Kino
oder Leben
Fans oder solche, die es noch werden wollen, sollten sich bereits jetzt auf
den 20. Todestag des wichtigsten BRD-Regisseurs nach dem Zweiten Weltkrieg
einrichten: Rainer Werner Fassbinder. Eine Einstimmung auf kommende Retrospektiven
von Ira Kormannshaus
Rainer
Werner Fassbinder (RWF), der am 10. Juni 1982 kurz nach seinem 37. Geburtstag
starb, hat ein beachtliches Werk hinterlassen. 45 Drehbücher, Rollen
in 40 Filmen, Schnitt in 15 Filmen, Produktion von fünf Filmen, Kamera
bei zwei Filmen und Ausstattung bei drei Filmen und natürlich seine 43
Filme. 15 dieser Filme sowie zwei seiner Kurzfilme (der dritte ist verschollen)
werden von der Fassbinder Foundation in Zusammenarbeit mit Basisfilm in Kopien
mit neuer Lichtbestimmung herausgebracht.
Als
1969 seine ersten beiden Spielfilme, Liebe ist kälter als der Tod
und Katzelmacher, aufgeführt wurden, war das der Beginn einer
neuen Epoche im europäischen Kino. Zwar hatte es seit dem Oberhausener
Manifest 1962 in Filmen wie auch Programmarbeit konkrete Schritte zur Verabschiedung
von Opas Kintopp gegeben - Schlöndorff, Reitz u.a. wendeten sich anderen
Stoffen zu und die Revolte war auf Super 8 und 16 mm in Hörsälen,
Kellerkinos und Gewerkschaftsgruppen zu sehen. Aber Fassbinder brachte eine
neue Qualität in die Auseinandersetzung um zeitgenössisches Kino:
radikal in Form und Inhalt, kompromisslos gegenüber Verleihern und TV-Redaktionen,
operierte er mit Genres und einer Ästhetik, die seine Kritik an lebensfeindlichen
Verhältnissen der BRD einem breiten Publikum nahebringen sollte: "Ich
weiß, dass meine Kritiker mich oft für einen Psychopathen halten
aber wie ich die Dinge sehe, haben die oft einen Therapeuten eher nötig
als ich denn ich kann schließlich all das im Film loswerden, was mich
bedrückt oder belastet."
Von
diesen ersten Filmen bis über seinen frühen Tod hinaus war Fassbinder
Anreger und Motor des deutschen Films, öffnete Wege des Erzählens
und unabhängigen Denkens auch für andere FilmemacherInnen (im vergangenen
Jahr setzte der Franzose Francois Ozon sein nie aufgeführtes Theaterstück
Tropfen auf heiße Steine um), zeigte, wie Kreativität mit
gesellschaftlichem Scharfblick und Engagement Hand in Hand gehen kann. So
liegt seine immense Bedeutung neben den konkreten Filmen in seiner radikalen
persönlichen Haltung, mit der er an den Stoffen arbeitete am unmittelbarsten
in seinem Beitrag zu Deutschland im Herbst.
Sein
Thema ist die Welt der kleinen Leute. Um sie zu beschreiben, arbeitet er das
US-amerikanische Gangsterkino auf, von dem sich immer wieder Versatzstücke
in seinen Filmen finden Douglas Sirk und Raoul Walsh waren für ihn sehr
wichtige Regisseure. Erst später als er den (gelungenen) sozialen Aufstieg
thematisiert, wie etwa in Die Ehe der Maria Braun werden Anleihen und
Konstruktionsweisen des Hollywood-Kinos in seinem Werk deutlicher. Im Gegensatz
zum neuen Hollywood (z.B. Bonnie and Clyde) ist ihm bewusst, dass "das
Gangstermilieu sozusagen auch ein bürgerliches Milieu ist, nur mit umgekehrten
Vorzeichen, aber mit den gleichen bürgerlichen Idealen. Meine Gangster
sind Opfer der Bürgerlichkeit und keine Rebellen wenn sie das wären,
müssten sie sich anders verhalten. Die verhalten sich im Prinzip genau
so, wie sich der Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft verhalten."
