Der
Ofen ist aus: Rot-Grün und die Entsorgung der Homosexuellenfrage
Dreißig Jahre lang standen die ersatzlose Streichung des §175
sowie die Rehabilitierung und individuelle Entschädigung seiner Opfer
vor allem der KZ-Häftlinge mit dem Rosa Winkel , an erster
Stelle der Forderungen der deutschen Schwulenbewegung. Längst verstaatlicht,
ist sie heute Lichtjahre von diesen Forderungen entfernt und gibt nun auch
dem rot-grünen Schlußstrichgesetz ihr Ja-Wort. Von Eike Stedefeldt
"Wir
haben von vielen Seiten viel Zustimmung erfahren, am meisten jedoch von den
Betroffenen selbst, die hauptsächlich ihre Rehabilitierung und die Wiederherstellung
ihres Rufes in der Öffentlichkeit forderten. Absender des Briefes
vom 5. April 2002, in dem dies steht, ist Alfred Hartenbach, rechtspolitischer
Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Acht Wochen zuvor hatte das whk in einem
Offenen Brief von der Regierung jene individuelle Entschädigung der nach
§175 Verurteilten gefordert, die der entsprechende Gesetzentwurf der
Koalition nicht vorsieht [1].
Hartenbachs
Antwort auf den whk-Brief ist ein eklatanter Mißbrauch der Opfer als
Kronzeugen wider ihre Interessen. Aber der Spezialdemokrat wird noch deutlicher.
Betreffend die unter Adenauer voll rehabilitierten Nazi-Richter, die ihre
nie rehabilitierten früheren Opfer zehntausendfach in selber Konstellation
wiedertrafen und nach denselben Paragraphen ins Zuchthaus zurückschicken
durften, gibt er unmißverständlich Auskunft und legitimiert in
ungeheuerlicher Weise den §175 inklusive der verschärften NS-Fassung:
Die Bestrafung homosexueller Betätigung als solcher in einem nach
den strafrechtlichen Vorschriften durchgeführten Strafverfahren vor 1933
und nach 1945 ist weder NS-Unrecht noch rechtsstaatswidrig. Dies war mit dem
Grundgesetz vereinbar, so Hartenbach, und beruft sich, obwohl sich jeder
anständige Mensch mindestens bedauernd davon distanzieren würde,
auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1957. Es urteilte,
der §175 in der Fassung von 1935 sei kein typisches NS-Unrecht gewesen,
weshalb ihm die Weitergeltung nicht versagt bleiben dürfe.
Obwohl das BVerfG-Urteil ideologisch klar an die NS-Verfolgungslogik anknüpfte
[2] kein Wunder, eine Entnazifizierung der Justiz hatte in der BRD
der Globkes und Filbingers so gut wie nicht stattgefunden , paßt
es doch allzu gut zur aktuellen Nicht-Entschädigungspolitik, als daß
ein führender Rechtspolitiker der Koalition es zum höchstinstanzlichen
Justizverbrechen erklären und ihm seine Weitergeltung als Basis heutiger
politischer Entscheidungen versagen könnte. Aber stets regiert juristischer
Formalismus, wo politische Moral abwesend ist, zumal, wenn es um viel Geld
geht: Strafen, die in einem nach den gesetzlichen Vorschriften durchgeführten
Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland verhängt und im regulären
Strafvollzug vollstreckt wurden dies ist ein Unterschied zur Rechtsprechung
des Nationalsozialismus , können nicht rückwirkend aufge-hoben
oder die Verurteilten entschädigt werden. Hartenbach hätte
ebenso gut schreiben können: Pardon, leider gab es in der Bundesrepublik
keine KZ mehr für 175er.
Folglich
wird in der Begründung zum vorliegenden Gesetzentwurf auch nur eine
pauschale Aufhebung der Urteile aus der Zeit der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten
auf Grund der damaligen Anwendungspraxis als zu rechtfertigen akzeptiert
und die bisherige entwürdigende Einzelfallprüfung abgeschafft. Gefeiert
als Riesenerfolg, eröffnet dies den hochbetagten Opfern jedoch lediglich
Zugang zu jenen skandalösen Härtefonds, die ihnen lächerliche
Almosen zahlen, sofern sie akute Not leiden. Dafür, daß sie dadurch
nochmals entwürdigt werden, fehlt offenbar auch bei Rot-Grün jedes
Gespür.
