Mitte der 80er Jahre ermittelt die Staatsanwaltschaft in der bayerischen Kleinstadt
Memmingen gegen 355 Frauen, die ohne Sozialberatung einen Schwangerschaftsabbruch
durchführen ließen. Das Belastungsmaterial im größten
Abtreibungsprozeß der Nachkriegszeit liefert die beschlagnahmte Patientinnenkartei
des ebenfalls verurteilten Frauenarztes Horst Theißen. Deren Verwendung
rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht in seinem Revisionsurteil vom 3. Dezember
1991 als den zuverlässigsten und dadurch für die Beteiligten
zugleich den schonendsten Weg der Ermittlung. Denn Ermittlungen
im Umfeld des Arztes oder der Schwangeren lassen wenig zuverlässige Aufklärung
erhoffen oder müßten sehr breit und zugleich intensiv angelegt
sein, sollten sie einigen Erfolg versprechen. Die Annahme eines Geheimbunds
von KindstöterInnen, der eine zuverlässige Aufklärung
der Behörden hintertreibe, beflügelte das um einigen Erfolg
bemühte Gericht: Der Abbruch der Schwangerschaft nach § 218
ist ein Delikt von erheblichem Gewicht; die beschriebenen Widrigkeiten
daß durch bloße Vernehmungen der Angeklagten kein hinreichendes
Belastungsmaterial zu beschaffen sei dürfen nicht dazu führen,
daß verbotener Schwangerschaftsabbruch faktisch nicht verfolgt wird.
Europa
vor zehn Jahren: Polen debattiert ein neues Gesetz, nach dem Abtreibung mit
bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden soll. Jährlich reisen etwa 6.000
Irinnen nach Großbritannien, um das Totalverbot von Abtreibungen zu
umgehen. Im spanischen Malaga wird ein Arzt verurteilt, weil er den Abbruch
bei einer sexuell mißbrauchten Vierzehnjährigen vornahm: vier Jahre
Haft und sechs Jahre Berufsverbot. Als hätte das EU-Parlament 1990 nicht
per Entschließung den dringenden Wunsch geäußert,
daß Frauen in der gesamten EU das Recht auf Selbstbestimmung über
ihr eigenes Leben zugestanden werden muß, also auch das Recht, sich
zwischen Elternschaft und der Unterbrechung einer unerwünschten Schwangerschaft
zu entscheiden. Alle Mitgliedsstaaten wurden aufgefordert, für
eine sichere, erschwingliche und allen Frauen zugängliche Abtreibungshilfe
Sorge zu tragen.
In
der Bundesrepublik des Jahres 1991 blieben alle Forderungen von Frauengruppen
nach einer Volksabstimmung über den § 218 chancenlos. Warum Abtreibung
in allen bedeutenden Kulturen verboten sei, erläuterten
ungezwungener als Richter und Verfassungsrechtler Leserbriefschreiber
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Die staatlich geduldete Abtreibung
wurde in der Weltgeschichte erstmals im kommunistischen Rußland Lenins
durchgeführt. Auch in der Weimarer Republik war es die Kommunistische
Partei, welche in erster Linie für die Freigabe der Abtreibung gekämpft
hat ...
So
sind auch die Kommunisten und ihre Aufhebung des Tötungstabus
1972 in der DDR mit schuld am embryonalen Massenmord. Um die ganze Brutalität
der DDR-Fristenlösung zu enthüllen, fahndeten westdeutsche Medien
in Ost-Krankenhäusern wochenlang nach abgesaugten Embryoresten. Den Rest
besorgte das konservative Deutsche Ärzteblatt: Vielleicht ist die
Mehrheit der Frauen in der DDR ja für die geltende Fristenregelung
bewiesen ist das aber nicht, denn das Gesetz wurde ja nicht von einer demokratisch
gewählten Volksvertretung beschlossen. Die noch nicht Geborenen sind
noch unter keinem Regime dazu befragt worden. Ein Jammer, daß
Ungeborene keine Interviews geben.
Was
im Unrechtsstaat DDR bis 1989 nach Artikel 153 der Verfassung
in den ersten zwölf Wochen straffrei war, wird nun im demokratischen
Portugal 17 Frauen zum Verhängnis. Am 1. Dezember 2001 richtete
die kommunistische Europaabgeordnete Ilda Figueiredo einen dringenden Solidaritätsappell
an die Öffentlichkeit. Die Frauen werden von der Staatsanwaltschaft der
Gemeinde Maia nahe Porto beschuldigt, illegal abgetrieben zu haben oder Teil
eines illegalen Abtreibungs-Netzwerks zu sein. Laut Figueiredo
ist Portugal mit dem Strafmaß von bis zu drei Jahren Haft eines
der europäischen Länder mit der eingeschränktesten und strengsten
Gesetzgebung.
Schon
zum Prozessauftakt am 20. Oktober berichtete Elizabeth Nash im britischen
Independent Einzelheiten des Massenverfahrens gegen die ursprünglich
43 Angeklagten: Die meisten beschuldigten Frauen gaben an, die Schwangerschaft
aus wirtschaftlichen, psychologischen oder persönlichen Gründen
beendet zu haben. Eine Zwanzigjährige, die vier Kinder hat, krank und
arbeitslos ist, wurde von ihrem Mann verlassen. Eine Sechzehnjährige
haust mit ihrem behinderten Bruder in einem Wohnwagen. Einige waren in so
großer Not, daß sie ihren Schmuck abgaben, um den Eingriff zu
bezahlen
Hauptangeklagte ist die Krankenschwester Maria do Ceu Ribeiro,
die von ihrem Haus aus einen Abtreibungsring aus Apothekern, Ärzten,
Krankenschwestern und Taxifahrern organisiert haben soll. Sie wird beschuldigt,
aus Krankenhäusern, in denen sie arbeitete, Instrumente, Beruhigungsmittel
und Antibiotika gestohlen zu haben. Die Angeklagte bestreitet die Vorwürfe
entschieden.
Bei
zwölf Abtreibungsverfahren waren 1998/99 in Portugal acht Frauen verurteilt
worden. Jedes Jahr werden heimlich Tausende von Abtreibungen unter illegalen
und unhygienischen Bedingungen vorgenommen. Portugiesinnen, die es sich leisten
können, reisen zum Abbruch nach Spanien. Die Hindernisse für
abtreibungswillige Frauen demonstriert die offizielle Statistik, nach der
1999 nur 491 Abbrüche stattgefunden haben sollen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen
gehen hingegen von 40.000 aus. Nach ihrer Ansicht sind verpfuschte Abtreibungen
die Hauptursache für die Frauensterblichkeit in Portugal, so der
Independent.
Tausende müssen so sterben, hilft uns denn keiner? klagte der selbst nach § 218 verfolgte Arzt Friedrich Wolf 1929 im Stück Cyankali den Schandparagraphen an. Dieser Tage wird in Maia das Urteil gesprochen. Nicht in einem ordentlichen Gerichtsgebäude, sondern an einem Ort, der wie wenige andere für männliches Dominanzstreben steht: in einer Sporthalle.
Dirk Ruder