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Ein
Riefenstahl-Gewitter auf allen Kanälen! Dass Leben und Werk der
Nazi-Filmerin immer noch Stoff für Kontroversen, aber auch Ehrerweisungen
abgeben, liegt nicht allein daran, daß die gefeiertste Künstlerin
des Dritten Reiches sich bis heute hartnäckig weigert, auch
nur ein Fünkchen Einsicht darin zu zeigen, dass sie selbst Teil des NS-Systems
war und sich dieser Schuld nicht entziehen kann. Vielmehr entzündet sich
an der Auseinandersetzung um die persönliche Verantwortung der am 22.
August hundert Jahre alt gewordenen Helene Riefenstahl die Frage, ob Kunst
und Ästhetik überhaupt wertfrei sein können. Ein Essay von
Götz Fabry
Wir dürfen Leni Riefenstahl ruhig beim Wort nehmen, wenn sie mit treuherzigem
Augenaufschlag beteuert, es gehe ihr immer nur um die Schönheit, sie
sei gewissermaßen eine Schönheitsfanatikerin. Was sie selbst allerdings
zu ihrer Entschuldigung und Entlastung vorzubringen meint, stellt in Wirklichkeit
genau das Problem ihrer Kunst dar: Aus der Riefenstahlschen Ästhetik
ist alles Unvollkommene, alles Hässliche radikal entfernt, weil sie fanatisch
auf der Suche nach der perfekten Harmonie, den ausgewogenen Proportionen ist.
Radikale Schönheit
Weil ihre Kunst auf diesem kategorischen Imperativ der vollkommenen Schönheit
gründet, kennt sie keinerlei Brüche, Widersprüche oder Gegensätze,
sondern konstituiert vielmehr einen Bannkreis radikaler ästhetischer
Selektion. Was sie aber aus dem Bezirk ihrer Kunst mit aller Macht ausschließt,
drängt an anderer Stelle umso brutaler wieder in die Realität zurück,
die sie erschrocken über den Abgrund in den sie blickt
umso vehementer leugnen muss. Daher rührt bis heute ihr heftiger Affekt,
ihre Wut, wenn man sie mit der Wirklichkeit des Dritten Reichs
konfrontiert, über die man aus ihrer Kunst nichts erfährt, weil
sie sich im Rausch der ästhetischen Überhöhung vermutlich tatsächlich
nicht dafür interessierte.
Wie
Millionen andere Deutsche war sie der Faszination Adolf Hitlers erlegen: Meine
Bewunderung für Sie, mein Führer, steht über allem, was ich
sonst zu denken und zu fühlen vermag. Dass sie sich als Künstlerin
allerdings derart in den Dienst der nationalsozialistischen Politik stellte
und sie damit zumindest in ästhetischer Hinsicht auch zu ihrem eigenen
Projekt machte, liegt an der Wesensverwandtschaft von Führer und Filmerin.
Weder Adolf Hitler noch Leni Riefenstahl hatten zunächst auch nur das
geringste Interesse daran, reale Botschaften zu vermitteln. Was sie wollte
und er brauchte, waren Illusionen und Emotionen. Der blinde Gehorsam der Massen
war eine Voraussetzung zur Durchsetzung nationalsozialistischer Politik, die
durch monströse, quasi-religiöse Inszenierungen ein Erlebnisangebot
machte, das den emotionalen Bedürfnissen in einer Zeit extremer existentieller
Unsicherheit entgegen kam. Dazu passte Riefenstahls radikale Ästhetik
in idealer Weise, denn auch ihr ging es darum, majestätische Gefühle
der Erhabenheit zu erwecken (die sie selbst zweifelsohne empfand), ob durch
die verheißungsvoll-unheimliche Grotte in ihrem mystischen Bergfilm
Das blaue Licht oder durch die perfekte Geometrie der Parteitagschoreographie.
Jenseits von Afrika
Die Sehnsucht nach dem idyllischen Schauder speist auch ihr Interesse an Afrika.
