Kommodenlack
im Oberstübchen
Dummheit
schändet nicht, solange die Bluse gebügelt ist. Charlotte von Mahlsdorf
verkörpert ein Stück sauberes Deutschland. Und weder die Verhöhnung
von NS-Opfern noch ihre Lügengeschichten können die "Community"
davon abbringen, ihr Lottchen aus der schwedischen Einöde heimzuholen.
Von Eike Stedefeldt
"Im Fummel durch Endkampf und DDR" lautete ein Slogan der Delta
Film GmbH, als sie 1992 Rosa von Praunheims Filmversion der Memoiren des Ost-Berliners
Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf vermarktete. Aber kein Werbespruch
ist so fragwürdig, als daß er nicht auch zum Credo taugte. Und
wenn 1996 Stephan Kring in seinem Buch "Perfekt schwul!" dem berühmtesten
Transvestiten Deutschlands "sechzig Jahre gelebten Widerstand in wechselnden
Diktaturen" zuschreibt, so paßt auch das bestens zum neurechten
Zeitgeist. Gäbe es Charlotte von Mahlsdorf nicht, das Fernsehen hätte
die umtriebige Möbeltunte erfinden müssen: Eine Reinkarnation der
guten alten Kaiserzeit mit drolligem Hang zur Stuckrosette, ein vom Arbeiter-
und Bauernstaat unschuldig verfolgtes Stubenmädchen mit gestärktem
Häubchen, die stets selbstlos und mit Mutterwitz sich und ihr Museum
durch realsozialistische Fährnisse schleusende Pionierin der DDR-Homosexuellenbewegung.
Der Prototyp des kleinen frechen Widerständlers also und mithin die ideale
Identifikationsfigur - nicht allein für die schwulen Ossis, die außer
diesem Markenzeichen im neuen Deutschland sonst nicht viel zu melden haben,
sondern auch fürs tonangebende homophile Bürgertum im Goldenen Westen.
Lieb und artig, trotz taillierten Damenmantels zu Bundesverdienstkreuz-Ehren
gelangt, dazu stets ausgestattet mit gebügelter Bluse und Spitzentaschentuch,
ist Charlotte von Mahlsdorf ein lebender Mythos. Unbedarft und ungefährlich,
wie sie nunmal ist, symbolisiert sie das saubere homosexuelle Deutschland.
Dieses holde Menschenkind darf jeder mögen, selbst der biedere Familienvater,
der dem Schwulen von nebenan regelmäßig den Briefkasten ausräuchert.
Ungebrochen ist bis heute das Interesse an Lottchens schlimmem Schicksal.
Zu Hunderten strömt man herbei, wenn Charlotte, was hierzulande selten
geworden ist, liest und erzählt. Nur die wenigsten hören genauer
hin, welch krauses Weltbild sich da Gehör verschafft: Meist paßt
es wohl auch zum eigenen. Etwa am 12. März 1997 in der überfüllten
Berliner Buchhandlung Alt-Friedrichsfelde: "1945 gingen wir fast nahtlos
von einer Diktatur in die andere über", wußte da Charlotte
zu berichten. "Aber, das muß man hier der Gerechtigkeit halber
sagen, die DDR war nicht so schlimm wie die Nazis. Was dort passierte, die
KZs und das alles, das war wirklich grauenhaft." Wohl merkend, daß
die DDR zu gut weggekommen ist, fügt sie schnell hinzu: "Aber heute
wissen wir ja, daß auch die DDR plante, für mißliebige Personen
Lager zu errichten." Wenn Charlotte das sagt, wird es wohl stimmen.
