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Merci Jury!


Irgendwas muß in diesem Sommer passiert sein. Der Berliner CSD verpaßte sich den Slogan „Hass du was dagegen?“, und das klang nicht freundlich, sondern drohend. Werbeinserate zeigten zwei küssende Homopaare: Von links ragt eine Hand mit Pistole ins Bild, den Finger am Abzug. Man wunderte sich. Wann wurden zuletzt in Berlin turtelnde Lesben- und Schwulenpaare auf offener Straße abgeknallt? Dann lag bundesweit das CSD Magazin aus, dessen Cover in fetten Lettern verkündete: „Sie hassen uns!“ Es gab also eine Verabredung: Gewalt gegen Homosexuelle sollte diesmal die „politische“ Begründung für den CSD-Karneval im Land abgeben, denn „mörderische Regime, fanatische Religionsführer, millionenschwere Rapper, desillusionierte Jugendgangs, ultrakonservative Politiker, gewaltbereite Neonazis“ sind hinter uns her. Abgesehen von braven Hausfrauen, Rentnern und Kleinkindern demnach eigentlich alle. Meint jedenfalls das CSD Magazin als „offizielles Magazin zum Christopher Street-Day in Augsburg, Berlin, Braunschweig, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Kassel, Kiel, Leipzig, Lübeck, Mainz, München, Oldenburg, Rostock, Saarbrücken, Schwerin, Siegen, Stuttgart, Trier, Wien, Würzburg und Zürich“.

Auf dem Cover legt ein böse dreinblickender Henkersbursch einem androgynen Schönling einen Strick um den Hals. Beide tragen schlichte Kutten, was vermutlich Ostdeutschland, Osteuropa und/oder Mittelalter symbolisieren soll. Die Szene wirkt nicht eben überzeugend, eher schon wie billiger Porno: Gleich fallen Strick und Kutten und dann geht’s los mit Oh und Ah.

Aber das Magazin meint es ernst. Zweimal noch wird das Motiv im Innenteil wiederholt. „Hier nur für den Fotografen gestellt“, verrät die Bildunterschrift, damit niemand auf die Idee kommt, die Inszenierung zeige eine Samstagsszene vom Gemüsemarkt in Neukölln. Weitere Abbildungen: Ein verdroschener Mann und eine korrekt frisierte Lesbe am Christuskreuz. Für die Titelzeile „Haß schmerzt unter der Haut“ guckt die Gekreuzigte allerdings etwas zu nachdenklich. Nicht fehlen darf die Erschießung einer Transe durch einen Rapper – das kommt schließlich alle Tage vor in Frankfurt, Hamburg oder München. Wollte nicht Bushido „in einem Song“ Tunten vergasen? „Mit Gewaltaufruf Kohle raffen – auch die von Lesben und Schwulen“, das ist schlimm und verdient ab sofort eine entsprechende Antwort nicht nur des CSD Magazins.

Einen Schritt weiter in Sachen Opferhilfe ist Jan Feddersen. Der taz-Redakteur, Akteur bei der Initiative Queer Nations und – „Hass du was dagegen?“ – beim Berliner CSD ist so eine Art Chefkommentator des CSD Magazins. Ein aus voller Überzeugung ängstlicher Mensch, der wechselnde Phobien pflegt. Sechs Druckseiten ergibt das in diesem Jahr und klingt so: „Haß auf Homosexuelle wirkt sich böse aus (...) Alle Gedemütigten kennen sie: Phantasien von Revanche und Wiedergutmachung für Erlittenes.“ Feddersen hat da eine Idee: „Warum bloß keine Vergeltung?“ – Ja, warum bloß? Weil ein Event, das Toleranz von ganzen Bevölkerungsgruppen einfordert, sich eventuell nicht gleichzeitig in öffentlichen Rachephantasien ergehen sollte? Feddersen, dessen gesellschaftspolitische wie publizistische Limits Bücher über ein Schlagerfestival markieren, ist diesbezüglich völlig schmerzfrei. „Man sollte sich einmal andere Minderheiten abschauen, wie die mit Kränkungen umgehen. Jedenfalls nicht so kuschelig wie wir“, nähert er sich kuschelig den Kreuzberger Problemkiezen. „Man stelle sich vor, ein Deutschtürke wird in seinem Viertel als Türkensau beleidigt. Der die Schmäh ausbringt, muß mit ordentlich Kloppe rechnen. Und das mit Recht! Jede grobe Beleidigung verdient tüchtige Antworten, am besten körperliche.“ Haß zu empfinden sei „eine Haltung (!), die wir uns abgewöhnt haben,“ bedauert Feddersen, „weil wir anders als hiesige Minderheiten wie die Deutschtürken oder Juden uns unserer nicht sicher sind“.

Und wieder werden die Juden benutzt. Diesmal aber nicht allein, um gleichsetzend den Opferstatus Homosexueller zu definieren, sondern auf Basis einer infamen Relativierung des Holocausts auch zur moralischen Legitimation zukünftiger „schwuler“ Gewalttaten: „Nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland (? – Gigi) war ein Trupp versprengter Juden unterwegs. Sie waren am Holocaust fast irre geworden und bleiben es. Sie hatten ihre Familien in den Gaskammern verloren (...) und sie litten sehr unter dem Schuldgefühl, überlebt zu haben. Einige von ihnen heckten den Plan aus, in Deutschland einige zentrale Trinkwasserbrunnen zu vergiften. Aus diesem Plan wurde Gott sei Dank nie etwas (...), aber was hätte moralisch gegen ihre Aktion gesprochen?“ Im „historisch verbürgten Bild“ vom irren Juden erkennt Feddersen „unsere Vorfahren“ wieder, „all die schwulen Männer, die hofften, daß sie nicht entdeckt werden (...), daß man sie nicht denunziert, nicht auf Klappen erwischt, nicht in den Parks, nicht irgendeiner plötzlich der Gestapo verrät, was meist einem Todesurteil gleich kam.“ Fazit: „Einem Menschen, der Homophobes von sich gibt, mit selbstbewußter Haltung (...) begegnen, auch mit Androhung sehr physischer Art“, denn „was wir möglicherweise brauchen, ist eine Art milizionäres Bewußtsein: den Homophoben kein Bild willigen Opfers mehr abgeben. Sonst setzt es Schläge!“ Faustschläge für einen dummen Spruch – ist das nicht ein bißchen too much beim Festival der homosexuellen Liebe? Nicht für den langjährigen Sozialdemokraten aus der Rudi-Dutschke-Straße. „Das Argument, einer zivilisierten Gesellschaft sei es nicht angemessen, zu den Mitteln der Vergeltung zu greifen, greift zu kurz. Sich zu wehren heißt, gesund zu bleiben.“ – Wirklich tragisch, daß verfolgte Homos beziehungsweise Juden sich damals so ungesund verhielten. Wo doch Schläge für die Gestapo gereicht hätten, den Führer das Fürchten zu lehren.