Ehre
und Gerechtigkeit
Stattdessen
schwafelte Hartenbach am 1. Februar 2002 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz
mit dem bündnisgrünen Entschädigungspolitiker, Volker Beck:
Wir wollen diesen Menschen, die auch heute noch oft Außenseiter
sind, ihre Ehre zurückgeben, und am selben Tag begrüßte
Manfred Bruns als Bundessprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland
(LSVD) die Ankündigung der Regierungsfraktionen, die homosexuellen
Opfer der NS-Justiz sowie die Deserteure der Wehrmacht umfassend rechtlich
zu rehabilitieren. Endlich erfahren auch die homosexuellen Opfer der NS-Justiz
eine späte Gerechtigkeit. Derselbe Manfred Bruns nahm als früherer
Bundesanwalt an §175-Verfahren teil und hat sich nie öffentlich
davon distanziert oder bei den Opfern entschuldigt.
Ehre
und Gerechtigkeit sind bekanntlich nicht mit Geld aufzuwiegen (Bruns indes
bekam das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse). Bewußt (!) habe man
die Rehabilitierung von der Entschädi-gung abgekoppelt, meinte Volker
Beck. Die Entschädigung vergessener NS-Opfergruppen sei in der Diskussion,
berichtet Eurogay von obiger Pressekonferenz. Möglicherweise
könne eine Stiftung für in Deutschland lebende NS-Opfer, die bisher
nur unzureichend oder gar nicht entschädigt wurden, Abhilfe schaffen.
Deren Zweck: die Rehabilitierung der Täter sowie des Rechtsnachfolgers
des Dritten Reiches, kennt man spätestens seit Gründung
der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft zur Abspeisung
der NS-Sklavenarbeiter. Bereits dort agierte das Kuratoriumsmitglied Volker
Beck eher im Interesse von Deutscher Bank & Co. als im Sinne der Opfer
(vgl. Gigi Nr. 10), und wie schon damals konnte auch diesmal gemeldet
werden, was das grüne MdB sich preislich als Entschädigung
für KZ-Haft, Folter, medizinische Tests, Kastration und den Versuch der
Vernichtung durch Arbeit vorstellt: Als Beispiel nannte Beck zwangssterilisierte
Frauen, die eine monatliche Rente von 51,5 Euro (100 Mark) erhalten.
(Eurogay)
Daß
die rot-grüne Regierung derart zynisch agieren kann, verdankt sie weniger
moralischem Verfall als dem Fakt, daß ihr einstiger Hauptopponent in
dieser Sache nein, nicht verschwunden ist, sondern sich willig von
ihr kaufen ließ. Die Verstaatlichung der Schwulenbewegung setzte bereits
in der Kohl-Ära ein. Initialzündung war die AIDS-Krise; sie zwang
den Staat zur Kooperation mit den Selbsthilfegruppen. Zugleich rückten
maßgebliche Teile dieser Szene in die Nähe von Parteien, vor allem
der Grünen, und wo die auf Orts- oder Länderebene an die Macht kamen
(z.B. in Berlin), flossen plötzlich Zuschüsse und schuf man
offiziell zwecks Förderung, faktisch aber zur Kontrolle Homo-Referate,
die letztlich eine einst wehrhafte Bewegung verblödeten und paralysierten.
Amtliche Anerkennung ließ dort keine Alarmglocken mehr schrillen, sondern
galt nun als Qualitätssiegel.
Daß
inzwischen fast die gesamte nichtkommerzielle Szene am staatlichen Tropf hängt
und verdammt ist zum Bravsein, hat auch ihre Ziele umgedreht, zumal die inhaltlichen
Impulse heute klar aus Parteien hineingetragen werden von Figuren,
die auf beiden (oder mehr) Hochzeiten tanzen. Was die Rosa-Winkel-Häftlinge
betraf, so deklarierte Volker Beck als grüner Bundestagsreferent und
SVD-Sprecher am 17. Oktober 1993 die Weizsäcker-Rede vom 8. Mai 1985
zur geeigneten Grundlage schwulen Gedenkens an der Neuen Wache.
