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Cacerolazos oder Der Aufstand der Topfdeckel


Trotz ihres kroatischen Namens ist Mlada Opacak Argentinierin. Die Tochter eines vor den deutschen Besatzungstruppen nach Patagonien geflohenen Jugoslawen ist Vorsitzende von Xochicuicatl, eines Vereins, den Frauen aus Lateinamerika vor acht Jahren in Berlin gründeten. Geplant als Kulturprojekt, ist Xochicuicatl heute Anlauf- und Beratungsstelle für Arbeitsmigrantinnen aus Südamerika. Zur Selbstorganisation „einfacher“ Argentinierinnen angesichts der Wirtschaftskrise äußerte sich Mlada Opacak im Gespräch mit Lizzie Pricken


Mlada, du hast Xochicuicatl mitgegründet. Was war das ursprüngliche Anliegen?

Als wir vor acht Jahren diesen Verein gründeten, war das Hauptmotiv, eine Schreibwerkstatt für diesen Kulturkreis zu initiieren. Wir wollten damit vor allem unsere Kreativität bündeln und uns austauschen. Darauf geht auch der sehr poetische Name des Vereins zurück. „Xochicuicatl“ – gesprochen etwa „Sotschiquikatel“ – heißt in der Sprache mexikanischer Ureinwohner soviel wie „Der Gesang der Blumen“.

Heute geht es uns darum, lateinamerikanische Frauen in ihrer spezifischen Situation hier in Deutschland zu unterstützen. Das bedeutet, wir sind erst einmal ein Treffpunkt für Frauen aus dem spanischsprachigen Raum Südamerikas, aber selbstverständlich auch für Brasilianerinnen, die ja portugiesisch sprechen.

Mittlerweile hat sich die Situation auch für lateinamerikanische Migrantinnen drastisch verändert, was sich natürlich in den aktuellen Bedürfnissen der Frauen, zumeist Arbeitsmigrantinnen, widerspiegelt. Diese Frauen, die hierher kommen, um für eine Weile Geld zu verdienen, welches sie dann zu ihren Familien schicken, brauchen in erster Linie Informationen zu aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Fragen. Wir vermitteln bei Bedarf auch Rechtsanwältinnen. Es gibt auch Deutschkurse. Leider haben wir nur eine bezahlte Stelle, was bedeutet, daß wir zum Beispiel keine Begleitungen machen können und auch sonst eingeschränkt sind. Seit Beginn sind wir acht bis zehn Frauen, die zumeist ehrenamtlich tätig sind.

Du bist gerade aus Argentinien zurückgekehrt und hast dort einen Kontakt mit einer Frauengruppe hergestellt, die in ihrem Manifest zur weltweiten Frauenbefreiung aufruft. Was genau sind dies für Frauen?

Die Gruppe nennt sich „Sindicato amas de casa“, was soviel bedeutet wie „Hausfrauengewerkschaft“. Das sind in der Mehrzahl bettelarme Frauen, die auch am härtesten von den Folgen der Globalisierung in Argentinien betroffen sind. Ich habe selbst an zwei ihrer Treffen teilgenommen und war sehr beeindruckt, woher diese Frauen die Kraft nehmen, sich trotz fehlender Mittel zu organisieren. Es finden regelmäßig Protestaktionen vor dem Sitz der Regierung in Buenos Aires statt, die meisten der Frauen aus allen anderen Teilen des Landes oder auch nur aus den Vororten mit den Slums, in denen sie leben, haben nicht einmal das Fahrgeld, um überhaupt dorthin zu kommen. Von den Feministinnen aus der Mittelschicht kommt hingegen keine Unterstützung. Obwohl man an sich erwarten könnte, daß sie sich zumindest teilweise mit den durch die Bankenkrise völlig Verarmten solidarisieren. Sie hüllen sich völlig in Schweigen. Da kommt gar nichts. Die meisten von ihnen sitzen heutzutage schon selbst an kleineren oder größeren Machtpositionen und interessieren sich folglich auch nicht mehr für die „Verliererinnen“ der Globalisierung. Sie sind selbst schon ein Teil dieses kriminellen Systems geworden.

Was sind denn die konkreten Forderungen der Hausfrauengewerkschaft?