Wie sie in ihren Memoiren schreibt, war es der Überdruss an den ständigen
unbequemen Fragen, an den zahlreichen Gerichtsprozessen während der fünfziger
Jahre in Deutschland, der in ihr Fluchtgedanken und Sehnsüchte nach einer
heileren Welt aufkommen ließ, die sich schließlich nach der Lektüre
von Ernest Hemingways Buch Die grünen Hügel von Afrika
konkretisierten. Es ist für das Verständnis von Riefenstahls Nuba-Bildern
unerlässlich, sich diese emotionale Ausgangslage vor Augen zu führen:
Es war nicht wie sie später behaupten wird in erster Linie
ihr Interesse an einer durch die Zivilisation vom Untergang bedrohten Kultur,
sondern das Bedürfnis, auf dem dunklen, wilden
Kontinent die Harmonie zu finden, die ihr in Deutschland, das sie in ihren
Augen mit lauter Hässlichkeiten konfrontierte, abhanden gekommen war.
Leni Riefenstahls Fotografien dokumentieren daher gerade nicht den Zustand
der Nuba-Gesellschaft während der sechziger und siebziger Jahre, sondern
sie sind bildgewordene Zeugnisse der emotionalen Befindlichkeit einer von
der Heimat enttäuschten Künstlerin. Riefenstahl fand und fotografierte
in Afrika genau das, was sie gesucht hatte und sehen wollte: göttliche
edle Wilde, Sinnbilder physischer Vollkommenheit, vor Virilität berstende
Männer, die in blutigen Kämpfen ihre Kräfte messen, Frauen,
die stolz darauf sind, an der Seite eines Ringkämpfers zu leben, gesunde
Menschen, die ihren Körper bemalen und in Harmonie mit der Natur leben.
Der Alltag, das Unvollkommene, das Mühsame ist erneut nicht Gegenstand
der Darstellung. Dass die Nuba keineswegs den Großteil ihrer Zeit damit
zubringen, ihre Körper für Tanz und Kampf zu schmücken, sondern
dass sie in erster Linie Bauern sind, die ihre Felder bestellen, bleibt verborgen,
weil es der Phantasie vom edlen Wilden weit weniger entspricht
als das ornamentale Gepränge der bemalten Körper.
Weit
schwerer als diese pittoresk-begrenzte Sicht der Dinge wiegt jedoch etwas
anderes: Erneut ignoriert beziehungsweise verdrängt Riefenstahl die Tatsache,
dass sie nicht lediglich Vorgänge passiv dokumentiert, sondern dass sie
aktiv dazu beiträgt, ein bestimmtes Bild respektive Zerrbild zu konstruieren,
das verheerende Folgen hat. Obwohl sie stets betonte, sie wolle mit ihren
Bildern diese archaische Kultur vor der Zerstörung durch die Zivilisation
bewahren, erreichte sie genau das Gegenteil. Der enorme Erfolg ihrer Bildbände
führte zu einem starken Anstieg des Tourismus in die Region und beschleunigte
den zweifelsohne schon vor ihren ersten Besuchen in Gang gekommenen Verfall
der Nuba-Kultur. Die Körperbemalung als Ausdruck einer gewachsenen Kultur
mit traditionellen Mustern und Symbolen verkam durch die Flut der schießwütigen
Fotografen und Filmemacher immer mehr zum folkloristischen Dekor. Die Nuba
ließen sich jetzt für ihre Bemalung bezahlen und passten Formen
und Farben den fotografischen Anforderungen an. Der damit einsetzende monetäre
Reichtum verdrängte traditionelle Sozialformen, zum Beispiel bei der
Kontrolle über die Mitgift. Nicht zuletzt rief das wachsende Interesse
an den Nuba schließlich auch die sudanesische Regierung auf den Plan,
mit deren islamischen Weltbild sich die Zurschaustellung der nackten Körper
nur schlecht vertrug, was schließlich unter Androhung von Prügelstrafe
verboten wurde. Als Leni Riefenstahl einige Jahre darauf erneut zu ihren
Nuba in den Sudan reiste, war sie über die Veränderungen, die mittlerweile
dort stattgefunden hatten, tief enttäuscht und entsetzt. Dass sie selbst
es war, die diese Veränderungen zwar nicht direkt ausgelöst, aber
dennoch erheblich zu ihrer Beschleunigung beigetragen hatte, kam ihr keine
Sekunde lang in den Sinn. Mit derselben Vehemenz und den gleichen Argumenten
wie gegen die Vorwürfe ob ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit
wehrte sie sich nun gegen die kritischer Ethnologen, die ihr die Folgen ihrer
verklärenden Sicht auf die Nuba vorhielten. Einmal mehr beteuerte sie,
sie habe doch lediglich die Schönheit dieser Menschen zeigen wollen.
