Helm
ab zum Sex!
Zur Führungshilfe für Vorgesetzte der Bundeswehr zum Umgang mit
Sexualität
Dafür zu sorgen, daß eine Kultur der Zurückhaltung im
Hinblick auf sexuell orientiertes Verhalten im dienstlichen Bereich zur Normalität
wird, ist nicht wirklich der Zweck, den die Hardthöhe mit ihrer
sexuellen Führungshilfe verfolgt: Zu enge Sozialbeziehungen
entziehen noch immer jedem auf Gewalt gegründeten Apparat die Grundlage.
Folglich muß Sexualität verhindert werden, so sie nicht als sexualisierte
Gewalt dem Kriegsziel dient. Wie man es möglichst liberal verbrämt,
beschreibt Andreas Heilmann
Lange Zeit galt die Bundeswehr nicht nur als Schule der Nation
(Kurt Georg Kiesinger), sondern war unumstrittene Männerdomäne.
Im Umgang mit Frauen und homosexuellen Männern war die Marschrichtung
eindeutig vorgegeben: Frauen waren aus den bewaffneten Streitkräften
formal ausgeschlossen und Homosexuelle wurden bei Bekanntwerden ihrer sexuellen
Orientierung umgehend aus dem Dienst entlassen.
Wg. Personalmangel
In den 80er Jahren zwang der Personalmangel zu ersten zaghaften Kompromissen:
Frauen wurden als Soldatinnen und nicht nur als Zivilpersonal
für den Militärmusik- und Sanitätsdienst herangezogen. Weiterhin
galt jedoch der eherne Grundsatz: Sie dürfen auf keinen Fall Dienst
mit der Waffe leisten.(1) Jungen Männern verhalf das Vorschützen
der eigenen Homosexualität auch nicht mehr automatisch zur Wehruntauglichkeit.
Bei der Musterung war ein psychologisches Gutachten vorzulegen, das die Unfähigkeit
zur Eingliederung in die militärische Gemeinschaft nachwies.
So ein Gutachten war schwer zu bekommen, und auch nur um den Preis der eigenen
Pathologisierung. Waren Schwule in den Mannschaften als Fußvolk gerade
gut genug, blieben sie von Führungspositionen ausgeschlossen. Gehorchen
ja, befehlen nein! Homosexuelle Soldaten galten einerseits als erpressbar,
und waren damit ein potentielles Sicherheitsrisiko. Andererseits unterstellte
man ihnen in der Vorgesetzten-Rolle Autoritätsschwächen und sexuelle
Übergriffigkeit auf Untergebene. Der Schwule galt unter den Strategen
im militärischen Männerbund als weibisch, lüstern, kriminell
und feige.
Wg. Klagen
Unter dem Druck laufender Klagen vor Bundes- und europäischen Gerichten
zog Verteidigungsminister Scharping Anfang 2000 die Notbremse: Die Bundeswehr
öffnete die Kasernentore nun auch für Frauen und Homosexuelle
und zwar in allen Bereichen. Die Peinlichkeit eines gerichtlich erzwungenen
Offenbarungseides blieb dem Bund somit erspart. Einer offiziellen Stellungnahme
der Hardthöhe auf eine Anfrage des Bundesverfassungsgerichts zu den objektiven
Ausschlußgründen für schwule Offiziere kam Scharping mit einem
Vergleich zuvor: Der heikelste Querulant, der schwule Berufsoffizier Oberleutnant
Winfried Stecher, zog seine Klage zurück und durfte als Ausbilder in
seine Luftwaffeneinheit nach Upjever zurückkehren. Damit ist Homosexualität
heute kein offizieller Hinderungsgrund mehr, auf allen militärischen
Ebenen Karriere zu machen. Aber nicht nur dro-hen-de Urteile, sondern auch
der immer offensichtlicher werdende Mangel an qualifiziertem Nachwuchs zeigte
seine Wirkung. Denn moderne Kriegführung erfordert heute weniger den
waffenstarrenden Rambo (männlich) als high-tech-versierte IT-AnwenderInnen
(geschlechtslos). Mit der Zulassung von Frauen zu allen militärischen
Bereichen kann die Bundeswehr ihr BewerberInnen-Potential verdoppeln. So kamen
die juristischen Sachzwänge den Militärreformern um
Scharping gerade recht: Im Juli 2000 traten die ersten freiwilligen Soldatinnen
nach den neuen Regelungen ihren Dienst bei der Truppe an.
