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Verwertung



Unsere letzte Ausgabe befasste sich mit dem Umgang von Rot-Grün sowie der „homosexuellen Bürgerrechtsbewegung“ mit den Opfern des §175 – inklusive jener nach dem Nazi-Paragraphen in der BRD bis 1969 Verurteilten, denen diese Regierung, weil sie die Verfolgung in der Demokratie und damit den §175 selbst als rechtens ansieht, nicht einmal die Rehabilitation zugesteht. Die Proteste aus der Szene dagegen hielten sich in Grenzen.

Als aber am 4. Juni die Koalition überfallartig einen Gesetzentwurf über die Gründung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung ohne vorherige Bekanntmachung oder gar öffentliche Diskussion in den Bundestag einbrachte und ihn bereits zehn Tage später verabschieden wollte, begannen die schlafenden Szenehühner heftig zu gackern. Aber wodurch hatten sie sich aufscheuchen lassen?

Nicht dadurch, dass im Gesetz die Entschädigung der Opfer der §175 und 175a gar nicht mehr vorkommt, die im ursprünglichen, von der Berliner Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG) propagierten Stiftungskonzept zumindest am Rande noch enthalten war. Erst recht nicht sorgte für Empörung, daß die Stiftung faktisch deren zweite Enteignung zum Inhalt hat – laut Koalition geht es um den Ausgleich „für die Zerschlagung der schwulen und lesbischen Infrastruktur“, womit kurzerhand übergangen wird, daß jene Infrastruktur konkrete Eigentümer hatte. Empört wurde sich auch nicht über die Anmaßung, daß eine öffentlich-rechtliche Stiftung des Staates Bundesrepublik Deutschland, statt zunächst die ausländischen Opfer seines Rechtsvorgängers zu entschädigen, dort laut Gesetz „Emanzipations-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsarbeit“ fördern soll. Als hätte sich Deutschland diesbezüglich bisher als sonderlich kompetent erwiesen. Wie schrieb Gigi-Autor Peter Kratz Ende April an die MHG: Die geplante Stiftung solle „ein weiteres Kriegsverbrechen in eine gute Tat ummünzen“.

Nein, empört wurde sich über die konspirative Art des Zustandekommens des Stiftungsgesetzes sowie die Besetzung des Kuratoriums. „Der jetzt von den Regierungsfraktionen verbreitete Entwurf eines Stiftungsgesetzes ist nicht (rpt: nicht) die Fassung, auf deren Grundlage ich (…) unsere Zustimmung signalisiert hatte“, erregte sich sogar Ralf Dose von der MHG. „Jetzt sind wieder alle Bestimmungen, insbesondere die Gre-mienzusammensetzung und die Aufgabenstellungen, auf den Heimatverband des führenden grünen Abgeordneten zugeschnitten. Für mich riecht das ziemlich schlecht nach Aufbau einer Ersatzstruktur für die durch problematischen Umgang mit Staatsknete (sehr höflich ausgedrückt) in NRW entstandenen Finanzprobleme seines Verbandes. So nicht!“

Doch, genau so. Der Rechtsausschuss des Bundestages verschob die zweite und dritte Lesung um ein paar Tage und setzte für den 24. Juni eine nochmalige Expertenanhörung an. Der „führende grüne Abgeordnete“ Volker Beck und Margot von Renesse (SPD) dokumentierten ihre Macht, indem sie nicht mal eigene Experten benannten und lehnten sich ruhig zurück, als Patrick Maas (Schwules Netzwerk NRW, Geschäftsführer der Queer-Zeitung), Dr. Thomas Norporth (Völklinger Kreis/VK), Fabian Straßenburg (Jugendnetzwerk Lambda) sowie Ralf Dose (Aktionsbündnis Magnus-Hirschfeld-Stiftung) Statements abgaben, die allenfalls bei Dose den Terminus „Expertise“ verdienten. Die drei Verbandsvertreter hatten lediglich ein Ziel: Rein ins Kuratorium! Das erreichte nur der VK.

Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD werden demnach je zwei (je nach Wahlergebnis maximal drei), FDP, Grüne und PDS je eine Person dorthin entsenden. Macht maximal acht. Das Familienministerium als Aufsichtsbehörde entsendet vier. Je einen Sitz bekommen der Fachverband Ho-mo-sexu-alität und Geschichte e.V., die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), der VK, die Gewerkschaft ver.di, der Lesbenring sowie der Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen Homosexueller e.V. (BEFAH). Zwei Sitze hingegen sind für den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) sowie die ILGA Europa reserviert.

