Andere Völker hätten sich Vulkanausbrüchen, Erdbeben und sonstiger
Naturereignisse zu erwehren, sagte der Journalist Felix Rexhausen sinngemäß
in seiner berühmtesten Rundfunkglosse. Den davon weitgehend verschonten
Deutschen sei jedoch eine andere ständige Prüfung ihrer menschlich-demokratischen
Gesinnung auferlegt: Sie müssten mit Bayern leben.
Über
33 Jahre später droht angesichts eines bayerischen Ministerpräsidenten
als Kanzlerkandidat eine Prüfung unter verschärften Bedingungen
wie 1980. Damals trat Ministerpräsident Franz Josef Strauß gegen
den amtierenden Helmut Schmidt an. Ein Anti-Strauß-Bündnis erreichte
bis dahin in der Bundesrepublik ungekannte Ausmaße. Diese linke Kampagne
habe in der deutschen Geschichte bislang nur ein Vorbild, sprach Strauß
Wahlkampfmanager Edmund Stoiber in die laufende ZDF-Kamera und nannte den
Namen Joseph Goebbels. Welch ein Hohn: FJS war Mitglied im Nationalsozialistischen
Kraftfahrerkorps, im Nationalsozialistischen Studentenbund, weltanschaulicher
Referent beim Münchner Sturm 23/M6 sowie 1943 als Oberleutnant Chef der
Stabsbatterie und Offizier für wehrgeistige Führung
gewesen. Als er 1988 starb, hielten Soldaten in Wehrmachtshelmen Totenwache.
Die
personelle Konstellation vor der jetzigen Wahl rechter Unions- gegen
rechten SPD-Flügel erscheint ähnlich wie die von 1980, nur
hat Stoiber bessere Karten als dazumal Strauß. Rot-Grün hat den
Neoliberalismus in Regierungspolitik umgesetzt. Die Bilanz ist eine dramatische
Umverteilung von unten nach oben durch faktische Abgabenfreiheit für
Konzerne, die Abschaffung der Vermögenssteuer sowie die Steuerfreistellung
der Gewinne aus Unternehmensverkäufen. Kräftig sparten SPD und Grüne
bei den Opfern des Rechtsvorgängers, bei Sklavenarbeitern und zuletzt
bei Rosa-Winkel-Häftlingen. Im ersten Fall sollten die Täterfirmen
ihre Entschädigung steuerlich absetzen dürfen, im zweiten
wurde sie ganz ausgeschlossen. Bei Strahlenschutz und Reaktorsicherheit war
Rot-Grün so was wie der Supergau, so das frühere Neues-Forum-
und Berliner Abgeordnetenhausmitglied Sebastian Pflugbeil. Wir haben
einen Atomausstieg, der praktisch eine Profitgarantie für die Betreiber
ist. Das Staatsangehörigenrecht wurde nur ein bisschen von Blut
nach Boden reformiert als siehe Green Card Basis
eines unternehmerfreundlichen Rassismus der Nützlichkeit. Derweil
die Preise für die Nutzung grundlegender Infrastrukturen wie Post, Bahn
und Öffentlicher Nahverkehr nach deren Privatisierung kräftig stiegen,
wurde jede Bauruine für den Investor zum Steuersparmodell. Für militärische
Transportflugzeuge und andere Waffensysteme stellte Rot-Grün Milliardensummen
bereit und senkte durch Ausfallbürgschaften das Profitrisiko der Hersteller
auf Null. Riester-Rente und Gesundheitsreform als Sparprogramme
für Staat und Wirtschaft versetzten einem Sozialsystem den Todesstoß,
das die Sozialdemokratie selbst einst Bismarck abtrotzte. Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten
wurden zu Erwerbsminderungsrenten reformiert, die unters Existenzminimum
führen; für Behinderte ist angesichts von vier Millionen gemeldeten
Erwerbslosen ein Arbeitsmarkt quasi nicht existent.
Flankiert
wird all dies von modern daherkommenden, im Kern stockkonservativen gesellschaftspolitischen
Konzepten, die vor allem zwei Dinge zum Inhalt haben staatliche und
soziale Kontrolle der Individuen zu stärken und den Staat finanziell
aus der Pflicht zu nehmen. Bestes Beispiel ist die für diese Zeitung
zentrale Lebensformenpolitik, die unter Rot-Grün in die alte Ehe-, Familien-
und Reproduktionsideologie zurückfiel: Die Ehe ist nicht mehr als
eine Unterhaltsverpflichtung
Der Kern der Ehe ist die Solidargemeinschaft
Diese Einstehensgemeinschaften sind Keimzellen des Staates und man muss sie
erhalten und fördern, heißt es da etwa oder dass die Abschaffung
des Ehegattensplittings Quatsch wäre, denn das spart
dem Staat ja auch Geld, zum Beispiel bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Oder: Was den nachehelichen Unterhalt angeht und die Möglichkeit
von dessen Ausschluss durch einen Ehevertrag oder notariellen Vertrag bei
der Lebenspartnerschaft, da bin ich ein echter Konservativer. Ich will, daß
der Ausschluss des nachehelichen Unterhalts
abgeschafft wird.
Das sagte bei einem Berliner Wahlkampfauftritt am 29. August nicht Stoibers
Kompetenzfrauchen Reiche, sondern der grüne Rechtspolitiker Beck. Was
sich hingegen ursozialdemokratisch anhört: Wir müssen dafür
sorgen, dass Kinder nicht das Armutsrisiko Nummer eins in Deutschland bleiben.
Wer unverschuldet in Not gerät, muss sich auf die Hilfe der Gemeinschaft
verlassen können, ist O-Ton Edmund Stoiber. Nach vier Jahren Rot-Grün
links zu wirken, ist nicht mal für ihn mehr ein Kunststück.
Es ist nie die Opposition, die Wahlen gewinnt, sondern immer die Regierung, die sie verliert, formulierte einst treffend Winston Churchill. Sollte Stoiber Kanzler werden, so verdankt er das maßgeblich den in der ausgehenden Legislaturperiode unmittelbar spürbar gewordenen sozialen Verschlechterungen. Den davon besonders betroffenen und breiter werdenden unteren Schichten gilt Stoiber deshalb längst nicht als Alternative zu Schröder, sondern viel eher als verzweifelter letzter Versuch in Ermangelung einer wirklichen Alternative. Andere wiederum werden vielleicht noch höhere Maßstäbe anlegen, sich fragen, unter welchem Regierungschef zuletzt deutsches Heer gleichzeitig an sieben Fronten auf drei Kontinenten stand und wie der erste deutsche Kriegskanzler nach dem Mai 1945 heißt. Die Schlussfolgerung wird gleichermaßen düster wie hilflos ausfallen: Nach den letzten vier Jahren läßt sich getrost das Original wählen oder anders gesagt: mit dem Bayern leben. Übergeben Sie sich bitte jetzt.
Eike Stedefeldt