Bitte
lächeln
Ein
dunkelhaariger schlanker Jüngling in Jeans und Polohemd tritt aus dem
Schatten der Bäume am Rande des südlichen Großen Tiergartens.
Ein Blick auf den Plan: Okay, thats the Potsdamer Platz. Dann wendet
er sich nach links. Wow, genau danach hat er gesucht! Zügig überquert
er die Ebertstraße, um einzutauchen ins Feld der 2.711 Stelen. Fasziniert
irrt er über das Auf und Ab der grau gepflasterten Bodenwellen und verliert
alsbald die Orientierung.
Unvermittelt
starren ihn zwei blaue Augen an; er weicht dem stechenden Blick aus und ändert
die Richtung. Bei der zweiten Begegnung ist der Weißgeschnürte
mit dem schwarzen T-Shirt nur Meter entfernt; seine Hand im Schritt läßt
keine Deutungen zu. Unsicher wendet der Junge sich um; da steht noch einer
mit gleicher Frisur und ähnlichem Outfit. Flucht ist zwecklos. Sekunden
später klicken hinter seinem Rücken Handschellen und wird sein Torso
roh auf eine tischhohe Stele gepreßt, während rabiat sein Gürtel
gelöst und ihm die Jeans heruntergezerrt wird. Zwei Pranken bewegen seinen
Kopf im Schritt der keuchenden Glatze hin und her. Deren Kamerad schiebt sich
derweil die Hosenträger von den Schultern. Jeder seiner immer schnelleren
Stöße läßt die Erektion des Touristen heftiger gegen
den kühlen Stein schlagen. Ein wildes Stöhnen hinter ihm, darauf
ein letztes Aufbäumen vor ihm, da schießt es auch aus ihm heraus
und rinnt milchig am Stein hinab. Befreit von den Fesseln, wischt er sich
leicht benommen das Sperma von der Wange, zieht die Jeans hoch und verschwindet
entrückt lächelnd im Gewirr der Stelen. Cut! Der Scheinwerfer
erlischt, ein Reflektor wird zusammengefaltet. Pornocaust heißt
der Film.
Ein
würdiges Gedenken den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus!
forderten Homo-Bewegte, als der Schwulenverband in Deutschland (heute LSVD)
1994 ein Gebinde an der NS-Opfer und -Täter vermischenden Neuen Wache
ablegen wollte. Einige von ihnen tauchten 1999 beim Berliner CSD erneut auf
mit dem Spruchband Der Bundestag gedenkt der Nazi-Opfer.
Von acht Winkeln waren alle ausgeschnitten: bis auf den gelben. Sie klagten
ein Monument der Ausgrenzung aller nichtjüdischen Opfer
an, die beim Votum des Parlaments am Vortag durchgefallen
seien, so Jürgen Bieniek im Gay Express. Auch andere Gay-Medien
würzten die Empörung mit antisemitischen Klischees. Und noch im
November-Heft 2006 der Siegessäule bestand Albert Eckert von der
Initiative Der homosexuellen NS-Opfer gedenken, der 1999 jenes
CSD-Banner mittrug, auf eine Verfolgungsgeschichte, die im Mahnmal für
die ermordeten Juden Europas ausgespart wird.
Dabei
war nichts konsequenter ausgespart worden als der Wesensunterschied der NS-Verfolgung
von Juden und Homosexuellen und ihrer Ziele: hier physische Ausrottung, da
auf Strafe und Umerziehung setzende Geschlechtshygiene an jenem Volkskörper,
in dem das Täterkollektiv hauste. Gemahnte jemand an das millionenfache
Mitläufer- und Mittätertum nichtjüdischer Homosexueller
und die daraus folgende faktische wie moralische Unmöglichkeit kollektiven
Gedenkens an eine solche Opfergruppe? Der identiätspolitische
Wahn behandelte gar Homosexuell- und Jüdischsein wie Antagonismen: Daß
am Denkmal für die ermordeten Juden Europas mehr Homosexueller gedacht
werden könnte, als an jedwedem Homo-Gedenkort, weil von sechs Millionen
ermordeten Juden schätzungsweise 300.000 homosexuell waren, lag fernab
der Debatte.
Nur
zu gern erhörte die Obrigkeit das antisemitisch unterlegte Gezeter und
beschloß 2003 im Bundes-Reichstag den nationalen Homo-Gedenkort
vor allem darum, weil er dem deutschen Volke im Ausspielen der
Verfolgtengruppen so herrliche Möglichkeiten zur Relativierung seines
Menschheitsverbrechens an den Juden bot. Und gar trefflich illustrierte das
im künstlerischen Wettbewerb siegreiche Team Dragset/Elmgreen den antijüdischen
Reflex, auf dem die Ausgrenzungslüge basiert: Frech (Eckert)
und anklagend entwarf es eine (so der Subtext) aus Peter Eisenmans Stelenfeld
verstoßene Homo-Stele in brekerhaftem Übermaß.
An
diesem Gedenkort also, an dem von der Idee bis zum Entwurf alles
falsch, alles bigott, alles Interesse und Berechnung ist, vermissen nun Emmas
und Feministen aller Sexes & Genders verfolgte Lesben? Dort, wo nichts
ehrenvoller wäre, als ausgegrenzt zu bleiben? Genau
das. Man folgt der Logik einer Community, deren Gay Manager, ohne
Protest auch nur fürchten zu müssen, mit ihrem Preis für Diversity
Management bisher durchweg Konzerne bedienten, die das NS-System erst
funktionstüchtig machten und sich für ihren Teil am Massenmord generös
entschädigen ließen.
Die
Klientel all dieser Edlen und Guten führt der Welt derweil ihre Art würdigen
Gedenkens vor. Schwule posieren gern im Denkmal für die ermordeten
Juden Europas und fühlen sich sehr sexy vor dieser Kulisse. Warum sonst
erscheinen immer mehr solcher Fotos in den Steckbriefen schwuler Chat-Portale?
Wenige schauen dabei ernst; Unbefangenheit überwiegt: Man stützt
sich ab, bildet eine Brücke zwischen den Stelen oder klettert hinauf.
Mit feinem Sinn für die eigene Inszenierung lehnt man lasziv am Beton,
führt die neuesten H&M-Schnäppchen samt Boxer-Shorts vor oder
spielt im witzigen Ringelhemd Haschen. Bildunterschrift: Wo bin ich?
Bitte lächeln!
Mit
seinem Verwirrspiel aus Schatten und Licht ist das Denkmal auch für schwule
Fotoprofis eine Location ersten Ranges. Da wird das Model schon mal animiert,
mehr zu zeigen. Hier ein süßer Nabel, da eine behaarte Männerbrust,
dort ein Knackarsch. Selbst full frontal nudity wurde hier schon abgelichtet;
die Besucherordnung untersagt schließlich das Betreten in Badebekleidung.
Würde des Ortes? Würde ist Konjunktiv. Pietät angesichts dessen, daß jede dieser Stelen einen Grabstein für über 2.200 Ermordete ohne letzte Ruhestätte imaginiert? Wie uncool. Paragraphen wie Störung der Totenruhe oder Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zählen für Schwule nicht, schon gar nicht am ihre Opfer ausgrenzenden Juden-Denkmal. Dazu ist es auch einfach eine zu geile Location.
Nachtrag: Die anfangs beschriebene Szene und die DVD Pornocaust
sind rein fiktiv. Aber wie lange noch? Solche Titel werden kommen. Verlassen
Sie sich drauf.