Verhältnismäßig
viel ist geschrieben worden in den letzten fünf Jahren über den
kulturellen Umgang mit Zwittern jene Menschen, deren Geschlecht zumeist
bereits bei der Geburt nicht eindeutig festgestellt werden kann und die der
moderne medizinische Diskurs als Intersexuelle bezeichnet. Eine breite Diskussion
aber bleibt derzeit noch weitgehend dem amerikanischen Raum vorbehalten. Erst
im Juli dieses Jahres wird in Berlin ein Kongreß der Sexologen stattfinden,
auf dem einerseits medizinische Daten verhandelt werden, andererseits aber
auch scharfe Kritik an der heute üblichen Geschlechtszuweisung mittels
chirurgischer und hormoneller Eingriffe, wie sie allgemein nur bei Transsexualität
bekannt sind, formuliert.
1.
Diese Eingriffe erfolgen ohne Einwilligung des Klienten im Säuglings-
oder Kindesalter und sollen sowohl optisch als auch psychisch ein eindeutiges
Geschlecht im wahrsten Sinne des Wortes konstruieren können. Die theoretische
Überlegung fußt dabei auf jene der Geisteswissenschaft gut bekannten
Aussage, Geschlecht sei ausschließlich über Sozialisation erworben.
Entgegen feministischer Postulate wurde bereits um 1955 von dem Sexualwissenschaftler
John Money der Begriff des 'gender als soziales Geschlecht eingeführt
und von 'sex als biologischem Geschlecht getrennt, mit dem Ziel, Intersexuelle
zu 'korrigieren: Seine simple These war die Annahme eines Geschlechtes
über den Spracherwerb vor dem 2. Lebensjahr. Um eine geschlechtliche
Sozialisation zu ermöglichen, müssen die Genitalien geschlechtsspezifisch
aussehen; ist dies nicht der Fall, muß medizinisch interveniert werden,
denn ein Außerhalb der beiden Kategorien Mann oder Frau kam für
ihn nicht in Frage.
Dieses
Gedankenmodell, ohnehin stets nur als Experiment ohne Erfolgskontrollen bewertet,
gilt heute als gescheitert, denn sowohl Transsexuelle und Transgender als
auch jene Intersexen, welche ihr Zuweisungsgeschlecht revidieren lassen, dürften
binnen dieser Logik nicht existieren. Heute werden diese Gegenevidenzen ernst
genommen , statt sie als 'Ausrutscher und 'persönliches Unglück
zu betrachten. Damit ist jedoch auch eine Diskussion, welche Faktoren nun
zu welcher geschlechtlichen Verortung führen (oder auch nicht führen),
wieder völlig offen und niemals restlos verworfene Überlegungen
hormoneller Einwirkungen auf die Gehirnstruktur stehen erneut zur Diskussion.
2.
Aus subjektiver Perspektive berichten Intersexen bei dem Prozeß einer
geschlechtlichen Zuweisung gefoltert, genital verstümmelt und als Forschungsmaterial
(Status der Laborratte) benutzt worden zu sein. Neben vorgenannten theoretischen
Überlegungen ist das Thema Intersexualität damit eng mit schwersten
Menschenrechtsverletzungen, Körpernormierungen, Heterosexismus sowie
dehumanisierende Praktiken in der Medizin verknüpft.
3.
In einem dritten Aspekt ist Intersexualität mit Ordnungs- und Wirklichkeitsvorstellungen
verknüpft, denn sie ist gemäß vorgefundener geschlechtsmorphologischer
Varianz keineswegs ein drittes Geschlecht, sondern hinsichtlich körperlicher
Ausgestaltungen deutlich komplexer angelegt als jene weiblich oder männlich
deklarierten Körperbilder. Menschen, die im Alltag als Frauen oder Männer
decodiert werden, stellen lediglich eine Subpopulation zwei Möglichkeiten
von rd. 4000. Homogenitätsbestrebungen klassifizieren Intersexualität
mit 2-3% der Gesamtbevölkerung, wobei jede 2000. Geburt als ausreichend
atypisch gilt, um die Frage Ist es ein Junge oder ein Mädchen?
neonatal nicht problemlos beantworten zu können.
