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Gesellschaftsspiele mit Pipetten


Reproduktionsmedizin als Werkzeug der Bevölkerungspolitik: Bei der Nachfolgerin der Reichsärztekammer steht die Hygiene am deutschen Volkskörper weiterhin hoch im Kurs. Von Eike Stedefeldt

„Wir fordern: Gleiches Recht für alle, auch für Lesben mit Kinderwunsch!", empörte sich die Unterschriftenliste Jenny Ziegenhagens vom Berliner Sonntagsclub im Januar 1999 über die am 4. Dezember 1998 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion" der Bundesärztekammer. Zeitgleich echauffierte sich im Berliner Szenekalender Siegessäule auch Sophie Fröhlich lediglich, weil es keinen Grund gebe, "Lesben und Schwulen (!) künstliche Befruchtung vorzuenthalten, wenn man sie Heteros gewährt". Vernagelt, wie homosexuelle Bürgerrechtspolitik mittlerweile ist, genügte beiden Autorinnen, dass die Richtlinien homophob sind. Welche Ideologie sie transportieren und dass diese mit der Geschichte des Hauses zu tun hat, aus dem sie kommen, musste ihnen entgehen.

Bürgernah und verantwortungsbewusst

Die Bundesärztekammer ist laut Selbstdarstellung "die Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung; sie vertritt die berufspolitischen Interessen der 357.727 Ärztinnen und Ärzte (Stand: 31.12.1998) in der Bundesrepublik Deutschland. Als Arbeitsgemeinschaft der 17 deutschen Ärztekammern wirkt die Bundesärztekammer (BÄK) aktiv am gesundheitspolitischen Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik ... Unmittelbare gesetzliche Aufgaben sind der BÄK u.a. im Rahmen der Qualitätssicherung sowie der Transplantationsgesetzgebung zugewachsen."

Das klingt honorig. Es handelt sich aber nicht um gesetzliche, sondern gesetzgeberische Aufgaben. Das Fehlen einschlägiger, von den eigentlichen legislativen Körperschaften (Regierung, Parlament) erlassener Gesetze erhebt Teile des ärztlichen Berufsrechts (Richtlinien, Empfehlungen, Berufsordnungen) faktisch zu Bundesgesetzen. Was einer einzelnen Berufsorganisation damit "zuwächst" – noch dazu einer, die mit dem medizinischen Know-how über die Exekutionsgewalt verfügt –, ist eine enorme ethisch-moralische Definitionsmacht. Demokratie? All das vollzieht sich weitgehend am Souverän vorbei. Einer breiteren Öffentlichkeit entgeht in der Regel die Verabschiedung solcher Richtlinien; angereichert mit medizinischen Termini, werden sie in der Fachpresse publiziert. Doch welche/r nicht in Heilberufen Tätige liest schon das Deutsche Ärzteblatt?

"... die strikt einzuhalten sind"

Mit den 1998 novellierten "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion" verhält es sich genau so: "In der Bundesrepublik Deutschland gibt es bisher kein Gesetz zur Regelung der Voraussetzungen und Folgen der künstlichen Befruchtung. Einzelfragen werden im Embryonenschutzgesetz, im Kindschaftsrechtsgesetz sowie durch Rechtsprechung geregelt. Das Embryonenschutzgesetz stellt alle Techniken der künstlichen Befruchtung unter einen Arztvorbehalt. Die Bundesärztekammer hat erstmals 1985 Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion erlassen. Mit diesen Richtlinien sind der Ärzteschaft 'verpflichtende Regeln gegeben, die strikt einzuhalten sind‘." So steht es in der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) vom 24. Juni 1999 auf eine Kleine Anfrage der PDS im Bundestag. Diese wiederum geht auf die Initiative des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) vom 10. März 1999 zurück, das als sexualpolitische Organisation die Novelle scharf kritisiert hat.

