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Zu eng


Regierung und Opposition planen schon wieder ein Anti-Terror-Gesetz. Während in Detailfragen von den Bundestagsfraktionen hier und da noch Beratungsbedarf angemeldet wird, ist man sich hinter den Kulissen im Grundsatz einig, daß die Beschränkung der DNA-Analyse auf Straftaten von erheblicher Bedeutung „zu eng“ sei. Die DNA-Analyse soll daher künftig dem Fingerabdruck gleichgestellt werden. Klingt harmlos, ist es aber nicht: Was der Öffentlichkeit euphemistisch als „Gleichstellung“ verkauft wird, bedeutet in Wirklichkeit eine massive Ausweitung der Verfahrens und einen weiteren Schritt in Richtung Totalerfassung.

Bislang dürfen Blutproben zur DNA-Analyse nur auf richterliche Anordnung und bei begründetem Verdacht auf eine schwere Straftat entnommen werden, um daraus ein beweisfähiges sogenanntes DNA-Muster zu erstellen. Die Proben müssen laut Gesetz anschließend wieder vernichtet werden, man darf jedoch getrost davon ausgehen, daß die aus den DNA-Mustern gewonnen Informationen weit weniger restriktiven Datenschutzkriterien unterliegen. Einen Beleg dafür lieferte erst unlängst der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD), der sich stolz rühmte, seine Landespolizei habe im letzten Jahr ihren bundesweiten Spitzenplatz beim Einsatz der DNA-Analyse „weiter ausgebaut“. Bis zum 1. Januar 2004 wurden allein durch das NRW-Landeskriminalamt 40.882 Personen in die DNA-Analyse-Datei eingestellt, was immerhin der Bevölkerung einer mittelgroßen Gemeinde entspricht. Dem stehen nur 9.860 Tatortspuren gegenüber. Man sammelt also vor allem Menschen.

Gehörte die DNA-Analyse künftig wie geplant zum Standardrepertoire erkennungsdienstlicher Behandlung, stünde die gesamte Bevölkerung permanent unter Verdacht. Der kann sich für die Behörden mal durch Teilnahme an einer – legalen – Demonstration ergeben, mal durch den Besuch in einer Schwulenkneipe, wie schon die Großrazzia in der Hamburger „Wunderbar“ im Februar 2001 verdeutlichte. Um in einer Verbrecherdatei zu landen, ist anno 2004 immer weniger entscheidend, ob man tatsächlich etwas verbrochen hat, sondern vielmehr, welchen Verdacht die Polizei gerade zu konstruieren beliebt. Wer sich da zur falschen Zeit am falschen Ort rumtreibt, hat eben Pech gehabt. Daß die DNA-Analyse künftig auch bei leichten Vergehen mit – wie es neuerdings im Parlamentsdeutsch heißt – „sexuellem Hintergrund“ Anwendung finden soll, beunruhigt bislang in der Lesben- und Schwulenszene auffällig wenige. „Die im vergangenen Sommer vorgenommene Verschärfung des Sexualstrafrechts hat bei Regierung und Opposition offenbar nicht für ausreichende Triebabfuhr gesorgt“, kommentierte, wie so oft, als einzige Gruppierung die AG Schwulenpolitik des whk. In der Pressemitteilung vom 3. März warnte das whk davor, sexuelle Abweichler jedweder Couleur dem Generalverdacht eines potentiellen Sexualverbrechens aussetzen.

