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Wir wollen eine Veränderung, die groß ist!


Mit einer bekanntesten Lesben Lateinamerikas, Maria Galindo von der Gruppe Mujeres Creando aus Bolivien, unterhielt sich Dirk Ruder

Mujeres Creando (“Schöpferische Frauen”) ist eine vor acht Jahren in Bolivien gegründete, autonome, pazifistische Vereinigung von Feministinnen, die sich als Antwort auf die weltweite Krise sozialer Bewegungen, “in ihrer Verschiedenheit organisiert” haben. Die Schöpferischen Frauen organisieren Straßenaktionen und betreiben in der Hauptstadt La Paz das erste und einzige Frauenzentrum des Landes, das auch Männern offensteht. Sie pflegen Lateinamerika-weite Verbindungen zu feministischen Frauen-, Lesben- und zu Schwulengruppen.
Maria Galindo ist “arbeitslos, verrückt, dick und schön” und eine der wenigen offenen Lesben Lateinamerikas. Die gelernte Psychotherapeutin ist Mitautorin mehrerer Sachbücher, einer feministischen Zeitschrift und – zusammen mit ihrer Freundin – des einzigen Aufklärungsbuchs für junge Mädchen. Die Diktatur zwang die Aktivistin einer marxistischen Gruppierung in den achtziger Jahren ins europäische Exil. Sie lebte illegal auch in Deutschland, das sie auf Einladung von amnesty international im letzten Jahr legal besuchte.

Maria, wie ist die politischen Situation in Bolivien?

Bolivien ist eine sogenannte Demokratie, die Rechte regiert mit Unterstützung der Linken – jener Linken, die von der jetzt regierenden Rechten gefoltert und unterdrückt wurde. Das ist Wahnsinn. Banzer regierte einst als Diktator und jetzt als demokratischer Regierungschef. Die Arbeitslosenquote liegt inoffiziell bei siebzig Prozent. Die Leute verdienen im Durchschnitt 50 Dollar pro Monat, soziale Sicherungssysteme gibt es nicht. Nach Erhöhung des Wasserpreises kam es in diesem Frühjahr zu landesweiten Protesten. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand und schränkte politische Betätigungsmöglichkeiten und die Reisefreiheit ein. Man denkt, es ist Krieg, aber es ist Neoliberalismus.

Mujeres Creando kritisiert die Trennung der verschiedenen sozialen Kämpfe ...

Unsere Antwort auf die Krise der sozialen Bewegungen war die Gründung von Mujeres Creando, den Schöpferischen Frauen. Wir wollen Organisationen, in denen wir – Lesben, Heteras, Indigenas, Junge, Alte – uns gegenseitig stützen und gemeinsame politische Ziele finden können. Wir sehen, daß es eine Strategie des Systems ist, unsere sozialen Kämpfe voneinander zu trennen. Jedes soziale Subjekt soll nur darüber sprechen, worüber es “darf”: Lesben und Schwule sollen etwa nur über Lesben- und Schwulenrechte sprechen. Aber diese Rechte sind sehr begrenzt: Heirat, Entkriminalisierung, Aids-Arbeit. Diese Haltung respektieren wir nicht, und das ist eine tolle Strategie, weil das System uns nicht versteht. Wir wollen eine Veränderung, die groß ist.

Damit seid Ihr Teil einer weltweiten radikalen Emanzipationsbewegung ...

Denselben Offensiven, Provokationen, die das System gegen Euch als Schwule und Lesben starten, sind auch wir unterworfen. Auch von uns wollte man, daß wir eine “Bewegung” sind, die unpolitisch agiert. Als Lesbe darf und will ich auch über die Wirtschaft sprechen. Es ist wichtig, daß ich mich als Lesbe frage: Bin ich eigentlich nur Lesbe? Was ist eine politische lesbische Identität? Ist es lediglich eine sexuelle, oder gehört zum lesbisch sein nicht auch, daß ich arbeitslos bin oder, daß meine Freundin Indigena ist? Diese uns vom System aufgezwungenen Identitäten sind nicht die unseren.