Mit
der Inklusion von Frauen und Homosexuellen sieht sich die Bundeswehr jedoch
mit einem alten Problem konfrontiert: Bekanntlich handelt es sich bei der
Armee um eine Organisation, die über strenge Hierarchien von Befehl und
Gehorsam funktioniert. Hierarchische Strukturen aber müssen durch soziale
Grenzziehungen hergestellt und institutionell abgesichert werden. In Organisationen
arbeiten aber Menschen mit allen ihren emotionalen und sexuellen Bedürfnissen.
Insbesondere Sexualität neigt dazu, soziale Grenzen zu überschreiten
und sich über Hierarchieebenen hinwegzusetzen. Persönliche
Beziehungen über Hierarchieebenen hinweg sind deshalb in der Regel immer
Auslöser vielfältiger Probleme. (2) Organisationen, die auf
ihre inneren Hierarchien besonders angewiesen sind, neigen daher dazu, Sexualität
möglichst draußen zu halten. In der Bundeswehr war
das mit dem Ausschluß von Frauen und Homosexualität bisher relativ
einfach. Der Bund funktionierte als heterosexualisierter Männerbund,
dessen Objekte der Begierde vor dem Kasernentor verblieben. Mit der neuen
(Geschlechter-) Lage wird Sexualität innerhalb und über die militärischen
Hierarchien hinweg wieder zum Problem. Folgerichtig erkannte der Dienstherr
hier akuten Regelungsbedarf im Vorgriff auf die zu erwartende Öffnung:
Um Verhaltensunsicherheiten auf der Ebene der Truppenführer
vorzubeugen, erließ der Generalinspekteur der Bundeswehr gemeinsam mit
dem Zentrum für innere Führung am 20. Dezember 2000 die Führungshilfe
für Vorgesetzte: Umgang mit Sexualität. Sie soll durch einen
Katalog von Fallbeispielen in der Wehrdisziplinarordnung ergänzt
werden und somit disziplinarrechtlichen Charakter bekommen.
Ansätze
emanzipativer Sexualpolitik sucht man hier aber vergeblich: Zwar wird der
Einfluß von Sexualität auch im dienstlichen Umfeld
(3) nunmehr ausdrücklich anerkannt. Nach wie vor wird sie aber auf eine
abgetrennte Privatsphäre verwiesen: Sexualität ist grundsätzlich
Privatangelegenheit. Hier zeichnet sich schon der folgende Tenor der
Verordnung ab: Überzogene Thematisierung sexueller Erfahrungen
und Partnerschaften, provozierendes Verhalten sowie das Ausleben
von Sexualität jeglicher Orientierung sind daher innerhalb der militärischen
Liegenschaft zu unterlassen. Auch außer Dienst und außerhalb dienstlicher
Unterkünfte und Anlagen hat sich der (sic!) Soldat so zu verhalten, daß
er das Ansehen der Bundeswehr nicht ernstlich beeinträchtigt.
Wg. Zusammenhalt
Neben dem Schutzvorwand vor sexueller Belästigung, von bestehenden Partnerschaften
und der individuellen Privatsphäre wird klar auf den eigentlichen Zweck
der Richtlinie verwiesen: Wahrung des Zusammenhalts und Unterbindung
hierarchieübergreifender Beziehungen und von Unregelmäßigkeiten/Störungen
im Dienstbetrieb. Was das real bedeutet, mußten bereits ein Unteroffizier
(männlich) und ein Mannschaftsdienstgrad (weiblich) erfahren, die wegen
einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs (nach Dienst) vom Truppendienstgericht
mit Gehaltskürzungen sanktioniert wurden (4) . Auch findet die Parteilichkeit
des Vorgesetzten für mehr Toleranz (Rudolf Scharping) ihre
Grenzen ganz klar dort, wo die Erziehung zur Toleranz im Einzelteil
wegen besonders tiefgehender Ablehnung (der Kameraden A.H.)
an ihre Grenzen stößt. Der Vorgesetzte ist hier aufgefordert,
die Situation im Sinne der Einsatzbereitschaft der Truppe zu lösen.
Wo die Mehrheit partout nicht tolerant sein will, ist im
Einzelfall vom Vorgesetzten auch keine Unterstützung zu erwarten.
Dreh- und Angelpunkt der Sexualpolitik der Bundeswehr bleibt auch mit der
neuen Führungshilfe, dafür zu sorgen, daß eine Kultur
der Zurückhaltung im Hinblick auf sexuell orientiertes Verhalten im dienstlichen
Bereich zur Normalität wird De-Sexualisierung der Organisation
durch die Hintertür. Dabei läßt die neue Führungshilfe
viele Fragen offen:
1.
