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Engberdinger


Bonn, 4. März 2004. In der Außenstelle des Bundesfamilienministeriums tagt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Zuerst prüft das zwölfköpfige Gremium an diesem Donnerstag die Indizierung einer rechtsextremen CD. Die Texte der Band sind eindeutig, doch die für die BPjM tätigen Pädagogen, Kirchenvertreter und Ministerialbeamten lassen sich an der Nase herumführen. Was die Formulierung „Großdeutsches Reich“ bedeute? Diese spiele nicht auf das „Dritte Reich“ an, sondern auf das zweite, grinst ein Bandmitglied. Wer der besungene Thorsten Koch sei? „Ein junger Skinhead, ein Nationaler“, der „von Ausländern“ ermordet worden sei. „White pride“ und „rote Gefahr“? – „Wir sprechen uns gegen den Terror des Kommunismus aus, der für Vergewaltigung, Mord, Vertreibung und Terror verantwortlich ist“, so der Bandleader. Die Ausschußvorsitzende und Leitende Regierungsdirektorin Elke Monssen-Engberding hat verstanden: „Na, daß der Kommunismus human ist, behauptet ja auch niemand!“ Allgemeine Heiterkeit im Saal.

Als „Verfahrensbeteiligte“ zur 539. Sitzung geladen ist auch die Redaktion Gigi. Im Heft Nr. 27 vom September 2003 hatte Gigi den sogenannten Stefan-Text dokumentiert, womit sie beim Pfarramt St. Laurentius im münsterländischen Senden zum Jahreswechsel unter Pornographieverdacht geriet: „Das Amtsgericht Trier hat diesen Text als ‘eindeutig kinderpornographisch’ eingestuft ... Wir bitten die Bundesprüfstelle, der Argumentation des Gerichts zu folgen und ... diese Ausgabe von Gigi auf den Index zu setzen.“ Was Herr Pfarrer nicht ahnt: Zwei Monate zuvor hatte bereits die Staatsanwaltschaft Berlin den Gigi-Text für unbedenklich erklärt. Die etwa halbstündige Debatte im Bonner Ministerium ist indes keine fachwissenschaftliche – allenfalls geben hier besorgte Bürger Wertungen ab. Entsprechend ist das Ergebnis. Die Bundesprüfstelle sieht zwar von einer Indizierung ab, hält jedoch einen „Fall“ für gegeben – wenngleich einen „von geringer Bedeutung“. (vgl. Gigi Nr. 29, S  37; Nr. 31, S. 37 sowie „Stefan again“ in diesem Heft.)

In ihrer schriftlichen Begründung wird die BPjM jedoch unvorsichtig. Sie mogelt eine angebliche „Zusicherung“ seitens Gigi in den Beschluß, die jede Redaktion als Angriff auf die Pressefreiheit zurückweisen muß. Die Bundesprüfstelle sieht „den beanstandeten Beitrag im Sinne des Jugendschutzes als problematisch an“ und habe die Redaktion „darum gebeten ... die Themenbereiche Sexualität zwischen Erwachsenen und Minderjährigen besonders sensibel zu behandeln ... Nach der Zusicherung der Verfahrensbeteiligten (werden) Artikel in dieser Form nicht mehr erscheinen.“ Anders gesagt: Eine ministerielle Zensurabteilung erfindet eine Zusage, nach der eine unabhängige Redaktion der „Bitte“ eben dieser Behörde nachkomme, bestimmte, von einer Staatsanwaltschaft für unbedenklich erklärte Texte und Themen künftig nicht mehr zu veröffentlichen.

Das Motiv ist offensichtlich: Wird das ermahnte Blatt erneut auffällig, kann die BPjM die „gebrochene“ Zusicherung als indizierungsverschärfend werten. Gigi protestiert und fordert eine „Richtigstellung der Entscheidungsbegründung“ – ein üblicher Vorgang im Verwaltungsrecht. Nur ahnt Gigi nicht, daß Zensurbehörden nach eigenen Regeln arbeiten. Am 13. Mai 2004 teilt Frau Monssen-Engberding mit, eine Richtigstellung sei bei Indizierungsangelegenheiten nicht vorgesehen und widerspreche zudem dem Grundgesetz (!): „Eine nachträgliche Änderung der Urteilsbegründung entspräche ... nicht dem vorgeschriebenen Gang eines Indizierungsverfahrens und würde somit zu einer, mit dem im Grundgesetz vorgesehenen Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang zu bringenden Rechtsunsicherheit führen.“ Im übrigen sei die von ihr eingefügte Formulierung „... daß Artikel in dieser Form nicht mehr erscheinen“ werden, „viel zu unbestimmt, um daraus die Unabhängigkeit Ihrer Redaktion im Sinne einer staatlichen Einschränkung, respektive Kontrolle in Frage zu stellen“.

Warum die viel zu unbestimmte Formulierung dem Gigi-Redakteur dann in den Mund gelegt wurde, erklärt die BPjM nicht. Anstatt zu erläutern, was konkret den Stefan-Text jugendschutzrechtlich problematisch macht, vollzieht sie einen formaljuristischen Salto mortale: „Die Einstufung des verfahrensgegenständlichen Textes“ durch die Staatsanwaltschaft Berlin als nicht pornographisch habe zwar „auf den Prüfgegenstand der Bundesprüfstelle keinen Einfluß“. Dennoch bestärke „allein die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf den Pornographietatbestand ermittelt hat“, „die Annahme einer Jugendgefährdung“. Merke: Was ein Staatsanwalt nicht schweinisch findet, ist beim Bundesjugendschutz erst recht verdächtig.

Der Redaktion reicht es. Um eine Klarstellung durch die BPjM zu erzwingen, zeigt sich Gigi am 19. Juli 2004 wegen Verbreitung von Kinderpornographie beim Berliner Landesjugendamt selbst an. Doch die Abteilung III C 3 des Jugendsenats will die Sache nicht einmal prüfen. Ohne Betreff und Aktenzeichen läßt die Behörde am 29. Juli wissen, sie habe „weder Entscheidungen einer Staatsanwaltschaft noch Entscheidungen der BPjM zu bewerten ... Gegen die von Ihnen beantragte Entscheidung war ausschließlich die ... Klage vor dem Verwaltungsgericht statthaft.“

Der Knüller jedoch versteckt sich in winziger Schrift im Urhebervermerk. Als „Bearbeiter“ nennt das Schreiben eine, der man – bei allen politischen Differenzen – ein gesteigertes Interesse an der Rechtssicherheit von Szenemedien zugetraut hätte. Es handelt sich um die Ex-Lesbenaktivistin und erste Chefin des senatseigenen Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen: „Frau Dr. Kokula“.

Dirk Ruder