Charlottes Sicht der Dinge trifft sich mit den wohlfeilen Legendenbildungen
der Schwulenszene; sie ist das volkstümliche Pendant zu jenen Bewegten,
die heute eine systematische Verfolgung Homosexueller in der DDR wissenschaftlich
nachzuweisen suchen. Unmerklich rückt so einerseits die DDR in NS-Nähe
und wird andererseits der BRD, insbesondere jener Adenauers, späte Absolution
erteilt. So titulierte von Mahlsdorf/Berfelde bei Lesungen die DDR als "Gewaltherrschaft"
und "rotes KZ", während sie trotz der Weiterverfolgung Schwuler
nach dem von den Nazis verschärften §175/175a davon schwärmte,
daß hinsichtlich der Situation Homosexueller "sich in Westberlin
und Westdeutschland alles sehr schnell normalisierte" (die tageszeitung,
23.11.1992). Längst ist Charlottes tapferer Kampf gegen die Stasi zum
Allgemeingut geworden, und ihr Haß auf alles DDR Gewesene beflügelt
sie zu immer neuen Geistesblitzen. Besonders angetan hat es ihr der DDR-Kunsthandel,
der ihr die (in Fachkreisen wegen ihrer Bedeutungslosigkeit eher belächelte)
Historismus-Sammlung habe abspenstig machen wollen. "Die Firma nannte
sich 'Kunst und Antiquitäten GmbH, Internationale Gesellschaft für
den Export und Import von Kunstgegenständen' und gehörte zu den
zwölf Außenhandels-betrieben von Schalck-Golodkowskis Imperium
'Kommerzielle Koordinierung'. Importgesellschaft konnte sie sich mit Fug und
Recht nennen; der einzige Kunstgegenstand, den man in vierzig Jahren importiert
hat, war Lenins Taschenuhr." Damit jeder die Schwere des Verbrechens
zu schätzen weiß, verkündet sie: "Was in der DDR an Kunstraub
geschah, also das eigene Volk derartig auszuplündern, das stellte selbst
den größten Kunsträuber aller Zeiten namens Hermann Göring
in den Schatten. Und die Nazis hatten ja nur zwölf Jahre Zeit dazu."
Schalck beats Göring?
Überhaupt der Reichsmarschall und seine ehrenwerten Mannen: Gern erzählt
Charlotte, die SS habe sie 1945 unbewaffnet aufgriffen und als Deserteur erschießen
wollen, wovor sie ein Wehrmachtsoffizier "mit Gefühl und Bildung"
bewahrt habe. "Nach dem Kieg habe ich nach diesem Offizier gesucht, denn
eigentlich hat er mir ja das Leben gerettet. Ich habe ihn leider nicht gefunden,
aber ich hätte ihm gern die Hand gedrückt." Freilich fragt
Charlotte nicht, was der Offizier mit seinen "gütigen, müden
Augen und der kummerzerfurchten Miene" wohl die Jahre zuvor getrieben
hat. "Das war kein grobschlächtiger Mensch." Niemand konfrontierte
Lottchen bisher mit dem Umstand, dass ihrer frühen Leidenschaft fürs
Mobiliar der historische "Zufall" durchaus zupaß kam: Den
Grundstock ihrer Sammlung verdankt die Nicht-Jüdin Haushaltsauflösungen
bei deportierten Juden; Teile der Nachlässe konnte sie für einen
Spottpreis erwerben. Einer Lesben- und Schwulenszene, der in den letzten Dekade
von einer durch und durch mediokeren Führungsclique systematisch das
historische Bewußtsein, ja das politische Denken überhaupt ausgetrieben
wurde, käme nie in den Sinn, diese Tatsachen in Beziehung zu setzen zur
Verhöhnung jener Millionen in Lagern ermordeten jüdischen Nazi-Opfer,
die zwangsläufig in von Mahlsdorfs Ineinssetzung von NS und DDR liegt.
Aber es kommt noch kurioser mit dem Opfertum von Mahlsdorfs; die Szene entlarvt
sich in ihrer zweckdienlichen Verlogenheit. Mit dem Kapital, Opfer im "SED-Staat"
gewesen zu sein, wucherte sie genau bis zum 5. Juni 1997, an dem die Berliner
Zeitung auf dem Titel meldete, Charlotte sei von 1971 bis 1976 "IM Park"
des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen und habe sich am 17. November
1971 "auf Grundlage der politischen Überzeugung" als Inoffizieller
Mitarbeiter des MfS verpflichten lassen. Unter dem Decknamen "Park"
habe sie bis 1976 "auf freiwilliger Basis" Informationen zugeliefert.
