Gesellschaftsspiele
mit Pipetten
Reproduktionsmedizin
als Werkzeug der Bevölkerungspolitik: Bei der Nachfolgerin der Reichsärztekammer
steht die Hygiene am deutschen Volkskörper weiterhin hoch im Kurs. Von
Eike Stedefeldt
Wir fordern: Gleiches Recht für alle, auch für Lesben mit
Kinderwunsch!", empörte sich die Unterschriftenliste Jenny Ziegenhagens
vom Berliner Sonntagsclub im Januar 1999 über die am 4. Dezember 1998
im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten "Richtlinien zur Durchführung
der assistierten Reproduktion" der Bundesärztekammer. Zeitgleich
echauffierte sich im Berliner Szenekalender Siegessäule auch Sophie Fröhlich
lediglich, weil es keinen Grund gebe, "Lesben und Schwulen (!) künstliche
Befruchtung vorzuenthalten, wenn man sie Heteros gewährt". Vernagelt,
wie homosexuelle Bürgerrechtspolitik mittlerweile ist, genügte beiden
Autorinnen, dass die Richtlinien homophob sind. Welche Ideologie sie transportieren
und dass diese mit der Geschichte des Hauses zu tun hat, aus dem sie kommen,
musste ihnen entgehen.
Bürgernah und verantwortungsbewusst
Die Bundesärztekammer ist laut Selbstdarstellung "die Spitzenorganisation
der ärztlichen Selbstverwaltung; sie vertritt die berufspolitischen Interessen
der 357.727 Ärztinnen und Ärzte (Stand: 31.12.1998) in der Bundesrepublik
Deutschland. Als Arbeitsgemeinschaft der 17 deutschen Ärztekammern
wirkt die Bundesärztekammer (BÄK) aktiv am gesundheitspolitischen
Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für
eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik
... Unmittelbare gesetzliche Aufgaben sind der BÄK u.a. im Rahmen der
Qualitätssicherung sowie der Transplantationsgesetzgebung zugewachsen."
Das klingt honorig. Es handelt sich aber nicht um gesetzliche, sondern gesetzgeberische
Aufgaben. Das Fehlen einschlägiger, von den eigentlichen legislativen
Körperschaften (Regierung, Parlament) erlassener Gesetze erhebt Teile
des ärztlichen Berufsrechts (Richtlinien, Empfehlungen, Berufsordnungen)
faktisch zu Bundesgesetzen. Was einer einzelnen Berufsorganisation damit "zuwächst"
noch dazu einer, die mit dem medizinischen Know-how über die Exekutionsgewalt
verfügt , ist eine enorme ethisch-moralische Definitionsmacht.
Demokratie? All das vollzieht sich weitgehend am Souverän vorbei. Einer
breiteren Öffentlichkeit entgeht in der Regel die Verabschiedung solcher
Richtlinien; angereichert mit medizinischen Termini, werden sie in der Fachpresse
publiziert. Doch welche/r nicht in Heilberufen Tätige liest schon das
Deutsche Ärzteblatt?
"... die strikt einzuhalten sind"
Mit den 1998 novellierten "Richtlinien zur Durchführung der assistierten
Reproduktion" verhält es sich genau so: "In der Bundesrepublik
Deutschland gibt es bisher kein Gesetz zur Regelung der Voraussetzungen und
Folgen der künstlichen Befruchtung. Einzelfragen werden im Embryonenschutzgesetz,
im Kindschaftsrechtsgesetz sowie durch Rechtsprechung geregelt. Das Embryonenschutzgesetz
stellt alle Techniken der künstlichen Befruchtung unter einen Arztvorbehalt.
Die Bundesärztekammer hat erstmals 1985 Richtlinien zur Durchführung
der assistierten Reproduktion erlassen. Mit diesen Richtlinien sind der Ärzteschaft
'verpflichtende Regeln gegeben, die strikt einzuhalten sind." So
steht es in der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium
Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) vom 24. Juni 1999 auf
eine Kleine Anfrage der PDS im Bundestag. Diese wiederum geht auf die Initiative
des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) vom 10. März 1999
zurück, das als sexualpolitische Organisation die Novelle scharf kritisiert
hat.
