Der Blick nach Südosten aus dem Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses
weist zur Topographie des Terrors. Dort hatten SS-Hauptquartier,
Reichssicherheitshauptamt und diverse Reichszentralen ihren Sitz,
darunter die zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung.
Manchmal
schärft so ein Blick das kritische Bewußtsein nicht jedoch
am 8. April im einstigen Preußischen Landtag beim Kolloquium zum künstlerischen
Wettbewerb Gedenkort für die im Nationalsozialismus verfolgten
Homosexuellen. Zwar lobt Andreas Pretzel von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft
Manfred Herzer als den Geschichtsschreiber der Schwulenbewegung,
übergeht aber Herzers für die, ihren Fragen nach zu urteilen, historisch
kaum kundigen Künstler wichtige Klage in der Siegessäule
vom Mai 1985: Mit Schweigen übergeht man die offensichtliche Tatsache,
daß nur eine äußerst kleine Minderheit der Schwulen zu den
Opfern des Naziregimes gehörte, mit rosa Winkeln gekennzeichnet in den
KZ gefangen gehalten wurde, daß aber die große Mehrheit unter
anderem wegen ihrer äußerst effektiven Tarnung genau wie die anderen
deutschen Männer und Frauen zu den willigen Untertanen und Nutznießern
des Nazistaates gehörte. Zudem ist bekannt, daß es eine Minderheit
von Schwulen gab, die in der Nazizeit ungeachtet ihrer unglücklichen
Veranlagung teilweise imposante Karrieren durchliefen. Herzer
nannte seinerzeit Gründgens, Karajan, Albers und Reichswirtschaftsminister
Walther Funk, der 1946 in Nürnberg wegen seiner Verbrechen zu lebenslanger
Haft verurteilt wurde.
Beredt
wird auch hier übergangen, daß es, im Gegensatz zu rassisch Verfolgten,
viele Homosexuelle bei Polizei, SS und Wehrmacht sowie Tötungsbefehle
Hitlers und Keitels wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht ausschließlich
für Mitglieder dieser Terrororganisationen gab. Sonstige 175er,
die mehr als einen Partner verführt haben, waren gemäß
Himmlers Befehl vom 12. Juni 1940 nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis
in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen. Im KZ wurde ihr Tod durch Hunger,
Krankheit, Menschenversuche, Entkräftung sowie Schikanen von Bewachern
wie Mithäftlingen in Kauf genommen Programm war er nicht. Sonst
wäre bei vergleichbaren Bevölkerungsanteilen die Mordquote an Juden
nicht tausend Mal höher gewesen. Dennoch verbindet mit Günter Grau
ausgerechnet jener hier anwesende Historiker, der die Dokumente fand, welche
den so grundlegenden Verfolgungsunterschied belegen, neuerdings die Worte
Endlösung und Homosexuellenfrage.
Ein nationaler
Gedenkort soll entstehen. So beschloß es am 12. Dezember 2003 der Bundestag.
Dem geht der nationale Wille zur Rehabilitierung der Täter, des Täterkollektivs
und ihres Menschheitsverbrechens voraus. Vor allem desjenigen an den Juden
Europas, auf deren benachbartes Mahnmal sich der Homo-Gedenkort
noch immer, wie im antisemitischen Amoklauf der Szene von 1999 (vgl. Gigi
Nr. 3), abgrenzend beruft, was viele Künstler ihren Entwürfen
zugrunde und als schriftliches Bekenntnis beigelegt haben, und welches er
im Dienste der selbstbewußten Nation relativieren soll
und wird. Weshalb eine so staatstragende wie staatsgetragene Lesben- und Schwulenbewegung
die Wahrheit gewissermaßen halbiert, die unangenehme Hälfte
verdrängt, so Herzer 1985; sie pflegt den Rosawinkelmythos,
der die Rolle der Schwulen in der Nazizeit auf ihre Rolle als Opfer und KZ-Häftlinge
reduziert.
Niemandem
stößt auf, daß der schwule taz-Rechtsaußen Jan Feddersen
statt polnischer oder französischer Rosa-Winkel-Schicksale das Hans Zimmers
als beispielhaft für die präsentiert, derer national gedacht werden
soll. Den Offizier verurteilte ein Kriegsgericht wegen homosexueller Handlungen
mit Untergebenen in einer Vernichtungspause an der Ostfront zu sechs Jahren
Haft; er starb, nachdem er das KZ Esterwegen überlebt hatte, beim Straßenbau
am Nordkap. Allgemeine Rührung. ZDF-Redakteur Dieter Zimmer sagt,
er habe den Vater nie kennengelernt. Aber daß er die Nazis gehaßt
habe, das weiß er genau. Darum wohl hat er für sie andere Länder
überfallen und gemordet. Als der Sohn darauf hinweist, nicht SS- oder
Wehrmachts-Offiziere, sondern gewöhnliche Soldaten hätten seinen
Vater gequält, sieht Feddersen gelbe Sterne: Das höre sich ja nach
dem an, was Goldhagen so populistisch aufgeschrieben hat. Wie
halt die Nachfahren von Hitlers willigen Vollstreckern Juden das Maul stopfen.
Claudia Schoppmanns Erwähnung lesbischer BDM-Führerinnen bewirkt
im Publikum ebenfalls keine Zweifel am nationalen Projekt.
Es ist die Stunde der Opportunisten. Albert Eckert organisierte 1994 die Protestkampagne, als der die Mahnmals-Initiative mittragende heutige Lesben- und Schwulenverband (LSVD) an der Opfern wie Tätern gleichermaßen gewidmeten Neuen Wache einen Kranz ablegen wollte. Noch 1996 ließ er die junge Welt wissen: Bei einem offiziellen Mahnmal gruselts mich. Nun nicht mehr. Nun ist er Sprecher der nationalen Wahnmals-Initiative und sähe, die Topographie des Terrors im Rücken und betont heiter, am deutschen Wesen gern die Welt genesen: Anhand dieses Monuments solle Deutschland etwa einem ägyptischen Präsidenten zeigen, wie ein Staat anständig mit Homosexuellen umgeht. Den Wunsch bekräftigt der LSVD-Sprecher und grüne Bundestagsreferent Günter Dworek. Und hundert Politiker, Historiker, Architekten, Künstler, Gewerkschafter, Homo-Aktivisten applaudieren.
Eike Stedefeldt
Nachträgliche Präzisierung:
In obigem Gigi-Editorial heißt es betreffend die Topographie des Terrors an der früheren Prinz-Albrecht-Straße: Dort hatten SS-Hauptquartier, Reichssicherheitshauptamt und diverse Reichszentralen ihren Sitz, darunter die zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung. Dies ist insofern zu präzisieren, daß diese der Gestapo unterstellte Reichszentrale am 31. August 1939 in den Verantwortungsbereich des Reichskriminalpolizeiamtes überführt wurde, wo sie auch nach dessen organisatorischer Zusammenführung mit dem Geheimen Staatspolizeiamt am 27. September 1939 verblieb. Untergebracht war sie indes nicht im Reichssicherheitshauptamt an der Prinz-Albrecht-Straße, sondern rund einen Kilometer entfernt am Werderschen Markt 5/6.