4.
Die medizinische Pathologisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe aufgrund
geschlechtlicher Ausprägung ist heute nur möglich, da der Gesetzgeber
sowohl zu den Eingriffen schweigt als auch Intersexualität eine bewußte
Auslassung stellt: es entsteht das Paradox des bekannten tertium non datur.
Bei Einführung des Personenstandsgesetzes 1875 und des BGB 1900 verzichtete
man auf Intersexuelle, da sie zu selten seien. Diskussionen fanden nicht statt
und man ging, in Anlehnung an medizinische Aussagen, von der alleinigen Existenz
zweier Geschlechter aus. Der § 218a läßt Abtreibungen Intersexueller
aufgrund medizinischer Indikation straffrei und Artikel 14 der Bioethikkonvention
selektiert sie im Falle einer IVF aus. Auch heute verfügt der Gesetzgeber
nicht über eine eigene geschlechtliche Definition. Die Medizin aber vice
versa kennt Intersexualität nicht nur seit rd. 200 Jahren, sondern ist
sich der Unlogik und Willkür definitorischer Festlegungen der Geschlechter
durchaus bewußt. Diese Konstellation der medizinischen Eingriffe einerseits
und juristischer Enthaltung andererseits bedeutet jedoch realiter eine völlige
Rechtlosigkeit der Individuen.
Im
weiteren Textverlauf sollen einige Überlegungen rund um (De)Konstruktion,
strukturelle Gewalt und Anschlußfähigkeit an feministische Theorien
gestellt werden. Dieser Beitrag kann aufgrund seiner Kürze lediglich
wenige Teilaspekte grundsätzlicher Überlegungen tangieren.
Die
Endsilbe '-tum' weist nach Angaben des Herkunftswörterbuches auf 'Würde,
Stand, Lebensverhältnisse, Besitz, eigentümlicher Zustand' u.a.m.
hin. In der Schule spricht man/frau vom Zwittertum, nicht aber vom Geschlechtertum.
'-tum' hat eine ethymologische Nähe zum Wort 'tun'. Gleich welche vorgenannte
Begrifflichkeit verwandt wird, es handelt sich also stets um eine aktive Herbeiführung
von Zuständen und bei Zwittern im alltagssymbolischen Kontext wohl um
den des eigentümlichen Zustandes, des etwas Sonderbaren. In dieser Begrifflichkeit
enthalten ist ebenfalls das Eigentum, zu Zeiten der Entstehung der Silbe '-tum'
im 8. Jh. keine Selbstverständlichkeit für die größten
Teile der Bevölkerung. Der Begriff 'Zwitter' hingegen entstand im 9.
Jh. und bedeutet 'Lebewesen mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen',
aber auch 'außereheliches Kind, Bastard'. Die Eltern eines außerehelichen
Kindes sind einander nicht ebenbürtig, der Bastard das Kind eines Adeligen
und einer Frau niedrigen Standes im Feudalismus. Die alternative Deutung des
Bastards besagt ein 'Kind von Leuten, die mit Sack und Pack reisen'. [1]
Die
Wörter Zwitter und Bastard verweisen demnach auf Heterogenität in
Geschlecht, Klasse und Nation innerhalb eines Menschen: ein Mischling und
damit Lebewesen, dem nicht einfach ein ideologisch wie auch immer motivierter,
zumeist naturalisiert interpretierter 'Seinszustand' übergestülpt
werden kann. Aus diesem Grunde wird nicht von einem Frauen- oder Männertum
gesprochen.