Noch fehlt jenes Fortpflanzungsmedizingesetz, das die 72. Gesundheitsministerkonferenz
am 9./10. Juni dieses Jahres bei Ressortchefin Andrea Fischer anmahnte; eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte zwischen 1996 und 1998 eines vorbereitet,
aber das Ministerium verfügt nach eigenen Angaben lediglich über
einen "hausinternen Diskussionsentwurf". Ressortübergreifende
Beratungen zu dessen Vorlage wurden bisher nicht aufgenommen. Somit verwies
Dr. Neidert vom BMG zu Recht darauf, "dass so gut wie alle Fragen"
eines whk-Schreibens vom 25. Januar 1999 "an die Bundesärztekammer
gerichtet sind", man also zu Problemen, "die in die Zuständigkeit
der Ärzteschaft fallen, nicht Stellung nehmen kann".
Heilen und Vernichten
Ein historischer Exkurs zeigt, wem da die Richtlinienkompetenz zur künstlichen
Befruchtung beim Menschen obliegt. "Die Bundesärztekammer ist aus
der im Jahre 1947 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern
hervorgegangen ... Der einzelne Arzt gehört der BÄK lediglich mittelbar
über die Pflichtmitgliedschaft in seiner Ärztekammer an", heißt
es lakonisch in ihrer Selbstdarstellung, als hätte es nie eine Reichsärztekammer
gegeben. Die Tausenden "mittelbaren" Mitglieder der BÄK
vormaliges Kürzel BK fielen aber keineswegs am 8. Mai 1945 vom
Himmel.
Klaus Engert verwies in Konkret (6/95) darauf, dass "nicht nur eine organisationspolitische,
sondern auch eine personelle Kontinuität seit den Zeiten der Reichsärzteordnung
von 1935 besteht" und nannte Namen wie den des ehemaligen Präsidenten
der BK und der bayerischen Landesärztekammer Prof. Sewering: "1933
trat er in die SS, 1934 in die NSDAP ein und unterschrieb 1943 ein Einweisungsurteil
für eine Vierzehnjährige in die Euthanasieanstalt Eglfing-Haar.
Das hinderte ihn, wie viele andere Ärzte mit ähnlicher Biographie,
nicht, nach 1945 seine Karriere zügig fortzusetzen, die ihn 1993 tatsächlich
fast an die Spitze des Weltärztebundes geführt hätte. Mit 51
von 63 Stimmen war er von der Generalversammlung 1992 für dieses Amt
designiert worden. Erst die Boykottdrohung des Jüdischen Weltkongresses
und der American Medical Association verhinderten seinen Amtsantritt, was
das Deutsche Ärzteblatt mit großem Bedauern kommentierte."
Denn natürlich handelte Sewering völlig korrekt: Schließlich
war am 18. Oktober 1935 das "Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des
deutschen Volkes" erlassen worden erarbeitet durch die Reichsärztekammer.
Erb- und unheilbar Kranke wurden ab Oktober 1939 erfaßt und der "Gemeinnützigen
Stiftung für Anstaltspflege" überantwortet. 275.000 Menschen
fielen diesem Massenmord zum Opfer.
Euthanasie, Eugenik, "Entjudung"
Sogar Springers Berliner Morgenpost kritisierte am 4. Juni 1999 den nach 21
Jahren aus dem Amt geschiedenen BÄK-Präsidenten Dr. Karsten Vilmar:
"So sperrte er sich lange gegen eine Aufarbeitung der Rolle von Ärzten
in der NS-Zeit, da seiner Meinung nach die 'weit überwiegende Mehrheit
der Ärzte die Gräuel nie unterstützt habe." Ausgerechnet
der Schöpfer des Unwortes vom "sozialverträglichen Frühableben"
hatte am 2. Januar 1995 die Finanzierung eines Projekts des Gütersloher
Historikers Prof. Klaus Dörner zu Kontinuitäten in den Ärztekammern
als nicht vereinbar "mit den satzungsgemäßen Aufgaben der
Bundesärztekammer" abgelehnt. Warum? "Prof. Catel, prominenter
Euthanasiearzt, wurde in Schleswig-Holstein Ende der fünfziger Jahre
öffentlich belobigt; die KZ-Ärztin Oberheuser, an Transplantationsversuchen
an Häftlingen beteiligt, praktizierte als Kassenärztin in Plön;
die Landesärztekammer Berlin genehmigte sich mit Dr. Heim in den siebziger
Jahren einen ehemaligen SA-Standartenführer als Präsidenten, der
den Ärztetag in Berlin 1980 eröffnete. Insgesamt ist der im Vergleich
zu anderen Berufsgruppen ungewöhnlich hohe Organisationsgrad der Ärzte
in NSDAP und Unterorganisationen unbestritten." (Engert)
Letzteres hatte Folgen. "Die deutsche Ärzteschaft beteiligte sich
aktiv an der 'Endlösung der sozialen Frage dem Heilen und Vernichten
und der 'Entjudung der Ärzteschaft", so Dörner am 27.
