Mit
einer bekanntesten Lesben Lateinamerikas, Maria Galindo von der Gruppe Mujeres
Creando aus Bolivien, unterhielt sich Dirk Ruder
Maria,
wie ist die politischen Situation in Bolivien?
Bolivien
ist eine sogenannte Demokratie, die Rechte regiert mit Unterstützung
der Linken jener Linken, die von der jetzt regierenden Rechten gefoltert
und unterdrückt wurde. Das ist Wahnsinn. Banzer regierte einst als Diktator
und jetzt als demokratischer Regierungschef. Die Arbeitslosenquote liegt inoffiziell
bei siebzig Prozent. Die Leute verdienen im Durchschnitt 50 Dollar pro Monat,
soziale Sicherungssysteme gibt es nicht. Nach Erhöhung des Wasserpreises
kam es in diesem Frühjahr zu landesweiten Protesten. Die Regierung verhängte
den Ausnahmezustand und schränkte politische Betätigungsmöglichkeiten
und die Reisefreiheit ein. Man denkt, es ist Krieg, aber es ist Neoliberalismus.
Mujeres
Creando kritisiert die Trennung der verschiedenen sozialen Kämpfe ...
Unsere
Antwort auf die Krise der sozialen Bewegungen war die Gründung von Mujeres
Creando, den Schöpferischen Frauen. Wir wollen Organisationen, in denen
wir Lesben, Heteras, Indigenas, Junge, Alte uns gegenseitig
stützen und gemeinsame politische Ziele finden können. Wir sehen,
daß es eine Strategie des Systems ist, unsere sozialen Kämpfe voneinander
zu trennen. Jedes soziale Subjekt soll nur darüber sprechen, worüber
es darf: Lesben und Schwule sollen etwa nur über Lesben-
und Schwulenrechte sprechen. Aber diese Rechte sind sehr begrenzt: Heirat,
Entkriminalisierung, Aids-Arbeit. Diese Haltung respektieren wir nicht, und
das ist eine tolle Strategie, weil das System uns nicht versteht. Wir wollen
eine Veränderung, die groß ist.
Damit
seid Ihr Teil einer weltweiten radikalen Emanzipationsbewegung ...
Denselben
Offensiven, Provokationen, die das System gegen Euch als Schwule und Lesben
starten, sind auch wir unterworfen. Auch von uns wollte man, daß wir
eine Bewegung sind, die unpolitisch agiert. Als Lesbe darf und
will ich auch über die Wirtschaft sprechen. Es ist wichtig, daß
ich mich als Lesbe frage: Bin ich eigentlich nur Lesbe? Was ist eine politische
lesbische Identität? Ist es lediglich eine sexuelle, oder gehört
zum lesbisch sein nicht auch, daß ich arbeitslos bin oder, daß
meine Freundin Indigena ist? Diese uns vom System aufgezwungenen Identitäten
sind nicht die unseren.
Du
bezeichnetest lesbisch sein in Bolivien als ein Drama aus Blut.
Was meinst Du damit?
Ich
wurde verfolgt, ich war im Exil und niemand wollte mir helfen, weil ich Lesbe
bin. Das ist nicht einfach, aber es ist kein Drama. Ein Drama für mich
ist, daß Lesben nur etwas über lesbische Sachen und Schwule nur
etwas über SM-Sex hören wollen. Ein Drama für mich ist, daß
Ihr Westeuropäer von mir nur ein Drama, nur Elend erwartet, wenn ich
über meine Situation spreche. Ich suche keine humanitäre Hilfe in
Europa. Es geht uns gut. Wir haben Kraft, wir haben Ideen, wir haben politische
Ziele und wir haben eigene Worte. Wir brauchen Eure Worte nicht.
Reden
wir über Eure politische Praxis ...
Es
scheint, als sollten wir unsere ganze Energie in die Reform von Gesetzen stecken.
Wir sind da sehr skeptisch. Wir haben nicht viel Energie. Die, die wir haben,
stecken wir lieber in die Stärkung unserer Bewegung, als in den Dialog
mit einem rassistischen, homophoben und korrupten Staat. Ich will keinen Dialog
mit einem Staat, der mich braucht, um mich als pluralistisches Feigenblatt
zu benutzen.
Wie
hat das System auf Euch reagiert?
Bei
unseren zahlreichen Straßenaktionen werden wir oft verhaftet. Natürlich
versucht der Staat, uns auf alle erdenkliche Weise zu paralysieren. Parteien
umwerben uns, mal offen, mal durch Angebote der Kooperation. Eine
andere Strategie lautet: Diese Frauen sind ein politisches Problem. Eine weitere
ist, uns in Arbeitslosigkeit zu halten, so daß wir kein Geld zum Leben
und für unsere Aktionen haben. Natürlich könnte ich als versteckt
lebende Lesbe einen gut bezahlten Job haben. Nur ist das, was mir der Staat
hier anträgt, ein Gefängnis.
Euer
politischer Ort ist die Straße ...
Die
Straßen in Bolivien sind lebendige Orte. Da steht die Verkäuferin
mit ihren Sachen illegal. Da sind die Straßenkinder auch
illegal. Da bin ich illegal mit meiner feministischen Zeitschrift.
Hier können wir uns in Verschiedenheit treffen. Mujeres Creando machen
Performances, wir verkaufen unsere Zeitungen und malen Graffitis. Wir versuchen,
dort nicht nur über Politik, sondern auch über den Alltag zu sprechen.