Du bezeichnetest lesbisch sein in Bolivien als ein “Drama aus Blut”. Was meinst Du damit?

Ich wurde verfolgt, ich war im Exil und niemand wollte mir helfen, weil ich Lesbe bin. Das ist nicht einfach, aber es ist kein Drama. Ein Drama für mich ist, daß Lesben nur etwas über lesbische Sachen und Schwule nur etwas über SM-Sex hören wollen. Ein Drama für mich ist, daß Ihr Westeuropäer von mir nur ein Drama, nur Elend erwartet, wenn ich über meine Situation spreche. Ich suche keine humanitäre Hilfe in Europa. Es geht uns gut. Wir haben Kraft, wir haben Ideen, wir haben politische Ziele – und wir haben eigene Worte. Wir brauchen Eure Worte nicht.

Reden wir über Eure politische Praxis ...

Es scheint, als sollten wir unsere ganze Energie in die Reform von Gesetzen stecken. Wir sind da sehr skeptisch. Wir haben nicht viel Energie. Die, die wir haben, stecken wir lieber in die Stärkung unserer Bewegung, als in den Dialog mit einem rassistischen, homophoben und korrupten Staat. Ich will keinen Dialog mit einem Staat, der mich braucht, um mich als pluralistisches Feigenblatt zu benutzen.

Wie hat das System auf Euch reagiert?

Bei unseren zahlreichen Straßenaktionen werden wir oft verhaftet. Natürlich versucht der Staat, uns auf alle erdenkliche Weise zu paralysieren. Parteien umwerben uns, mal offen, mal durch Angebote der “Kooperation”. Eine andere Strategie lautet: Diese Frauen sind ein politisches Problem. Eine weitere ist, uns in Arbeitslosigkeit zu halten, so daß wir kein Geld zum Leben und für unsere Aktionen haben. Natürlich könnte ich als versteckt lebende Lesbe einen gut bezahlten Job haben. Nur ist das, was mir der Staat hier anträgt, ein Gefängnis.

Euer politischer Ort ist die Straße ...

Die Straßen in Bolivien sind lebendige Orte. Da steht die Verkäuferin mit ihren Sachen – illegal. Da sind die Straßenkinder – auch illegal. Da bin ich – illegal – mit meiner feministischen Zeitschrift. Hier können wir uns in Verschiedenheit treffen. Mujeres Creando machen Performances, wir verkaufen unsere Zeitungen und malen Graffitis. Wir versuchen, dort nicht nur über Politik, sondern auch über den Alltag zu sprechen. Ich habe zum Beispiel Performances mit Coca-Blättern gemacht. Coca-Blätter sind illegal geworden. Aber nicht die Blätter werden verfolgt, sondern die Bäuerinnen, die sie anbauen.

Ihr wendet Euch gegen “Pornographie und SM-Kultur”. Könntest Du das erläutern?

Beides sind Offensiven des Systems zur Kommerzialisierung unserer Sexualität. SM-Sex ist Folter, und ich bin gegen Folter. Die gleichen Praktiken, die heute Teil der SM-Kultur sind, wurden in der Zeit der bolivianischen Diktatur gegen politische Gegner als Folter angewandt. Das ist in jedem Heft von amnesty international nachzulesen. Ich kann nicht in den eigenen vier Wänden SM praktizieren und dann auf die Straße gehen und gegen Folter sein, das geht nicht. Als Feministin weiß ich, daß Frauen, die vergewaltigt wurden, später Schwierigkeiten haben, beim “normalen” Sex zum Orgasmus zu kommen. So wird aus der tatsächlichen eine strukturelle Vergewaltigung.

Mit Deiner Freundin hast Du ein Aufklärungsbuch für junge Mädchen geschrieben...