Juli 1998 in seinem Münchner Vortrag zum 60. Jahrestag des Entzugs der
Approbation aller jüdischen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte
und Apotheker. Dies habe 9.000 Angehörige der Heilberufe, darunter allein
270 Münchner Ärzte, betroffen, und nur zwei von ihnen hätten
nach dem Krieg ihre ärztliche Tätigkeit wieder in München ausgeübt.
Die Standesvertretungen der damaligen Zeit, ergänzte der Vorsitzende
des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands München, Dr. Wolf von
Römer, hätten "vorauseilend die Umsetzung forciert durchgeführt",
und nicht von ungefähr habe die Reichsärztekammer danach ihren Sitz
in der "Hauptstadt der Bewegung" gehabt.
Auch ideologisch hat sich die oberste Standesvertretung vom Damals nie ganz
gelöst, sofern es medizinische Lösungsansätze der "sozialen
Frage" betraf. Als unter der SPD/FDP-Koalition die Reform des §218
anstand, zog die BÄK die Wut der radikalen Frauenbewegung auf sich: "Während
der Walpurgisnacht 1977 zündete die Rote Zora eine Bombe bei der Bundesärztekammer
in Köln: weil diese Organisation konservativer Medizinmänner selbst
die ohnehin schon sehr reduzierte Reform des Abtreibungsparagraphen hintertrieb."
(Oliver Tolmein, Konkret 01/88) Und als Ignatz Bubis, verstorbener Präsident
des Zentralrats der Juden in Deutschland, 1998 in der erwähnten Gedenkveranstaltung
jene Ärzte verurteilte, die "wertes" von "unwertem Leben"
abgrenzten und die Euthanasie umsetzten, hätte das gut und gern an dieselbe
Adresse gehen können: "So reklamierte der Vorstand der Bundesärztekammer
bspw. 1986 die Zulässigkeit einer 'Sterilisation geistig Behinderter
aus eugenischer (Gefahr erbkranken Nachwuchses) oder sozialer Indikation (Unfähigkeit
zur Wahrnehmung elterlicher Pflichten). Der gleiche Vorstand hat die
Regelung der 'Sterilisation nicht einwilligungsfähiger Personen
im jüngsten Gesetzentwurf der Bundesregierung begrüßt und
das darin enthaltene Verbot der Sterilisation Minderjähriger gerügt."
(Michael Bentfeld, Konkret 10/89)
Gameten, Zygoten, Embryonen
Ganz dieser Tradition scheinen auch die "Richtlinien der Bundesärztekammer
(BÄK) zur Durchführung der assistierten Reproduktion" verpflichtet,
in denen es um die Anwendung medizinischer Techniken zur Behebung von Unfruchtbarkeit
geht, sofern andere Therapien versagt haben. Dazu gehören der Transfer
von männlichen und weiblichen Gameten (Geschlechtszellen), Zygoten (befruchtete
Eizellen) oder Embryonen in den Eileiter, die Einführung des Embryos
in die Gebärmutter, die Befruchtung außerhalb des Körpers
(In-vitro-Fertilisation = IVF) sowie die Mikroinjektion von Spermien in die
Eizelle (ICSI). Die umfangreichen Richtlinien gliedern sich im wesentlichen
in Definitionen, Zulassungs- und Durchführungsbestimmungen sowie Kommentar
und Anhang.