In Liebe ist kälter als der Tod spielt er selber den Zuhälter
Franz, der sich weigert, einem Syndikat beizutreten. Neben der Liebe zu seiner
Freundin Joanna (Hanna Schygulla) ist da noch die Liebe von Bruno (Ulli Lommel),
einerseits vom Syndikat auf Franz angesetzt, andererseits ihn schätzend.
Bereits '69 also der scharfe Blick auf das sich seither stetig verschärfende
Phänomen der Einsamkeit des Einzelnen und der Sehnsucht nach echten menschlichen
Beziehungen. Ebenso in Katzelmacher, wo punktgenau die Langeweile und
Leere des eigenen Lebens in Aggression gegen Ausländer umgesetzt wird,
einzig Marion (Hanna Schygulla) bricht aus der Dumpfheit der Gruppe aus und
geht mit Nikos (RWF). Wolfram Schütte schrieb damals in der Frankfurter
Rundschau: "In ihrer Welt wird mit einer Penetranz von Liebe gesprochen,
die nur vergleichbar ist mit der Penetranz, mit der im selben Satz von Geld
die Rede ist. Man hat das in einem deutschen Film noch nie gehört und
mit gutem Grund: So wie wir gelebt werden, ist Geld und Liebe dasselbe. Der
mehrfache Umschlag von Zärtlichkeit in Brutalität macht diese Identität
deutlich. Liebe und Geld wären aber die einzigen Hoffnungen, um aus der
Dumpfheit dieses Lebens zu entkommen. Diese jungen Menschen träumen von
beidem, und während sie von diesen Träumen reden, glauben sie der
Freiheit nahe zu sein, für die Geld und Liebe ein uneingelöstes
Versprechen sind. Aber Freiheit bleibt fern, und das Glück, wenn sies
mit Worten fassen, ist dennoch nicht da."
Götter
der Pest wirkt wie eine Variante zu Liebe ist kälter als der Tod
und enthält wohl die klarsten Anleihen beim US-Gangsterfilm. Nach Der
amerikanische Soldat wendet Fassbinder sich einer anderen Welt zu: dem
Film. Warnung vor einer heiligen Nutte holt das Filmemachen auch in
den Augen der Zuschauer auf den Boden zurück. Was anderswo zur Klamotte
geraten wäre, erhellt die Dinge. "Für mich war immer wichtig,
Filme zu drehen über Menschen und deren Verhältnis zueinander, deren
Abhängigkeit voneinander und von der Gesellschaft. Abhängigkeit
macht Menschen unglücklich, und wenn man das bewusst macht, dann arbeitet
man halt sozial."
Weiter
geht es vom Film zum Markthändler Hans Epp (Hans Hirschmüller),
dem Händler der vier Jahreszeiten. Als der alles aufgebaut hat
und auf Betreiben seiner ehrgeizigen Frau (Irm Hermann) den Verkauf an einen
Angestellten abgegeben hat, also nichts mehr zu tun hat, bleibt die Leere,
die er bis zum Exitus in Alkohol zu ertränken versucht. Auch hier fasziniert
wieder der reale Boden, den Fassbinder den großen Gefühlen gibt,
die theatralische Form der Tragödie in die Wirtschaftswunder-BRD überträgt.
Kam
Homosexualität bis 1972 in seinen Filmen nur als männliche vor,
kreiert er nun mit Die bitteren Tränen der Petra von Kant ein
lesbisches Kammerspiel. Doch obwohl er dieses Gleichnis von zwei Frauen spielen
lässt, geht es um Mechanismen und Fragen, die letztlich alle betreffen.
Der Wille zur Macht über den anderen Menschen, Eifersucht, Besitzgier
wie auch das Aufbegehren gegen fortdauernde Unfreiheit. Ist Liebe eine Alternative
zur herrschenden Unfreiheit, oder ist sie vielmehr die Reproduktion dieser
Unfreiheit?
