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Nicht mehr als dumme Polemik


Besonders schwer an den Folgen von `68 trägt, so ist vielfach in den Feuilletons zu lesen, offenbar das Lust- und Liebesleben. Das Phänomen trieb offenbar auch die Journalistin Mariam Lau um. Herausgekommen sind “Die neuen Sexfronten” – und jede Menge Unfug, meint Götz Fabry

Trotz oder gerade wegen der Omnipräsenz des Sexuellen in der Kunst, in der Werbung, überhaupt im Alltag steht es mit der sexuellen Zufriedenheit der Menschen in Europa nicht zum Besten. Statt der erwünschten Befreiung von Prüderie, Verklemmtheit und Lustfeindlichkeit habe die sogenannte sexuelle Revolution ein Trümmerfeld von beziehungsunfähigen Egoisten, zerrütteten Familien und vereinsamten Lust-molchen hinterlassen. – So lautet die Kritik, die man zum Beispiel aus den 1999 erschienenen Romanen “Ausweitung der Kampfzone” und “Elementarteilchen” des französischen Autors Michel Houellebecq herauslesen kann. Dessen Landsmann Jean-Claude Guillebauds nähert sich in der “Tyrannei der Lust” dem Phänomen von theroretischer Seite und fragt, warum ei-gentlich zum Scheitern der sexuellen Revolution so hartnäckig geschwiegen werde.

Diese Kritik macht sich, die französischen Vorbilder aufgreifend, hierzulande Mariam Lau, die ehemalige Kulturkorrespondentin der taz, zu eigen und zieht in ihrem kürzlich erschienenen Buch “Die neuen Sexfronten” gegen die sexuelle Revolution selbst zu Felde. Leider vertut sie dabei die Chance, die interessante und wichtige Frage nach dem Zustand der Sexualität am Beginn des 21. Jahrhunderts auch nur einigermaßen befriedigend zu beantworten. Denn statt einer analytischen Auseinandersetzung mit den empirischen und theoretischen Beiträgen, die im Dunstkreis der politischen und wissenschaftlichen Debatten rund um die Sexualität entstanden sind, liefert Lau nur dumme Polemik.

Im Zentrum des Buches steht die Auseinandersetzung mit jenem Teil der Studentenbewegung, der mit der legendären Kommune 1 auch dem Muff in den deutschen Schlafzimmern den Kampf angesagt hatte. Den theoretischen Hintergrund dafür lieferte Herbert Marcuse mit der im Bestseller “Der eindimensionale Mensch” vertretenen These von der “repressiven Entsublimierung”, die von Reimut Reiche in der Schrift “Sexualität und Klassenkampf” systematisch entfaltet wurde. Marcuse hatte behauptet, dass die zunehmende Freizügigkeit in sexuellen Dingen keine wirkliche Freiheit bedeute, sondern insofern repressiv wirke, als sie es den Individuen nur erleichterte, sich mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abzufinden und keine unbequemen Fragen zu stellen.

Statt sich nun mit der These Marcuses eingehender zu befassen, die sich ja wie eine präzise Beschreibung unserer heutigen sexualökonomischen Verhältnisse liest, führt Lau Details aus der Biographie Marcuses an, die ihr geeignet scheinen, seine Theorie ad absurdum zu führen. Marcuse, so schreibt sie, war Jude und stammte aus großbürgerlichem Elternhaus. Aufgrund dieser Herkunft, so die Autorin weiter, passte er damit eigentlich denkbar schlecht zu den revoltierenden Studenten. Außerdem sei Marcuses Tendenz, zwar das gesellschaftliche Ganze in den Blick zu nehmen, sich die konkrete Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit aber zu ersparen, der Vorliebe der Studentenbewegung für die “großen Theorien” entgegengekommen. Lau setzt sogar noch einen drauf: Marcuses Kritik an der Moderne sei unter dem Einfluß Heideggers entstanden; damit rücke er in gedankliche Nähe zu rechten Denkern wie Ernst Jünger und Arnold Gehlen. Diese im Grunde konservative Denkart habe von den 68ern bloß niemand bemerkt oder bemerken wollen, was wiederum ein eindeutiges Licht auf die ideologisch verblendeten Revoluzzer werfe.

So schlampig wie hier breitet Lau fast alle ihre Argumente aus. Denn abgesehen von der Tatsache, dass in dem bereits 1968 erschienenen Band “Antworten auf Herbert Marcuse” die gedankliche Nähe zu den konservativen Kulturpessimisten durchaus Gegenstand der Kritik war und Marcuse selbst auf Jürgen Habermas’ Frage, wie er es finde, dass er von manchen in die Nähe Arnold Gehlens gerückt werde, antwortete, das nehme er in Kauf, ist Marcuses Kapitalismuskritik ja nicht schon deswegen falsch, weil sie in gedanklicher Nähe zu Heidegger entstanden ist. Ein Vergleich mit einem Artikel Reimut Reiches aus dem Sammelband “Frankfurter Schule und Studentenbewegung” zeigt im übrigen, dass Lau dort den größten Teil ihres Kapitels über die Kommune 1 abgeschrieben hat, ohne dass diese Übernahme im Detail als Zitat kenntlich gemacht worden wäre.

