Dreckige
Karrieren
Geschichte, so kann
man bei Tolkien nachlesen, wird immer wieder neu erzählt; so bilden sich
Legenden und Mythen. Aber immer nur die Geschichte der Mächtigen, Erfolgreichen
und Berüchtigten. Das reale Leben verschwindet meist und wird eingedampft
zum normalen Leben. Daß eine Gesellschaft sich nur als solche bezeichnen
kann, in der es viele unterschiedliche Akteure gibt, scheint bereits heutigen
Beschreibern des Vergangenen unbekannt geworden. Wie erst wird es sein, wenn
künftige Scholaren aus heute und in den kommenden Jahren geschriebenen
Büchern lernen werden? Und was wird es sein, das sie daraus erfahren?
Wer erinnerte sich heute
noch an die Begeisterungsstürme eines Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit
für den sozialistischen Revolutionär Ayatollah Chomeini, der den
bösen blutigen Schah gestürzt hatte, um ein Paradies auf Erden zu
schaffen, wären die Autoren Taxifahrer oder Buchhändler geblieben?
Kein Schwein. Schon zu Lebzeiten vergessen. Wer besinnt sich heute noch der
in den 1970er Jahren durchaus wertvollen und pragmatischen Ausführungen
manches liberalen oder linken Autors, der dann irgendwann Briefträger
oder Pensionär wurde? Niemand. Bei lebendigem Leibe verwest. In die Alltagskultur,
die in Hochglanzmagazinen oder Tageszeitungen wiedergekäut wird und als
Geschichte daherkommt, fließen nur die prägnanten Statements derjenigen
ein, die sich als Sieger fühlen dürfen. Denn sie überwanden
ihren inneren revolutionären Schweinehund und wurden zu gleichgeschalteten,
also nützlichen Gliedern des Machtapparates, der sich seit Kant Gesellschaft
nennen darf.
Insofern ist es nicht
unwahrscheinlich, daß in 30 Jahren kaum noch jemand weiß,
was sich einstmals hinter Gigi. Zeitschrift für sexuelle Emanzipation
verbarg. Mit seiner kleinen Auflage war schon, als das Magazin noch bestand,
sein Verbreitungsgrad gering gewesen: ein paar Intellektuelle plus Gelegenheitsleser
und die ewige Zielgruppe der vom Seziertisch sozialer Bewegungen in den Schredder
Weitergeschobenen. Als Unverehelichter gestraft genug vom Sozialwerk des Deutschen
Bundestages, ist dies dem Volker Beck ein großer Trost. Denn an
ihn wird sich auch kaum noch jemand erinnern, außer, er oder sie ist
Autor/in eines Lexikons der politischen Irrtümer, nekrophil oder auf
Scheidungen und Arbeitsrecht spezialisierter Jurist. Sein Werk jedoch wird
in die Geschichte eingehen: Durchleuchtung des homophilen Bürgers gegen
Brosamen vom Tisch der Mächtigen und Eliminierung des Schwulen
und der Lesbe aus der politischen Welt unter dem schönen
Einheitslabel Queer. Dann wird es ein paar Seminararbeiten, Diplomvergurkungen
und Dissertationen geben, in denen halbgebildete Historiker und Soziologen
erklären, was sie bei der Lektüre einer einzigen Gigi in
das Gesamtwerk hineininterpretieren. Man kann nur hoffen, daß es dann
nicht die im nachhinein eher peinlichen, teils unvollendeten Mehrteiler gewisser
K-Autoren sind.
Wenn es den Gigi-Herausgebern
gelingen sollte, auch lange nach Erscheinen des letzten Heftes eine Homepage
zu unterhalten, auf der alle Ausgaben im Volltext vorhanden sind (wozu einige
der Autoren verblichen sein müssen), dann könnte ihr Blatt eventuell
auf Dauer im Diskurs bleiben völlig unbemerkt. Denn im Gegensatz
zu den im Triple-W-Orkus verblichenen Presseerklärungen des Lesben- und
Schwulenverbandes in, um, für und mit Deutschland haben Gigi-Artikel
ja Inhalt. Jeder Prüfling übernähme via copy+paste diese Aufsätze,
Meinungen und Kommentare und gäbe sie als seine/ihre eigenen aus. Der
revolutionäre Funke glühte in fremden Fackeln weiter. Doch viel
wahrscheinlicher ist das gänzliche Verschwinden aus der Geschichte.
Es sei denn, einem oder
mehreren Autoren der Gigi gelingt der große Durchbruch. Entweder
als Wissenschaftler, Schriftsteller, Politiker oder Terrorist. Es müssen
andauernde Karrieren sein, das kurze Aufblinken genügt nicht. Weder der
Selbstmord durch Sprung aus dem Klofenster des Bundespräsidenten oder
Masturbieren bis zum Exitus bei Sandra Maischberger sind hier hilfreich. Wenn
aber jemand dauerhaft bekannt, berüchtigt oder berühmt wird, verschlägt
es sogar Journalisten und Geisteswissenschaftlerinnen in die Untiefen investigativen
Arbeitens. Jahrzehntelang verdrängte Ergüsse werden dann hervorgezaubert,
wie man im Falle Joschka Fischers sah.
Also liebe Gigi-Autoren,
richtig dreckige Karrieren müßt Ihr hinlegen. So macht Ihr nicht
nur eine Menge Kohle, sondern bewahrt auch diese Zeitschrift vor der Papiermühle.
Kohorten von Forschern werden in die wenigen Bibliotheken drängen, in
denen ausgewählte Hefte verstauben. Bei Ebay wird die Präsentation
einer Gesamtausgabe mit Autographen Lizzie Prickens zum Kollaps des Servers
führen. Der Fund einer lustbefleckten Ausgabe in einem Prager Antiquariat
wird den Finder zu einem Freudentänzchen veranlassen. Ergraute Professoren
werden in ihren Vorlesungen seufzend sich daran erinnern, wie sie, als sie
noch knusprig waren, von Eike Stedefeldt ignoriert oder von Ortwin Passon
gegrüßt wurden.
Freilich können auch
Leser-Karrieren der Wahrung des Gigi-Erbes dienen. Nachdem Joseph Kardinal
Ratzinger versichert hatte, er lese noch immer seine hinterbayerische Lokalzeitung,
wurde das bislang nur Rechtschreibfehlerfetischisten bekannte Journal schließlich
auch weltweit bekannt und begehrt. Ist also eine/r von Ihnen ganz oben angekommen,
so zücke sie/er eine Gigi und erkläre, sie/er habe stets
viel von den Artikeln profitiert. Das nützt nicht nur den Verursachern,
deren Knochen dann längst in der märkischen Steppe (Klimawandel!)
bleichen, sondern verschafft Ihnen, geehrtes Publikum, auch einen intellektuellen
Anstrich.
Das war selbstverständlich
ironisch! Was auch sonst?
Aber vielleicht erscheint Gigi ja auch in 30 Jahren noch, weil sich genügend wütende Jungschwulanten und Kampflesben zusammengefunden haben, um dieses Projekt gehobener Selbstausbeutung weiterzuführen. Bis zum Jubiläumspicknick unter der Hermann-L.-Gremliza-Stele auf dem Berliner Platz der Kommune (momentan noch Potsdamer Platz) bleibt allerdings noch Zeit. Darum lassen wir einstweilen in dieser 50. Ausgabe ausgesuchtes Fachpersonal darüber spekulieren, was dann aus Sex und Geschlechterverhältnissen geworden sein wird.