Dass
Unfreiheit, gesellschaftlicher Druck, auch innere Probleme überdecken
kann, seziert Angst essen Seele auf. Emmi (Brigitte Mira) lernt den
wesentlich jüngeren Marokkaner Ali (El Hedi ben Salem) kenne, die beiden
heiraten und damit beginnt der Spießrutenlauf. Als der durchstanden
ist, muss sich dennoch weiterhin die Hoffnung gegen einen zerstörerischen
Alltag behaupten. In keinem anderen Film erzählt RWF so anteilnehmend
von menschlicher Güte, Solidarität und Mitgefühl - weicht aber
nie in die Idylle aus. Das vermeintliche Idyll des 19. Jahrhunderts verweigert
er auch in seiner Fontane-Verfilmung Effi Briest. Keine Nostalgie kommt
auf, wenn die "liebende Mutter" der geschiedenen Effi knallhart-realistisch
die Aufnahme ins Elternhaus verweigert. Jahre bevor er endlich Döblins
Berlin Alexanderplatz realisieren kann, taucht Franz Biberkopf (RWF)
bereits in Faustrecht der Freiheit auf. Der arbeitslose Schausteller
wird von Max (Karlheinz Böhm, dem er als erster Regisseur nach Peeping
Tom wieder Arbeit gab) in feine Homosexuellenkreise eingeführt und
verliebt sich in Eugen (Peter Chatel), dem er von seinem Lottogewinn eine
Wohnung kauft, diese einrichten lässt und schließlich auch noch
den verschuldeten Betrieb von dessen Eltern rettet. Dann hat er seine Schuldigkeit
getan und darf gehen - eine böse Parabel über die Ausbeutung von
Lebenslust, Lebensenergie und Arbeitskraft.
Mit
Mutter Küsters Fahrt zum Himmel überträgt er den Piel-Jutzis-Klassiker
von 1929 Mutter Krausens Fahrt ins Glück auf die 70er Jahre. Der
für den US-Markt vorgesehene optimistische Schluss ist an die neue Kopie
der deutschen Version angehängt und wirkt angesichts seiner sonstigen
Filme doch arg klischeehaft. Ansonsten eine Abrechnung mit den "kommunistischen"
Seelenfängern der damaligen Zeit wie auch ein von Brigitte Mira hervorragend
gespieltes Frauenporträt.
In
Satansbraten geht es wieder um den verrotteten Kulturbetrieb. Dem Schriftsteller
Walter Kranz (Kurt Raab) fällt nichts mehr ein. Doch die Ehefrau (Helen
Vita) und der debile Bruder (Volker Spengler) wollen gefüttert, Schulden
bezahlt werden. Zu seinen Kreativübungen gehören Mord an einer Geliebten,
Plagiat, Schnorrerei bei wem auch immer, Bezahlung der "Fans" und
die vielleicht absurdeste Übung: den Homosexuellen geben. Das kann natürlich
nur im Größenwahn und in faschistischen Ideen enden. Absurd geht
es auch in dem anschließend gedrehten Psychothriller Chinesisches
Roulette zu, in dem zunächst Ehepartner mit ihren jeweiligen Geliebten
aufeinander treffen, nachdem sie vorgeblich in verschiedene Himmelsrichtungen
zu Geschäftsreisen aufgebrochen sind. Die intrigante Haushälterin
und ihr schriftstellernder Sohn verfolgen ihre eigenen Interessen. Als dann
auch die gehbehinderte Tochter des Paares mit ihrer Erzieherin kommt, gerät
Bewegung in das Gefüge. Das Kind bricht das Gefüge aus Misstrauen,
Eifersucht, Hass und Egoismus auf, indem es die Anwesenden das Wahrheitsspiel
"Chinesisches Roulette" spielen lässt.
Gab es zu Fassbinders 10. Todestag eine fast komplette Retrospektive (Franz Xaver Kroetz hatte die Rechte an seinem Stück Wildwechsel nicht freigegeben), werden nun also 15 Werke vor dem Zahn der Zeit gerettet und zwei Kurzfilme erstmals aufgeführt. Bleibt zu hoffen, dass die damals abgesetzte und nie wieder ausgestrahlte Fernsehserie Acht Stunden sind kein Tag nicht erst zu Fassbinders 30. Todestag eine Schneise in den Verdummungs-Dschungel des Serien-TV reißen darf.