Mischlinge
stellen aufgrund kategorischer Mehrfacheinflüsse die personifizierte
Ambivalenz. In einer Welt der Homogenität wie sie sich in sozialpolitischen
und ideengeleitenen Konzepten der Gleichschaltung, Differenzeneinebnung und
Oberflächenglättung wiederfinden, werden diese Menschen außerhalb
des Freund- / Feindschemas konstruiert.
Es
sind die Fremden. Freund und Feind, so postulierte Zygmunt Bauman, bedingen
einander aufgrund ihrer Opposition und verweisen rekursiv aufeinander. Freund
und Feind sind Bestandteil der sozialen Wirklichkeit. Das Fremde hingegen
dient als Kontrastfolie, es ist das außerhalb liegende. In der Unterdeterminierung
liegt auch seine Potenz: "Untentscheidbare sind alle 'weder-noch', d.h.
gleichzeitig 'dieses und jenes'. ... Weil sie nichts sind, können sie
alles sein [und] decken brutal die Fragilität höchst sicherer Trennungen
auf." [2] Sichere Trennungen, die keine sind, Identitäten, die zu
zerfallen drohen, national(staatlich)e Prioritäten, sich nicht um die
Feinde, sondern die Fremden zu 'kümmern' (wahlweise durch Assimilation,
Ausweisung oder Ausrottung, nachdem sie zuvor als homogenisierte
Gruppe erfaßt und katalogisiert wurden), der Einsatz jedes auch noch
so unverhältnismäßigen Mittels, da der Zweck mehrheitsdemokratisch
abgesegnet ist dies alles sind bekannte Muster in den Diskussionen
um -ismen und Postmoderne. Im Unterschied zum traditionalen Alianismus, wie
Christoph Spehr die vertraute Kapitalistenkaste nennt, ist für den Fremden
im progressiven Alienismus, der entpersonifizierten, strukturellen Herrschaft,
überhaupt kein Ort mehr vorgesehen; noch nicht einmal ein randständiger.
[3] Ein Blick in die Träume der Genetik und andere Weltverbesserungsphantasien
lohnt, besonders für die Fortschrittsgläubigen. [4]
Da
jede Argumentation mit logischen Verkettungen als auch sie fundierende Axiomatik
arbeitet, muß für den Begriff des 'Zwitters' eine wie auch immer
zusammengesetzte Multiplizität vorausgesetzt werden. Aufgrund der kulturinhärenten
Setzung zweier Geschlechter, handelt es sich um die zusammen gedachte Varianz
von zwei (zwi; im mythologischen Kontext Hermes und Aphrodite) oder die dichotomisierte
(wörtlich: entzweigehauene) Version des zwischen (inter) Zuständen
Verorteten. Eine Problematik der letzteren und historisch erst in diesem Jahrhundert
benannten Version ist die Referenzkategorie als auch deren postulierte Normalität.
Wenn die geschlechtschromosomale Setzung bspw. XX = Frau und XY = Mann bedeutet,
dann liegen diese beiden Kategorien zwischen den bei Intersexuellen gefundenen
Chromosomensätzen, denn die Eckpunkte sind auf einer Skala X bzw. XYY.
[5] Damit ist der Terminus 'inter' bezüglich der Chromosomensätze
schlicht falsch. Eine weitere Referenzkategorie wäre die der Sexualitäten.
Magnus Hirschfeld formulierte eine nahe Verortung des Hermaphroditen an der
Heterosexualität.[5a] Das logische Paradoxon dieser Darstellung ist eine
Vermischung zwischen Anatomie und sexueller Handlung. In der Literatur befindlichen,
theoretischen Termini sind alles andere als geklärt, denn sie weisen
stets interne Inkompatibilitäten auf.