Noch fehlt jenes Fortpflanzungsmedizingesetz, das die 72. Gesundheitsministerkonferenz am 9./10. Juni dieses Jahres bei Ressortchefin Andrea Fischer anmahnte; eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte zwischen 1996 und 1998 eines vorbereitet, aber das Ministerium verfügt nach eigenen Angaben lediglich über einen "hausinternen Diskussionsentwurf". Ressortübergreifende Beratungen zu dessen Vorlage wurden bisher nicht aufgenommen. Somit verwies Dr. Neidert vom BMG zu Recht darauf, "dass so gut wie alle Fragen" eines whk-Schreibens vom 25. Januar 1999 "an die Bundesärztekammer gerichtet sind", man also zu Problemen, "die in die Zuständigkeit der Ärzteschaft fallen, nicht Stellung nehmen kann".

Heilen und Vernichten

Ein historischer Exkurs zeigt, wem da die Richtlinienkompetenz zur künstlichen Befruchtung beim Menschen obliegt. "Die Bundesärztekammer ist aus der im Jahre 1947 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern hervorgegangen ... Der einzelne Arzt gehört der BÄK lediglich mittelbar über die Pflichtmitgliedschaft in seiner Ärztekammer an", heißt es lakonisch in ihrer Selbstdarstellung, als hätte es nie eine Reichsärztekammer gegeben. Die Tausenden "mittelbaren" Mitglieder der BÄK – vormaliges Kürzel BK – fielen aber keineswegs am 8. Mai 1945 vom Himmel.

Klaus Engert verwies in Konkret (6/95) darauf, dass "nicht nur eine organisationspolitische, sondern auch eine personelle Kontinuität seit den Zeiten der Reichsärzteordnung von 1935 besteht" und nannte Namen wie den des ehemaligen Präsidenten der BK und der bayerischen Landesärztekammer Prof. Sewering: "1933 trat er in die SS, 1934 in die NSDAP ein und unterschrieb 1943 ein Einweisungsurteil für eine Vierzehnjährige in die Euthanasieanstalt Eglfing-Haar. Das hinderte ihn, wie viele andere Ärzte mit ähnlicher Biographie, nicht, nach 1945 seine Karriere zügig fortzusetzen, die ihn 1993 tatsächlich fast an die Spitze des Weltärztebundes geführt hätte. Mit 51 von 63 Stimmen war er von der Generalversammlung 1992 für dieses Amt designiert worden. Erst die Boykottdrohung des Jüdischen Weltkongresses und der American Medical Association verhinderten seinen Amtsantritt, was das Deutsche Ärzteblatt mit großem Bedauern kommentierte." Denn natürlich handelte Sewering völlig korrekt: Schließlich war am 18. Oktober 1935 das "Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes" erlassen worden – erarbeitet durch die Reichsärztekammer. Erb- und unheilbar Kranke wurden ab Oktober 1939 erfaßt und der "Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege" überantwortet. 275.000 Menschen fielen diesem Massenmord zum Opfer.

Euthanasie, Eugenik, "Entjudung"

Sogar Springers Berliner Morgenpost kritisierte am 4. Juni 1999 den nach 21 Jahren aus dem Amt geschiedenen BÄK-Präsidenten Dr. Karsten Vilmar: "So sperrte er sich lange gegen eine Aufarbeitung der Rolle von Ärzten in der NS-Zeit, da seiner Meinung nach die 'weit überwiegende Mehrheit der Ärzte die Gräuel nie unterstützt habe‘." Ausgerechnet der Schöpfer des Unwortes vom "sozialverträglichen Frühableben" hatte am 2. Januar 1995 die Finanzierung eines Projekts des Gütersloher Historikers Prof. Klaus Dörner zu Kontinuitäten in den Ärztekammern als nicht vereinbar "mit den satzungsgemäßen Aufgaben der Bundesärztekammer" abgelehnt. Warum? "Prof. Catel, prominenter Euthanasiearzt, wurde in Schleswig-Holstein Ende der fünfziger Jahre öffentlich belobigt; die KZ-Ärztin Oberheuser, an Transplantationsversuchen an Häftlingen beteiligt, praktizierte als Kassenärztin in Plön; die Landesärztekammer Berlin genehmigte sich mit Dr. Heim in den siebziger Jahren einen ehemaligen SA-Standartenführer als Präsidenten, der den Ärztetag in Berlin 1980 eröffnete. Insgesamt ist der im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ungewöhnlich hohe Organisationsgrad der Ärzte in NSDAP und Unterorganisationen unbestritten." (Engert)