Heraus kam das als Homo-Bitburg (Tom Kuppinger) bekannt gewordene
Fanal: Als man Weizsäcker-Zitate an Kohls Zentraler Gedenkstätte
für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft montiert hatte, um
die Ehrung der Täter zu tarnen, durchbrachen der als grüne Vorfeldorganisation
geltende SVD (heute LSVD) und die sozialdemokratischen Schwusos die Ablehnungsfront
der Opfervertretungen. Ein peinlicher Zwischenfall, schrieb die
Berliner Zeitung am 20. Juni 1994, ereignete sich an der umstrittenen
Nationalen Gedenkstätte Neue Wache. Dort legte der Schwulenverband
in Deutschland einen Kranz für die homosexuellen NS-Opfer nieder
ausgerechnet neben ein Gebinde, mit dem die Republikaner an den
17. Juni erinnern wollten. Der SVD dementierte die Meldung nur kurz
und höchst unglaubwürdig.
Nochmalige
Enteignung
Der
Geschichtsrevisionismus findet seine logische Konsequenz darin, daß
Entschädigungsforderungen seit der Machtergreifung von Rot-Grün
nicht mehr an tatsächliche §175-Opfer gebunden, sondern diese allein
legitimen Ansprüche kollektiviert werden, und zwar sowohl betreffs der
Entschädigung für erlittene Qualen als auch verlorenen Eigentums.
Begründet wird dies auf zweierlei Art: 1. Fast alle Opfer sind verstorben.
2. Die Nazis zerstörten die homosexuelle Infrastruktur. Daß deren
Großteil meist Lokale und Medien Privatbesitz war, scheint
niemanden zu hindern, Ansprüche geltend zu machen. Bezüglich Hirschfelds
Institut für Sexualwissenschaft in Berlin hatte Beck am 14. März
2000 die Rückerstattung für die im Nationalsozialismus erfolgte
Zerschlagung und Enteignung der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung, wie
z.B. des Instituts für Sexualwissenschaft gefordert und es völlig
ahistorisch der homosexuellen Infrastruktur einverleibt. Hirschfeld
hatte die Immobilie einst privat erworben. Kein Mitglied des aus zehn schwulen
und lesbischen Geschichtsinitiativen bestehenden Erben-Kartells
um die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, das jetzt dafür entschädigt
werden will, war jemals Geschädigter. Der als rechtliche Hülle lancierte
Stiftungsgedanke wirkt edelmütig, ist aber bloße Verschleierung:
Man will endlich Verfügungsgewalt über Geld zur eigenen beruflichen
Existenzsicherung haben, das dieser Staat sonst nie hergäbe. Dieses makabre
Spiel hat am Rande sogar noch Platz für den letzten 175er: Sollte er
sich melden, gäbs ein paar Euro Sterbegeld.
Die
Protagonisten dieses Modells geben unumwunden zu, daß sie eine ideelle
Erbfolge konstruieren. Wendet man aber diese Logik auf die tatsächlichen
individuellen Opfer an, wird man kurzerhand für weltfremd und naiv erklärt
wie das whk vom früheren grünen Berliner Abgeordnetenhaus-Vizepräsidenten
Albert Eckert. Der whk-Vorschlag: Zwar sind die meisten NS-Überlebenden
mittlerweile tot, es leben aber wahrscheinlich noch Tausende jener 50.000 Männer,
die bis 1969 nach dem NS-Paragraphen in der BRD verurteilt wurden. Man könnte
sie ins Erbe jener Rosa-Winkel-Häftlinge einsetzten, denen ihre Entschädigung
bis heute vorenthalten wird, und die Zahlung an sie ultimativ von welcher
Bundesregierung auch immer fordern. Ob die Nachkriegsopfer des NS-Paragraphen
dann den Betrag (der ohnehin nicht den Namen Entschädigung
verdiente), haben wollen oder nicht (wie Alfred Hartenbach von der SPD behauptet),
ob sie ihn einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung, einem LSVD bzw. dem Tierheim
spenden wollen, wäre aus schlichtem Anstand heraus allein ihnen zu überlassen.
Doch
steht ein solcher Vorschlag aktuellen Begehrlichkeiten entgegen und
erst recht dem staatlichen Schlußstrichgedanken. Der Ofen soll endgültig
aus sein.
[1] Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung
nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG);
Bundestagsdrucksache 14/8276 vom 20.02.2002
[2]
Die NS-Ideologie der damaligen Verfassungsorgane, auf die sich der Gesetzgeber
heute beruft, spiegelt sich drastisch in der Begründung der im StGB-Entwurf
E-1962 der Adenauer-Regierung vorgesehenen weiteren Strafbarkeit männlicher
Homosexualität.