Weniger
bekannt ist, daß die Sexualwissenschaft nicht nur anatomische Geschlechtskategorien,
sondern gesamt neun Unterscheidungen kennt, die ein Geschlecht hervorbringen
sollen: [6] 1. genetisches oder chromosomales Geschlecht, 2. gonadales Geschlecht,
3. fetales hormonelles Geschlecht, 4. inneres morphologisches Geschlecht,
5. äußeres morphologisches Geschlecht, 6. hypothalaminisches Geschlecht,
7. Geschlecht der Zuschreibung und Erziehung, 8. pubertäres hormonelles
Geschlecht, 9. Geschlechtsidentität und Geschlechtsrolle. Es liegt in
der Logik medizinischer Praxis (welche juristisch die einzige legalisierte
Instanz ist, eine Geschlechtszuschreibung vorzunehmen), bei jedem der Einzelpunkte
eine von der postulierten Norm abweichende Entwicklung orten und therapieren
zu wollen.
Weiterhin
problematisch ist die Ableitung einer Multiplizität aus der Begrifflichkeit
für die Subjekte: Menschen, die als Zwitter / Hermaphrodit / Intersexuelle
bezeichnet werden, sehen sich durchaus nicht als 'bi' oder je nach
Referenz 'tri', 'pan' etc. Zwischen Terminus und Subjekt muß
zwingend unterschieden werden. Ebenso ist es logisch unsinnig von weiblichen
oder männlichen Intersexuellen / Hermaphroditen zu sprechen als auch,
so den anatomischen Geschlechtsdimensionen irgendein Glauben beigemessen wird
(dies ist empirisch in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus noch der
Fall), die Termini 'Frauen' und 'Männer' angesichts der Vielfalt ge-
und erfundener geschlechtlichen Varianzen überhaupt zu benutzen. 'Frauen'
und 'Männer' können nicht ohne 'Intersexualität' gedacht werden
und vice versa - weder sozialtheoretisch noch anatomisch. Wenn ein Geschlechtsbegriff
verwendet wird, muß stets seine Referenzkategorie mit benannt werden.
Das
Alltagswissen ist nicht logisch. Es ist praktikabel und dies bedeutet ein
Bemühen, sozialen Umständen (hier: doing gender) gerecht zu werden
und sie zu perpertuieren. Die Motivationen sind sicherlich verschieden: emotional,
utilitaristisch, machtorientiert, funktional u.a.m. So der Zweck das Mittel
dominiert, werden Irrationalitäten zur Durchsetzung billigend in Kauf
genommen. Genau dies ist in der medizinischen Zurichtungspraxis des verordneten
Geschlechtes der Fall, wenn
1.aufgrund
Forschung an Intersexuellen die geschlechtliche Bipolarität theoretisch
legitimiert werden soll (Problem der Kausalität) [7]
2.Geschlechtsrollenmodelle
aus den 50er Jahren zur Legitimation vorgeblich gewünschter Rollen in
der Postmoderne konstatiert werden (historische Inkompatibilität) [8]
3.ein
Verstoß gegen den hippokratischen Eid und den Nürnberger Kodex
verneint wird, indem Schadenszufügung als Hilfeleistung redefiniert wird
(ethische Rationalisierung)
4.Gender
von sex distinktiert wird [9] , um den sex chirurgisch / hormonell zu bipolarisieren
durch optische Anpassung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale
an die Norm (theoretische Trickkiste mit progressivem Touch)
Im
wissenschaftlichen Kontext sind Punkt 1) und 2) unangenehme Schmutzflecke
auf der ansonsten weiß präsentierten Karte, sofern sie binnen der
Betriebsblindheit (Spezialisierung) überhaupt auffallen, 3) ausdrücklich
gewünscht und 4) ein kreativer Akt. Die Versatzstücke des Faschismus
lassen sich bei einer Oberflächenbetrachtung nicht erkennen. Dazu braucht
es den Blick in die Praxis sozialer Handlung.
