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Frauen an die Waffen?


Am 10. Januar 2000 hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt, das unter anderem bewirken wird, dass ab 2001 auch Frauen in Kampfverbänden tätig sein können. Tobias Pflüger und Claudia Haydt von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. kommentieren das Urteil aus pazifistischer und feministischer Perspektive.


Ein weiterer Schritt der Militarisierung. Von Tobias Pflüger


So wie es aussieht, wird das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ziemlich einheitlich in der Presse, bei den Militärs, von VertreterInnen von Parteien und anderen politischen Gruppierungen begrüßt. Recht unterschiedlich sind die Begründungen. Sie reichen von "endlich gleichberechtigt" über "Freude über neue Soldatinnen bei der Bundeswehr" bis "Beginn des Endes der Wehrpflicht". Ist dies eine neue Koalition aus Feministinnen, Militärs und WehrpflichtgegnerInnen?

Was war die Grundlage des EuGH-Urteils? Eine Elektronikerin (Tanja Kreil) bewarb sich 1996 beim Elektronik-Instandsetzungdienst der Bundeswehr, dies hätte eine Waffenausbildung mit eingeschlossen. Sie wurde abgelehnt, weil sie Frau ist. Kreil klagte mit Unterstützung des Bundeswehrverbandes beim Verwaltungsgericht Hannover. Dieses legte die Klage dem Europäischen Gerichtshof vor mit der Bitte zu überprüfen, ob Art. 12a des Grundgesetzes nicht der Gleichheit beim Zugang zur Beschäftigung (Richtlinie 76/207 aus dem Jahr 1976) widerspreche. Am 11. Januar 2000 entschied der EuGH, dass grundsätzlich in Deutschland Frauen Waffendienst leisten können müssen.

1. Die Bundeswehr wird ab 2001 umfangreich Frauen in Kampfeinheiten zulassen. Dadurch hat sie ihr Problem des fehlenden Personals in den Kampfeinheiten "gelöst". Dies kommt zeitlich sehr zupass, weil durch die Umsetzung der neuen NATO-Strategie gerade wieder neue Kampftruppen entstehen sollen, was bislang an Nachwuchsproblemen scheitert(e). So manchen jetzt jubelnden Frauen (und Männern) wird angesichts der neuen NATO-Kampfeinheiten noch das Jubeln im Halse stecken bleiben.

2. Die Wehrpflicht in Deutschland steht ernsthaft zur Disposition. Doch sie ist – trotz der zum Teil schlimmen Folgen für einzelne – nicht die Kernfrage deutscher Militärpolitik. Die besteht darin, ob Kampf- und Kriegseinsätze zugelassen werden sollen oder nicht. Das heißt, die wichtigsten Teile der Bundeswehr sind schon heute nicht die Hauptverteidigungskräfte (HVK), sondern die Krisenreaktionskräfte (KRK), die gleich nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien wesentlich aufgestockt wurden. Diese Krisenreaktionskräfte waren schon länger quasi eine Berufsarmee in der Armee; ca. 80 Prozent der KRK-Soldaten sind Berufs- und Zeitsoldaten. Wenn die Wehrpflicht fällt, fällt "nur" die Rekrutierungsmöglichkeit bei den Wehrpflichtigen.

3. Die gesellschaftliche Militarisierung nimmt durch das Urteil weiter zu, da es inzwischen als normal gilt, dass Krieg Mittel der (NATO-)Politik ist und Männer, wie nun auch Frauen, im alten Wortsinne Kriegsdienst leisten. Der Waffendienst ist kein Privileg, sondern ein Nachteil. Es ist bedauerlich, dass hier eine Frau (mit Hilfe des Bundeswehrverbandes!) erfolgreich den Zugang zu einem Nachteil erkämpft hat. Insofern ist das Urteil nichts anderes als der nächste Schritt einer allgemein als normal empfundenen Militarisierung. Mit dieser "Normalität" sollten wir uns aber nicht abfinden!


Frauen an die Waffen? Von Claudia Haydt

Europarichter entscheiden für den Waffendienst von Frauen, und eine Mehrheit von Deutschen begrüßt – laut Forsa-Institut – diese Entscheidung. Wahrscheinlich stehen Frauen in der Bundeswehr bald eine ganze Reihe von Positionen, Ausbildungsgängen und Karrieremöglichkeiten offen. Ein Grund zum Jubel für Feministinnen? Ich meine nicht! Zumindest dann nicht, wenn frau Feministin und Antimilitaristin ist und wenn frau den Kontext dieser Entwicklung nicht ausblendet.

Denn die Debatte findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Rahmen einer kompletten Umstrukturierung fast aller europäischer Heere. Weg vom großen Massenheer (mit Wehrpflicht) hin zu professionellen, überall und jederzeit einsetzbaren kleineren Kampfverbänden. Sobald Frauen den "Dienst an der Waffe" leisten dürfen, ist die nächste Prozesswelle absehbar: Die Klagen all der jungen Männer, die nicht verstehen, dass sie ihren Wehrdienst leisten müssen und Frauen wegen ihres Geschlechts den Vorteil haben, dass sie von diesem Zwangsdienst nicht betroffen sind.