Zuerst verkauften wir das Buch für wenig Geld direkt auf der Straße an die Mädchen. Die Polizei war immer hinter uns her, aber wir haben einfach weiter gemacht. Dann kam es in die Büchereien und schließlich in die Öffentlichkeit. Viele bolivianischen Schulen und Institutionen, aber auch UNICEF und UNESCO, wollten mit unserem Buch nichts zu tun haben. Den Druck der 10.000 Exemplare haben wir mit geliehenem Geld finanziert.

Euer Verhältnis zu internationalen Menschenrechtsgruppen wie ILGA, IGLHRC und amnesty international ist nicht ganz unproblematisch ...

ILGA und IGLHRC als sind sehr von der US-Mentalität kontrolliert und geprägt. Die ILGA ist eine absolut integrationistische Homo-Organisation, die oftmals – nicht immer – für die Lesben und Schwulen Lateinamerikas spricht. Diese Vertretungsmechanismen lassen alle draußen, die anders denken. Bei einer solchen “Zusammenarbeit” haben wir keinerlei Garantien. Der ILGA fällt morgen ein, eine rechte Politik zu machen, oder zur Politik des US-Präsidenten Clinton zu schweigen. Und da soll ich zustimmen? Ich werde ja nicht einmal gefragt. Gleichzeitung benutzen sie meine Mitgliedschaft, um Politik zu machen, weil sie in der UNO vertreten sind. Auch bei IGLHRC gab und gibt es eine straffe hierarchische Struktur, in der sie oben und lateinamerikanische Gruppen unten sind. Dann kam das Buch “Breaking the Silence”. Die US-Autoren hatten uns um eine Selbstdarstellung gebeten. Wir sagten: Das machen wir gerne, aber wir antworten nicht auf Eure Fragen, sondern auf unsere. Wir wollten uns nicht nur einfach vorstellen, sondern unsere politischen Ideen und Forderungen transportieren. Deswegen beendeten sie den Briefwechsel mit uns einfach. Das Buch erschien – und Bolivien kam, weil wir die einzige Gruppe sind, als einziges Land darin nicht vor.1 Solcher “Menschenrechtspolitik” stimmen wir nicht zu. Das ist Gewalt gegen uns als Lesben, weil wir so viel gekämpft haben, um international sichtbar zu werden.

Wie sinnvoll erscheint Dir eine homo-spezifische amnesty-Gruppe?

Dazu muß ich etwas ausholen. Einmal wurden wir in Bolivien zu einem Fest eingeladen, auf dem 15 Männer, die meisten aus Frankreich, zwei Stunden lang gegen drei von uns Gewalt ausgeübt haben, bis hin zur Bewußtlosigkeit. Wir strengten einen Prozeß an. Der französische Botschafter sagte: Die Männer sind ehrenamtlich als Ausbilder tätig, aber die Frauen sind Lesben und haben zuviel Ärger – man sollte doch den guten Männern glauben. Die Botschaft übte auch Druck auf die Medien aus, nichts über den Fall zu berichten. Nach zwei, drei Monaten stellte sich heraus, daß der Prozeß nicht stattfinden konnte, weil den Männern eine Ausreise aus Bolivien ermöglicht worden war. Wir wandten uns an amnesty und baten um Hilfe. Die Antwort war: Tut uns leid, Eure Sache hat nichts mit staatlicher Verfolgung und nichts mit amnesty zu tun. Ich verlange von ai nicht, daß sie unsere politische Arbeit zu machen. Ich verlange nur, nicht benutzt zu werden. Ich verlange Respekt, auch wenn sie mit mir nicht politisch übereinstimmen. Ich habe die Hoffnung, daß die Zusammenarbeit mit ai so laufen könnte. Daher glaube ich, spezifische Organisationen sind ein Gewinn, solange sie nicht unsere Selbstaufgabe und Integration in das System verlangen. Niemand soll für uns oder in unserem Namen sprechen. Wir wollen wahrgenommen werden.


Die deutsche Ausgabe “Das Schweigen brechen”, von amnesty international im Querverlag herausgebracht, enthält – neben anderen Abweichungen – ein Interview mit und einen Text von Maria Galindo – D.R.

Kontakt Mujeres Creando: creando@ceibo.entelnet.bo