Spehr
nennt fünf Elemente des Faschismus: i) Gewaltexzeß und Brutalität
der Mittel; ii) Ausgrenzung konkreter Gruppen als Menschen minderen Rechts;
iii) das Herrenmenschentum duldet keinen Widerspruch; iv) es existiert eine
totalisierte Öffentlichkeit, die zentral organisiert ist und es gilt,
v) ganze Bevölkerungsgruppen systematisch zu vernichten. Faschistoide
Elemente sind im Zeitalter der Demokratie nicht obsolet geworden und können
hervorragend als Drohung eingesetzt werden. In der Ausführung wird nicht
geblufft.
Für
den Geschlechtersektor als eines der wichtigsten kulturellen Stabilisierungs-
und Distinktionsfolien denn an ihn ist gemäß evolutionstheoretischer
Überlegungen die Definition des Menschseins gekoppelt [11] und ein sozialer
Geschlechtsverlust wird entsprechend gefürchtet können faschistoide
Versatzstücke dort beobachtet werden, wo die Distinktionsfolie reißt.
Ad
i) Mehrfache Genitalverstümmelungen und bisweilen Jahrzehnte (länger
als ein durchschnittlicher Krieg) andauernde Vergewaltigungen mit inhärentem
Zugriff auf die Gesamtpersönlichkeit erfüllen das Kriterium extensiver
Gewalt.
Ad
ii) Menschenrechte und andere demokratische Vereinbarungen werden für
Intersexuelle nicht geltend gemacht und Eltern in diesem Bereich keine Grenzen
zur Zugriffsberechtigung gesetzt.
Ad
iii) Eine angestrebte Widerspruchsfreiheit wird erfüllt, da zwar bei
Geschlechtszuweisung und Eingriffen ein Konsens gefunden werden, aber ohne
die Eltern des Kindes stattfinden soll. Keine Diskussion oder Alternativen
sollen angeboten, sondern die juristisch notwendige Einwilligung geleistet
werden. In der Arzt-Patient-Konstellation handelt es sich noch um eine personifizierte
Herrschaft.
Ad
iv) Im geschlechtlichen Sektor existiert eine totalisierte Öffentlichkeit:
die Eintragung des Geschlechtes beim Standesamt aufgrund der juristischen,
für alle StaatsbügerInnen verbindlichen Forderung, zwei und nur
zwei Geschlechter, weiblich und männlich, anzuerkennen, wird nicht in
Frage gestellt.
Ad
v) Ob es sich bei der Transformation von zunächst als intersexuell bezeichneten
Menschen in Frauen und Männer um eine vernichtete Bevölkerungsgruppe
handelt, hängt von der Definition 'Vernichtung' und 'Gruppe' ab. Aus
medizinischer Warte kann dieses Vorhaben bestätigt werden, da sie zwei
biologisch begründete, homogene und sich nicht überlappende Geschlechter
postuliert. Homogenen Gruppen inhärent sind Definitionen und Maßeinheiten.
Intersexualität als abgeschlossene Gruppe wird quantitativ mit etwa 2-3%
der Gesamtbevölkerung angegeben. Sozial können diese Menschen, aller
(vermeintlicher) Geschlechterprogressivität zum Trotz, als vernichtet
betrachtet werden, da bereits mit der Begrifflichkeit keine alltagsweltliche
Bedeutung verbunden ist: Intersexualität kennt keine Genderoption. Physisch
ist neben den chirurgischen Eingriffen auch die Pränataldiagnostik mit
Abtreibung aufgrund der medizinischen Indikation bis zum 9. Schwangerschaftsmonat
zugelassen. Eine Illegitimierung des Geschlechtskörpers mit der Konsequenz
einer Vernichtung findet statt.
'Geschlecht
ist nicht biologisch begründbar, sondern ein sozialer Akt der Herstellung.'
Zumindest in akademisch-geisteswissenschaftlichen Kreisen ist diese Aussage
zu einem Axiom geronnen und entsprechend werden Kämpfe zwischen den Natur-
und Sozialwissenschaften ausgefochten. Ian Hacking formuliert Sätze in
Bezug auf X der sozialen Konstruktionisten: [12]
1.X
hätte nicht existieren müssen, oder müßte keineswegs
so sein, wie es ist. X - oder X, wie es gegenwärtig ist - ist nicht vom
Wesen der Dinge bestimmt; es ist nicht unvermeidlich.
