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And the band played on


Kann man in einem Land, das sich im Kriegszustand befindet, eine Zeitung produzieren, ohne den Krieg mit einem Wort zu erwähnen? Die Antwort lautet militärisch knapp: Jawoll! In den meisten Homo-Szeneblättern herrschte zu ihren jeweiligen Erscheinungsterminen im Mai, das heißt nach sechs bis acht Wochen Bombardierung Jugoslawiens durch Tornados der Bundesluftwaffe, noch immer tiefster Frieden und lustiges homosexuelles Treiben. Ob in Box, Du & Ich, Gay Express, lespress, Männer aktuell, Our Munich, Sergej, Siegessäule und UKZ – kein Krieg, nirgends.

Nichtmal die Reisebeilagen erwähnten, daß die Tuntenflieger nach Lesbos und Korfu, nach Ibiza und Gran Canaria, nach Kreta und Mykonos unpünktlich sind wie nie zuvor. Denn zum einen sind die Luftstraßen in Richtung Süd- und Südosteuropa gesperrt bzw. überlastet, zum anderen haben auf dem Rhein-Main-Flughafen Militärmaschinen Priorität. Vor allem jene grauen NATO-Tanker, die auch deutsche Tornados in der Luft mit Sprit für die Heimreise versorgen, nachdem diese über Beograd, Niš, Bor und Novi Sad ihre tödliche Ladung ausgeklinkt haben. Aber was können davon schon die beiden auflagenstärksten Schwulengazetten Queer und First ahnen, die den NATO-Krieg zwar anreißen, aber mitnichten ablehnen? Bezeichnenderweise ist es ein Unterleibsmagazin wie ADAM, dessen Chefredakteur angibt, es falle ihm schwer, sich angesichts des Krieges seiner üblichen Arbeit zu widmen, der die Nachrichten aller Seiten als Propaganda verdächtigt und beobachtet, daß der Krieg der hiesigen Szene offenbar schnurz ist.

And the band played on. Noch kein einziger CSD wurde abgesagt, kein lesbisch-schwules Stadtfest. Vermutlich werden auch die schwulen Soldaten wieder bejubelt, wenn sie auf den Stonewall-Paraden mitmarschieren; Parade ist Parade, wer kann da schon aus seiner Haut?

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) schweigt auf seiner Internet-Homepage beredt vom Kriege; Mitheiraten und Mitbomben – die nationalen Aktionen JaWORT und JaMORD kommen einander nicht in die Quere. Nicht über das Verhältnis zu Krieg und Kriegspropaganda diskutierte vom 14. bis 16. Mai in Hamburg auch die 3. Bundeskonferenz des Bundes lesbischer und schwuler JournalistInnen (BLSJ), sondern über “Outing”: Weil das “immer wieder für Schlagzeilen” sorge. Aber weder LSVD noch BLSJ protestierten bis zu Redaktionsschluß dagegen, wie infam und sexistisch die Boulevardpresse – Stichwort “Outing” – mit Schlagzeilen wie “Jürgen war’s, ein Transvestit aus Berlin/Am Tag Computer-Experte, abends in Frauenkleidern” das gesunde Volksempfinden gegen den militanten Pazifisten hetzte, der dem Kriegs-Außenminister Joseph Maria Fischer auf dem Bielefelder Grünen-Parteitag zwecks Vermeidung einer humanitären Katastrophe einen chirurgischen Luftschlag verpaßte. Tage zuvor hatten dieselben Blätter noch groß mit der “Hamburger Ehe” aufgemacht und diese als rechtlich nicht weitgehend genug getadelt. Ein Deal, so recht nach dem Geschmack anständiger Staatshomos.

Auf wessen Seite unsere Redaktion im Krieg steht? Sollten Sie es bis hierher noch nicht wissen, dann wird es höchste Zeit, daß Sie diese zweite Kriegsausgabe Seite für Seite lesen. Und wenn Ihnen hinterher dennoch nichts als Miloševic oder “Fünfte Kolonne Belgrads” einfällt (eine Phrase des Franco-Generals Emilio Mola Vidal übrigens), dann hören Sie womöglich auf den Namen Rudolf Scharping oder Gerhard Schröder.

Eike Stedefeldt