Start

„I have nothing to say and I say it”


John Cage ironisierte die traditionellen Normen in der Musik ebenso wie die der gesellschaftlichen Diskurse. Der Komponist wurde am 5. September 1912 geboren und starb am 12. August 1992. Aus Ablaß von Geburts- und Todestag eine Würdigung von Stefan Broniowski


Das Schönste an John Cages Musik ist, daß man sie nicht mitsummen oder nachpfeifen kann. Man kann sie bloß hören. Cage selbst hat Musik einmal definiert als Aufmerksamkeit gegenüber Klängen. Dieses musikgeschichtlich revolutionäre Konzept wendet sich vom Machen und Gemachten ab und dem Hören und Gehörten zu. Nicht mehr das schöpferische Genie des Tonkünstlers und dessen absichtsvoll ausdrucksstarke Hervorbringungen sind die Hauptsache, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft der Zuhörer, das wahrzunehmen, was ist. Als kompositorische Elemente wurden für Cage schon früh Geräusche wichtig, später auch der Zufall und die Stille. Das Geräusch ist ein akustisches Geschehen, daß sich anders als der Ton der präzisen Meßbarkeit entzieht. Schlaginstrumente etwa erzeugen Geräusche, ihre Funktion ist nicht harmonisch, sondern rhythmisch. Weil er einmal für eine bestimmte Komposition kein Schlagzeug zur Hand hatte, erfand Cage das Prepared Piano, ein Klavier, das durch diverse in die Saiten gesteckte oder auf die Saiten gelegte Materialien zum Perkussionsinstrument wird.

Indem Cage den Zufall als kompositorisches Prinzip einsetzte, erteilte er dem Gestaltungswillen und dem Ausdrucksbedürfnis des künstlerischen Subjekts eine Absage. Von den von ihm gesetzten Rahmenbedingungen abgesehen, bestimmt nicht der Komponist, sondern der Zufall, was zu hören ist. Um solche Zufälle zu ermitteln, bediente Cage sich besonders gern des chinesischen I Ging. Dasselbe Orakelbuch übrigens, in einer kritischen Situation befragt, ob Cage weiterhin Musik machen solle, bejahte dies und verkündete, er werde Freude und Umsturz verbreiten…

Daß es für den Menschen keine absolute akustische Stille gibt, erlebte Cage Jahre in einer schalldichten Kammer. Als keine Töne und Geräusche von außen mehr zu ihm drangen, hörte er immer noch das Blut in seinen Adern zirkulieren. Die kompositorische Arbeit mit Stille erreicht einen ersten Höhepunkt mit der Komposition 4’ 33”. „Dieses wohl bekannteste Stück des Komponisten wurde 1952 uraufgeführt. Es verlangt von einem Musiker, eine zeitlich genau festgelegte Aufführung an einem beliebigen Instrument zu machen, ohne dabei ein einziges Geräusch zu erzeugen. Der Reiz dieses Stückes ergibt sich bei Aufführungen daraus, wie das Publikum reagiert, all die zufälligen Randgeräusche wie Stuhlknarren, Husten und ähnliches, die während eines Konzertes entstehen und sonst immer als störend empfunden werden, sind hier der musikalische Hauptinhalt.“ (Ulrich Straub)

„Silence“ (also Stille oder Schweigen) wurde in der Folge zu Cages wichtigstem musikalischem Medium. Der Kunsthistoriker Jonathan D. Katz vertritt eine interessante Hypothese, was es mit dieser Stille diesseits ihrer ästhetischen und musiktheoretischen Funktion hinaus auf sich hatte, und arbeitet – hierzu übrigens durch einschlägige Äußerungen Cages legitimiert – den biographischen Aspekt heraus, was im Folgenden nachgezeichnet werden soll.

