Start

Barco do Aborto


Der Minister schickte die Kriegsschiffe. Keine Terroristen vor Portugals Küste, auch keine Piraten. Nur die niederländische Frauenhilfsorganisation Women on Waves (Frauen auf See) mit ihrer zwar kriegsuntauglichen Barke „Borndiep“, aber schwer bewaffnet: mit der in Deutschland und anderen europäischen Staaten unter den Produktnamen Mifegyne oder Mifepristone legal vertriebenen Abtreibungspille RU 486. Dazu besaß die Crew eine offizielle Erlaubnis der Haager Regierung, vor Portugal bedürftigen Frauen die Pille zur Verfügung zu stellen. Möglich macht dies eine Eigenart des Seerechts, nach dem in internationalen Gewässern auf Schiffen die Gesetze des jeweiligen Heimatlandes gelten.

So schipperte das liberale niederländische Abtreibungrecht Ende August 2004 bedrohlich nahe an die Küste Portugals heran. Im von der sozialdemokratischen PSD und der rechten Volkspartei PP regierten Land gilt eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas, weshalb Women on Waves entschied, nach ähnlichen Aktionen vor Irland (2001) und Polen (2003) nun auch dem westlichsten EU-Staat einen kleinen, aber „hilfreichen“ Besuch abzustatten. Über Frauengesundheit wollte die etwa zehnköpfige, medizinisch geschulte Besatzung interessierte Frauen vor Ort informieren, vor allem aber der ins Stocken geratenen Abtreibungs-Diskussion im Land neue Impulse verleihen.

Das war zu viel für Verteidigungsminister Paulo Portas. Obwohl die Organisation erklärt hatte, sie werde an Bord keine chirgurgischen Abtreibungen vornehmen (wozu sie ohnehin keine Erlaubnis der niederländischen Regierung besaß) und obwohl sie betonte, keinerlei Absicht zu hegen, in den Hoheitsgewässern des Landes portugiesische Gesetze zu brechen, sandte der vom kleinen Koalitionsparter PP in die Regierung geschickte Portas zwei Marineschiffe los. Keine Boote der regulären Grenzpatrouille, sondern solche, von denen er wohl glaubte, sie würden bei einem Haufen übergeschnappter Feministinnen einen besonderen Eindruck hinterlassen.

Taten sie auch. Die Damen auf der „Borndiep“ zückten ihre Fotoapparate und stellten die Bilder sogleich im Internet den Medien zur Verfügung, was die quasi-militärische Konfrontation in nullkommanichts weltweit bekannt machte. Zudem listete die Besatzung im unter www.womenonwaves.org geführten Logbuch erstaunlich kenntnisreich auf, was die Gegenseite zu Verteidigung des bedrohten Landes aufgefahren hatte: „1 single mount cannon x 100 mm Mod. 68, 2 single mounts cannon x 40 mm Boffors L/70“ sowie „2 triple mounts 32 torpedo launchers MK” und “ 1 tube for depth charges MK 9“. Damit hätte die Regierung ohne weiteres eine Attacke Osama bin Ladens auf Lissabon niederschlagen können.

Der Einsatz der Kriegsschiffe sei keine Frage der Moral, sondern des Rechts, erklärte der zuständige Staatssekretär für Schiffahrt, Nuno Fernandes Thomaz (PP). „Wenn wir erst zulassen, daß Fremde herkommen und unsere Gesetze brechen, werden wir sie nur schwer gegenüber unseren eigenen Bürgern durchsetzen können“. Die Regierung ließ unterdessen wissen, die Aktivistinnen provozierten „eine Verletzung der Rechtsordnung“, was unmöglich geduldet werden könne. Zweck der Operation sei es daher, zu verhindern, daß die „Borndiep“ in Figueira de Foz nördlich Lissabons anlege, um dort abtreibungswillige Frauen an Bord zu nehmen und mit ihnen wieder in internationale Gewässer herauszufahren, wo die Regierung – nach portugiesischem Recht „illegale“, nach niederländischem Recht aber erlaubte – Abtreibungsaktionen per Pille kaum verhindern könne.

Am 5. September reportierte der Londoner Observer unter Berufung auf an Bord befindliche Aktivistinnen die Highlights der Seeblockade: Zweimal sei die rund um die Uhr umzingelte „Borndiep“ von der Korvette „Baptista de Andrade“ und einem kleineren Marineschiff daran gehindert worden, den Hafen zu erreichen. Selbst der Erlaubnis, lediglich zum Auftanken den Hafen anzulaufen, durften die zuständigen Behörden auf Weisung der Regierung nicht stattgeben. Nach einer Woche ging der „Borndiep“ etwa fünfzehn Kilometer vor der Küste der Sprit aus.

Von alldem wie immer so gut wie nichts in der hiesigen Presse. Während Portugals Medien wegen der vor den Toren der Nation lauernden „Barco do Aborto“ rotierten, sorgte sich im deutschen Sommerloch nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ein wenig um das „Abtreibungsschiff vor Portugals Küste“. Nicht ohne die gegen das Seerecht verstoßende Blockade der „Borndiep“ in dem am 31. August veröffentlichten Einspalter zu einer „Wartestellung“ auf offenem Meer zu verniedlichen. Das klingt gut, das klingt neutral. Das klingt nach Wartezimmer. Und sind Frauen denn nicht ohnehin im Warten geübt, sei es beim Frauenarzt, sei es, wenn es darum geht, eine moderne Industrienation mit einem zum Beratungszentrum umgebauten Schifflein aus dem frauenpolitischen Mittelalter zu hieven?

Immerhin sortierte die FAZ das politische Parkett der abgelegenen Region: „Das im Jahr 1984 verabschiedete Gesetz erlaubt Schwangerschaftabrüche nur bei schweren gesundheitlichen Risiken für die Mutter, Mißbildungen oder Vergewaltigung. Ein Reformreferendum, das während der ersten zehn Wochen eine Abtreibung auf Verlangen gestatten sollte, scheiterte im Jahr 1998 knapp. Die Sozialdemokratische Partei (PSD) ... mußte sich bei den Koalitionsverhandlungen mit der kleineren rechten Volkspartei PP auf eine Beibehaltung des Status quo ... festlegen.“ Den fünfhundert legalen Abtreibungen stehen pro Jahr 30.000 illegale gegenüber.

Doch laut Umfragen befürworten inzwischen drei Viertel der etwa zehn Millionen Portugiesen und Portugiesinnen ein neues Referendum, zwei Drittel sprechen sich sogar für eine (allerdings nicht näher bezeichnete) „Entkriminalisierung“ der Abtreibung aus.

Was die spektakulären Abtreibungs-Schauprozesse der letzten Jahre anrichteten war bereits im Editorial von Gigi Nr. 17 zu lesen. Zu welchem Kommentar die an der Armee-Korvette „Baptista de Andrade“ deutlich sichtbare Numerierung F 486 die Botinnen der Abtreibungspille RU 486 auf der „Borndiep“ veranlaßte, sei hier nachgereicht: „Wollen die sich etwa über uns lustig machen?“ – Am 20. Februar wählt Portugal eine neue Regierung.

Dirk Ruder