Vor 130 Jahren krachte das Schneeballsystem der Adele Spitzeder in
sich zusammen. Vor 15 Jahren zockte abermals eine prominente Tochter
Sapphos bei einem solchen System ab. Eine Spurensuche von Eike Stedefeldt
Eine
der Nischen der bürgerlichen Gesellschaft für unkonventionelle
Geldvermehrung, schrieb Horst Pankow in Bahamas 23/97, sei das Glücksspiel,
und bezeichnete als nicht von Staat und Staatsbürgern positiv sanktionierte
Formen halblegale und illegale Spielergemeinschaften, in denen beträchtliche
Summen über den Tisch wandern. Zehn Jahre zuvor, in der taz
vom 20.10.1987, hatte Tim Sperber eine neue Knetebeschaffungsaktion
beschrieben, das sogenannte Pilotenspiel: 3.000 Deutsche Mark kostet
ein Ticket, um sich in eines der Flugzeuge einzukaufen.
Doch dafür wird viel versprochen 21.000 Mark winken den AktivistInnen,
die am Ende erfolgreich ausgeflogen sind. Die goldenen Aussichten
sind verlockend man kennt schließlich auch Leute, die schon auspilotet,
das heißt ausbezahlt wurden. Nach dem Schneeballsystem wurde hier eine
Lawine losgetreten. Da ohne neue SpielerInnen nichts mehr geht, müssen
ständig Leute angeworben werden. Das Spiel versprach die Versiebenfachung
des Einsatzes für die nach Klassen unterteilten Passagiere Volksmodell
(1.000 DM Einstieg), Jumbo (5.000 DM) und Concorde
(10.000 DM) und fand seine Höhepunkte in zweckdienlichen Parties.
Ich
habe ein einziges Mal im privaten Kreis teilgenommen. Mit einem Einsatz von
1.500 Mark habe ich zirka 10.000 Mark gewonnen. Davon habe ich 10 % an ein
soziales Projekt gespendet, kleinere Spenden gingen an unterschiedliche Projekte.
Die das am 27.7.1989 nach vorzeitigem Abbruch ihres Urlaubs auf Fuerteventura
der Westberliner Presse mitteilte, war als feministische und offen lesbische
Senatorin, so taz-Autorin Andrea Böhm, von Beginn
an die angreifbarste im rot-grünen Kabinett. Männerfeindlichkeit
wurde ihr ohnehin pauschal attestiert. Dass sie mit Familienpolitik
ja wohl nichts am Hut haben könne, darüber witzelte man mehr
oder weniger verhohlen vor allem in der CDU. Dass es sich bei der 1987er
Pilotin um die der Alternativen Liste (AL) nahestehende und 1989
von dieser als Frauen- und Jugendsenatorin im Momper-Senat nominierte Anne
Klein handelte, füllte prächtig das Sommerloch.
Mit
Details gespeist wurde es vor allem durch die den Landowsky-Amigos treu ergebene
Springer-Presse. So veröffentlichte die BZ als Antwort auf
Frau Kleins Erklärung laut taz vom 31.7.1989 zwei
eidesstattliche Erklärungen, in denen dargelegt ist, dass Anne Klein
auf mehreren Treffen aufgetreten sei und die Spielregeln erklärt habe.
Nicht eben ein Leumundszeugnis für eine prominente Juristin und Auslöser
eines heftigen Streits in der AL, deren Basis sich damals noch Prinzipien
leistete: Denn zum Pilotenspiel gehört es nun mal,
dass man andere austrickst, das heißt mit dem Versprechen auf hohe Gewinne
zum Mitspielen überredet. Von einer Senatorin, die dieses kapitalistische
Prinzip praktiziere, will man sich nicht unbedingt repräsentiert
sehen, zitierte die taz vom 31. Juli 1989, und: Dahinter
steckt eine Philosophie und eine Haltung, die legt man nicht nach zwei Jahren
ab
Als scheinheilig und bigott bezeichneten dagegen
Frauen aus feministischen Gruppen diese Argumente und werfen der AL Doppelmoral
vor. Die halbe Partei (sic!) habe damals mitgespielt, jetzt plötzlich
wolle man der Senatorin einen Strick daraus drehen. Exempel eines
Feminismus, der den Gegensatz zwischen Geschlechtern, nicht aber zwischen
oben und unten zulässt.
Derweil
gab die auf der Passagierliste als Zora Geführte an, ihre
soziale 10-Prozent-Spende sogar steuerlich abgesetzt zu haben, verschwieg
aber deren Empfänger. Das Pilotenspiel deklarierte sie zum Partygag,
mit dem sich besserverdienende Leute einen Nervenkitzel
verschafft haben und posierte als ahnungsloses Opfer, welches wohl verdrängt
hatte, dass es das perfide Prinzip dieses Spiels sei, dass
nur Erfolg haben könne, wer seine Freunde dazu dränge, mitzumachen.(taz,
1.8.1989)
Während
die FrauenfrAktion, der lesbenpolitische Lichtgestalten wie die heutigen LSVD-Vorstandsfrauen
Halina Bendkowski und Ida Schillen angehörten, Klein lautstark gegen
männliche Zockerphantasien verteidigte, kritisierte Jochen
Esser vom AL-Magazin Stachelige Argumente in der taz (31.7.1989),
dass die CDU nicht die Goldgräbermentalität geißele, sondern
von der Vorbildfunktion der Senatorin für spielsüchtige Jugendliche
fasele: Dabei sieht doch ein Blinder, dass Anne Kleins Verhalten nicht
denen ähnelt, die ihre Knete im Casino verjuxen oder im Spielsalon verplempern,
sondern eher jenen abgebrühten Typen, die in Kneipen auf den dritten
Mann lauern, um ihn beim Skat abzuzocken. Esser erinnerte an das
AL-Postulat, sich der Zweidrittelgesellschaft und ihren Begleiterscheinungen
entgegenstellen zu wollen: Und in diese Situation platzt die Nachricht,
dass eine von der AL vorgeschlagene Volksvertreterin alle Untugenden von Denen
da oben trefflich beherrscht: Sich nach oben drängeln und Ellenbogen
einsetzen, andere Leute beschwatzen und ausnutzen, aus ihrer Unachtsamkeit
Kapital schlagen und das Ganze kräftig abfeiern.
Genutzt
hats nichts. Klein blieb Senatorin und kehrte, als die AL nach 19 Monaten
die Koalition verließ, in ihren besserverdienenden Beruf zurück.
Geblieben ist auch der Hang zu Parties mit Umverteilungseffekt: Zocker-Zora
(CDU) gründete 1998 den Homo-Förderkreis elledorado e.V.
zur Rettung der Berliner CSD-Organisatoren um den (L)SVD vor der Insolvenz
mit und verficht klasse Scheidungsanwältin! tapfer die
Homo-Ehe.
Die AL-Grünen hingegen stellen ein Jahrzehnt später mit der nicht offen heterosexuellen Anwältin Renate Künast eine Ministerin in einem Bundeskabinett, in dem das Schneeballsystem trotz absehbaren Zusammenbruchs Maxime des Handelns ist. Oder mit Anne Klein via taz: Das Pilotenspiel ist ein Spiegel der Gesellschaft, wo unter dem Deckmantel des angeblich gleichen Risikos oben abgesahnt und unten bezahlt wird.