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Dienen


Mir war total klar, daß das Ende der DDR für mich gut ist, und nur von diesem Standpunkt aus diskutiere ich noch.“ Die Auskunft Jürgen Lemkes, Autor des 1989 in der DDR erschienenen Bandes Ganz normal anders. Auskünfte schwuler Männer, entsprach dem Duktus des Forums „Vor 10 Jahren: Beginn der landesweiten Schwulenbewegung in der DDR“ am 15. Oktober 1993. Daß der heutige Lesben- und Schwulenverband (LSVD) damit seinen 5. Verbandstag eröffnete war insofern logisch, als er maßgeblich aus Kirchenkreisen entstanden war, deren Wortführer sich in Opposition zum DDR-System sahen. Lemkes kategorischer Imperativ war dagegen wohl eher privater Natur; der staatsferne Marketing-Dozent konnte nun sicher sein, nie, nie wieder die Sektion der vormilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik einer Fachschule für Außenwirtschaft leiten zu müssen.

Enormes, so der Theologe Eduard Stapel, hätten die zwanzig Kirchenkreise zuwege gebracht. Außer der Streichung des letzten Homo-Paragraphen aus dem DDR-Strafgesetzbuch sogar dies: „Wir Kirchenkreise haben ermöglicht, daß auch nichtkirchliche Schwulengruppen gegründet werden konnten.“ Eine ungeliebte ideologische Konkurrenz, die man bis heute statt weltlich „staatlich“ nennt, obwohl’s ihr am sechsstelligen ministeriellen Etatposten eines LSVD gebrach. So dekretierte Stapels Berufskollege Karsten Friedel desungeachtet, daß eine Geschichte der DDR-Homogruppen nicht in Ansätzen geschrieben ist, Fakten bruchstückhaft und Zusammenhänge folglich diffus sind und der Erkenntnismangel über Breite und Tiefe staatlicher Einflußnahme groß ist: „Es gab Gruppen außerhalb der Kirche oder Kräfte darin, die man nicht zur DDR-Schwulenbewegung rechnen kann.“ Das Verdikt galt und gilt vor allem jenen, die die DDR trotz ihrer für anders leben Wollende besonders problematischen Demokratiedefizite, als ihr Land sahen und das ökonomisch egalitäre Konzept Sozialismus einer Freiheit in Ausbeutung vorzogen.

Innerhalb des von Leuten wie Friedel und Stapel für das Gebiet der DDR miterkämpften Gegenkonzepts drehte in jenem Oktober 1993 schon seit über drei Jahren eine geborene Kasner als Bundesministerin für Frauen und Jugend an den Geschlechterrollen. Und zwar rückwärts, gemessen an dem ihr so verhaßten Staat, der in seiner Menschenverachtung eine unschuldige Pfarrerstochter zur FDJ-Sekretärin verbogen, zum Physikstudium und zur Promotion gezwungen hatte. „Lesbische Frauen profitierten davon, daß Frauen in der DDR – sehr im Unterschied zur Bundesrepublik – alle materiellen Voraussetzungen für ein eigenständiges Leben hatten“, so Chris Schenk am 21. Oktober 2005 im Neuen Deutschland. Sie waren beruflich qualifiziert, verdienten ihr eigenes Geld und waren damit ökonomisch unabhängig. Auch war es kein Makel, nicht verheiratet zu sein oder ein Kind allein großzuziehen.“ Doch obwohl auch jene Bundesministerin massiv davon profitiert hatte, übernahm sie willig das Bild der Christenunion/West davon, wie Frauen und Männer zu funktionieren haben, welches abweichende Geschlechter und Sexualitäten allenfalls als biologischen Unfall kennt und an der hierarchischen Grundstruktur festhält: Geld verdienen, zeugen, ernähren für den Menschen sowie Kinder, Küche, Kirche für sein Weib. In ein einziges Wort läßt sich dieses Machtsystem fassen, und jene geborene Kasner, geschiedene Merkel, wiedervermählte Sauer-Merkel, Frauenministerin unter Kohl und ab 22. November Kanzlerin, verlieh diesem Wort Flügel: „Ich will Deutschland dienen.“

