Aktion
saubere Stadt
Die
zunehmende Repression gegen alternative Sexualmilieus enthüllt nicht
weniger als den Charakter staatlicher Sicherheitspolitik. Dass
so manches Homo-Projekt dabei fröhlich mitmacht, wirft ein Schlaglicht
auf den Zustand schwul-lesbischer Bürgerrechtspolitik. Ein Schadensbericht
von Dirk Ruder
Im Mai 2000 schlug die Nürnberger Schwulenpost Alarm. In den vorangegangenen
Wochen, so NSP-Autor Bernhard Fumy, haben sich eine Reihe von Schwulen
an die Rosa Hilfe gewandt, nachdem sie auf öffentlichen Toiletten von
der Polizei kontrolliert worden waren. Die Vorgehensweise der Polizei war
dabei nicht einheitlich, betroffen waren Toiletten im gesamten Stadtgebiet.
Kontrollen hätten unter anderem an der Sterntorklappe und am Hasenbuck,
besonders jedoch auf der Klappe im U-Bahnhof Maximilianstraße stattgefunden.
Gemeinsam ist allen uns vorliegenden Berichten, dass eine Straftat,
etwa eine Erregung öffentlichen Ärgernisses, beim besten Wil-len
nicht zu erkennen ist. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass Schwule
gezielt von Klappen vertrieben werden sollen. Hausverbot wird
offensichtlich jedem erteilt, der tatsächlich oder vermeintlich schwul
ist.
Was
sich so in Nürnberg zutrug, wiederholte sich ähnlich an vielen traditionellen
Schwulentreffs. Ob Parks in Bielefeld, Freiburg, Stuttgart, Regensburg und
Saarbrücken, Klappen in München, Celle oder Berlin, Rastplätze
in Hessen und im Ruhrgebiet, Szeneläden in Hamburg, Essen, Düsseldorf
und Köln Überall im Bundesgebiet waren alternative Sexualmilieus
Schauplatz von Razzien, Kontrollen oder so im Fall der Rastplätze
Schließungen. Unter dubiosen Begründungen und ungeniert
wie zu Zeiten eifrigster Verfolgung in den 60er Jahren erfasste die Polizei
(teils in vorbereiteten Fragebögen) Personendaten von Cruisern, fotografierte
Saunagäste und nahm, wie in Hamburg, bei der Suche nach Sexverbrechern
Kneipengästen Speichelproben zur DNA-Analyse ab. Als sei §175 weiter
in Kraft, lud die Hamburger Polizei am 26. Februar 2001 sogar die Boulevardpresse
zur Großrazzia ins Schwulenlokal Wunderbar ein. Deren Berichterstattung
outete prompt einen Mann.
Was
hier passiert, verdeutlicht am besten das Beispiel Nürnbergs, wo die
Polizeiaktionen ein kommunales Nachspiel hatten. Auf Anfrage des grünen
Stadtrats Jürgen Wolff stellte die Verwaltung klar, die Stadt habe
die Pflicht, sicherzustellen, dass öffentliche WC-Anlagen allen Bürgern
ohne Einschränkungen und Belästigungen zur Verfügung zu stellen.
Die Situation von stark verschmutzten Toilettenanlagen, zum Teil auch durchbohrten
Kabinenwänden, habe sich in letzter Zeit zugespitzt. (NSP 6/00).
Stadtrechtsdirektor Hartmut Frommer äußerte gegenüber dem
Lesben- und Schwulen-Zentrum Fliederlich, die Kontrollen hätten
keinerlei schwulenfeindliche Ziele im Sinn, sie richteten sich
zu Sauberkeitszwecken nämlich gegen alle Störfaktoren.
Verbote für öffentliche Pissoirs sollten indes in Zukunft nur noch
für die betreffende Toilette ausgesprochen werden und nicht mehr
für das gesamte Stadtgebiet.