Auch mit der neuen Führungshilfe hat sich am repressiven Umgangsstil
mit Sexualität in der Truppe im Prinzip nichts geändert. Sie repräsentiert
noch immer die klassischen Handlungsmaximen hierarchischer Organisationen,
die ergänzend zur bisherigen Geschlechtertrennung galten: Die Unterdrückung
von Sexualität durch Verbote und Strafen und durch umfassende Kontrolle
von Zeitabläufen, Räumen und Körpern auch außerhalb
des Dienstes. Die Verhaltensempfehlungen sind überwiegend restriktiv
gefaßt.
2.
Als normsetzendes Leitbild der Organisation bleibt der hegemoniale (weiße,
heterosexuelle, waffentragende) Mann nach wie vor unangetastet. Daran ändert
auch die Aufnahme von Frauen und Homosexuellen nichts. Die Liberalisierung
wird durch ein extremes Anpassungsgebot an das implizite Leitbild erkauft.
Wer sich nicht anpaßt, fliegt!
3.
Entsprechend haben sich die Homosexuellen zu integrieren: Eine homosexuelle
Orientierung wird toleriert, solange sie von den anderen Soldaten
nicht offen abgelehnt wird. Im Prinzip entspricht dies der in der US-Armee
geltenden Politik des Dont ask, dont tell. Die eingeforderte
Toleranz wird somit zur Scheintoleranz, die mit gleichberechtigter
Akzeptanz nichts mehr zu tun hat.
4.
Für den Umgang mit sexueller Diskriminierung im Sinne der Fürsorgepflicht
gegenüber unterstellten Soldaten kann die Führungshilfe allenfalls
als Minimallösung betrachtet werden. Der Schutz vor sexueller Belästigung
im Dienst ist zwar wichtig, dient aber offenbar als rationalisierendes Feigenblatt.
Verdrängung und Verhinderung sexuell bestimmten Verhaltens hat Priorität.
Aktive Fürsorgemaßnahmen etwa für homosexuelle SoldatInnen
im Co-ming Out geschweige denn ein Grundverständnis für die
entsprechende psycho-soziale Notlage sind für den Dienstherrn
nach wie vor kein Thema.
5.
Der Vorgesetzte soll den Einfluß sexuell bestimmten Verhaltens
zwar erläutern und verdeutlichen und sexuell
motivierte Spannungen sensibel wahrnehmen. Unklar bleibt,
wie er die dazu notwendigen sozialen Kompetenzen erhält. Sexuell bestimmtes
Verhalten ist ge-schlechtsbezogenes Verhalten. Einheitsführern mit fragwürdiger
Gender-Kompetenz wird per Befehl geschlechtersensibles Handeln verordnet,
ohne daß die eigene Rolle und die der Organisation reflektiert wird.
Die sexuelle Frage ist eingebettet in die Geschlechterfrage, die weitere Konfliktfelder
eröffnet. So werden nach wie vor aus-schließlich Män-ner zum
Wehrdienst zwangseinge-zogen. Wegen Ungleichbe-handlung haben junge Männer
gegen diese Regelung jetzt Klage erhoben. Gegenüber den männlichen
Wehrpflichtigen läßt sich in Konfrontation mit Berufs- und Zeitsoldatinnen
nicht mehr mit Konstrukten wie Wehrgerechtigkeit argumentieren.
Der Umgang mit Sexualität und Geschlechterdifferenz kann in einer geöffneten
Bundeswehr nicht per Befehl verordnet werden. Geschlechter- und sexualsensibles
Verhalten bedarf eines Minimums an Selbstreflexion und Gender-Kompetenz. Es
bleibt offen, wie die Vorgesetzten der Bundeswehr beides erwerben. Diese Führungshilfe
eröffnet keine neuen Perspektiven, sondern bleibt konventionellem Denken
männlich geprägter Strategieebenen verhaftet.
Fundstellen
1) Art 12a (4) GG v. 21.12.1983
2) Führungshilfe für Vorgesetzte: Umgang mit Sexualität §
3 (a) v. 20.12.00, BMVg GenInspBw Fü S I 4 Az 35-04-09
3) Zitate ff. aus: Führungshilfe für Vorgesetzte, o.a.
4) Truppendienstgericht Süd, Urteil v. 19.10.00 S 10 VL 5/00,
in: NZWehrr 5/2001