Dienen wollen Frauen, wie man weiß: dem Gatten zum Begatten und als Aschenputtel, seinen Söhnen als Mama, Alten und Kranken als Pflegerin. Freiwillig, am besten gratis und im Verein am schönsten. Und mit Mutterkreuz, wo der Gebärdienst an Volk und Vaterland zur Standortfrage erhoben ward. Nur warum reaktivierte Merkel fürs zuständige Ressort nicht gleich Claudia Nolte? Weil eine Ursula von der Leyen, die in Niedersachsens feministischer Szene eine Spur der Verwüstung hinterließ und Frauen- vor allem als Familienpolitik versteht, die Mutterrolle gleich siebenfach lebt.

Da kann die ledige, kinderlose Annette Schavan nicht mithalten. Vor einem Jahr, im Kampf um die Nachfolge des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, titelte Bild: „Wer streut die üblen Lesben-Gerüchte über CDU-Ministerin Schavan?“ Und ganz selbstverständlich fragte die Parteibasis eine Kandidatin, deren Hose, Karohemd und Kurzhaarschnitt sie an das erinnerte, was man bis in Adenauers Zeiten „Kesser Vater“ nannte, nach hetero oder homo. Fürs Protokoll: nach Mann und Kindern. Als katholische Frauen-an-den-Herd-Politikerin trägt Schavan allerdings Mitschuld an Zuständen, in denen „Lesben-Verdacht“ Empörungslawinen lostritt. „Schäbig, absurd“ und „Rufmord“ nannte sie selbst, was da „ausgeräumt werden“ müsse und ließ sich in Schwäbisch Gmünd von 1200 Parteifreunden feiern für ihr Ja zum Schutz und Förderung von Ehe und Familie und ihr Nein zum Adoptionsrecht für Homo-Paare: „Und zwar wegen der Kinder.“ Meint eine, die künftig staatliche Leitlinien für Wissenschaft und Bildung vorgeben soll.

So kam, was wache Geister schon zur „Wende“ kommen sahen, dessen von Merkels Fraktion mitbeschlossene Konkretisierungen etwa unter Hartz IV firmieren und ebenso absehbare Folgen zeitigen: „Seit einigen Jahren nimmt die Homophobie wieder zu – parallel zu den wachsenden sozialen Ängsten. Das zeigt, daß der Kampf gegen Diskriminierungen und Vorurteile ohne eine Politik der sozialen Gerechtigkeit nicht erfolgreich sein kann“, so Chris Schenk im ND. „Letztere allein löst das Problem allerdings auch nicht, wie das Beispiel DDR zeigt. Soziale Normvorstellungen sind immer auch Ausdruck des gesellschaftlichen Konsenses darüber, wer diskriminiert werden darf.“

Verloren sei mit der DDR „auch jene Entwicklungsperspektive, deren Gestaltungsmöglichkeiten homosexuelle Frauen und Männer – trotz aller Widersprüche – optimistisch stimmte“, klagte 1990 ein Historiker, der, bevor er lernte, den neuen Herren durch Vergleiche der DDR mit dem „Dritten Reich“ zu dienen, im Buch Lesben und Schwule – was nun? prognostizierte: „Was kommen wird, wird nicht mehr sein als ein Abziehbild jener Verhältnisse, die sich im Westen Deutschlands in den letzten Jahren herausbildeten: eine kommerzialisierte und sehr differenzierte Subkultur mit einer Vielzahl von Angeboten zur Zerstreuung und – als gesellschaftliches Prinzip – die Vereinzelung des Individuums.“ Daß Günter Grau recht hatte motiviert indes bis heute keinen DDR-Kirchenkreis-Schwulen zur selbstkritischen Reflexion oder auch nur zu der Frage, wie frei man in einer mit ALG 2 bezahlten schwulen und lesbischen Freiheit unter Merkel wirklich ist.

Eike Stedefeldt