Wo Frommer Recht hat, hat er Recht: Klappensex ist in Bayern verboten. So
begründete im April 2000 die offen lesbische Polizistin Barbara Eichstätter
in Our Munich, warum sie einen Homosexuellen in eindeutiger Situation
anzeigen müsse, den sie auf öffentlichen Toiletten, z.B. in
U-Bahnhöfen antreffe: Er erfüllt den Tatbestand des
Hausfriedensbruchs. Dies ist eine Straftat nach dem Strafgesetzbuch ·
Homosexuelle sollten verstehen, dass das nichts mit Verfolgung homosexueller
Lebensweise zu tun hat. Ob derlei Maßregelungen tatsächlich
einen Beitrag zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Homosexuellen
und Polizei, leisten, sei dahingestellt. Ebenso unappetitlich wie das
sich neuerdings in Fragen von außerehe-lichem Geschlechtsverkehr kompetent
gebende Staatspersonal ist die Ignoranz der Homo-Presse. War da was?
Aber
ja! Etwa die Aktion Sicherheitsnetz, beschlossen am 2. Februar
1998 von der Innenminister-Konferenz. Sie soll laut BKA zur
Steigerung der Sicherheit und Ordnung in Städten und Gemeinden
beitragen. Baden-Württemberg und Bayern, wo sich Aktionen gegen Cruising-Areale
am stärksten häufen, waren als erste dabei. Die Leitlinie Baden-Württemberg
Mit Sicherheit und Ordnung vom 24. September 1997 sieht u. a.
ein gezieltes Vorgehen gegen Ordnungsstörungen und eine lagebildorientierte
Präsenz vor: Die polizeiliche Präsenz an sicher-heits-relevanten
Örtlichkeiten und zu aufgepasst! tatrelevanten
Zeiten muss erhöht werden. Da die konsequente Fortführung
der kommunalen Kriminalprävention auf alle denkbaren Gruppen abzielt
auch Obdachlose, Fixer und aggressive Bettler-, sieht
die Leitlinie sogar die schnellere Abschiebung von ausländischen
Intensiv- und Gewalttätern vor.
In Bayern sorgt die Initiative Bayern Sicherheit seit Dezember
1998 für eine Steigerung der polizeilichen Präsenz und Präventionstätigkeit
mit Folgen für die Kommunen: In Nürnberg vertrieb beispielsweise
ein Sicherheitspakt (SiPa) von Stadtverwaltung und Polizei Schwulen
von Klappen, in Regensburg ergänzten Kontrollen im Park eine flächendeckende
Videoüberwachung der City. Beide Städte siegten im Dezember 2000
beim bayernweiten Wettbewerb Saubere Stadt. Im Kampf um die polizei-staat-lich-ste
Gemeinde bekam Regensburg sogar eine besondere Anerkennung von
Innenminister Günter Beckstein (CSU), denn verstärkt gibt
es Ängste dort, wo Dunkelheit und Schmutz im öffentlichen Verkehrsraum
(sic!) herrschen.
Spätestens
nach den positiven Erfahrungen des Regensburger Modellprojektes
weiß jeder süddeutsche Cruiser, worauf er sich einzustellen hat,
wenn Beckstein die Dunkelheit ins Visier nimmt: stärkere Beleuchtung
öffentlicher Plätze sowie die Auslichtung von Gebüschen.
Die Begleitmusik lieferte eine Umfrage des bayrischen Städtetags
unter den Mitgliedsgemeinden: Demnach stören sich die Bürger
zunehmend an Verunreinigungen öffentlicher Plätze, Nichtsesshaften
und anderen auffälligen Gruppen · In den mei-sten Fällen könnte
durch bloße Polizeiprä-senz und konsequente Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
abgeholfen werden. Und unter dem Motto Null Toleranz bei Verbrechen
fordern CSU-Politiker schon seit Monaten härtere Strafen für Exhibitionisten
und Spanner. Finden solche Vorschläge Anklang, hat verdächtiges
Klappenpublikum in München künftig neben der obligatorischen Strafanzeige
mit der Speicherung in der Gendatei des BKA zu rechnen lebenslang.