Zur selben Zeit, als Cage sich von seiner Frau trennte und begann, mit dem Tänzer und Choreographen Merce Cunningham zusammenzuleben, wandte er sich auch der Beschäftigung mit fernöstlichen Denkweisen zu. Was er zum Beispiel von Daisetz T. Suzuki in dessen berühmten Vorlesungen über Zen-Buddhismus hörte, ermöglichte ihm, eine Lösung für bestimmte künstlerische und persönliche Probleme zu finden. Das künstlerische Problem bestand darin, daß Cage erleben mußte, daß es ihm nicht gelang, seine Absichten dem Publikum zu vermitteln. Wollte er in einer Komposition Traurigkeit ausdrücken, konnte es passieren, daß die Leute sich amüsierten. Cage verwarf daraufhin die Idee der kommunikativen Funktion der Musik überhaupt. Das persönliche Problem bestand darin, daß es unter den Bedingungen der 40er und 50er Jahre unmöglich war, offen schwul zu leben. Homosexualität war etwas, worüber man nicht oder nur abwertend sprach, sie war nicht kommunizierbar. Die Entdeckung des Schweigens, der Stille war eine Lösung für beide Probleme.

Durch die Beschäftigung mit Zen gelangte Cage zu einer Haltung der Gelassenheit gegenüber den eigenen Affekten, dem eigenen Ich. Im Musikalischen bewirkte das, daß er sich nicht mehr für die Bedeutungseiner Musik interessierte. Als Schwuler hatte er ja bereits zur Genüge erfahren, daß das, was gesagt wurde, keineswegs immer das ausdrückte, was gemeint war, sondern oft sogar das Gegenteil. „Cage war nur zu vertraut mit den Zumutungen eines feindseligen Diskurses über Seinesgleichen.“(Katz) Auf diese alltägliche Unterdrückungserfahrungen antwortete Cage mit seinem Schweigen, der Stille seiner Musik.

„Wenn Schweigen/Stille auch paradoxerweise zum Teil Ausdruck von Cages Identität als versteckter [closeted] Homosexueller zu Zeiten des Kalten Krieges war (als jeder Schwuler als Kommunist galt; Anm. d. A.),so war es doch auch mehr als das. Schweigen/Stille war nicht nur ein Symptom der Unterdrückung, sondern es war auch (...) eine selbstgewählte Weise des Widerstandes.“ Indem er ausdrücklich schwieg und Stille zu hören gab, unterlief Cage mit viel Ironie die herkömmlichen Normen der Musik ebenso wie die diskursiven Normen der Gesellschaft, die ihm nur die Wahl zwischen Geständnis und Leugnung ließen. „I have nothing to say and I say it”, heißt das in seinen eigenen Worten. „Mit der Erkenntnis, daß Stille gleichbedeutend ist mit Klang – weil Stille der Grund ist, aus dem Klang kommt und in den er letztlich zurückkehrt – entwickelte Cage eine kompositorische Strategie, die das Nebeneinander gegenüber der Entgegensetzung bevorzugte. (...) Was die Stille/das Schweigen anbot, war die Aussicht darauf, dem Bestehenden zu widerstehen, ohne sich im zu widersetzen.“ (Katz)

Cages Musik, die ohne die sonst als gleichsam von der Natur vorgegebenen Ausdrucksformen und bedeutungsstiftenden Normen auskommt, eröffnet den Zuhörern die Möglichkeit, sich dessen bewußt zu werden, daß sie selbst es sind, die dem Gehörten Bedeutung geben. „Für Cage war die Freiheit von Bedeutung auch Freiheit von Beherrschung, Bestimmung, Kontrolle in einem ganz weltlichen Sinne.“ (Katz) Die Hörer werden „von passiven zu aktiven, von Konsumenten zu Produzenten, von Abgepaßten zu Widerständigen. Autorität verlagert sich von außerhalb des Einzelnen nach innen, und möglicherweise beginnt dieses neue Verhältnis zu Autorität innerhalb des Konzertsaales auch neues Weisen vorzuschlagen, wie man außerhalb sein könnte.“ (Katz) Der Anarchist John Cage, der weder beherrscht werden noch andere beherrschen wollte, hatte so zu einer Gestaltung seines Lebens und seiner Musik gefunden, die Freiheit ermöglichte, ohne sich in nutzlose Kämpfe und neue Machtspiele zu verwickeln. Indem er Stille/Schweigen zuließ, entlastete er sich selbst und ließ die anderen zu. „Jeder soll das Recht haben, so wenig wie möglich beeinflußt zu sein.“