Nebenbei ermittelte Alexander Osang, damals Starreporter der Berliner Zeitung
(Ausgabe 7./8. Juni 1997), daß die von ihr behauptete Rettung der Schlösser
Friedrichsfelde und Dahlwitz frei erfunden sind, daß der angeblich Verfolgten
ihr Gutshaus vom Staat pachtfrei überlassen wurde, sie nie Steuern zahlen
mußte, wenn sie, was sie gern und oft und zu stolzen Preisen tat, Sachen
aus ihrer Sammlung an staatliche Museen, den ihr so verhassten DDR-Kunsthandel
oder Touristen veräußerte. Doch sie kriegt ohne weiteres den Persilschein
für etwas, das Hunderttausenden ehemaligen DDR- und nun Bundesbürgern
Berufsverbot, Rentenverlust, Existenzangst und sozialen Abstieg eingebracht
hat und die nie und nimmer geltend machen könnten, ihre Informationen
seien doch unbrauchbar gewesen: "Die IM-Anwerber von der Stasi waren
seinerzeit Spezialisten im 'Überreden' zur Mitarbeit", kommentierte
die Nürnberger Schwulenpost in ihrer Ausgabe vom Juli/August 1997 das
Auftauchen der IM-Akte. "Die gute Charlotte befand sich vermutlich in
einer argen Zwick-mühle und ihr blieb deshalb gar nichts anderes übrig,
als mitzumachen." So einfach ist das.
Und auch sonst finden sich in Charlottes Büchern und Erzählungen
Ungereimtheiten und dummes Zeug zuhauf, aber wer wollte schon zur Kenntnis
nehmen, daß ihr geistiger Horizont faktisch an der Mauer ihres ehemaligen
Gutshofes bzw. seit ihrer Auswanderung vor drei Jahren am Waldrand von Porla
Brunn endet. An dieser Figurine wurde so lange herumgewienert, bis ihr die
Politur ins Oberstübchen stieg. Welchen Kämpfer fürs schwule
Bürgerrecht störte auch schon, daß sie in ihrem Märchenbuch
"Ich bin meine eigene Frau" Russen zu Idioten stempelt, die keine
Sicherung überbrücken können und sich angesichts eines Gummisaugers
zur Behebung einer Kloverstopfung in Hochachtung vor Charlottes hausfraulichen
Künsten überschlagen? Oder daß sie ihr museales Lebenswerk
zur Folge ihres "weiblichen" Gemüts deklariert? Charlotte genießt
Narrenfreiheit, denn sie ist alt und schwul: "Daß die Lesben und
Schwulen keine Kinder kriegen, das ist doch ganz natürlich. Die Natur
sucht sich ja auch aus, was sie gebrauchen kann, was sie sich vermehren läßt
und was nicht. Und wenn wirës mal so nehmen: Wenn die Lesben und Schwulen
nun auch noch Kinder kriegen würden, dann hätten wir heute noch
viel mehr Arbeitslose." Das hätte mal ein Dyba sagen sollen.
All dies müßte an sich Garantie dafür sein, von Mahlsdorf
hübsch dort zu belassen, wo sie ist: In ihrem Jahrhundertwende-Museum
in schwedischen Porla Brunn. Doch weit gefehlt! So kündigte eine Pressemitteilung
am 12. Juli 2000 für den 2. September nicht die Baron-von-Münchhausen-Festspiele,
sondern das "3. Lesbisch-schwule Parkfest" im Berliner Volkspark
Friedrichshain an. Schirmfrau: Charlotte von Mahlsdorf. Trotz detaillierten
Hintergrundinformationen wehrte Tom Schurig von der "Initiative Parkfest"
die mit einer Presseerklärung untermauerte Forderung des whk, sich eine
andere Schirmfrau zu suchen, sofort als "zu radikal" ab. Zwar wollte
man Anfang August noch einmal darüber diskutieren, ob man auf von Mahlsdorfs
Anwesenheit verzichten solle, aber der Effekt war gleich null. Die Queer-Zeitung
(9/2000) meldete, das whk sei die einzige Gruppierung gewesen, die protestiert
habe und verneigte sich einmal mehr vor der Doofheit "einer ganz besonderen
Dame", wenngleich einer "inzwischen etwas angetuttelten Frau".
Weitere Veranstalter und Medienpartner des Parkfests waren das Bezirksamt
Berlin-Friedrichshain/Bereich Gleichstellung, die Berliner Aids-Hilfe, die
Projektkneipe Filmriß, das Jugendnetzwerk Lambda Berlin sowie die Printmedien
Die Andere Welt, Siegessäule und tageszeitung. Sie alle sorgen dafür,
daß das Denkmal Charlotte von Mahlsdorf tabu bleiben wird, solange nützliche
Idioten Konjunktur haben.