Die politisch brisanten Passagen finden sich vor allem im Teil 3 (Zulassungsbedingungen)
samt zugehörigem Kommentar sowie im Teil I des Anhangs, der sich mit
der "Vermeidung sozialer und rechtlicher Nachteile für ein durch
IVF gezeugtes Kind" befasst. Diese Nachteile zu vermeiden läge eigentlich
im Aufgabenbereich der Ministerien für Arbeit und Soziales, Familie,
Justiz und letztlich des Bundestages. Somit hätten diese Fragen in einer
solchen Richtlinie an sich gar nichts zu suchen. Das whk hat die Ministerien
im Januar 1999 darauf hingewiesen, aber bis heute keine Antwort erhalten bzw.
wurde auf einen noch laufenden Klärungsprozess verwiesen. Im Staat BRD,
der die UNO-Kinderrechtskonvention nur teilratifiziert hat, um sich bspw.
ausdrücklich die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Kindern
vorbehalten zu können, darf indes davon ausgegangen werden, dass das
von den "konservativen Medizinmännern" in den Richtlinien offenbarte
Gesellschaftsbild weitgehend akzeptiert wird.
Legislative = Exekutive
Die konkreten Formulierungen lassen kaum Zweifel aufkommen, wie dieses Gesellschaftsbild
aussieht. So soll etwa der Arzt "im Rahmen einer Unfruchtbarkeitsbehandlung
darauf hinwirken, dass dem Paar eine kompetente Beratung über ... die
für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen zuteil wird".
Und zwar soziale, denn medizinische und rechtliche werden anderweitig erläutert.
Zu dieser Art Zwangsberatung passt die Abschaffung der Souveränität
über die Wahl des Zeugungs-/Sexualpartners: "Grundsätzlich
darf nur Samen des Ehepartners Verwendung finden (homologes System). Die Anwendung
dieser Methoden bei nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft darf
nur nach vorheriger Beratung durch die bei der Ärztekammer eingerichtete
Kommission durchgeführt werden."
Dieser Passus markiert eine Liberalisierung, denn die bis dahin gültige
Richtlinie schloss "wilde Ehen" kategorisch aus. Genauer betrachtet,
wird die Hierarchie der Lebensformen jedoch lediglich präzisiert: "Die
Anwendung der Methoden bei alleinstehenden Frauen und in gleichgeschlechtlichen
Beziehungen ist nicht zulässig." Warum, weiß der Anhang: "Im
Hinblick auf das Kindeswohl verbietet es sich, einer alleinstehenden Frau
oder gleichgeschlechtlichen Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen."
Verbieten steht da tatsächlich. Kein Wunder: Die BÄK gehört
in diesem Falle zur Legislative, und getreu Art. 6 GG definiert sie assistierte
Reproduktion als "ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches
eines Paares".
Wo Moraltheologen beider Konfessionen an der Regelung der Fortpflanzung beteiligt
sind, wirds bigott: "Gelangt der Arzt ... in Fällen, in denen
ein Kinderwunsch geäußert wird, um bestehende Probleme in einer
Partnerschaft zu überwinden zu der Überzeugung, dass sich
durch die Geburt eines Kindes diese Probleme der Partnerschaft nicht bewältigen
lassen, so soll er keine der aufgeführten Behandlungsmethoden der Fortpflanzungsmedizin
anwenden." Die Abschaffung der Privatsphäre durch die Frage nach
dem Motiv des Kinderwunsches ist ein Pups gegen den unverhohlenen Einsatz
künstlicher Reproduktionsverfahren zur Bewältigung von Partnerschaftskrisen.
Nonchalant wird das noch ungezeugte Kind zum Kitt der politisch erwünschten
Lebensform Ehe degradiert. Wenn die BÄK das Konzept "Keimzelle der
Gesellschaft" exekutiert, hat dieselbe Leibesfrucht, deren Wohl angeblich
im Vordergrund steht, gefälligst zu Diensten zu sein oder zu verschwinden.
Sozialstaat live
Ist nun verbindlich festgelegt, wer zeugen darf, fehlt noch, was bei der Zeugung
herauskommen soll oder besser nicht soll. Dazu schreibt die BÄK
vor einer ICSI-Therapie "eine genaue Anamnese, insbesondere eine Stammbaumanalyse
beider Partner (unter anderem Fehlgeburten, Totgeburten, Personen mit körperlichen
oder geistigen Behinderungen, andere Familienmitglieder mit Fertilitätsstörungen)"
vor. "Ergeben sich Hinweise auf Erkrankungen, die genetisch bedingt sein
könnten, so muss eine Beratung durch einen Humangenetiker erfolgen."