Es lohnt sich, genauer hinzusehen: Der BEFAH ist ein dem „Heimatverband des führenden grünen Abgeordneten“ assoziierter Verein von Eltern, die trotz Kindern mit unglücklicher Neigung endlich als vollwertig gelten wollen. Und die sollen homosexuelle Emanzipation fördern? Auch die HuK, wo man nicht einmal begreift, daß man sich nicht in der Kirche emanzipieren kann, sondern nur von ihr, ist über diverse Doppelmitgliedschaften, etwa die des LSVD-Bundessprechers Manfred Bruns, mit dem „Heimatverband des führenden grünen Abgeordneten“ verzahnt. Und der unverdächtige Homo-Arbeitskreis der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft? Dessen Protagonisten zeigten schon in der Vergangenheit eine gewisse Nähe zum „führenden grünen Abgeordneten“: Der Berliner BfA-Personalrat Klaus Timm, der Frankfurter Lufthansa-Betriebsrat Ingo Marowsky oder der sowohl bei SPD und HuK als auch LSVD aktive Kölner Verwaltungsangestellte Jörg Lenk waren nur drei der homophilen Gewerkschafter, die Beck zur Bundestagswahl 1998 unterstützten. Die ILGA Europa hingegen – bekanntester Repräsentant in der BRD ist der schon vor zehn Jahren beim Berliner Schwulenverband aktiv gewesene Hartmut Schönknecht – wird von konformistischen Homo-Bürgerrechtsvereinen geprägt (deren Politik soll die Stiftung ja ebenfalls finanzieren), und einer der dominierenden ist der „Heimatverband des führenden grünen Abgeordneten“. Mit dem Bundestagslobbyisten VK sind der „führende grüne Abgeordnete“ und sein Heimatverband ebenfalls bestens vertraut: Man konspirierte bei den Vorbesprechungen zu Becks Eingetragener Lebenspartnerschaft mit Ministerin Däubler-Gmelin, und auch Gerhard Meusel, Kölner VK-Bundesvorstandsmitglied, rief 1998 öffentlich zur Wahl Becks auf.

Welches Fachpersonal die Parteien und das egal von welcher geführte Familienministerium entsenden werden, liegt auf der Hand: Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) sind ebenso Mitglied im „Heimatverband des führenden grünen Abgeordneten“ wie die sozialdemokratischen Schwusos; beide stellen dort Bundessprecher. FDP und PDS können da so wenig stören wie der Alibi-Sitz des Lesbenrings.

Zur Erinnerung: Die Stiftung soll den Namen des jüdischen Sexualforschers Magnus Hirschfeld tragen und angeblich geschichtliche Forschung fördern. Haben BEFAH, HuK, LSVD oder ILGA diesbezüglich höhere Kompetenzen erworben als etwa die teils sogar personell noch in der Traditionslinie Hirschfelds stehende Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung in Frankfurt am Main, mit der sich Namen wie Dannecker und Sigusch verbinden? Oder grundsätzlicher: Warum wurde das Stiftungskapital nicht der schon seit Jahren existierenden gemeinnützigen, aber partei- und staatsunabhängigen HMS zugewiesen, die aus der Homo-Szene heraus entstanden ist? Eben, der Einfluss des „Heimatverbands des führenden grünen Abgeordneten“ wäre dort nicht gesichert. Da hievt man lieber den VK ins Kuratorium, der aufs engste mit dem Nazi-Staat liierte Konzerne für ihr „Diversity Management“ auszeichnet. Auf solche Konsorten ist auch Verlass, wenn’s mal wieder andersrum geht.

Bliebe noch anzumerken, um welche Sümmchen es sich handelt. Noch im letzten Heft meldete Gigi, daß die Initiative Magnus-Hirschfeld-Stiftung 20 Millionen DM als Stiftungskapital vom Bund fordere. Der nun gesetzlich festgesetzte, bis 2006 in vier Raten einzuzahlende Betrag beläuft sich auf 15 Millionen Euro. Rund 50 Prozent mehr also, obgleich die noch lebende NS-Opfer (oder die Angehörigen bzw. Erben der Toten) abermals leer ausgehen sollen. Ford lässt sie nicht mehr zwangsarbeiten und die IG Farbenindustrie missbraucht sie nicht mehr für medizinische Versuche. Das bedeutet nicht, daß sie nicht mehr zur Verwertung taugen.

Apropos: Weiter hinten im Heft finden Sie eine Befragung Albert Eckerts von der beim LSVD angesiedelten Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“. Deren Ziel ist die Errichtung eines nationalen „Denkmals in zentraler Lage“ für die als Homosexuelle Ermordeten unweit des künftigen Mahnmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Die Unterstützerliste weist auch den Namen eines früheren grünen Asylpolitikers und nunmehr prominenten FDP-Antisemiten aus: Jamal Karsli. Das gibt Ihnen Rätsel auf? Uns nicht. Aber Hauptsache, Ihr Reisepass ist noch gültig.

Eike Stedefeldt