Deutlich
wird: Bei den Aktionen gegen Schwulentreffs handelt es sich keineswegs um
vereinzelte Überreaktionen christlicher Politiker oder intoleranter Behörden.
Sie lassen sich allesamt auf ein politisches Konzept zurückführen,
dass konservative Parteien ebenso bedienen wie SPD, Grüne und (noch etwas
zaghaft) die PDS. Und dies, so die AG Schwulenpolitik des whk in einem zum
diesjährigen CSD verteilten Flugblatt, nicht trotz Antidiskriminierungspolitik
und Homo-Ehe, sondern gerade auch in deren Kontext. Die selben Innen-
und Justizministerien, die an Ausführungsbestimmungen zum LPartG werkeln,
sorgen mit immer neuen Gesetzesentwürfen zur Inneren Sicherheit
für die zunehmende Kriminalisierung unangepasster Sexualität.
Programmatisch
erklärte Innenminister Otto Schily (SPD) erst am 18. April 2001: Die
Freiheit des Einzelnen kann sich nur in einem Klima der inneren Sicherheit
entfalten. Diese sei auch geprägt vom subjektiven Sicherheitsempfinden
der Bürgerinnen und Bürger, wie auch von der Stadtplanung und Gesellschaftspolitik.
... Wesentlich ist dabei eine bürgernahe Polizei. Dass die weitere
Einschränkung von Grundrechten genetischer Fingerabdruck, Fahr-,
Vereins-, Reise- und Versammlungsverbote die Freiheit des Einzelnen
erhöht, mag glauben wer will. Solange etwas für die Anti-Gewalt-Arbeit
abfällt, wird die schwule Bürgerbewegung auch diesen antidemokratischen
Kurs mitmachen.
Man
sehe sich etwa die Benennung von Ansprechpartnern für homosexuelle
Lebensweisen bei der Polizei an. Von der Szene stets als Emanzipationserfolg
gefeiert, sind solche Kontaktbeamte längst Schlüs-selelement
einer rigiden Zero-Tolerance-Politik. Der frühere LSVD-Anti-Gewalt-Experte
Jens Dob-ler propagiert z. B. community-policing-Konzepte, die sich ganz offen
auf BKA-Publikationen berufen. Da sollen Polizei und Bevölkerung Informationen
über Probleme einbringen und freiwillige Helfer auch aus
der Homo-community als Augen und Ohren der Polizei fungieren.
Schließlich gebe es noch genug Lokale, die regelmäßig
einen Polizeieinsatz erfordern: Die Schwulenbewegung ist ein Partner
in der Partnerschaft zwischen Bürger und Polizei.
Geht
es um erfolgreiche Verbrechensbekämpfung in Deutschland kann
auch der eben von der Berliner Szene zum Mister Homo gekürte
rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck,
nicht an sich halten. Am 9. November 2000 interpretierte der LSVD-Vorständler
im Parlament rot-grüne Kriminalpolitik als Trias von
Prävention, Repression und Maßnahmen der Resozialisierung.
Es sei wichtig, dass wir gerade bei den kleineren kriminellen Handlungen
reagieren, weil wir genau wissen, dass dort kriminelle Karrieren erst beginnen.
Repression und Prävention darf man nicht als Gegensätze sehen, sondern
man muss hier einen Policymix haben, mit dem das aufeinander abgestimmt wird.
Wir sind da auf einem guten Kurs.
Für gute Wege war Beck schon immer Experte. Im Wahlkampf 1990 warb Beck noch in Anspielung auf einen Film von Frank Ripploh mit dem Slogan: Statt mit dem Taxi zum Klo mit der Tram zum Park. Wenn er heute erklärt, die Menschen draußen werden sehen, dass unsere Politik dieses Land sicherer macht, dann meint rot-grüne Regierungspolitik damit allenfalls die Menschen außerhalb des Parlamentsgebäudes aber keinesfalls die draußen im Park.