Letzteres hatte Folgen. "Die deutsche Ärzteschaft beteiligte sich aktiv an der 'Endlösung der sozialen Frage – dem Heilen und Vernichten‘ und der 'Entjudung‘ der Ärzteschaft", so Dörner am 27. Juli 1998 in seinem Münchner Vortrag zum 60. Jahrestag des Entzugs der Approbation aller jüdischen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker. Dies habe 9.000 Angehörige der Heilberufe, darunter allein 270 Münchner Ärzte, betroffen, und nur zwei von ihnen hätten nach dem Krieg ihre ärztliche Tätigkeit wieder in München ausgeübt. Die Standesvertretungen der damaligen Zeit, ergänzte der Vorsitzende des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands München, Dr. Wolf von Römer, hätten "vorauseilend die Umsetzung forciert durchgeführt", und nicht von ungefähr habe die Reichsärztekammer danach ihren Sitz in der "Hauptstadt der Bewegung" gehabt.

Auch ideologisch hat sich die oberste Standesvertretung vom Damals nie ganz gelöst, sofern es medizinische Lösungsansätze der "sozialen Frage" betraf. Als unter der SPD/FDP-Koalition die Reform des §218 anstand, zog die BÄK die Wut der radikalen Frauenbewegung auf sich: "Während der Walpurgisnacht 1977 zündete die Rote Zora eine Bombe bei der Bundesärztekammer in Köln: weil diese Organisation konservativer Medizinmänner selbst die ohnehin schon sehr reduzierte Reform des Abtreibungsparagraphen hintertrieb." (Oliver Tolmein, Konkret 01/88) Und als Ignatz Bubis, verstorbener Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, 1998 in der erwähnten Gedenkveranstaltung jene Ärzte verurteilte, die "wertes" von "unwertem Leben" abgrenzten und die Euthanasie umsetzten, hätte das gut und gern an dieselbe Adresse gehen können: "So reklamierte der Vorstand der Bundesärztekammer bspw. 1986 die Zulässigkeit einer 'Sterilisation geistig Behinderter aus eugenischer (Gefahr erbkranken Nachwuchses) oder sozialer Indikation (Unfähigkeit zur Wahrnehmung elterlicher Pflichten)‘. Der gleiche Vorstand hat die Regelung der 'Sterilisation nicht einwilligungsfähiger Personen‘ im jüngsten Gesetzentwurf der Bundesregierung begrüßt und das darin enthaltene Verbot der Sterilisation Minderjähriger gerügt." (Michael Bentfeld, Konkret 10/89)

Gameten, Zygoten, Embryonen

Ganz dieser Tradition scheinen auch die "Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) zur Durchführung der assistierten Reproduktion" verpflichtet, in denen es um die Anwendung medizinischer Techniken zur Behebung von Unfruchtbarkeit geht, sofern andere Therapien versagt haben. Dazu gehören der Transfer von männlichen und weiblichen Gameten (Geschlechtszellen), Zygoten (befruchtete Eizellen) oder Embryonen in den Eileiter, die Einführung des Embryos in die Gebärmutter, die Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation = IVF) sowie die Mikroinjektion von Spermien in die Eizelle (ICSI). Die umfangreichen Richtlinien gliedern sich im wesentlichen in Definitionen, Zulassungs- und Durchführungsbestimmungen sowie Kommentar und Anhang.

