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So long

Gigi wurde eingestellt. Ein Nachtrag von Eike Stedefeldt

Seit der kurzfristig beschlossenen Einstellung unserer Zeitschrift mit dem Erscheinen der Ausgabe 66 (März/April 2010) erreichten die Redaktion mehr Leser-Reaktionen als in den gesamten zwölf Jahrgängen ihres Erscheinens. Sie reichten von Ungläubigkeit (Stichwort: Aprilscherz) und Verständnis über Bedauern bis hin zu blankem Entsetzen. Man bat darum, die Entscheidung nochmals dringend zu überdenken und bot sogar Geld an, damit die Redaktion weitermachen könne, und zwar viel Geld.

Doch hier liegt ein grobes Mißverständnis vor: Es fehlte nicht wirklich an Geld, Gigi hat stets schwarze Zahlen geschrieben. Vielmehr wäre eine neue, mindestens eine personell erweiterte Redaktion gebraucht worden. Doch in Zeiten, da immer mehr junge Menschen als Berufswunsch "irgendwas mit Medien" angeben (irgendwas mit Rechtschreibung und Grammatik wäre zunächst erfreulicher), hat ein journalistisches Medium es schwer, das gedruckt wird, das nicht flüchtig ist wie eine schnell erstellte Website im Internet oder ein eitles Blog zur gepflegten Selbstbespiegelung. Ein Magazin, in das man nicht mal eben für ein paar Wochen reinriechen kann, das in vielerlei Hinsicht vertraglich gebunden ist, das man nicht einfach aus dem Netz nimmt, wenn man keine Lust mehr hat, sondern bei dem man bleiben muß und wo Durchhaltevermögen gefragt ist. Und Selbstdisziplin.

Vielfach wurde gefragt, was denn nun aus der Redaktion geworden ist, ob und wo ihre ehemaligen Mitglieder nun veröffentlichen. Hierzu sei nur kurz bemerkt, daß es ihnen gut geht. Lizzie Pricken verfolgt weiter ihre künstlerischen Projekte als Sängerin, Filmerin und Buchautorin. Florian Mildenberger nimmt als habilitierer Medizinhistoriker Forschungs- und Lehraufträge wahr. Dirk Ruder ist als Journalist weiterhin hauptberuflich im Medienbereich tätig. Eike Stedefeldt, ebenfalls Journalist, wird noch bis Jahresende mit der Gigi-Abwicklung befaßt sein, veröffentlicht aber, wie schon seit 1998, alle 14 Tage seine "Kreuzberger Notizen" sowie andere Zeitungsbeiträge. Er plant auch neue Bücher.

Schlließlich noch die Antwort auf die berühmte Agnetha-Benny-Björn-Annifrid-Frage: Wird es eines Tages ein Comeback geben? Die zur Gigi-Produktion nötige Infrastruktur ist intakt, die Rechte am Titel sind gesichert, falls sich also zufällig eine stabile neue Redaktion finden sollte ... Im Moment sieht es aber nicht danach aus. Es gebe wichtigere Dinge im Leben, als Schallplatten zu besingen, hat Frida mal gesagt. ABBA sang bekanntlich auch nur knappe zwölf Jahrgänge.


Verdammtes Mississippi

Gedanken von Dirk Ruder nach 60 Gigi-Ausgaben, März 2009

Wo die SED-Millionen sind? Gigi hat die Knete. So lautet jedenfalls eines der schönsten Gerüchte über unsere Redaktion. Manche Leute können sich einfach nicht vorstellen, daß ein nicht-kommerzielles Projekt anders überleben kann als mit Schwarzgeld. Glaubt wirklich jemand, wir täten uns in einem Berliner Hinterhofbüro seit nunmehr zehn Jahren den Streß ehrenamtlicher redaktioneller Arbeit an, hätten wir irgendwo ordentlich Zaster gebunkert? Wenn, dann würde uns dazu schon was einfallen. Nix mit Sex unter Palmen oder Rudelbums in Acapulco. Eher würde Gigi monatlich erscheinen, vierfarbig, mit hundertzwanzig Seiten – und lukrative ganzseitige Werbeinserate von Pharma-, Auto- und Chemiekonzernen mit noch größerer Freude als bisher zurückweisen.

Noch ein Gerücht: Gigi steht auf Kindersex. Schön wär’s, klappt aber nicht. Das Durchschnittsalter der Redaktion liegt bei knapp über vierzig. Welcher Schokoladenonkel nimmt einen da noch mit? Physiotherapeuten sind in unserem Gebrauchszustand wirklich verlockender.

Wie man bei Gigi anheuert? Gar nicht. Man wird berufen. Von ganz oben. Vom wissenschaftlich-humanitären komitee (whk), dem Herausgeber, das 1999 auf die grandiose Idee verfiel, ohne finanzielle Ressourcen ein sexualpolitisches Magazin unters weitgehend desinteressierte Publikum zu werfen. Das whk operiert übrigens, wieder so ein Gerücht, mit Deckadressen und Tarnnamen. Unerwartet klingelt also daheim das Telefon: Herzlichen Glückwunsch, Sie wurden zur Gigi abkommandiert. Wir freuen uns, daß Sie die Betreuung des nächsten Themenschwerpunkts übernehmen. Redaktionsschluß ist der Fünfzehnte, wir erwarten vier Haupttexte bis spätestens übermorgen. Und bitte richten Sie Autorin XY aus, sie möge diesmal nicht mehr als dreißig Fußnoten pro Seite liefern, Papier ist gerade knapp. Tirili! – So ungefähr.

Was man davon hat? Nichts. Okay, es kommt desöfteren lustige Post von Anwälten, deren Mandanten sich vom Impressum in Ausgabe soundso entehrt fühlen. Andere meinen, diese oder jene in Gigi zitierte Bemerkung nie und nimmer gemacht zu haben, und wenn, so sei das doch schon so lange her. Das Sandmännchen auf dem Cover? Sicher ein versteckter Aufruf zum verbotenen Kindersex! Man gewöhnt sich dran, in der Schlange bei Aldi von Richtern mit Handschlag begrüßt zu werden. Sind ja auch nur Menschen.

Drei langjährige Begleiter vermißt Gigi. Claas Sudbrake, der 2003 von Freiburg aus die Gigi-Website re-launchte und heute im Rheinland lebt, und in Berlin Ortwin Passon, der die Redaktion 2006 nach drei Jahren verließ, aber zum Glück weiter für sie schreibt. Schmerzlich wiegt der Verlust der Satirikerin Anne Köpfer, die im September 2001 just an dem Tag starb, als Gigi ein Journalistenpreis zugesprochen wurde.

Die überlebende Redaktion kann’s eigentlich nicht leiden, verehrt zu werden. Sparen Sie sich das. Wenn schon, verehrt sie lieber selbst. Christa Reinig und Samanta Maria Schmidt etwa. Oder (nun ja) Agnetha und Frida. Und Nina Simone. Schon wegen ihres Songs „Mississippi Goddam’n“, den sie einmal sarkastisch so ankündigte: „This is a showtune, but the show hasn’t written for it, yet!“ Mit Mississippi war nicht der Fluß gemeint, sondern der ärmste aller US-Bundestaaten.

Was Gigi ist? Vielleicht auch eine Showtune, für die die Show noch nicht geschrieben ist.