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Wegbomben


Verschaffen sich links-konservative Sexualmoral und sexualpolitische Ahnungslosigkeit lautstark Gehör, könnte unter Umständen ein alternativer CSD dabei herauskommen wie in Köln am 7. Juli. Organisiert vom Bündnis „queergestellt“, nennt sich das dann „CSD selber machen“ und lautet das hochpolitische Motto „So sind wir – so bleiben wir“.

Deutschrock stimmt auf die Demo ein. Ein Song beklagt „Kindersex im Internet“. Der Dumpftext macht stutzig. „Queergestellt“ habe, so liest man im Interview des auf dem Neumarkt kursierenden „Genderterror“-Fanzines, „eine eigene, politische Demonstration als Form“ gewählt, um „nicht im Megaspektakel des offiziellen CSD einfach unterzugehen“, zumal man „3000 Euronen für die Teilnahme mit einem Wagen als absolut skandalös“ empfinde und nicht „als politisches Feigenblatt vom KLUST vereinnahmt und mißbraucht werden“ wollte. Auch „wollen wir uns auf gar keinen Fall hinter ein Motto stellen, das wir in seiner Formulierung“ – „homo europaeicus: geht aufrecht!“ – „doof und in seiner graphischen Ausführung rassistisch und unterträglich finden. Wir wollen nicht Polen als Affen darstellen“ wie im CSD-Programmheft des Kölner Lesben- und Schwulentages (KLUST e.V.).

Ehrenwerte Motive also – bis man liest, „queergestellt“ habe „die letztjährige Teilnahme eines vom Bordellbetreiber des Pascha (größtes Bordell Kölns) gesponserten Huren- und Transen-Wagens und die diesjährige unsägliche Diskussion um die erneute Teilnahme dieses Wagens mit dazu veranlaßt, etwas dagegen setzen zu wollen“. Noch hofft man, sich verlesen zu haben, da dröhnt es im O-Ton vom Führungswagen: Zwar gibt der adrett links in rotes T-Shirt, schwarze Jeans und rotgeschnürte Springerstiefel gewandete Glatzkopf zu, er habe an der „unsäglichen Diskussion“ nicht teilgenommen, er weiß aber genau, daß Prostitution Zwang, Ausbeutung und Gewalt, konkret: „nichts anderes als Vergewaltigung ist“ und es sich beim CSD-Wagensponsoring um Geld handelt, das der „Pascha“-Betreiber zuvor den Prostituierten „entrissen“ habe. So steht es auch im Flugblatt des Veranstalters. Nicht aber, daß das „Pascha“ (siehe Foto) Callboys und Huren lediglich gegen eine nicht nur im Kapitalismus übliche Miete Arbeitsräume und per Concierge-System ein Minimum an Schutz vor Gewalt bietet. Es verschweigt auch, worin der Unterschied besteht, seinen Körper bei Ford am Fließband, in prekären ALDI-, Lidl- oder Schlecker-Arbeitsverhältnissen, einem Ein-Euro-Job oder bei einer Leiharbeitsfirma ausbeuten zu lassen – oder aber in einem privaten Raum sozialversichert erotische Dienste zu leisten. „Gegen die Beteiligung des Pascha am CSD zu sein bedeutet, sich mit den Prostituierten zu solidarisieren“, wird zynisch verkündet, als hätte „queergestellt“ nicht gerade einen Akt der Bevormundung und Entsolidarisierung an ihnen begangen, indem es ihre Teilnahme am CSD verhinderte – der KLUST war letztlich eingeknickt. Zu all dem flattern im Sommerwind munter Regenbogenfahnen von „queergestellt“ und überdimensional die der sozialdemokratischen Jugendtruppe „Die Falken“. Unter dem „queeren“ Kommerzsymbol schlechthin gegen den Kapitalismus zu demonstrieren – das ist schon eine verdammt queergestellte Dialektik.

Indes taucht in keiner Rede auf, was sexualpolitisch die vergangenen sechs, sieben Jahre brisant war oder akut ist: Prostitutionsgesetz? „Kinderschänder“-Hysterie? Sexualstrafrechtsverschärfung? Zuwanderungsgesetz, erschwerter Nachzug auch für Homo-Ehepartner? Rosa-Listen-Skandal? Razzien auf die Subkultur? Rekriminalisierung schwuler Sexualpraktiken? AIDS- und Rentenpolitik? – Nichts von all dem.

Stattdessen wird, als wüßte das nicht seit Jahren jeder und jede Teilnehmer/in, bei der „Zwischenkundgebung“ an der Kardinal-Frings-Straße gegen „JP II“, „B XVI“ und Kardinal Meißner gewettert. Von Religionskritik ist aber keine Spur, im Gegenteil. Freundlich ist vom „spirituellen Halt“ die Rede, den der Glaube vielen Menschen gebe. Die verschärfte Fassung der Massenverblödung findet sich im Flugi „CSD selber machen“: „Die Menschen, die im christlichen Glauben die befreiende Botschaft erkennen, werden von der autoritären Kirche – u. a. in Südamerika – als marxistisch verfolgt und bekämpft.“ Bei Karl Marx waren Glaube und Erkenntnis noch Antagonismen.

Religion ist okay, allein die Kirchenväter sind böse zu den Frauen und Homosexuellen. „Wir lassen und von alten Männern keine Vorschriften machen“, donnert es über den „Maria-Ablaß-Platz“. Kein Unmut regt sich über diese Altersfeindlichkeit und die dem Satz implizite Meinung, ältere Menschen hätten beim Thema Sex das zahnlose Maul zu halten. Spätestens ein Blick auf die Mitläufer verschafft Klarheit darüber, was hier los und warum dies weder ein alternativer noch ein politischer Christopher Street Day ist: Queergestellte Homos sind zumeist jung, sie entsprechen dem Klischee und wollen es wohl auch so, das ihnen eine konsumorientierte schwule und lesbische Lifestyle-Propaganda vorgibt. Ansonsten wären Huren und Transen zur Demo eingeladen und die Autonome Antifa wegen eines Transparents davon ausgeschlossen worden, auf dem schwarz auf Pink steht: „Homophobe und heterosexistische Strukturen wegbomben!“ Diese „Strukturen“ sind immaterieller Art, sind keine gegenständlichen Dinge. Sie vermitteln sich über gesellschaftliche Interaktion, über ein komplexes Beziehungsgeflecht und sind an die physische Existenz von Menschen gebunden. „Strukturen wegbomben“ beinhaltet somit nichts anderes, als Menschen unmittelbar tätlich anzugreifen und ihre körperliche Integrität zu verletzen.

Welch wichtige Lektion da ein offiziell das Selbstbestimmungsrecht fordernder Kölner CSD seinem Publikum da erteilt? Himmelschreiende Dummheit und der im Zweifelsfall mörderische Hang zu Explosivstoffen einen Tugendterroristen jedweder Couleur.