Die politisch brisanten Passagen finden sich vor allem im Teil 3 (Zulassungsbedingungen) samt zugehörigem Kommentar sowie im Teil I des Anhangs, der sich mit der "Vermeidung sozialer und rechtlicher Nachteile für ein durch IVF gezeugtes Kind" befasst. Diese Nachteile zu vermeiden läge eigentlich im Aufgabenbereich der Ministerien für Arbeit und Soziales, Familie, Justiz und letztlich des Bundestages. Somit hätten diese Fragen in einer solchen Richtlinie an sich gar nichts zu suchen. Das whk hat die Ministerien im Januar 1999 darauf hingewiesen, aber bis heute keine Antwort erhalten bzw. wurde auf einen noch laufenden Klärungsprozess verwiesen. Im Staat BRD, der die UNO-Kinderrechtskonvention nur teilratifiziert hat, um sich bspw. ausdrücklich die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Kindern vorbehalten zu können, darf indes davon ausgegangen werden, dass das von den "konservativen Medizinmännern" in den Richtlinien offenbarte Gesellschaftsbild weitgehend akzeptiert wird.

Legislative = Exekutive

Die konkreten Formulierungen lassen kaum Zweifel aufkommen, wie dieses Gesellschaftsbild aussieht. So soll etwa der Arzt "im Rahmen einer Unfruchtbarkeitsbehandlung darauf hinwirken, dass dem Paar eine kompetente Beratung über ... die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen zuteil wird". Und zwar soziale, denn medizinische und rechtliche werden anderweitig erläutert. Zu dieser Art Zwangsberatung passt die Abschaffung der Souveränität über die Wahl des Zeugungs-/Sexualpartners: "Grundsätzlich darf nur Samen des Ehepartners Verwendung finden (homologes System). Die Anwendung dieser Methoden bei nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft darf nur nach vorheriger Beratung durch die bei der Ärztekammer eingerichtete Kommission durchgeführt werden."

Dieser Passus markiert eine Liberalisierung, denn die bis dahin gültige Richtlinie schloss "wilde Ehen" kategorisch aus. Genauer betrachtet, wird die Hierarchie der Lebensformen jedoch lediglich präzisiert: "Die Anwendung der Methoden bei alleinstehenden Frauen und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist nicht zulässig." Warum, weiß der Anhang: "Im Hinblick auf das Kindeswohl verbietet es sich, einer alleinstehenden Frau oder gleichgeschlechtlichen Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen." Verbieten steht da tatsächlich. Kein Wunder: Die BÄK gehört in diesem Falle zur Legislative, und getreu Art. 6 GG definiert sie assistierte Reproduktion als "ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches eines Paares".

Wo Moraltheologen beider Konfessionen an der Regelung der Fortpflanzung beteiligt sind, wird’s bigott: "Gelangt der Arzt ... in Fällen, in denen ein Kinderwunsch geäußert wird, um bestehende Probleme in einer Partnerschaft zu überwinden – zu der Überzeugung, dass sich durch die Geburt eines Kindes diese Probleme der Partnerschaft nicht bewältigen lassen, so soll er keine der aufgeführten Behandlungsmethoden der Fortpflanzungsmedizin anwenden." Die Abschaffung der Privatsphäre durch die Frage nach dem Motiv des Kinderwunsches ist ein Pups gegen den unverhohlenen Einsatz künstlicher Reproduktionsverfahren zur Bewältigung von Partnerschaftskrisen. Nonchalant wird das noch ungezeugte Kind zum Kitt der politisch erwünschten Lebensform Ehe degradiert. Wenn die BÄK das Konzept "Keimzelle der Gesellschaft" exekutiert, hat dieselbe Leibesfrucht, deren Wohl angeblich im Vordergrund steht, gefälligst zu Diensten zu sein – oder zu verschwinden.

Sozialstaat live

Ist nun verbindlich festgelegt, wer zeugen darf, fehlt noch, was bei der Zeugung herauskommen soll – oder besser nicht soll. Dazu schreibt die BÄK vor einer ICSI-Therapie "eine genaue Anamnese, insbesondere eine Stammbaumanalyse beider Partner (unter anderem Fehlgeburten, Totgeburten, Personen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, andere Familienmitglieder mit Fertilitätsstörungen)" vor. "Ergeben sich Hinweise auf Erkrankungen, die genetisch bedingt sein könnten, so muss eine Beratung durch einen Humangenetiker erfolgen."