Über die dadurch immer wahrscheinlicher werdende Abschaffung werden sich nicht nur die antimilitaristischen GegnerInnen von Zwangsdiensten freuen, sondern auch die Bundeswehrmodernisierer, denen die Wehrpflicht ohnehin längst als lästiger und kostenintensiver Anachronismus erscheint. Ein universal einsetzbares "modernes und effektives" Heer braucht motivierte Menschen, die ihren "Job" machen wollen, und dafür ist es letztlich völlig egal, ob es Männer oder Frauen sind.

Armeen haben zu allen Zeiten (mit graduell unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichen Konsequenzen) letztlich nur deswegen funktioniert, weil sie Entmenschlichung zum Programm erhoben: die der Opfer ("Untermenschen", "Volksfeinde" oder moderner: "Weichziele") wie die der TäterInnen (Ausschaltung von Emotionen, von Verantwortlichkeiten, Reduzierung von Individuen zu BefehlsempfängerInnen). Dass Frauen nun auch zu Akteurinnen in diesem harten, grausamen System werden, verändert nichts an seiner Unmenschlichkeit. Da diese Grausamkeit aber traditionell mit Männern und Männlichkeit assoziiert wird, schafft die Anwesenheit von Frauen in der Militärmaschinerie durchaus eine, zumindest oberflächliche, Imageverbesserung. Es stammt wohl aus der Mottenkiste anti-emanzipatorischer Polemik, dass Frauenemanzipation dann erreicht ist, wenn Frauen all das tun (dürfen), was Männer auch tun.

Emanzipatorische Politik muss nach menschlichen, nach menschenwürdigen Bedingungen für Frauen und Männer suchen. Kampf und Krieg sind immer unmenschlich und niemandem zuzumuten. Weder die Rollenmuster noch die Bundeswehr werden sich ändern. Verändern sich Geschlechterrollenstereotypen wirklich durch Frauen in der Bundeswehr?

Die Erfahrungen aus anderen Armeen mit Frauen in Kampfeinheiten sprechen keineswegs dafür. Einzelfälle ("Ich kenne auch Frauen, die stark / autoritär / zielstrebig / rücksichtslos etc. sind") führen in der Regel nicht zu einem grundsätzlich neuen Rollenverständnis und sind ungefähr so relevant für Bewusstseinsänderungen wie der sprichwörtliche beste Freund, der Ausländer ist. Wirkliche Veränderungen hängen (leider) von wesentlich fundamentaleren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.

Und was ist dann eigentlich mit den lesbischen Frauen in der Bundeswehr? Sind sie dann wie ihre schwulen Kollegen ein "Risikofaktor" und auf Führungspositionen "nicht tragbar"? An den patriarchalen Grundstrukturen von Armeen wird sich durch die verstärkte Anwesenheit von Frauen nichts ändern. Der Militärapparat wird ein streng hierarchisches System bleiben, das nur durch strikten Befehl und Gehorsam, durch Machtausübung und Unterwerfung funktioniert. Anpassen müssen sich allerdings die Frauen, die in diesem System eine Funktion ausfüllen, sie müssen funktionieren "wie ein Mann", "ihren Mann stehen". An den Männerrollen in der Bundeswehr ändert sich dadurch nichts. Die einzig wirklich emanzipatorische Forderung ist und bleibt die Abschaffung der Bundeswehr und die Abschaffung aller Zwangsdienste.

Wie frei sind die Entscheidungen von Frauen (und Männern), Berufssoldatinnen und -soldaten zu werden, wirklich? Gerade in den neuen Ländern erscheint die Bundeswehr für viele Jugendliche als die einzige realistische Möglichkeit der Zukunfts-/Ausbildungsplanung. Ist das zugrunde liegende Problem wirklich dadurch zu lösen, dass Frauen hier die gleichen Möglichkeiten haben? Müssen wir nicht vielmehr dafür sorgen, dass allen Jugendlichen andere Alternativen offenstehen – in ausreichender Zahl? Ich verschließe die Augen nicht davor, dass es durchaus Männer und Frauen gibt, die nicht aus einer Notlage heraus zur Bundeswehr gehen wollen, die genau dieses Berufsbild suchen, denen Kampf, harte Ausbildung, Disziplin und "Abenteuer" erstrebenswert erscheint. Aber vielleicht ist unsere Gesellschaft sehr gut beraten, genau diesen Menschen andere Angebote zu machen.

Niemand hat es klarer formuliert als Tucholsky in seiner Analyse des ersten Weltkrieges. "Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder." Wie "sauber" die Kriege, wie hehr die Ziele und wie chirurgisch die Kriegführung auch sein mögen, im Kern geht es immer um Töten und Sterben – ohne Unterscheidung von jung und alt, von Mann und Frau, von "schuldig" und "unschuldig". Würde "Soldatinnen und Soldaten sind Mörderinnen und Mörder" wirklich emanzipatorischer klingen als "Soldaten sind Mörder"?