Nun wird der Gesetzgeber weder auf das whk noch auf jene namhaften Rechtsexperten hören, die vor einer Abkehr vom demokratischen Staat warnen und – wieder einmal – die weitere Etablierung autoritärer Rechtsprinzipien beklagen. Schon jetzt hat gerade im sensiblen Bereich des Sexualstrafrechts fachliche Hellseherei mitunter größeren Einfluß aufs Strafmaß als die begangene Tat. Wenn Gutachter, die nicht zuletzt aus Karrieregründen nur ungern ein Risiko eingehen, annehmen, ein wegen eines Sexualdelikts Verurteilter könne nach seiner Haftentlassung möglicherweise weitere Taten begehen, werden sie vor Gericht schon aus beruflichem Interesse auf Anordnung von Sicherheitsverwahrung für den Delinquenten drängen. Was beispielsweise einem Journalisten durch den Pressekodex als unzulässige Vorverurteilung untersagt wäre, feiert so im Gerichtssaal fröhliche Urständ. Welchen Juristen schert denn, daß ein Verurteilter niemals wird beweisen können, eine ihm prognostizierte Straftat nicht zu begehen, wenn er „präventiv“ bis auf den Sankt Nimmerleinstag weggesperrt ist? Man hat es hier mit der Wiederkehr der im Mittelalter berüchtigten „Hexenprobe“ zu tun: Dem Beschuldigten ist es unmöglich, jemals den Gegenbeweis seiner Unschuld anzutreten. Modernes Strafrecht.

Daß einem bei der Debatte um potentielle Triebtäter in letzter Zeit häufiger die Namen prominenter Unions-Bundestagsabgeordneter einfallen, erklärt sich so: Mehr als andere Parteien wollen CDU/CSU potentielle Straftäter bestrafen, noch bevor die überhaupt straffällig wurden. So fordert ein mit ausdrücklichem Verweis auf das Sexualstrafrecht am 9. Dezember 2003 von „Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion“ im Bundestag vorgelegter Entschließungsantrag (BT-DS 15/2159), die DNA-Analyse „zu präventiv-polizeilichen Zwecken“ auch bei „gewohnheitsmäßig Handelnden“ anzuwenden. Wer jetzt wirklich noch glaubt, daraus ließe sich bei Bedarf nicht auch ein probates Rechtsmittel gegen, sagen wir, Cruiser oder Klappengänger stricken (sexueller Hintergrund!), ist bestenfalls naiv.

Schon vor Jahren machten die Schwulen Juristen (BASJ) in diesem Kontext darauf aufmerksam, daß Cruising im Freien nach §183 StGB als exhibitionistische Handlung geahndet werden kann. Und genau darin sehen Merkel und Co. wegen der offensichtlichen „Wiederholungsgefahr“ den „Beginn einer kriminellen Karriere …, an deren Ende schwerste Straftaten stehen können“. Die Union glaubt nämlich allen Ernstes, „daß auch bei Tätern niedrigschwelliger Sexualdelikte wie exhibitionistischer Handlungen mit erneuten Straftaten und dabei häufig auch mit einer Straffälligkeit im Bereich gravierender Sexualdelikte zu rechnen ist“. Schon vor drei Jahren forderten einschlägig bekannte Politiker, für „rückfällige“ Exhibitionisten müsse auch die „chemische Kastration“ in Betracht kommen. Da freut man sich doch gleich auf die nächste Bundesregierung.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat Maßnahmen wie die DNA-Analyse vor drei Jahren als tiefgreifenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gewertet, doch das interessiert heute in Berlin schon keinen Parlamentarier mehr. Zwar fordern Bedenkenträger wie der grüne Bundestags-Innenpolitiker Jerzy Montag, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse gewahrt bleiben, gegen die Ausweitung der DNA-Analyse als solche hat allerdings auch er keine Einwände: Massentest etwa zur Aufklärung von Sexualstraftaten könne er „nicht kritisieren“. Nützlich wäre jedoch, bei Massentests ein Faltblatt zu verteilen, das die Betroffenen über ihre Rechte aufklärt, so Montag. Die DNA-Analyse sei ein „sehr effektives Mittel zur Aufklärung von Verbrechen“, schließlich habe das Verfahren in den USA schon 150 Unschuldige aus den Todeszellen geholt.

Was fehlt? – Die Genregion, die aktuell im Verdacht steht, für Homosexualität ausschlaggebend zu sein. Sie trägt den Namen Xq 28. Danach gesucht und entdeckt hat sie ein übrigens schwuler Wissenschaftler vom Nationalen Krebsforschungsinstitut der USA.

Dirk Ruder