Die
kritischen Töne blieben diesmal allerdings gegenüber der ansonsten
vor allem in den USA enthusiastischen Aufnahme der beiden Nuba-Bildbände
im Hintergrund. Offensichtlich waren Riefenstahls Sehnsüchte einmal mehr
die ihres Publikums gewesen, das aus der in Deutschland verfemten Künstlerin
eine nicht nur auf Andy Warhols legendären Factory-Partys gern gesehene
und begehrte Attraktion machte. Somit ist das eigentlich Beunruhigende an
Riefenstahls Nuba-Zyklen nicht ihre nostalgische Sicht auf Afrika, sondern
der kommerzielle Erfolg ihrer Bücher, der die Schlussfolgerung nahelegt,
dass die Erzählung von den exotischen Schwarzen, den Negern,
die westliche Wahrnehmung immer noch mehr prägt als das Interesse an
der Wirklichkeit des heutigen Afrika oder die Wirklichkeit der Afrikaner,
die in den USA und Europa leben.
Eine deutsche Frau
Befremdlich ist überdies die feministische Rezeption von Leni Riefenstahls
Leben und Werk. Wie die amerikanische Publizistin Susan Sontag im Essay Faszinierender
Faschismus berichtet, zeigt das von einer Feministin gestaltete Plakat
des New Yorker Filmfestivals von 1973 eine blonde Frau, deren rechte Brust
von drei Namen umrahmt ist: Agnès, Leni, Shirley. Erstaunt nimmt man
zur Kenntnis, dass Riefenstahl hier in einem Atemzug mit der feministischen
Filmregisseurin Agnès Varda und der das reaktionäre Hollywood-Kino
kritisierenden Experimentalfilmerin Shirley Clark genannt wird, obwohl gerade
politische Äußerungen, noch dazu kritische, ihre Sache nie gewesen
sind. Noch erstaunter waren viele vermutlich, als die noch immer gern für
eine Feministin oder gar Linke gehaltene Alice Schwarzer anlässlich der
großen Riefenstahl-Ausstellung im Filmmuseum Potsdam-Babelsberg ein
entspanntes Gespräch bei Kaffee und Kuchen mit ihr führte, sie dabei
von allen kritischen Fragen verschonte und ihr in der ersten Emma-Ausgabe
des Jahres 1999 großzügig Platz einräumte, um ihre seit 1945
gebetsmühlenartig wiederholten Entschuldungsmythen zu verbreiten. Schwarzer
selbst machte dabei aus ihrem Herzen eben-falls keine Mörderinnengrube:
Ohne das mörderische Zwischenspiel des Tausendjährigen Reichs,
schreibt sie, würde die Riefenstahl-Euphorie heutzutage vermutlich
noch viel weiter gehen: Die Regisseurin gälte uneingeschränkt als
das weibliche Filmgenie dieses Jahrhunderts. Und wären statt der
Nazis Kommunisten an die Macht gekommen, wäre nach Meinung von Frau Schwarzer
Leni Riefenstahl neben Sergej Eisenstein eben eine Ikone der roten statt der
braunen Filmkunst geworden.
Waren
die Nazis also nur ein Störfaktor in der Karriere einer ansonsten genialen
Künstlerin, der auch noch das Verdienst zukommt, sich als Frau in einer
extremen Män-nergesellschaft, wie sie die nationalsozialistische war,
behauptet und durchgesetzt zu haben? Ganz so einfach ist es dann wohl doch
nicht. Zwar ist es schon merkwürdig, wieviele männliche Künstler
nach kurzer Unterbrechung ihre Karrieren nahtlos fortsetzten, während
Riefenstahl andauernden Anfeindungen ausgesetzt war. Man denke nur an den
mit Goebbels und Göring bestens vertrauten Gustav Gründgens oder
an Herbert von Karajan, deren beider Aktivitäten während des Dritten
Reichs nicht den geringsten Schatten auf ihre Nachkriegskarrieren werfen
konnten. Auch erfreut sich die Musik von Richard Strauss, unter den Nazis
zeitweilig Präsident der judenfreien Reichsmusikkammer, nach
wie vor großer Wertschätzung, und das erhabene Pathos der Anfangstakte
seiner Tondichtung Also sprach Zarathustra hören die meisten
sicherlich, ohne sofort Hakenkreuz, Blutbanner und Totenkopf-Staffel zu assoziieren.
