Dog
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Zwei Tage
nach seinem achtzehnten Geburtstag, in Armeegrün, wartet er auf die Abfahrt
seines Busses, setzt sich in ein Café, bestellt etwas bei einer jungen
Serviererin mit einer Schleife im Haar. Er ist schüchtern, sie lächelt
ihn an. Würdest du dich einen Moment zu mir setzen und mit mir
reden? Ich fühle mich nicht gut. Sie habe in einer Stunde Feierabend
und wisse ein ungestörtes Plätzchen ... Sie gehen zum Pier. Ich
wette, du hast einen Freund, aber das kümmert mich nicht. Ich habe niemanden,
dem ich einen Brief schicken könnte. Darf ich dir schreiben?
Erste
Briefe treffen aus einem Army-Camp in Kalifornien ein, weitere aus Vietnam.
Er schüttet ihr sein Herz aus, schreibt von seinen Ängsten. Wenns
hier gefährlich wird, denke ich immer an den Tag, als wir unten am Pier
saßen. Dann schließe ich die Augen und sehe Dein schönes
Lächeln. Mach Dir keine Sorgen, ich werde eine Weile nicht schreiben
können. Sie wartet täglich auf den Brief, der seine Heimkehr
ankündigt; dann wird sie nie mehr allein sein. Eines Freitagabends bei
einem Footballspiel, als das Gebet gesprochen und die Hymne gespielt ist,
bittet ein Mann den Blick zu senken zur Verlesung der Liste lokaler Vietnam-Gefallener.
Ein Name wird verlesen, den niemand wirklich kennt. Die einzige, die weint,
ist die Piccolo-Spielerin der Marschkapelle, ein hübsches junges Mädchen
mit Schleife im Haar.
Das ist
die Geschichte, die das Country-Trio Dixie Chicks im Song Travelin
Soldier besingt. Seit Monaten rangieren Natalie Maines, Emily Robison
und Martie Maguire, die höchtselbst bei Football-Spielen unweit kalifornischer
Kasernen die US-Hymne intonieren, damit in den US-Country-Top Ten; ihre CD
Home steht auf Platz eins der Album-Charts, und am 23. Februar
hagelte es im New Yorker Madison Square Garden gleich drei Grammys: bestes
Country-Album, bester Country-Gruppen-Song (Long Time Gone) sowie bestes
Country-Instrumental (Lil Jack Slade); als Zugabe ein Grammy
fürs Recording Package. Kollegin Sheryl Crows Gitarre zierte am Abend
der Verleihung ein No war! Das gesungene Bekenntnis der Dixie
Chicks hat das Publikum unterdessen hunderttausenddollarweise honoriert.
Warum hat Sony/Columbia Travelin Soldier gerade jetzt relaunched? Als Single veröffentlicht wurde er nämlich bereits 2001, ein Hit jedoch erst ab Ende 2002 entgegen jeder Logik des schnellebigen Musikgeschäfts. Und obwohl er aus diesem Grunde auch keine Nominierung als bester Country-Song des Jahres 2002 bekommen konnte, ist er doch derzeit auf allen Country-Frequenzen der mit Abstand meistgespielte: Man kann ihm auf keinem US-Kanal entgehen.
Die Wirkung
bleibt nicht aus, wie zahlreiche Hörerkommentare im Internet zeigen.
Ich
liebe diesen Song so sehr schreibt jemand namens starbud520
am 10. Januar ins Diskussionforum von leoslyrics. Er erinnert mich an
jemanden, der mir sehr nahesteht und gerade zu den Marines eingezogen wurde.
Er ist auch ein Travelin Soldier ...