2.X
ist, so wie es ist, etwas Schlechtes.
3.Wir
wären sehr viel besser dran, wenn X abgeschafft oder zumindest von Grund
auf umgestaltet würde.
Oben
wurde gezeigt, daß das Zwittertum keine Seinskategorie darstellt. Es
ist insofern bereits in sozialkonstruktionistischer Hinsicht eine fortschrittliche
Definition. Die zentrale Frage ist, was setzen wir für X ein. Nehmen
wir a) Intersexualität oder b) anatomisch-geschlechtliche Vernichtung.
Das Ergebnis liest sich wie folgt:
a)
Intersexualität hätte nicht existieren müssen oder müßte
keineswegs so sein, wie es ist. Intersexualität ist nicht vom Wesen der
Dinge bestimmt, es ist nicht unvermeidlich. Intersexualität ist so, wie
es ist, etwas schlechtes. Wir wären viel besser dran, wenn Intersexualität
abgeschafft oder von Grund auf umgestaltet würde.
b)
Anatomischgeschlechtliche Vernichtung hätte nicht existieren müssen
oder müßte keineswegs so sein, wie es ist. Anatomischgeschlechtliche
Vernichtung ist nicht vom Wesen der Dinge bestimmt, es ist nicht unvermeidlich.
Anatomischgeschlechtliche Vernichtung ist so, wie es ist, etwas schlechtes.
Wir wären viel besser dran, wenn anatomischgeschlechtliche Vernichtung
abgeschafft oder von Grund auf umgestaltet würde.
Es
ist leicht zu bemerken, daß b) keinen Sinn ergibt, da es sich nicht
um ein Objekt oder Gegenstand handelt, sondern um eine Praktik. Statt 'anatomisch-geschlechtliche
Vernichtung' hätte jede Art von Praxis eingesetzt werden können,
die dazu dient, Intersexualität der sozialen Welt unzugänglich zu
gestalten. Praxis kann somit grundsätzlich nicht dekonstruiert, sondern
nur unter ethischen Maßstäben kritisiert werden. Beispiel a) hingegen
ergibt durchaus einen Sinn, dem aus medizinischer Sicht zudem zugestimmt und
praktisch auch durchgeführt wird. Der als biologistisch diskreditierte
Humanwissenschaftler generiert realiter zum Sozialkonstruktivist par excellance.
Das
vereindeutigte und in zwei Kategorien geteilte anatomische Geschlecht, wie
es in Lehrbüchern und durch Erzählungen verhandelt wird als Kombination
aus Eierstock / Hoden, Behaarungstypen u.a.m. existiert überhaupt nicht
und seine vorgebliche Natürlichkeit ist eine Farce. Die Beweisführung
einer sozialen Dekonstruktion ist daher nicht nur nicht notwendig, sondern
greift schlicht nicht. Vielmehr brauchen lediglich jene in der Humanwissenschaft
deklarierten Geschlechtsmerkmale für real existent bezeichnet werden.
Die Problematik der Bipolarität entsteht erst in der Praxis der Reduktion,
dem doing gender, d.h. konkret in der Verhinderung einer sozialen Existenz
aller als geschlechtlich unpassend bezeichneten Menschen.
Alle
feministischen Geschlechterdiskurse operieren mit der kulturinhärenten
Axiomatik zweier Geschlechter. Es sind somit keine Geschlechterdiskurse, sondern
Geschlechterverhältnisdiskurse, nämlich zwischen Frau und Mann.