Doch müsste es Frauen nicht zumindest nachdenklich stimmen, dass, wie
Margarete Mitscherlich im Buch Über die Mühsal der Emanzipation
schreibt, Frauen in Riefenstahls Werken quasi nicht existent sind, es sei
denn, sie werden benötigt, um sich der männlichen Selbstüberhöhung
kritiklos anheimzugeben, so, wie Riefenstahl selbst? Spricht aus ihrer grenzenlosen
Bewunderung für und der Hingabe an den Führer
überhaupt an alles Männliche, Starke im Grunde genommen nicht
eine Verachtung alles Weiblichen? Und ist diese Identifikation mit dem Männlichen
nicht der eigentliche Grund dafür, dass es ihr gelang, eine so prominente
Rolle während des Dritten Reichs zu spielen?
Riefenstahl
ist als Kultfigur des Feminismus nur dann zu retten, wenn man bewusst ignoriert,
dass die wesentliche Voraussetzung ihrer spektakulären Karriere genau
in jener Verherrlichung männlicher Kraft, Stärke und Machtentfaltung
zu suchen ist, der Feministinnen ursprünglich den Kampf angesagt hatten.
Schwule Ästhetik
Vielleicht taugt Leni Riefenstahl aber für die Schwulen als Säulenheilige?
Immerhin scheint die schwule Ästhetik das letzte Reservat zu sein, in
dem Männlichkeit noch weitgehend kritiklos verherrlicht werden darf.
Wo sich Männer Männern lustvoll unterwerfen, wo die geschwellte
Brust ebenso gern gezeigt wie betrachtet wird, ist der Vorwurf des Sexismus
oder der sexuellen Belästigung kaum zu vernehmen jedenfalls wesentlich
seltener als in der heterosexuellen Welt. Natürlich werden auch Männer
von Männern sexuell belästigt, mißbraucht und zum Lustobjekt
degradiert. Im Gegensatz aber zur allgemeinen Diskussion ist dieses Thema
unter Schwulen viel weniger präsent. Sonst müssten die Bildunterschriften
in einschlägigen Publikationen, in denen Virilität, Kraft und Potenz
unverhohlen gefeiert werden, weit häufiger Gegenstand kritischer Betrachtungen
sein.
Doch die schwule Ästhetik hat noch mehr Anleihen bei Leni Riefenstahl genommen als nur die schwärmerische Bewunderung männlicher Körper: Das mangelnde Bewußtsein nämlich dafür, dass bestimmte ästhetische Formen bereits mit spezifischen Inhalten aufgeladen sind, selbst dann, wenn sie aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt wurden. Zu denken wäre hier etwa an den Uniformfetischismus oder das Phänomen der schwulen Skins, die immer wieder betonen, mit der Übernahme des ästhetischen Codes sei keinesfalls das Bekenntnis zu rechtsradikalen Inhalten verbunden. Dennoch ist der mit der äußeren Erscheinung verbundene Eindruck von Brutalität und Härte als erotischer Mehrwert beabsichtigt, und er manifestiert sich auch in sexuellen Vorlieben, was auf entsprechenden Internetseiten unmittelbar nachvollzogen werden kann. Insofern ist diese ästhetische Form keinesfalls wertneutral, sondern einem bestimmten Männerbild verpflichtet, das Machtverhältnisse nahelegt, die in ihrer Extremform durchaus totalitär sind. Natürlich führt kein direkter Weg vom Sadomasochismus oder vom schwulen Skin zur Diktatur. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es genau solche Bedürfnisse nach Härte und Unterwerfung, nach Verschmelzen in einer starken Gemeinschaft, nach Macht waren, die von den Nazis zuerst mit passenden Erlebnisangeboten mobilisiert wurden, bevor sie für die Umsetzung der in ihrer Konsequenz massenmörderischen politischen Ziele benutzt werden konnten. Zu dieser emotionalen Mobilmachung hat Riefenstahl insbesondere durch ihren 1934er Parteitagsfilm Triumph des Willens wesentlich beigetragen. Nur wird sie das vermutlich auch in weiteren hundert Jahren nicht wahrhaben wollen.