"Die Angst vor Statusverlust und Deklassierung ist bei den SPD-Wählern
viel größer als bei unserer Wählerschaft, zitierte Professor
Arno Klönne in der Zweiwochenschrift Ossietzky vom 2. Oktober
die Bundestagsabgeordnete Birgitt Bender. Daß man sich bei Hartz
IV bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf der gleichen Stufe wie die
Sozialhilfeempfänger wiederfindet, löst bei manchen SPD-Genossen
sogar Panik aus. Das ist bei Frau Bender angesichts ihrer Wählerschaft
kaum zu befürchten. Denn Frau Benders Partei ist die zweite liberale
im deutschen Parteiengefüge (und verleiht als solche dem Attribut neoliberal
einen schönen Doppelsinn), und ihre Klientel besteht im Gegensatz zur
traditionell sozialdemokratischen nicht aus von der Agenda 2010 wie dem Hartz-IV-Paket
unmittelbar bedrohten Menschen.
Frau Bender
ist nun nicht sonderlich zynisch, sondern nur konsequent. Als Volljuristin,
die mal in einer Anwaltskanzlei gearbeitet hat, weiß sie, daß
sie sich im Rahmen ihres Mandats zu bewegen, sprich: im Bundestagsausschuß
für Gesundheit und soziale Sicherung die Interessen derer zu vertreten
hat, die sie ins Hohe Haus hievten. Das sind für eine, die Sozialpolitik
bewußt als Stärkung unterstützungsbedürftiger Menschen
in ihren Möglichkeiten mißversteht, nicht abhängig Beschäftigte,
Arbeitslose und schon bisher auf Sozialhilfe Angewiesene. Dem steht keineswegs
entgegen, daß die Obfrau und Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen für Gesundheits-, Renten- und Drogenpolitik seit 2001 auch
stellvertretende Vorsitzende der baden-württembergischen Abteilung des
Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist. Der Parlamentarische
Geschäftsführer ihrer Fraktion, Volker Beck, stimmte 1999 (das ist
nur ein Beispiel) ebenfalls für Bomben auf Belgrad und ist dennoch weiterhin
Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinte Kriegsdienstgegner. Apropos:
Noch eine Mitgliedschaft teilt Frau Bender mit Herrn Beck. Die Angabe fehlt
zwar auf ihren Websites, ist aber in dieser Zeitschrift nicht unbedeutend:
War sie doch 1999 eine der Damen, die die Erweiterung von Herrn Becks seinerzeitigem
Wahlhilfeverein, des Schwulenverbandes, zum Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland forcierten. Auch die LSVD-Mitgliedschaft ist für den einen
wie die andere nur ein gemeinnütziges Mäntelchen für ihre Klientelpolitik;
die berechtigten Interessen aller Lesben und Schwulen haben sie stets genausowenig
gekümmert wie die sozialen Interessen Unterprivilegierter. Für die
haben sie nur Verachtung und unterstreichen dies anschaulich als Exponenten
des rot-grünen Machtapparates.
Wer von
der Politik profitiert, mit der sie ihre Diäten verdienen, ist statistisch
erfaßt und gut dokumentiert. In dieser Zeitschrift wurde mehrfach darüber
berichtet, daß AIDS-Hilfen und Deutsche AIDS-Stiftung aufgrund der Reformpolitik
die Verarmung nicht nur von Menschen mit HIV und AIDS, sondern generell chronisch
kranker, aus dem Erwerbsleben gedrängter Menschen befürchten oder
diese schon klar erkennen. Der unlängst vorgelegte offizielle Armuts-
und Reichtumsbericht 2003 für die Bundesrepublik Deutschland (den die
Regierung übrigens nicht kostenlos abgibt) bestätigt dies eindrücklich:
Binnen eines Jahres stieg die Armenquote in einem der reichsten Länder
abermals von 12,7 auf 13,0 Prozent der Bevölkerung; als arm gelten hierzulande
Menschen mit weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens. Aber auch
die Vermögenslage zeigt, daß die Regierungsübernahme von Rot-Grün
den Prozeß der Pauperisierung keineswegs gestoppt hat. So ermittelte
das Statistische Bundesamt, daß das durchschnittliche Nettogeldvermögen
privater Haushalte (Sparkonten, Bausparverträge, Lebensversicherungen
und Wertpapiere abzüglich Schulden) in den letzten fünf Jahren Kohl-Regierung
(1993-98) beim ärmsten Viertel von 4.930 Euro (West) bzw. 2.570 Euro
(Ost) auf 3.090 bzw. 2.290 Euro sank, also um rund 37 bzw. 11 Prozent. In
den ersten fünf Jahren der Schröder-Regierung (1998-2003) reduzierte
es sich weiter auf 2.490 bzw. 2.090 Euro, also um nochmals rund 19 respektive
11 Prozent. Das ärmste Zehntel aber, das unter Schwarz-Gelb bis 1998
von 400 Euro im Westen und 93 Euro im Osten in beiden Teilen des Landes gleichermaßen
auf Null gedrückt wurde, blieb unter Rot-Grün bei Null.
Daß
dies keinem Naturgesetz entspringt, erweist sich am oberen Ende derselben
Statistik: Das reichste Viertel konnte sein Vermögen dank Kohl um rund
5 Prozent (West) bzw. 27 (Ost) auf 42.450 bzw. 21.090 Euro vermehren, dank
Schröder jedoch um nochmals rund 19 (West) bzw. 27 (Ost) Prozent auf
51.230 Euro (West) und 28.540 Euro (Ost). Noch drastischer wird die rot-grüne
Umverteilungspolitik beim reichsten Zehntel erkennbar. Stieg deren Vermögen
unter CDU und FDP bis 1998 von 76.710 Euro (West) und 26.790 Euro (Ost) auf
86.980 bzw. 38.300 Euro, so sprang es unter SPD und Grünen abermals auf
106.450 Euro (West) und 55.970 Euro (Ost). Kohl machte die Reichen also nur
um 12 Prozent (Osten: 30) reicher, Schröder aber um 18 Prozent (Osten:
32).
Aber was
kümmerts die gemessen an der Reichtums-Definition (reich sind hierzulande
Menschen mit mehr als 150 Prozent des Durchschnittseinkommens) klar einzuordnende
Abgeordnete Bender? Auch ihr Sein bestimmt ihr Bewußtsein, und so liest
man auf ihrer Website, was sie wirklich bewegt: Ich stehe dazu: Fußballbanausin
ebenso zu sein wie Bewegungsfan. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs in den
Alpen, im Ural, in Tadschikistan, zu Fuß und auf dem Kamel in der Wüste
Sinai und auf dem Kickboard durch Stuttgart. Beim Inline-Halbmarathon 2001
in Stuttgart belegte ich Platz 689 und im Jahr 2002 Platz 403 bei
den Frauen und Platz 36 in meiner Altersklasse. Beim Riderman
in Bad Dürrheim belegte ich 2000 Platz 21 und in 2001 Platz 7
bei Frauen meiner Altersklasse. Ohne körperliche Bewegung verliert meine
Politik. Doch umgekehrt ist auch klar: So lange ich mich so viel bewege wie
jetzt, ist Bewegung auch in der Politik angesagt.
Ihnen, die Sie nicht mit dem Kamel in der Wüste oder dem Kickboard in Stuttgart, sondern Ihrem alten Fahrrad zum Sozialamt unterwegs sind, steht es frei, Frau Bender für eine neureiche Tusse zu halten. Wir würden ihr 345 Euro Sozialgeld im Monat gönnen und einen ergänzenden Ein-Euro-Job. Lebenslänglich.
Eike Stedefeldt