Die Situation scheint absurd. Dieses Land, das zwei Weltkriege ausgelöst
hat, zweimal fast selbst an seinem Vernichtungswillen zugrunde gegangen und
letztlich doch stets als großmäuliger Sieger der Geschichte auferstanden
ist, führt zum dritten Mal in diesem Jahrhundert einen Angriffskrieg, diesmal
unter dem Label NATO.
Seit Wochen
schon herrscht Bombenstimmung: Ultimaten wurden gestellt, Botschaften geräumt,
Truppen in Bewegung gesetzt und Waffen verschifft. Touristen wurden vor Reisen
ins Krisengebiet gewarnt und OSZE-Mitarbeiter vom Kriegsschauplatz abgezogen.
Das Völkerrecht ist keinen Heller mehr wert, seit Bomben auf Belgrad fallen
und Tote gezählt werden. Wir arbeiten derweil hektisch, aber friedlich
an der ersten Ausgabe einer Zeitschrift, die sich sexueller Emanzipation verschrieben
hat, und hören stündlich die Nachrichten, die sich einmal mehr als
das erweisen, was sie seit der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens
durch die Bundesrepublik Deutschland, dem Ausgangspunkt für die Zerschlagung
der Bundesrepublik Jugoslawien, immer waren: Propaganda.
Sexuelle
Befreiung, wenn Krieg ist? Es klingt grotesk. Aber nur für jene, die sie
von sozialer, allgemein-politischer Befreiung zu trennen vermögen. Uns
gelingt das nicht. Was meldet denn der Lagebericht von der Heimatfront? Auf
der einen Seite ist man unnachgiebig gegenüber dem Gegner auf dem Balkan,
auf der anderen gibt man sich liberal gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen.
1995 stimmte der einzige offen schwule Bundestagsabgeordnete aus der Opposition
heraus gegen den Tornado-Beschluß, der militärische Auslandseinsätze
der Bundeswehr ohne UNO-Mandat erlaubt. Das war löblich. Heute ist es genau
seine Partei, die als Teil der Regierung den Militärschlag aus humanitären
Gründen legitimiert und zugleich innenpolitisch die angebliche Gleichstellung
Homosexueller betreibt. Auf der Agenda steht irgendeine Form von Homo-Ehe, ein
ziviles Unterfangen. Ein Widerspruch?
Nein, Homo-Ehe
und Kriegslaune haben keinen unmittelbaren Zusammenhang. Indes sind beide Ausfluß
desselben Konservatismus, der zunehmend diese Gesellschaft beherrscht. Und diese
Tatsache ist beunruhigend. Auch wenn es die Protagonisten der Homo-Ehe
respektive Eingetragenen Partnerschaft keineswegs beabsichtigen
(aber vergessen wir nicht: sie fordern parallel dazu die Gleichstellung schwuler
Soldaten!), so wird das neue Rechtsinstitut doch seinen Teil zur Befriedung
des Hinterlandes beitragen. Denn im Krieg haben an der Heimatfront geordnete
Verhältnisse zu herrschen, auch geordnete Sexualverhältnisse. Vergewaltigt
wird an der Front, während der schwule Gatte daheim brav und enthaltsam
auf Feldpost wartet. Ersatzweise auf Zinksarg und Witwenrente.
Diese neue Zeitschrift will im besten Sinne Gegenöffentlichkeit herstellen. Mit leichter Lektüre können Sie daher kaum rechnen. Die Redaktion begrüßt Sie trotzdem herzlich als Publikum.
Eike Stedefeldt