Prozesse
Es
waren zwei Ereignisse, die zur Wahl unseres Schwerpunktthemas für dieses
Heft führten.
Am 16. März berichtete die Süddeutsche Zeitung über
einen Eklat im Rechtsausschuss des Parlaments in Ankara: Der türkische
Justizminister schäumte vor Wut, packte seine Mappe, stand auf und verließ
den Raum. Nur mit Mühe habe ihn Premier Ecevit vom Rücktritt
abhalten können. Was den Mann empörte, war der Widerstand
gegen sein Lieblingsprojekt. Der als relativ liberal geltende Hikmet
Sami Türk will im neuen Zivilgesetzbuch die völlige Gleichberechtigung
von Frauen und Männern verankern, ein Anliegen, das bei den
Traditionalisten heftige Opposition hervorruft und zwar auch
aus seiner eigenen Partei DSP. Die Gemüter erregt dabei nicht nur §
202 des Entwurfs, nach dem künftig bei Scheidungen die Hälfte des
Vermögens der Frau gehören soll. Vorgesehen ist auch, daß
die Frau ohne Erlaubnis des Gatten bzw. der Schwiegermutter (!) zur Arbeit
gehen darf, was die rechtsnationale Partei MHP ablehnt unter Verweis auf Tätigkeiten,
die den Familienfrieden stören können. Was Feministinnen ganz
anders sehen: Das Wichtigste ist, daß der Mann nicht mehr der
Haushaltsvorstand sein soll, sagte die Anwältin Senal Saruhan den
Turkish News.
Das
zweite Ereignis fällt in den Zuständigkeitsbereich desselben liberalen
Ministers: Am 21. März begann vor dem Strafgericht Beyoglu/Istanbul ein
Prozess gegen 16 Frauen. Der Vorwurf: Verunglimpfung und Verleumdung
des türkischen Staates, seiner Organe und des Militärs. Konkreter
Anlass der Anklage war, dass sie den Kongress Nein zu sexueller Misshandlung
und Vergewaltigung, der im Juni 2000 in Istanbul stattfand, organisiert
bzw. dort Reden gehalten hatten. Die Staatsanwaltschaft verfügt
anscheinend über genaue Protokolle der Tagung, teilte das Frauenrechtsbüro
gegen sexuelle Folter mit. Man habe Redepassagen zitiert wie Auf den
Polizeiwachen und Polizeipräsidien werden sexuelle Folter und Vergewaltigungen
als eine Arbeitsmethode eingesetzt oder auch Erfahrungsberichte
wie: Ich war in der Anti-Terror-Abteilung in Istanbul in Gewahrsam.
Ich wurde gefoltert und vergewaltigt.
Wie
in der Türkei trotz offiziellen Verbots Aussagen und Geständnisse
vor allem von Oppositionellen zustandekommen, ist längst bekannt. Während
den Verhören und der Polizeihaft wird massiv gefoltert. Die meistangewandten
Foltermethoden sind Elektroschocks, Aufhängen an den Armen oder Aufhängen
mit dem Kopf nach unten, brutale Prügel mit harten Gegenständen,
Vergewaltigungen, sexuelle Mißhandlungen, erläuterte die
Anwältin Eren Keskin am 24. September 1997 im Interview mit dem Nürnberger
Radio Z. Frauen werden bei Festnahmen immer nackt ausgezogen,
verbal sexuell belästigt, begrapscht und sehr oft ... anal oder vaginal
mit Polizeiknüppel oder im üblichen Sinne vergewaltigt. Keskin
(oben im Bild) betreibt mit vier Kolleginnen ein Frauenhilfeprojekt, das den
Opfern kostenlose Rechtshilfe gewährt; ihre Mandantinnen sind zumeist
kurdischer Herkunft. Das türkische Rechtssystem sei extrem frauendiskriminierend,
sagt sie. Die Frauen haben in der Türkei keine Lebenssicherheit
und sind konfrontiert mit Vergewaltigung und sexueller Belästigung. Diese
Probleme müssen sie ganz alleine bewältigen, da sie durch die Vertreibungen
aus ihrem Heimatgebiet einsam sind und keine Kontakte haben.
Die
stellvertretende Vorsitzende des Türkischen Menschenrechtsvereins Insan
Haklar Denergi (IHD), dessen Istanbuler Sektion sie leitet, stand selbst achtmal
wegen Meinungsdelikten vor Gericht. 1995 kam sie für sechs
Monate in Haft. Allein letzten November, während ihr der Hans-Litten-Preis
der Vereinigung Demokratischer Juristinnen (VDJ) verliehen wurde, waren 45 Ermittlungsverfahren
gegen sie anhängig. Ein Attentat hat Eren Keskin bereits überlebt.
Sie bekommt weiter Morddrohungen, denn sie rührt an ein großes
Tabu: Es ist eine traurige Tatsache, dass Frauen bei Festnahmen sexuell
belästigt und oft auch gefoltert und brutal vergewaltigt werden. Wegen
des Tabus sprechen Frauen nicht darüber und klagen die Täter nicht
an. So kommen die Polizisten in den meisten Fällen ohne Klage davon,
heißt es in dem Porträt Dornen in meinem Auge, das
Ludger Pfanz und Gülsel Özkan 1997 für arte und den WDR
drehten.
Diese Gigi-Ausgabe versucht, ansatzweise einen Eindruck von der gesellschaftlichen, politischen und juristischen Lage der Frauen in der Türkei (wie auch der türkischer Migrantinnen in der BRD) zu vermitteln, die so widersprüchlich ist wie das Land selbst. Einer Republik, die gespalten ist zwischen Metropolen westlicher Prägung und überkommenen dörflichen Gemeinschaften, in der säkulares Staatswesen und islamische Tradition sich in stetem Widerstreit befinden und deren Verfassung noch übernommene Artikel aus dem unter Benito Mussolini gültigen italienischen Grundgesetz enthält. Einer Demokratie, in der typische Erscheinungen von Militärdiktaturen alltäglich sind und die einen grausamen Krieg führt gegen ihre größte ethnische Minderheit gegen ein Fünftel des Staatsvolkes, gegen ein Zehntel seiner Frauen.
Eike Stedefeldt