In verblüffender Offenheit folgt die Kammer dem NS-Konzept der "Verhinderung erbkranken Nachwuchses"; kein "Gesunder" ist verpflichtet, sich vorm Zeugungsakt beim Humangenetiker zu melden. Die BÄK indes maßt sich ungeniert Verfügungsgewalt über Körper und Fortpflanzung jener an, die dazu medizinischer Hilfe bedürfen. Willkommener Nebeneffekt des "Kindeswohls", ungezeugt zu bleiben: unappetitlicher Schaden kann zeitig vom deutschen Volke und den Sozialkassen abgewendet werden. Die Zeiten, als man kostspielige Spätfolgen – behinderte Kinder etwa – industriell und umweltschonend entsorgen durfte, sind schließlich schon ein paar Jährchen perdu.

Registrierte Partnerschaften

Für die ohnehin fragwürdigen Kinderwünsche "wilder Ehen" gilt, dass "zuverlässig festgestellt werden kann, dass diese in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft leben". "Auf Dauer"? Wo schwammige Begriffe auftauchen, ist Misstrauen am Platze. Abgesehen vom Skandal, dass die BÄK solche Ermittlungen überhaupt für zulässig hält: Wie sollte derlei mit Sicherheit festzustellen sein? "Akustische Wohnraumüberwachung"? Pustekuchen: "Das Arztgeheimnis verdient ebenso wie das Beichtgeheimnis und die Vertraulichkeit des Wortes der Abgeordneten verfassungsrechtlichen Schutz", hatte BÄK-Präsident Vilmar am 2. März 1998 gegenüber der Ärzte-Zeitung den "Großen Lauschangriff" zumindest für seine Klientel abgelehnt. Man muss aber gar nicht "das Urvertrauen in das Patienten-Arzt-Verhältnis nachhaltig zerstören". Das Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) z.B. ermöglicht den Behörden der Inneren Sicherheit längst den Datenaustausch mit Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wohnungsämtern zwecks "vorbeugender Kriminalitätsbekämpfung". Ärztekammern mögen ins Big-Brother-Spiel nicht einbezogen sein. Wo Mediziner fürchten müssen, als Ko-Eltern zur Rechenschaft gezogen und zur Kasse gebeten zu werden, könnte aber eine kleine Erpressung helfen: Ihr gebt euer Einverständnis zum Bruch der Schweigepflicht oder seid von vornherein aus dem Rennen um Gameten, Zygoten oder Embryonen.

Ist starker Staat angesagt, beruft auch die BÄK ihre Blockwarte. "Sollen bei der Anwendung dieser Methoden fremde Samenzellen verwendet werden, bedarf dies eines zustimmenden Votums der bei der Ärztekammer eingerichteten Kommission. Die Anwendung der Methoden ist unzulässig, wenn erkennbar ist, dass die Frau, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden soll, ihr Kind nach der Geburt auf Dauer Dritten überlassen will (Ersatzmutterschaft)." Vorausgesetzt, man hielte auch diese Ermittlungen für zulässig: Wie sollte dieser "kriminelle" Vorsatz definitiv "erkennbar" sein? Lügendetektoren, Folterbänke?

Tach, Papa!

Natürlich hat für die BÄK "das durch heterologe Insemination gezeugte Kind einen Anspruch auf Bekanntgabe seines biologischen Vaters, da die biologische Vaterschaft, zum Beispiel im Eingehen einer Ehe, im Hinblick auf seine Gesundheit und die seiner Nachkommenschaft von wesentlicher Bedeutung ist". Hier begegnet uns nochmals die eugenische Indikation, und unterschwellig – nämlich in Erwähnung des späteren "Eingehens einer Ehe" durch das zu zeugende Kind – schimmert das Inzest-Tabu durch. Ein Mythos, der mit der Angst vor "degenerierter Nachkommenschaft" gepflegt wird.

