Lauter
Sehr Verantwortungsbewußte Demokraten
Die
Wiederauflage von Felix Rexhausens "Lavendelschwert" beschert uns
das wichtigste schwulenpolitische Buch des Jahres. Von Udo Badelt
Mitte der sechziger Jahre. Ein Umsturz ist geglückt. Die Regierung ist
abgesetzt, es amtiert ein "provisorischer Kanzler", und das Volk
bleibt ruhig, weil sich das Fernsehprogramm vorerst nicht ändert. Doch
ach! Die Revolutionäre sind nicht nur Deutsche, sondern auch Schwule,
und so kann das Ganze nicht lange gut gehen. Oder wie Dirck Linck in seinem
Nachwort zu "Lavendelschwert" schreibt: "Das Buch handelt von
einer Revolution, einer Revolution in Deutschland allerdings, also halb so
schlimm." Tatsächlich ziehen bald Panzer der Bundeswehr in Bonn
ein, und der Spuk ist rasch vorüber.
Felix Rexhausen erzählt die Geschichte einer Erhebung, die es nie gegeben
hat. Die Form, derer er sich dabei bedient, ist die des "mockumentary":
Ein Spielen mit den Regeln der herkömmlichen Dokumentation, eine Zusammenstellung
fiktiver Dokumente und Aufzeichnungen von Beteiligten des Geschehens. Die
Handlung wird vom Erzähler nicht fertig serviert; statt dessen muss sie
sich Leser selbst aus Fragmenten zusammensetzen. Die "Aufzeichnungen"
des 38-jährigen Beamten Kurt Roloff und der "Brief" des 21jährigen
Ingo Rasch sind die wichtigsten Quellen der Darstellung, da sie die Ereignisse
ausführlich beschreiben und unterschiedlich kommentieren können.
Ein imaginärer Herausgeber soll, wie in Hermann Hesses Steppenwolf, die
Wahrheit des Dargebotenen verbürgen. Wird vorgeblich Wahres auf diese
Weise präsentiert, ist die Realitätsillusion wesentlich stärker
als bei der traditionellen Erzählung. Auf ähnliche Weise aufgebaut
sind z.B. André Gides Roman Les Faux-Monnayeurs, der Film Zelig von
Woody Allen oder auch der Horrorhit dieses Herbstes, The Blair Witch Project.
Es sind Homosexuelle aus Volgen, einer Großstadt südlich von Bonn,
die mit dem "Lavendelschwert" in der Hand den Umsturz versuchen.
Unzufrieden mit ihrer Situation sind sie schon lange; zum unmittelbaren Auslöser
wird eine zufällige Verkettung von Ereignissen: Der Bundespräsident
hält eine Hassrede gegen Schwule, der attraktivste Tänzer im Volgener
Ballett wird wegen Zärtlichkeiten mit einem anderen Mann auf der Straße
verhaftet und begeht in der Zelle Selbstmord, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
Bundestag versucht ein Gesetz einzubringen, demzufolge alle homosexuellen
Bürger einen Stempel "HS" in ihren Pass bekommen sollen.
Rexhausens Buch ist eine bitterböse Satire sowohl auf die restaurativen
Tendenzen der ersten zwanzig Nachkriegsjahre als auch auf die deutschen Homosexuellen,
die das System perfekt verinnerlicht haben. Wäre diese Revolution tatsächlich
passiert, sie wäre vermutlich genau so verlaufen. Schließlich gibt
es von 1848 über 1918 bis 1989 eine revolutionäre Tradition in Deutschland,
die den Nationalstaatsgedanken nie ernsthaft in Frage stellt, sondern im Gegenteil
diesen noch unterstützt. Auch in Sprache und Stil verlässt das Buch
nie die sechziger Jahre. Der Bundespräsident spricht in seiner Rede vor
jugendlichen Turnern über Schwule: "Der Schaden, den sie anrichten,
ist um so unermesslicher, als dieser Volkskörper als solcher ganz und
gar gesund ist (Beifall)". Der Kanzler verkündet nach dem Ende der
Revolution: "[Mein Optimismus] gründet sich auf das innerste Wesen
des deutschen Volkes als solchem, das in seinen größten und besten
Teilen allem Krankhaftem, sei es im Physischen, sei es im Politischen, wesensmäßig
verneinend gegenübersteht." Rexhausen fasst hier lediglich tatsächlich
vorhandene Denkdispositionen in Worte. Und zumindest eines der in "Lavendelschwert"
zitierten Dokumente ist echt: der Regierungsentwurf zur Strafrechtsreform,
der die "sittenbildenden Kraft des Strafgesetzes" und die "natürliche
Lebensordnung im Volk" bemüht. Das ist die Bundestagsdrucksache
IV/650 vom Oktober 1962. Wohin die Reise seitdem gegangen ist, kann man daran
ermessen, womit fast 36 Jahre später, am 27. August 1998, der prominenteste
Schwulenpolitiker dieser Republik bei einer Wahlveranstaltung die Notwendigkeit
von Homo-Ehe und Antidiskriminierungsgesetz begründete: "Wir dürfen
nicht die sittenbildende Kraft von Gesetzen unterschätzen."