In verblüffender Offenheit folgt die Kammer dem NS-Konzept der "Verhinderung
erbkranken Nachwuchses"; kein "Gesunder" ist verpflichtet,
sich vorm Zeugungsakt beim Humangenetiker zu melden. Die BÄK indes maßt
sich ungeniert Verfügungsgewalt über Körper und Fortpflanzung
jener an, die dazu medizinischer Hilfe bedürfen. Willkommener Nebeneffekt
des "Kindeswohls", ungezeugt zu bleiben: unappetitlicher Schaden
kann zeitig vom deutschen Volke und den Sozialkassen abgewendet werden. Die
Zeiten, als man kostspielige Spätfolgen behinderte Kinder etwa
industriell und umweltschonend entsorgen durfte, sind schließlich
schon ein paar Jährchen perdu.
Registrierte Partnerschaften
Für die ohnehin fragwürdigen Kinderwünsche "wilder Ehen"
gilt, dass "zuverlässig festgestellt werden kann, dass diese in
einer auf Dauer angelegten Partnerschaft leben". "Auf Dauer"?
Wo schwammige Begriffe auftauchen, ist Misstrauen am Platze. Abgesehen vom
Skandal, dass die BÄK solche Ermittlungen überhaupt für zulässig
hält: Wie sollte derlei mit Sicherheit festzustellen sein? "Akustische
Wohnraumüberwachung"? Pustekuchen: "Das Arztgeheimnis verdient
ebenso wie das Beichtgeheimnis und die Vertraulichkeit des Wortes der Abgeordneten
verfassungsrechtlichen Schutz", hatte BÄK-Präsident Vilmar
am 2. März 1998 gegenüber der Ärzte-Zeitung den "Großen
Lauschangriff" zumindest für seine Klientel abgelehnt. Man muss
aber gar nicht "das Urvertrauen in das Patienten-Arzt-Verhältnis
nachhaltig zerstören". Das Berliner Allgemeine Sicherheits- und
Ordnungsgesetz (ASOG) z.B. ermöglicht den Behörden der Inneren Sicherheit
längst den Datenaustausch mit Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wohnungsämtern
zwecks "vorbeugender Kriminalitätsbekämpfung". Ärztekammern
mögen ins Big-Brother-Spiel nicht einbezogen sein. Wo Mediziner fürchten
müssen, als Ko-Eltern zur Rechenschaft gezogen und zur Kasse gebeten
zu werden, könnte aber eine kleine Erpressung helfen: Ihr gebt euer Einverständnis
zum Bruch der Schweigepflicht oder seid von vornherein aus dem Rennen um Gameten,
Zygoten oder Embryonen.
Ist starker Staat angesagt, beruft auch die BÄK ihre Blockwarte. "Sollen
bei der Anwendung dieser Methoden fremde Samenzellen verwendet werden, bedarf
dies eines zustimmenden Votums der bei der Ärztekammer eingerichteten
Kommission. Die Anwendung der Methoden ist unzulässig, wenn erkennbar
ist, dass die Frau, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden
soll, ihr Kind nach der Geburt auf Dauer Dritten überlassen will (Ersatzmutterschaft)."
Vorausgesetzt, man hielte auch diese Ermittlungen für zulässig:
Wie sollte dieser "kriminelle" Vorsatz definitiv "erkennbar"
sein? Lügendetektoren, Folterbänke?
Tach, Papa!
Natürlich hat für die BÄK "das durch heterologe Insemination
gezeugte Kind einen Anspruch auf Bekanntgabe seines biologischen Vaters, da
die biologische Vaterschaft, zum Beispiel im Eingehen einer Ehe, im Hinblick
auf seine Gesundheit und die seiner Nachkommenschaft von wesentlicher Bedeutung
ist". Hier begegnet uns nochmals die eugenische Indikation, und unterschwellig
nämlich in Erwähnung des späteren "Eingehens einer
Ehe" durch das zu zeugende Kind schimmert das Inzest-Tabu durch.
Ein Mythos, der mit der Angst vor "degenerierter Nachkommenschaft"
gepflegt wird.
