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Heimatfront



"Zivilcourage" nennt sich die Aktion, zu der die Herrschenden dieses Landes ihre Bevölkerung aufrufen, sich um die Sicherung des "Standorts Deutschland" zu bemühen. Nun ist das mit der staatlich verordneten Zivilcourage aber so eine Sache, denn einerseits hat diese Gesellschaft über eine sehr lange Zeit hinweg die von oben vorgelebte Haltung des Wegsehens, Verdrängens und Vergessens tief verinnerlicht, andererseits gibt es nach wie vor einige, die sich eben aus gutem Grund nicht an die inszenierte Lichterkette legen lassen wollen – denn letztlich ist der angeprangerte Stiefelfaschismus nur die offene, in die Gesellschaft selbst getragene Wirkung einer rassistischen deutschen Staatspolitik. Diese aber kann und darf zivilcouragiert nicht kritisiert oder gar angegriffen werden, denn das hieße ja "Widerstand". Wer es trotzdem tut, läuft Gefahr, kriminalisiert zu werden, erst recht, wenn sich dieser Widerstand gegen einen rassistischen und völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung richtet.

Amtsgericht Bielefeld, 21. Dezember 2000. Samira Fansa wurde zur Last gelegt, auf dem Bielefelder Kriegsparteitag der Grünen am Himmelfahrtstag 1999 einen Farbbeutel auf Außenminister Joseph Fischer geworfen zu haben. Es traf ihn "zur rechten Zeit am rechten Ohr" (Prozeßerklärung Samira). Kollateralschaden: Trommelfellriß. In einem ersten Verfahren ohne mündliche Anhörung war Samira bereits zu sieben Monaten Knast auf drei Jahre Bewährung und einer Geldstrafe von 1500 DM verurteilt worden. "Mit dem Farbbeutel auf den Kriegsaußenminister habe ich Fischer als verantwortlich für Mord und Vertreibung blutrot markieren wollen [...] Es ging nicht um weniger als darum, mit der direkten Aktion den Antikriegswiderstand zu stärken, um die angelaufene Kriegsmaschinerie blockieren zu helfen. Eine Verletzung schien mir ausgeschlossen und war nicht beabsichtigt." Samira legte Widerspruch ein.

Der Berufungsprozeß fand unter sehr scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt und wurde von einem sehr bunten antimilitaristischen Aktionsbündnis unterstützt: Rund 200 Frauen, Lesben, Schwule, Autonome, Alt-68er – mit und ohne Rock – zogen vergnügt durch die weihnachtlich geschmückte Bielefelder Innenstadt. Sie veranstalteten einen alternativen, parodistischen Zapfenstreich und enthüllten ein Antikriegsdenkmal, einen auf einem aufgebäumten Pferd sitzenden uniformierten Joseph Fischer mit roten Ohren, um es anschließend ganz feierlich mit fliegenden rosa Quarktörtchen zu entweihen. Das "Beutelluder" selbst erschien im langen schwarzen Mantel mit Pelzbesatz, hochgesteckten Haaren, "und um den Hals eine billige Perlenkette" (BILD). Fischer selbst blieb der Verhandlung fern. In seiner schriftlichen Erklärung beklagte er zwar seine Ohrenschmerzen, wollte sich zu seiner Rolle im Krieg aber nicht äußern.

Das übernahm Samira in einer geschliffenen Prozeßerklärung und wies auf die Notwendigkeit ihres Widerstandes gegen die rassistische Bundesregierung hin: "Würden die Parteien in der BRD ihren selbstgewählten Prinzipien folgen, müßten sie veranlassen, daß Deutschland bombardiert wird, nämlich für die Einhaltung der Menschenrechte gegen die humanitäre Katastrophe in diesem Land, gegen Morde, Todhetze und die täglichen Erniedrigungen von Menschen, die nicht in das Bild in deutschen Hirnen passen." Ein bipolares Bild von Freund und Feind, deutsch und nicht-deutsch, Mann und Frau, als Teil einer patriarchalen Herrschaft, die die Voraussetzung für gesellschaftlich legitimiertes Morden bildet. "Insofern ist es ganz schön, daß der Farbbeutel aus einem geschlechtsuneindeutigen Zwischenraum [...] flog."

Staatsanwalt Simonsen blieb bei seinem Strafantrag, den er mehr schlecht als recht begründete: Der Wurf sei ein "heimtückischer Angriff" gewesen, "von langer Hand vorbereitet", und sehr wohl zur Körperverletzung gedacht, da man auf den vor Gericht präsentierten Videoaufnahmen – die vom Publikum mit starkem Applaus bedacht wurden – sehr gut sehen könne, daß der Beutel als "gefährliches Werkzeug" nicht "sanft oder in hohem Bogen" flog, sondern in "direkter Flugbahn" schräg von vorn. Demgegenüber sei der Krieg "keine Bösartigkeit" und seine Rechtmäßigkeit ohne Belang in diesem Prozeß, denn "auch Leitkultur erfordert gewisse Formen".

Samiras Verteidiger, Detlef Hartmann und Wolfgang Heiermann, stellten dagegen in ihren Plädoyers die Unrechtmäßigkeit des Krieges heraus. Nicht Samira, die mit ihrer Aktion den Krieg hat stoppen wollen, gehöre vor ein Gericht gestellt, sondern Fischer. Er selbst habe "die Rechtswidrigkeit des Krieges in Jugoslawien" eingestanden und sich bewußt außerhalb des Rechts gestellt, um den rechtsfreien Raum zur Machtausübung zu instrumentalisieren. Somit sei er vor dem Gericht nicht als Opfer, sondern als Täter einzustufen. Sie appellierten daher an den Mut des Richters, die Angeklagte freizusprechen, denn ein Freispruch sei "gegen die herrschende Politik gerichtet".

Diesen Mut brachte der Richter Thomas Hartmann dann aber doch nicht auf. Die Bundesregierung zu verurteilen, war eine Nummer zu groß für das Bielefelder Amtsgericht. Eine politische Legitimation des Farbbeutelwurfs komme daher "nicht in Betracht", es bleibe bei der Anwendung von Gewalt – ohne Rechtfertigung –, wenn auch der mit Dispersionsfarbe und Wasser gefüllte Frühstücksbeutel eher "am unteren Rand eines gefährlichen Werkzeuges" einzuordnen sei. Da Samira sich als geständig und nicht vorbestraft gezeigt habe, blieb der Richter deutlich unter der Forderung des Staatsanwaltes zurück und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 3600 DM. Ob dieses Urteil angenommen wird, behält sich das Beutelluder noch offen.

Eike Stedefeldt