Erzieherische
Hilfen
Was muß passieren,
damit ein Kindergarten für Wochen geschlossen wird, alle Mitarbeiterinnen
zwangsversetzt und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt? Viel weniger
als man denkt, wie ein Vorfall im Rheinland beweist. Flöhe? Prügelnde
Erzieherinnen, Drill, Folter? Sexueller Mißbrauch? Nichts dergleichen,
aber schon nahe dran. Keine Provinzposse ist das, was sich im
November im Duisburger Norden zutrug, sondern eine lebenswirkliche Illustration
neurotischer Ängste von Eltern vorm möglicherweise!
sexuell interessierten Kind.
Wir wollen ganz
neu anfangen titelte die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) am 28. November
mit den Worten des zuständigen Duisburger Jugendamtsleiters Thomas Krützberg
und rückte ein vierspaltiges Farbfoto von der durch die Behörden
dichtgemachten Stätte des Horrors dazu. Die konservative Rheinische
Post (RP) setzte am gleichen Tag mit einschlägigen Schlüsselbegriffen
lieber auf Schockeffekte: Nackt-Spielgruppe: Staatsanwalt ermittelt.
Damit hatte es die Angelegenheit endgültig von den schnarchigen Lokalteilen
auf die überregionalen Seiten der Blätter an Rhein und Ruhr gebracht.
Da ein größeres
Publikum vom Skandalgar nichts mitgekommen hatten, mußte die RP zunächst
rekapitulieren, was bisher geschah: Nach dem Wirbel um die Duisburger
Kindertagesstätte Josefstraße zwischen fünf und zehn
Kinder hatten dort monatelang nackt gespielt, zudem soll es zu sexuellem Kontakt
zwischen einem Jungen und Mädchen gekommen sein hat das Jugendamt
der Stadt jetzt durchgegriffen. Der Kindergarten wird (...) für einen
Monat geschlossen, das Personal dauerhaft in andere Einrichtungen nicht
strafversetzt, sondern: verteilt. Bis zum 5. Januar 2009 soll
dem Blatt zufolge ein neues Team zusammengestellt werden. Zudem ermittelt
die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorge-
und Erziehungspflicht.
Da laut Krützberg
mit dem Personal keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich
sei, war die Leiterin der Kindertagesstätte zuvor schon beurlaubt worden.
Die Verletzung der zwölf Erzieher (gemeint sind offenbar vor allem
Erzieherinnen Gigi) erfolgt nun auf deren eigenen
Wunsch, so das Blatt. Eltern und Elternbeirat seien sich einig gewesen,
daß nicht alle von Anfang an über die Vorgänge informiert
gewesen seien. Krützberg hoffe, daß durch den radikalen Schnitt
das Vertrauen der Eltern zurückgewonnen werden könne.
Die Frage, ob den
Kindern durch die Auswechselung des kompletten Teams vertraute Bezugspersonen
verloren gehen, stellt sich für den Amtsleiter nicht, so immerhin
die RP. Worauf Krützberg erwiderte: Kindern fällt so etwas
viel leichter, als Eltern glauben. Und siehe da: Die Entwicklung
kindlicher Sexualität ist in jedem Kindergarten jeden Tag ein ganz normales
Thema. Nacktheit in Duisburg wohl aber noch lange nicht. Kinder müßten
die Möglichkeit haben, ihre Körper kennen zu lernen, so Krützberg,
allerdings nicht in separaten Zimmern und nicht ohne Wissen und Zustimmung
der Eltern.
In der Angelegenheit ein
bißchen besser informiert zeigte sich die SPD-nahe NRZ. Sie begann den
Bericht allerdings auch ein bißchen fremdenfeindlicher. Es war
ein türkischstämmiger Vater, der den Stein ins Rollen brachte. Er
zeigte sich öffentlich empört, daß im städtischen Kindergarten
(...) im Stadtteil Walsum-Vierlinden, eine Gruppe Jungen und Mädchen
splitternackt miteinander spielen und toben konnte. Aber auch die meisten
anderen Eltern zeigten sich entsetzt, daß die Kindergartengruppe eine
Nackt-Gruppe eingerichtet hatte ohne sie darüber zu
informieren. Die nicht uninteressante Frage, auf wessen Initiative die
Gruppe entstand, beantwortete das Blatt auch. Offenbar hatten einige
wenige (perverse?! Gigi) Kinder den Wunsch geäußert,
unbekleidet miteinander zu spielen worauf eigens ein Nackt-Raum eingerichtet
wurde. Bald gabs Gerüchte. Es wurde gemunkelt, was
so alles hinter der verschlossenen Tür passiere. Und es dauerte nicht
lange, bis die Stimmung zwischen den Betreuern und Eltern eskalierte. Zuletzt
kamen 70 von 120 Kinder nicht mehr in den Hort. Also doch Flöhe.
Schon einen Tag nach Erscheinen
des Berichts konnte die NRZ in ihrer Rubrik Leser schreiben Klartext
drucken, was die braven Redakteure offenbar nicht mal zu denken gewagt hatten.
Eltern, die ihre eigenen sexualneurotischen Zwangsvorstellungen an ihre
Kinder weitergeben, indem sie ihnen Angst und Abscheu vor ihrem eigenen Körper
beibringen, gefährdeten fachlich und rechtlich gesprochen
das Kindswohl in ähnlicher Weise, wie Erwachsene, die finden, daß
Kinder den Mund zu halten und Prügel einem Kind noch nie geschadet haben,
schrieb ein Leser. Die Erzieherinnen waren so mutig, den von ihnen geforderten
beruflichen Standard auch in einem schwierigen und konfliktreichen Kontext
ernst zu nehmen und nach angemessenen Entfaltungsmöglichkeiten für
die Kinder zu suchen. Solche Erzieherinnen hätten das Recht auf vorbehaltlose
Unterstützung durch die Verwaltung gehabt. Vom Jugendamt wäre
zu erwarten gewesen, daß es auch in einer Situation sachlich haltloser
Aufgeregtheit weder zu Kreuze noch zu Halbmond kriecht. Das Verhalten
des Jugendamtsleiters beruhe auf behördlicher Feigheit. Ein
Elternpaar schrieb: Wir haben selber zwei Jungen im Alter von zwei und
vier Jahren. Beide haben in ihrer Entwicklung Phasen, in denen sie Nacktsein
als elementares Bedürfnis artikulieren. Warum soll dieser Wunsch nicht
in der ersten staatlichen Erziehungsinstanz verwirklicht werden? (...) Einen
anstößigen oder gar pädophilen Gedanken einem Kindergarten
zuzuschreiben, halten wir für verfehlt.
Und das geschaßte Kindergartenpersonal? Ist, wie es Amtsleiter Krützberg mitfühlend formulierte, am Boden zerstört.