Eine Cassie
läßt eine Woche später wissen: Ich habe dieses Lied
letzte Nacht im Radio gehört und brach sofort in Tränen aus. Mein
Bruder ist bei den Marines und wird kommende Woche wer weiß wohin verschifft
... Im Gegensatz zu Cassie weiß Ashley, eine weitere Woche später,
sehr genau, wohin Dustin, die Liebe meines Lebens, unterwegs ist:
Er ist auf einem Kriegsschiff in den Irak. Doch ich warte hier aus Liebe
zu meinem Travelin Soldier und bete jede Nacht, daß
er sicher zurückkehrt und ich ihn wiedersehen kann. Sheena meint
am 31. Januar: Mein Freund Nate ist auch in der Navy. Er wurde eben
nach Japan verlegt und ist nun auf dem Weg zum Persischen Golf, für
alle Fälle ... Ich habe heute diesen Song gehört und bin so
deprimiert seitdem. Bitte betet mit mir und vielen anderen, daß Gott
unsere Geliebten beschützen möge.
Einer
dieser Geliebten heißt Jimmy. Ich wurde gerade in die Einschreibungsliste
des United States Marine Corps eingetragen, teilt er am 1. Februar 2003
mit und zeichnet sogleich stolz mit der Nummer auf seiner dog tag, der 'Hundemarke:
USMCguy021009. Als er und seine Freundin den Titel das erste Mal gehört
hätten, hätten beide geweint in dem Wissen, daß ich
bald nicht mehr zu Hause sein werde. Zum Schluß appelliert er
an alle Angehörigen: Es ist ein schrecklicher Job, aber Ihr müßt
stark sein für Eure Männer und Frauen. Gott schütze die USA!
Stevie
I am a british soldier on my way to the Gulf berichtet
tags darauf von seinem Kloß im Hals beim Gesang der drei Texanerinnen:
Ich habe einen Bruder, der schon da draußen ist und einen weiteren
Bruder, der bald auf die Reise geht. Beide sind verheiratet und der Song scheint
für sie geschrieben zu sein.
Ein anonymes
Mädchen möchte am 10. Februar sich selbst in dem Lied erkennen:
Das erinnert mich an meinen Bruder. Er starb im Golf-Krieg. Immer, wenn
ich es höre, weine ich. Ich bin in einer Marschband und es ist unheimlich,
wie nahe es an mein Leben herankommt. Eine Sanguine antwortet ihr am
12. Februar: Ich hatte einen Travelin Soldier, aber ich fand diesen
schlimmen Brief in der Post mit einem Satz dog tags. Das war nur fünf
Monate vor unserer Hochzeit. Auch sie sei Piccolo-Spielerin gewesen
in einer High-School-Band und Kellnerin, als sie ihm begegnete. Mein
Herz ist mit allen, die Travelin Soldiers haben. Zum Beispiel
mit fitch chick, die am 23. Februar zu dem Lied schreibt:
Immer, wenn ich es höre, muß ich weinen, weil mein Dad bei der
Army ist und in den Krieg geschickt werden könnte. Ich werde in so sehr
vermissen, aber wenn er abreist, werde ich stets an ihn denken, wenn ich diesen
Song höre ... Gott schütze jeden, der im Krieg ist!
Nur sehr
naive Gemüter können die Schnulze als Anti-Kriegs-Lied verstehen.
Es wäre vielleicht eines, ginge es darin um die asiatischen Zivilopfer
des Zurückbombens in die Steinzeit der Nixons und McNamaras.
Doch der millionenfache Tod aus der Luft, der Napalm-Einsatz, die Folterungen
werden verschwiegen, während das Leid der mit High-Tech-Waffen mordenden
Marines und ihrer Angehörigen glorifiziert wird und das Ganze,
wie stets im Krieg, selbstverständlich verpackt in und ausgerichtet auf
eine heterosexuelle Zweisamkeit.
So und nicht anders funktioniert Propaganda an der Heimatfront. Die
Dixie Chicks haben sich mit ihrem Vier-Minuten-Rührstück um die
patriotische Konditionierung ihrer Landsleute für den Irak-Krieg verdient
gemacht. In diesem Heft finden sie diverse weitere Beispiele von nicht-musikalischen
Fronten.
Eike Stedefeldt