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Omosex


Am 18. Mai um 22.57 Uhr teilt die „Vereinigung lesbischer und schwuler Polizeibediensteter“ (VelsPol) in Nordrhrein-Westfalen in einer Email mit dem Betreff „Rosa Listen verhindert?“ lapidar mit, die Landespolizei könne im Programm IGVP, in dem „Verkehrsunfälle, Strafanzeigen, Ordnungswidrigkeitenanzeigen und Meldungen mit den kompletten Datensätzen von Tätern, Geschädigten und Zeugen erfaßt“ werden, katalogmäßig auch das Merkmal Homosexualität speichern. „Unter dem Katalog der Tatörtlichkeiten stellt man fest, daß unter der Schlüsselnr. 900 ‘Aufenthalt von Dirnen’, 901 ‘Aufenthalt von Homosexuellen’ und 902 ‘Strichplatz’ genannt werden.“ Bereits am 21. März hatte VelsPol nach eigenen Angaben von der Abt. IV des Düsseldorfer Innenministeriums „die ersatzlose Löschung“ der Schlüsselnummern gefordert und war damit kurz vor den Landtagswahlen bei dem SPD-geführten Ressort abgeblitzt. „Nach einer Eingangsbestätigung vom 30. März 2005 gab es lediglich eine inoffizielle Benachrichtigung, die Nummern 900 und 901 werden nicht mehr genutzt. Ein Bescheid des Innenministeriums steht nach wie vor aus. Was mit der Schlüsselnr. 902 geschehen soll und wie verhindert wird, daß Cruising areas damit erfaßt werden, ist noch ungeklärt.“

Beim Gigi-Herausgeber, dem wissenschaftlich-humanitären komitee (whk), das wiederholt vor solchen polizeilichen Datensammlungen gewarnt und bereits im Sommer 2003 von der NRW-Landesdatenschutzbehörde Auskunft zu möglichen Rosa Listen verlangt hatte, setzt die Email Recherchen und Diskussionen in Gang. Die Mitteilung des nicht eben für seine polizeikritische Haltung bekannten VelsPol erfüllt mangels Namens- und Funktionszusätzen nicht die Kriterien einer seriösen Presseerklärung. Ist die Email womöglich ein Fake? Ist dem von aktiven Polizeibeamten getragenen VelsPol die Enthüllung derart brisanter dienstlicher Informationen zuzutrauen, was zweifellos ernste arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen für die Informanten haben könnte?

Nachfragen in der Homoszene ergeben, daß scheinbar niemand sonst die fragliche Email erhalten hat; zum offenbar sehr kleinen Empfängerkreis gehörten nicht einmal die Redaktionen schwuler Medien. Will VelsPol etwa dem whk bewußt den Vortritt lassen, die heikle Affäre publik zu machen? Wegen auffälliger Übereinstimmungen einiger Details zur polizeilichen Speicherung sexueller Devianz mit eigenen Erkenntnissen beschließt das Komitee, schnell zu handeln. Am 19. Mai um 1.45 Uhr, keine drei Stunden also nach Eingang der VelsPol-Email, gibt es eine ausführliche Pressemitteilung heraus.

Was danach angesichts des für die schwule Szene historisch so bedeutsamen Themas Rosa Listen passiert, ist symptomatisch für eine „gay community“ anno 2005. Es passiert – nichts. Vielleicht, weil es einmal mehr die linken Spinner des whk sind, die die Fakten verbreiten? Immerhin bringt Queer.de am 20. Mai einen längeren Bericht, der, im Gegensatz zu anderen Homoportalen, die Stellungnahme des whk nicht verschweigt (vgl. Gigi Nr. 38, S. 42). Derweil sich die Thüringer PDS-Landtagsabgeordnete Susanne Hennig, gestützt auf whk-Informationen, bereits am 2. Juni beim Erfurter Innenministerium nach der polizeilichen Erfassungspraxis erkundigt und ihre grüne Kollegin Christine Stahl im Bayerischen Landtag am 9. Juni das Münchner Innenministerium nach Rosa Listen befragt, herrscht in der Szene wochenlang Funkstille. Allein VelsPol enthüllt weitere Details über die in Bayern, Thüringen und NRW genutzte Software IGVP, wofür sich der staatliche Sicherheitsapparat auf seine Weise revanchiert: Auf dem Kieler CSD werden VelsPol-Aktivisten am 4. Juni von den eigenen Kollegen erkennungsdienstlich behandelt. Eine deutliche Warnung, aber VelsPol läßt sich dadurch nicht einschüchtern.

Erst als der Spiegel mit für ein Nachrichtenmagazin grandiosen fünf Wochen Verzug in der Online-Ausgabe am 23. Juni berichtet, „mit dem Kürzel *omosex*“ sei es möglich, der Kategorie „homosexuell“ zugeordnete Datensätze „einschließlich der Personalien der gespeicherten Personen“ abzurufen, nachdem Funk und Fernsehen den Spiegel-Bericht zitiert und Politiker diverser sexueller und Parteipräferenz das Thema in ihren Wahlkampf eingebaut haben, zeigt sich am 25. Juni auch der staatsgeförderte Lesben- und Schwulenverband LSVD „entsetzt“ und fühlt sich erinnert „an die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte, als Homosexuelle staatlich geächtet und verfolgt wurden. Es ist unfaßbar, daß derartiges im Jahr 2005 in Deutschland noch möglich ist“. Der LSVD meint mit „solchen Listen“ freilich nicht die von ihm durch stupides Blöken nach „Menschenrechten“ erkämpften Rosa Lebenspartnerschafts-Listen bei den Standesämtern.

Wie gewohnt taktisch unüberlegt und inhaltlich anspruchslos, ruft der LSVD dazu auf, die von zwei als Schwulenaktivisten völlig unbekannten Kölnern gestartete, im Kern auf eine Legalisierung (!) von Rosa Listen „in engen gesetzlichen Grenzen“ hinauslaufende Online-Unterschriftenkampagne stop-rosa-listen.de zu unterstützen. Es ist wiederum das whk, das der Kampagne eine „bedenkliche Nähe“ zu wirtschaftlichen Eigeninteressen und insbesondere zur nordrhrein-westfälischen SPD nachweist, die über das jahrezehntelang von ihr geführte Innenministerium nicht weniger als die politische Verantwortung für den Skandal trägt.

Vor über vier Jahren, in der Ausgabe Juli/August 2001, publizierte Gigi „zwanzig Fragen, die der Ansprechpartner für Homosexuelle bei der Kölner Polizei, Horst Reulecke, nicht beantwortete“. Angesichts sich häufender Polizeiaktionen gegen schwule Treffpunkte wie Cruising Areas, Bars und Saunen hatte unsere Redaktion von dem seinerzeitigen Homobeauftragten der Kölner Polizei wissen wollen, „in welchen bekannten Polizeidateien (INPOL-neu, SIS, EIS, AZR) und wie lange“ die Personaldaten der betroffenen Männer gespeichert würden. Horst Reulecke hat doch noch geantwortet: am 18. Mai 2005 um 22.57 Uhr.

Dirk Ruder