Was hier als Mittel generationsübergreifender Volksgesundheit verkauft
wird, ist aber der Zweck selbst. Wirklich wichtig ist der "Rechtsanspruch
des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft" nämlich fürs
Dingfestmachen des Erzeugers zufällig "degenerierten" Nachwuchses.
Dazu dient auch, dass "die Verwendung eines Mischspermas ausgeschlossen
ist". Prompt erweist sich die leichte "spätere Identifikation
des biologischen Vaters" als kompatibel zu staatsökonomistischen
Sparkonzepten. Wo die Subsidiarität des Blutes öffentliche Haushalte
entlastet, wird Neoliberalismus völkisch.
Die gespaltene Mutter
Seit 1. Januar 1991 verbietet das Embryonenschutzgesetz sowohl Eizellenspende
als auch Ersatzmutterschaft. Der Gesetzgeber, so die BÄK, habe verhindern
wollen, "dass es zu einer sogenannten gespaltenen Mutterschaft kommt
und damit die austragende und die genetische Mutter nicht mehr identisch sind",
weil "das Kind in seiner gesamten körperlichen und seelischen Entwicklung
sowohl durch die von der genetischen Mutter stammenden Erbanlagen wie auch
durch die enge während der Schwangerschaft bestehende Beziehung zwischen
ihm und der austragenden Mutter entscheidend geprägt wird".
Da sprach der Gesetzgeber mit der Stimme des Blutes, in der Synchronfassung
der Bundesärztekammer "Erbanlagen" geheißen. Sie untermauert
das Verbot mit der Befürchtung "besonderer Schwierigkeiten bei der
Selbstfindung des Kindes und negative Auswirkungen auf seine seelische Entwicklung".
Was sagen wohl die armen Gene dazu, dass der Gesetzgeber sich unter Berufung
auf dasselbe Kindeswohl vorbehält, ohne ärztliches Zutun bei der
Reproduktion gezeugte Kinder nach Gutdünken ihren genetischen Eltern
zu entziehen, in Heimen oder Ersatzfamilien unterzubringen, Adoptionen aus
"sozialer Indikation" zulässt oder erlaubt, Kinder auf Internatsschulen
zu schicken?
Mit Rassismus gegen Rassismus
Dass der Bund seine seit 1994 für Fragen der künstlichen Befruchtung
bestehende sogenannte konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nicht
wahrnimmt, ermächtigt alles in allem eine für ihren Konservatismus
berüchtigte Berufsgruppe, Zucht und Auslese in der menschlichen Gesellschaft
umzusetzen. Ihr bieten sich weitreichende Möglichkeiten zur Beeinflussung
der Struktur der Bevölkerung in bezug auf deren "Gesundheit"
ebenso wie auf deren soziale Beziehungen. Im Kontext der Debatten um Ausländer-,
Staatsbürgerschafts- und Asylrecht wird klar, dass Medizinern hier ein
Instrument in die Hand gegeben ist, mit dem sich subjektive und kollektive
rassistische Vorurteile verwirklichen lassen, die in Ärztekommissionen
so latent sein dürften wie in Asylkommissionen. Ohne weiteres erlauben
die "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion",
die absehbare Diskriminierung eines zu Zeugenden aufgrund der Hautfarbe als
im Widerspruch zum Kindeswohl zu deklarieren. Urteil: Künstliche Befruchtung
abgelehnt. Niemand kann garantieren, dass unter Berufung auf dieses Regelwerk
nicht medizinische Argumente vorgeschoben werden, um rassistische, sexistische,
homophobe oder sozialdarwinistische Auffassungen zu realisieren. Nicht einmal
fortschrittlich denkende Reproduktionsmediziner könnten dem Einhalt gebieten.
Denn selbstverständlich sind der "Verdacht auf Verstöße
gegen die Richtlinien, auch auffälliges Ausbleiben der Dokumentationen",
"der Ärztekammer zu melden" und kann "die Nichtbeachtung
der unter Punkt 3.2 bis 4.4 genannten Voraussetzungen", z.B. das Nein
zum völkisch-eugenischen Prinzip oder die Behandlung einer Alleinstehenden
durch den Arzt, "berufsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen".
Bis hin zum Entzug der Approbation.