Variabel ist lediglich das verhandelte Level. Stark verkürzt kann postuliert
werden, daß
eine separatistische Orientierung, wie sie bspw. von Mary Daly oder Janice
Raymond vertreten wird, auf die Existenz des Feindes (hier: des Mannes) insistieren
muß, wenn sie vorgefundene Hierarchien zu ihren Gunsten verändern
wollen. Das Thema 'Gewalt an der Frau' ist hier ebenso dominierend wie homogene,
biologisch begründete Geschlechtsvorstellungen mit einer Aversion gegen
Transsexualität.
der Quotenfeminismus, dessen Schwerpunkt die Gleichstellung der Frau am Arbeitsplatz
und die Anerkennung bisher unentgeltlich geleisteter Reproduktionsarbeit ist,
gleichfalls nicht auf eine Geschlechtspolarität verzichten kann, da ihm
ebenfalls hierarchische Geschlechterpostulate unterliegen, wenn auch ein funktionaler
Ansatz dominiert
der postmoderne Feminismus mit Judith Butler dekonstruktionistisch argumentiert
und daher dem Ideal der Auflösung der Geschlechter sehr nahe kommt. Gleichfalls
verschwinden aus dem diskursiven Horizont alle jene Bereiche, in denen Hierarchie
und Gewalt eine Rolle spielen. Nicht zufällig erfuhr diese Strömung
ihren Aufschwung zeitgleich mit dem Interesse an den Life Sciences in den
80er Jahren. Intersexualität, Beweis für die Nichtexistenz zweier
Geschlechter, wird nur peripher angerissen. Wirklich ernst ist das Ende der
großen Geschlechtererzählungen dann doch nicht gemeint.
Bei
einem Vergleich dieser Positionen mit vorgenannten faschistoiden Versatzstücken
werden i) und ii) seitens des separatistisch orientierten kulturellen Feminismus
auf scharfe Kritik stoßen, da Parallelen zu den Verstümmelungspraktiken
in zumeist afrikanischen Ländern gezogen werden können als auch
eine körperliche Zurichtung Bestandteil weiblicher Sozialisations- und
Funktionsbilder ist. Der Quotenfeminismus, auch als 'wissenschaftlicher Feminismus'
bezeichnet [13], wird dem folgen können, aber Probleme bei iii) bekommen,
da er sich aufgrund seiner funktional-utilitaristischen Ausrichtung mit Institutionalisierter
Anbindung schlecht vom Krankheitsbild lösen als auch der male dominance
in der Medizin wenig entgegenzusetzen hätte. Der postmoderne Feminismus
hingegen könnte kritisch auf iv) und den daraus resultierenden Fakten
der Toilettenregelung und anderer normativer Alltagspraktiken reagieren. Der
für konkrete Individuen und ihren Lebensperspektiven vielleicht folgenreichste
Punkt v) wird sich spontan nirgendwo niederschlagen. Entweder es existiert
keine Kritik gegen genetische Selektionsmodelle, die Geschlechterordnung kann
nicht aufgegeben werden oder es fehlt ein Zugang zur ethischen Dimension.
Eine Kombination dieser und anderer Einzelaspekte aber ist dort vonnöten,
wo ein special interest nicht mehr genügt und Realitäten komplex
werden.
Mit
diesem Beitrag wurden zwei Bereiche aufgezeigt: eine unter der sozialen Oberfläche
gehaltene Existenz weiterer Geschlechterbilder und -entitäten als die
übliche Praxis behauptet sowie eine partielle Anschlußunfähigkeit,
den Komplex der Intersexualität seitens mainstreamförmiger Geschlechterwissenschaften
aufgreifen zu können. Weder kultureller noch wissenschaftlicher Feminismus
würden modifikationslos bestehen können, wenn sie auf geschlechtliche
Bipolarität verzichteten als auch der postmoderne Anspruch auf eine gänzliche
Auflösung der Geschlechter dort zugunsten einer Kritikfähigkeit
zurücktreten müßte, wo gewaltsame Herstellung der Bipolarität
soziale Praxis ist. Sie als bloße Sprechakte zu bezeichnen, ist purer
Zynismus.
