebietsverordnung,
Werbeverbot und Prostitution als Ausweisungsgrund im Ausländerrecht erhalten
bleiben.(12) Looks in Köln, das Stricher und Callboys bei
ihrer Professionalisierung unterstützt, erwartet vom Gesetzesvorhaben
zwar, dass sich die stärkere Legitimation von Prostitution als Dienstleistung
auf ein positives Selbstwerterleben unserer Klienten auswirken wird, warnt
aber, daß bei Fortbestand der §§ 180a und 181a keine
geschützten Arbeitsverhältnisse möglich sind.(13)
Im
Anschluss an die Sachverständigenanhörung im federführenden
Bundestagsausschuss forderten Männer und Frauen der Organisation KARO
auf der 30. Fachtagung Prostitution in Plauen daher die Umsetzung der
längst fälligen Gesetzesnovelle.(14) Die Entkriminalisierung
und Legalisierung von Sexarbeit bis Ende September hinauszuzögern ist
für viele Anschaffende nicht mehr nachvollziehbar: Denn prinzipiell hat
sich nichts geändert. Es gibt weder neue Argumente noch neue Rechtspositionen.
Die einzelnen Fraktionen und Bundestagsabgeordneten beschäftigen sich
schon seit Jahren mit der Situation von SexarbeiterInnen und sind ermahnt,
nach der Sommerpause ihr Wort (zu) halten.(15) Neben einer grundlegenden
Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation von Prostituierten durch Gesetze
wird eine Veränderung und Enttabuisierung der gesellschaftlichen Betrachtung
von Prostitution(16) und somit eine Attraktivierung des Berufsbildes
erwartet: Finanzielle Gründe, Spaß am Sex und die Möglichkeit,
die Arbeit entsprechend den eigenen Vorstellungen zu gestalten sind ausschlaggebend,
den Beruf länger auszuüben.(17) Doch neben rechtlicher Diskriminierung
sind Repressionen durch Staatsgewalt und Administration das Haupthindernis:
Nicht nur in München wird die Arbeit durch Sperrgebietsverordnungen und
Behördenkontrollen stark erschwert. Auch aus Hamburg wird von Kontrollen
und Razzien berichtet, so Andreas Kippe beim überregionalen Callboytreff
im August in der bayerischen Landeshauptstadt(18), und in Leipzig verjagt
die Polizei Freier und Nutten von der Straße.(19)
Derweil
üben sich Christdemokraten um MdB Ilse Falk weiterhin im geistig-moralischen
Spagat: Getrieben von der ideologischen Frage, wie umfassende Sozialversicherung
zwar ermöglicht aber gleichzeitig die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)
des Kaufs und Verkaufs sexueller Dienstleistungen beibehalten (sic!) werden
kann(20), beantragten sie im Juli, sogar den rot-grünen Torso
abzulehnen.(21) Damit fallen sie hinter Erkenntnisse und Empfehlungen
ihrer eigenen Regierungszeit zurück, die vom Bundesministerium für
Frauen und Jugend schon 1993 dokumentiert wurden.(22)
Nun
richten sich alle Augen auf die Demokratischen Sozialisten um Gregor Gysi:
Kippeln sie weiter auf den Oppositionsstühlen mit glasigem Blick zur
Regierungsbank? Oder behalten sie Rückgrat wie ihr fortschrittliches
Vorzeige-MdB Christina Schenk? Allen Intentionen zum Trotz wird das Prostituiertengesetz
auf dem Rücken rechtloser Nutten, Stricher und Callboys zum neuen Testfall
für die Korrumpierbarkeit der PDS.
1
Zeitungsmeldung, vorgetragen von der Prostituierten Stephanie Klee in der
Sachverständigenanhörung zum Prostituiertengesetz, in: Deutscher
Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 69. Sitzung,
20. Juni 2001, Protokoll 14/62, S. 13
2
vgl. Gigi Nr. 13, Mai/Juni 2001, S. 22 f. und Gigi Nr. 14, Juli/August 2001,
S. 22 f.
3
Deutscher Bundestag, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 14/5958 vom 8. Mai 2001
4
Deutscher Bundestag, BT-Drs. 14/4456 vom 1. November 2000
5
querstrich c/o SUB/WAY, Stellungnahme zur Gesetzesnovelle, Berlin, o. D.,
Mai 2001
6
Telefax von Alexa Wolfstaedter, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di,
Abt. Frauen- und Gleichstellungspolitik, ÖTV-Hauptverwaltung, Stuttgart,
22. Juni 2001
7
Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundespressestelle, Pressemitteilung PM 153,
Berlin, 10. Mai 2001
8
Schreiben des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) ans whk, Berlin, 14. Juni
2001
9
Anfragen von whk und Gigi vom 18. Mai und 18. Juni 2001 blieben unbeantwortet.
10
Schreiben des Aktionskomitees Pro Prostitution an Bundesfinanzminister Hans
Eichel, die Mitglieder der Bundesregierung und die Mitglieder des Deutschen
Bundestages, Berlin, 6. März 2001
11
Presseerklärung der Hurenprojekte HYDRA und highLights im Aktionskomitee
Pro Prostitution, Berlin, 11. Mai 2001, S. 2
12
Mimikri, Pressemitteilung zum Gesetzentwurf Verbesserung der rechtlichen und
sozialen Situation von Prostituierten, München, 19. Juni 2001, S. 2
13
Schreiben der Looks-Geschäftsführerin Sabine Reinke, Köln,
20. Juni 2001
14
Cathrin Schauer, KARO, Presseerklärung, Plauen, 21. Juni 2001
15
Friederike Strack und Andrea Petsch, HYDRA, Presseerklärung, Berlin,
6. Juli 2001
16
querstrich, a.a.O.
17
Andreas Kippe: Überregionaler Callboytreff 10. -12.08.2001 in München,
Seminarbericht, Berlin, 20. August 2001, S. 1
18
ebenda, S. 2
19
vgl. Der Tagesspiegel, 28. Juli 2001
20
vgl. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, a.a.O, S. 23
21
vgl. Deutscher Bundestag, BT-Drs.14/6781 vom 3. Juli 2001, Entschließungsantrag
zum Gesetzentwurf der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache
14/5958
22
Dokumentation zur rechtlichen und sozialen Situation von Prostituierten in
der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe des Bundesministeriums für
Frauen und Jugend, Band 15, Berlin 1993, 385 S.