Ähnlich unqualifiziert wie der Abschnitt über Marcuse ist der über Wilhelm Reich, dem zweiten für die Studentenbewegung wichtigen Ideengeber im Hinblick auf die “sexuelle Revolution”. Auch hier hat die Autorin auf eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Werk des Psychoanalytikers zugunsten der biographischen Kolportage verzichtet. Reichs Denken, so lässt sich Lau vernehmen, werde erst plausibel vor dem Hintergrund der “privaten Katastrophe” seiner Biographie. Wo das Leben verkorkst ist, so will sie uns glauben machen, kann nur eine verkorkste Theorie ent-stehen. Und Verkorkstes gab es bei Reich reichlich: Nicht nur, dass er in die Köchin der Mutter verliebt war (Ödipus!), sondern später auch noch eine ehemalige Patientin heiratete. Auch hier breitet Lau nicht ihre eigenen Gedanken aus, sondern sie folgt der Biographie Harry Mulischs, der bereits die lebensgeschichtlichen Deutungsmuster anbot.

Nun ist es in der Tat ein leichtes, sich insbesondere über Reichs zweite Lebenshälfte, in der er die abstruse Orgon-Theorie ersann und auch praktisch umzusetzen versuchte, abfällig zu äußern und damit sein gesamtes Leben und Werk in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen (was natürlich auch einen Schatten auf diejenigen werfen soll, die sich seine Ideen zueigen gemacht haben). Schwieriger, aber weit ergiebiger wäre eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Theorien, die ja nicht alle unter Irrsinns-Verdacht stehen. So etwa, wie in kompetenten Darstellungen Helmut Dahmers (z.B. in “Libido und Gesellschaft”), der Reichs Sexualökonomie als wichtiges Projekt erkennt, welches auch – und gerade – heute wichtige gesellschaftspolitische Impulse geben könnte.

Um die Sache abzurunden, macht sich Mariam Lau schließlich über die Kommune 1 her, die bei ihr als “von Marcuse theoretisch sanktioniertes Kinderparadies” firmiert. Auch diesmal müssen die Biographien der Hauptdarsteller herhalten, um das ganze Projekt von vornherein als fragwürdig darzustellen. Oder wie sonst soll man verstehen, dass dem Publikum Dieter Kunzelmann vor allem als “Sparkassenlehrling” und Rainer Langhans als abgebrochener “Jura-Student, der auch sonst ohne Studien-Abschluss blieb”, präsentiert werden? Die von der Autorin gewünschten Assoziationen sind nicht schwer zu erraten: Spießiger Langweiler meets Taugenichts.

Nun wäre das unverkennbar ironisierende Element ja noch als ganz amüsant zu ertragen, trüge es dazu bei, die Ergebnisse der sonstigen Analyse schlaglichtartig zu erhellen. Was aber leider nicht der Fall ist. Dass der Versuch, nicht nur die Sexualität zu entfesseln, sondern die Beschränkungen der sexuellen Freiheit als pars pro toto für eine immer noch unfreie Gesellschaft zu verstehen und dem entgegen zu leben in Form der Kommune 1 gescheitert ist, belegt ja noch lange nicht, wie Mariam Lau uns weismachen will, dass die Fragestellung falsch war.

Falsch jedenfalls sei das von den Homosexuellen angestrebte Modell der Trennung von Partnerschaft und Sex gewesen. Denn der Widerspruch zwischen trauter Zweisamkeit einerseits und orgasmusoptimiertem Sexmarkt andererseits sei der Grund für die “dramatischen und hysterischen Lebensweisen” der Schwulen, die dann zum Objekt der Karikatur würden und mit denen, so dürfen wir ergänzen, die Schwulen in den Köpfen heterosexueller Journalistinnen wie Mariam Lau immer noch identifiziert werden. “Von den Schwulen lernen heißt also wohl eher verlieren lernen”, so das Fazit der verheirateten Autorin. Denn wie Studien zeigten, seien Ehepaare noch immer am zufriedensten mit ihrem Sex. Auch sonst liefert Laus Buch genau jenen Quark, den sie in der Gender-Theorie ausgemacht zu haben glaubt.

Es verwundert kaum, dass Laus Werk im Stammverlag zahlreicher FAZ-AutorInnen erschien; Lau schreibt auch regelmäßig für Springers erzkonservative Welt und verreißt dort gern sexualpolitische Bücher. Literaturchef der Welt ist Tilman Krause, Mitautor von Rainer Zitelmanns “Selbstbewußter Nation”, eines Standardwerks der Neuen Rechten.


Mariam Lau: Die neuen Sexfronten. Vom Schicksal einer Revolution. Alexander Fest Verlag, Berlin, 2000, 224 Seiten, 39,80 DM