Eine
den Umgang mit intersexuellen Kindern verändernde Politik wird sowohl
Allianzen mit KritikerInnen sexualisierter und anderer Formen der Gewalt und
Herrschaft emanzipativ verändernder als auch mit Geschlechterpolarität
dekonstruierenden Gruppen eingehen können. Ambivalente Verortungen erfordern
mehrdimensionale Handlungswege und BündnisparterInnen nicht nur im geschlechtsspezifischen
Sektor.
[1]
Wolfgang Pfeifer (1995): Ethymologisches Wörterbuch. München: dtv
[2]
Zygmunt Bauman (1998): Moderne und Ambivalenz, in: Ulrich Bielefeld (Hg.):
Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt? Hamburg: Hamburger
Edition, S. 26
[3]
Christoph Spehr (1999): Die Aliens sind unter uns. Herrschaft und Befreiung
im demokratischen Zeitalter. München: Siedler
[4]
Lesenswert ist hierzu auch der Roman 'Elementarteilchen' von Michel Houellebecq.
[5]
Eine Kombinationsrechnung ergibt 4322 anatomische Varianten bei zwei bis fünf
Clustern. Dies gekoppelt mit zehn Genderoptionen ergibt 43220 Kombinationen.
Es ist unsinnig, von zwei Geschlechtern zu reden. (Quelle: Michel Reiter (1999):
Kapitales Geschlecht. Einige Anmerkungen zu Hypertrophie und Dekonstruktion
der Verhältnisse, Fn2: http://home.t-online.de/home/aggpg4/frbog_v6.zip)
[5a]
Wolfgang Schmidt (1984, Hg): Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Auswahl
aus den Jahrgängen 1899-1923. Frankfurt a. Main und Paris: Qumran. Bd.
2, S. 23
[6]
Zit. aus Lutz Garrels (1998): Das Geschlechtserleben Intersexueller im Diskurs,
in: Zeitschrift für Sexualforschung # 11. Stuttgart: Enke, S.199
[7]
John Money und Anke Ehrhardt (1975): Männlich weiblich. Die Entstehung
der Geschlechtsunterschiede. Hamburg: Rowohlt
[8]
Siehe beliebige Literatur aus der Kinder- und Jugendgynäkologie mit Beiträgen
zur Intersexualität
[9]
Um 1955 trennte John Money, bis zur Verrentung tätig am John Hopkins
Hospital in Baltimore, das biologische Geschlecht vom neu eingeführten
Terminus gender. Seine These war die Annahme eines sozialen Geschlechtes vor
dem Spracherwerb. Um eine dahingehende Sozialisation zu ermöglichen,
müssen die Genitalien geschlechtsspezifisch aussehen. Diese These schlug
fehl, Geschlecht wird nicht (nur) durch Spracherwerb angeeignet. Eine Revision
dieser Genderideologie aber fand bis heute nicht statt.
[10]
Christoph Spehr, S. 88ff
[11]
Es hat sich die Annahme durchgesetzt, dass alle Feten zu Anfang beide Geschlechter
in sich tragen und sukzessive eine weibliche oder männliche Ausdifferenzierung
erfolgt. Zwitter gelten daher als indifferent und zurückgeblieben. Spezialisierungsgedanken
sind Darwin entlehnt. Alternative Modelle setzen auf dissipative Systeme mit
der Annahme, eine Spezies könne nur überleben, wenn sie Variationen
(und Mutationen) zur Verfügung stellt. (vgl. Erich Jantsch (1992): Die
Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum menschlichen Geist. München:
Hanser)
[12]
Ian Hacking (1999): Was heißt 'soziale Konstruktion'? Zur Konjunktur
einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Frankfurt a. Main: Fischer, S. 19
[13] Evelyn Fox Keller (1996): Feminismus, Wissenschaft und Postmoderne, in: Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. Hamburg: Hamburger Edition