Was hier als Mittel generationsübergreifender Volksgesundheit verkauft wird, ist aber der Zweck selbst. Wirklich wichtig ist der "Rechtsanspruch des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft" nämlich fürs Dingfestmachen des Erzeugers zufällig "degenerierten" Nachwuchses. Dazu dient auch, dass "die Verwendung eines Mischspermas ausgeschlossen ist". Prompt erweist sich die leichte "spätere Identifikation des biologischen Vaters" als kompatibel zu staatsökonomistischen Sparkonzepten. Wo die Subsidiarität des Blutes öffentliche Haushalte entlastet, wird Neoliberalismus völkisch.

Die gespaltene Mutter

Seit 1. Januar 1991 verbietet das Embryonenschutzgesetz sowohl Eizellenspende als auch Ersatzmutterschaft. Der Gesetzgeber, so die BÄK, habe verhindern wollen, "dass es zu einer sogenannten gespaltenen Mutterschaft kommt und damit die austragende und die genetische Mutter nicht mehr identisch sind", weil "das Kind in seiner gesamten körperlichen und seelischen Entwicklung sowohl durch die von der genetischen Mutter stammenden Erbanlagen wie auch durch die enge während der Schwangerschaft bestehende Beziehung zwischen ihm und der austragenden Mutter entscheidend geprägt wird".

Da sprach der Gesetzgeber mit der Stimme des Blutes, in der Synchronfassung der Bundesärztekammer "Erbanlagen" geheißen. Sie untermauert das Verbot mit der Befürchtung "besonderer Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des Kindes und negative Auswirkungen auf seine seelische Entwicklung". Was sagen wohl die armen Gene dazu, dass der Gesetzgeber sich unter Berufung auf dasselbe Kindeswohl vorbehält, ohne ärztliches Zutun bei der Reproduktion gezeugte Kinder nach Gutdünken ihren genetischen Eltern zu entziehen, in Heimen oder Ersatzfamilien unterzubringen, Adoptionen aus "sozialer Indikation" zulässt oder erlaubt, Kinder auf Internatsschulen zu schicken?

Mit Rassismus gegen Rassismus

Dass der Bund seine seit 1994 für Fragen der künstlichen Befruchtung bestehende sogenannte konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nicht wahrnimmt, ermächtigt alles in allem eine für ihren Konservatismus berüchtigte Berufsgruppe, Zucht und Auslese in der menschlichen Gesellschaft umzusetzen. Ihr bieten sich weitreichende Möglichkeiten zur Beeinflussung der Struktur der Bevölkerung – in bezug auf deren "Gesundheit" ebenso wie auf deren soziale Beziehungen. Im Kontext der Debatten um Ausländer-, Staatsbürgerschafts- und Asylrecht wird klar, dass Medizinern hier ein Instrument in die Hand gegeben ist, mit dem sich subjektive und kollektive rassistische Vorurteile verwirklichen lassen, die in Ärztekommissionen so latent sein dürften wie in Asylkommissionen. Ohne weiteres erlauben die "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion", die absehbare Diskriminierung eines zu Zeugenden aufgrund der Hautfarbe als im Widerspruch zum Kindeswohl zu deklarieren. Urteil: Künstliche Befruchtung abgelehnt. Niemand kann garantieren, dass unter Berufung auf dieses Regelwerk nicht medizinische Argumente vorgeschoben werden, um rassistische, sexistische, homophobe oder sozialdarwinistische Auffassungen zu realisieren. Nicht einmal fortschrittlich denkende Reproduktionsmediziner könnten dem Einhalt gebieten. Denn selbstverständlich sind der "Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinien, auch auffälliges Ausbleiben der Dokumentationen", "der Ärztekammer zu melden" und kann "die Nichtbeachtung der unter Punkt 3.2 bis 4.4 genannten Voraussetzungen", z.B. das Nein zum völkisch-eugenischen Prinzip oder die Behandlung einer Alleinstehenden durch den Arzt, "berufsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen". – Bis hin zum Entzug der Approbation.