Auch die Schwulen charakterisieren sich durch das, was sie sagen.
Wie sie sich diese spezifisch deutsche Revolution vorstellen, beschreibt bei
Rexhausen einer ihrer Führer, der nationalistische Industrielle Glauck,
in einem Brief an den Mitverschwörer General Groth: "Das wichtigste
ist natürlich, dass man einen festen Kern zusammenbekommt und dem Ganzen
eine gewisse organisatorische Form gibt; da habe ich ja Gott sei Dank vom
Betrieb her einige Erfahrung. Ich habe vor, in vier bis acht Wochen zu versuchen,
in verschiedenen Besprechungen und Sitzungen der Sache eine konkrete Gestalt
zu geben. Handeln in welcher Weise auch immer könnten wir
bestimmt nicht vor Anfang nächsten Jahres." Wer in diesem Buch rebellieren
will, das sind bürgerliche Mittelstandsschwule, die auf klägliche
Weise glauben, in Kunst ein Identifikationsobjekt gefunden zu haben, die "Fidelio",
"Tristan", und die "Ouvertüre 1812" hören, August
von Platen lesen und bei ihren Versammlungen den Ausblick auf den Rhein bewundern.
"Lavendelschwert" erschien 1966. Drei Jahre vor Stonewall thematisierte
es bereits den Gegensatz von etabliert-konservativen Schwulen und den radikalen
Anti-Integrationisten, den Tunten, die den autoritären Konsens aufkündigten
und in New York die wahren Träger des Aufstandes waren. Ihnen gehört
Rexhausens Sympathie, sie sind es, die den vorübergehenden Erfolg der
homosexuellen Revolution ermöglicht haben. So schreibt der Siegener Literaturwissenschaftler
Dirck Linck: "Rexhausen lässt die Randaletunten siegen; nicht indem
er sie in die Institutionen vorrücken lässt, sondern indem er literarisch
für etwas bis dahin nicht vorhandenes sorgt dafür, dass Homosexuelle
sich öffentlich und aggressiv als Homosexuelle verhalten; dass sie ihre
gesellschaftlich produzierte Differenz inszenieren und sinnlich-praktisch
benutzen. [...] Um mal ganz hoch zu greifen: Das ist Genet, in den deutschen
Möglichkeiten von 1966." In den achtziger Jahren benannte sich ein
schwuler Buchladen in Köln nach Rexhausens Buch, der 1995 wieder schloss.
Man meldete es auf Seite 37 eines schwulen Anzeigenblattes.
In seinem überaus unterhaltsamen Nachwort analysiert Linck die Jahrzehnte
seit der Erstveröffentlichung, den Blick stets gerichtet auf literarische
und kulturelle Zeiterscheinungen. Die Lektüre seines Artikels wie des
ganzen Buches erinnert fatal daran, dass sich die Charakteristika schwuler
Protestträger bis heute kaum verändert haben, dass immer noch homophile
Funktionäre so schnell wie möglich in den Schoß des Staates
zurückkehren wollen, den Männer wie Glauck und Groth nie verlassen
haben. Rexhausen ist 1992 gestorben. Im Vorwort zur zweiten Auflage von 1978
brachte er die Dinge noch einmal auf den Punkt: "Deutsche Schwule sind
eben auch bloß Deutsche."
Felix Rexhausen: Lavendelschwert. Dokumente einer homosexuellen Revolution.
Bibliothek Rosa Winkel, Berlin 1999, DM 29,80