Ich habe zum Beispiel Performances mit Coca-Blättern gemacht. Coca-Blätter
sind illegal geworden. Aber nicht die Blätter werden verfolgt, sondern
die Bäuerinnen, die sie anbauen.
Ihr
wendet Euch gegen Pornographie und SM-Kultur. Könntest Du
das erläutern?
Beides
sind Offensiven des Systems zur Kommerzialisierung unserer Sexualität.
SM-Sex ist Folter, und ich bin gegen Folter. Die gleichen Praktiken, die heute
Teil der SM-Kultur sind, wurden in der Zeit der bolivianischen Diktatur gegen
politische Gegner als Folter angewandt. Das ist in jedem Heft von amnesty
international nachzulesen. Ich kann nicht in den eigenen vier Wänden
SM praktizieren und dann auf die Straße gehen und gegen Folter sein,
das geht nicht. Als Feministin weiß ich, daß Frauen, die vergewaltigt
wurden, später Schwierigkeiten haben, beim normalen Sex zum
Orgasmus zu kommen. So wird aus der tatsächlichen eine strukturelle Vergewaltigung.
Mit
Deiner Freundin hast Du ein Aufklärungsbuch für junge Mädchen
geschrieben...
Zuerst
verkauften wir das Buch für wenig Geld direkt auf der Straße an
die Mädchen. Die Polizei war immer hinter uns her, aber wir haben einfach
weiter gemacht. Dann kam es in die Büchereien und schließlich in
die Öffentlichkeit. Viele bolivianischen Schulen und Institutionen, aber
auch UNICEF und UNESCO, wollten mit unserem Buch nichts zu tun haben. Den
Druck der 10.000 Exemplare haben wir mit geliehenem Geld finanziert.
Euer
Verhältnis zu internationalen Menschenrechtsgruppen wie ILGA, IGLHRC
und amnesty international ist nicht ganz unproblematisch ...
ILGA
und IGLHRC als sind sehr von der US-Mentalität kontrolliert und geprägt.
Die ILGA ist eine absolut integrationistische Homo-Organisation, die oftmals
nicht immer für die Lesben und Schwulen Lateinamerikas
spricht. Diese Vertretungsmechanismen lassen alle draußen, die anders
denken. Bei einer solchen Zusammenarbeit haben wir keinerlei Garantien.
Der ILGA fällt morgen ein, eine rechte Politik zu machen, oder zur Politik
des US-Präsidenten Clinton zu schweigen. Und da soll ich zustimmen? Ich
werde ja nicht einmal gefragt. Gleichzeitung benutzen sie meine Mitgliedschaft,
um Politik zu machen, weil sie in der UNO vertreten sind. Auch bei IGLHRC
gab und gibt es eine straffe hierarchische Struktur, in der sie oben und lateinamerikanische
Gruppen unten sind. Dann kam das Buch Breaking the Silence. Die
US-Autoren hatten uns um eine Selbstdarstellung gebeten. Wir sagten: Das machen
wir gerne, aber wir antworten nicht auf Eure Fragen, sondern auf unsere. Wir
wollten uns nicht nur einfach vorstellen, sondern unsere politischen Ideen
und Forderungen transportieren. Deswegen beendeten sie den Briefwechsel mit
uns einfach. Das Buch erschien und Bolivien kam, weil wir die einzige
Gruppe sind, als einziges Land darin nicht vor.1 Solcher Menschenrechtspolitik
stimmen wir nicht zu. Das ist Gewalt gegen uns als Lesben, weil wir so viel
gekämpft haben, um international sichtbar zu werden.
Wie
sinnvoll erscheint Dir eine homo-spezifische amnesty-Gruppe?
Dazu
muß ich etwas ausholen. Einmal wurden wir in Bolivien zu einem Fest
eingeladen, auf dem 15 Männer, die meisten aus Frankreich, zwei Stunden
lang gegen drei von uns Gewalt ausgeübt haben, bis hin zur Bewußtlosigkeit.
Wir strengten einen Prozeß an. Der französische Botschafter sagte:
Die Männer sind ehrenamtlich als Ausbilder tätig, aber die Frauen
sind Lesben und haben zuviel Ärger man sollte doch den guten Männern
glauben. Die Botschaft übte auch Druck auf die Medien aus, nichts über
den Fall zu berichten. Nach zwei, drei Monaten stellte sich heraus, daß
der Prozeß nicht stattfinden konnte, weil den Männern eine Ausreise
aus Bolivien ermöglicht worden war. Wir wandten uns an amnesty und baten
um Hilfe. Die Antwort war: Tut uns leid, Eure Sache hat nichts mit staatlicher
Verfolgung und nichts mit amnesty zu tun. Ich verlange von ai nicht, daß
sie unsere politische Arbeit zu machen. Ich verlange nur, nicht benutzt zu
werden. Ich verlange Respekt, auch wenn sie mit mir nicht politisch übereinstimmen.
Ich habe die Hoffnung, daß die Zusammenarbeit mit ai so laufen könnte.
Daher glaube ich, spezifische Organisationen sind ein Gewinn, solange sie
nicht unsere Selbstaufgabe und Integration in das System verlangen. Niemand
soll für uns oder in unserem Namen sprechen. Wir wollen wahrgenommen
werden.
Die deutsche Ausgabe Das Schweigen brechen, von amnesty international
im Querverlag herausgebracht, enthält neben anderen Abweichungen
ein Interview mit und einen Text von Maria Galindo D.R.
Kontakt Mujeres Creando: creando@ceibo.entelnet.bo