Sie verlangen neben einer angemessenen Vergütung der Hausarbeit auch eine eigenständige Rentenversicherung. Eine ihrer Hauptlosungen heißt „investieren in die Pflege anstatt in das Töten“. Außerdem verlangen sie so fundamentale Dinge wie den Zugang zu sauberem Trinkwasser und einem Gesundheitswesen, außerdem das Recht auf Alphabetisierung und den Schutz vor Gewalt. Dabei sind die Frauen trotz ihrer Unerfahrenheit mit politischen Themen äußerst kreativ, für den 8. März ist zum Beispiel ein „Escobazo“, eine symbolische Kehraktion, geplant, bei der mit Besen und Staubwedel „bewaffnete“ Frauen Straßen und Luft vom „Müll“ befreien werden. Obwohl die Situation dieser Frauen wirklich dramatisch ist – viele sitzen mit ihren Kindern auf den Straßen der Hauptstadt und müssen betteln –, haben sie dennoch nicht ihren Humor verloren!

Gegen wen genau richten sich denn diese Protestaktionen?

Man kann sagen, gegen alle, die innerhalb von Regierung und Verwaltung mitverantwortlich sind für die wirtschaftliche Krise. Dabei hat mich jedoch am meisten erstaunt, daß gerade diese Frauen, die ja am schlimmsten betroffen sind, am wenigsten zu Gewaltakten aufrufen, obwohl man es ihnen nicht einmal übel nehmen könnte. Bei den Demonstrationen des Hausfrauensyndikats werden im übrigen auch explizit sämtliche Parteien und Verbände ausgeladen: Die Frauen haben keinerlei Vertrauen mehr in diese Institutionen. Die wollen einfach keine Fahnen auf ihren Demos sehen. Ich habe gespürt, daß die Frauen nicht wütend oder aggressiv sind, sondern eher traurig und bodenlos enttäuscht. Ihr Protest besteht vor allem darin, präsent zu sein, um den Herrschenden auf diese Weise ihr Elend vor Augen zu halten. Es ist diese unterschwellige Art, die „Idylle“ zu stören, wie ein Stein in einem Schuh. Diesen Ausdruck habe ich tatsächlich mehrmals gehört.

Wie reagieren die Medien darauf?

Mit Ignoranz! Sie versuchen, möglichst viel zu vertuschen oder verschweigen ganz einfach, was an Protesten existiert. Manche Sachen jedoch sind so außergewöhnlich, daß sie dann doch erwähnt werden müssen. So hat beispielsweise eine Familie, die ihre gesamten Ersparnisse auf der Bank eingefroren fand, sich kurzerhand dazu entschlossen, ihren schon länger geplanten Urlaub im Eingang ebendieser Bank zu verbringen. Die haben dann dort sehr friedfertig ihre Zelte aufgeschlagen und den Sonnenschirm aufgestellt. Die meisten der Proteste gehen in diese Richtung, und es ist noch kein Ende abzusehen. Natürlich gibt es auch Leute, die faule Eier oder auch Steine werfen, das aber hautsächlich gegen Repräsentanten aus dem Ausland, etwa einer bekannten Fast-Food-Kette.

Die Forderungen der Frauen konzentrieren sich nicht nur auf lokale Ebenen, sondern es werden alle Frauen dieser Welt aufgerufen, sich zu solidarisieren. Wie reagieren westliche Feministinnen darauf?

Immer noch bevormundend. Es kommen regelrechte Befehle, wie die Frauen sich zu organisieren hätten, so von einer Frauenorganisation aus London, die auch um Lohn für Hausarbeit kämpft. Da diese Feministinnen auch bestimmte Dinge gesponsort haben, wollen sie jetzt bestimmen, wie die Frauen der „Dritten Welt“ kämpfen sollen, anstatt ihnen endlich die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen und sie dabei zu unterstützen. Diese Unterstützung wiederum wird nun aber an bestimmte Bedingungen geknüpft. So sollen die Frauen unter anderem jeden Tag auf der Straße demonstrieren oder es wird versucht, ihre Inhalte zu beein-flussen. Wer sich nicht daran hält, wird eben nicht mehr auf die Konferenzen eingeladen und ins Abseits gedrängt. Viele Forderungen, die für die Frauen in Lateinamerika wichtig sind, haben für die Feministinnen des Nordens keinerlei Bedeutung.

Gibt es denn eine Zusammenarbeit von Frauen innerhalb Südamerikas?

Das ist sehr schwierig, es fehlen dazu einfach die Mittel. Einige Sachen können ja heute wenigstens über das Internet vermittelt werden, doch selbst dazu braucht man einen Computer. Interessant ist für mich, daß viele Männer ihre Frauen unterstützen, weil sie selbst in dieser Situation hilflos und es tatsächlich die Frauen sind, die nun nach all den Jahren der politischen Ohnmacht die Initiative ergreifen. Was ich auch sehr bemerkenswert fand, ist, daß eine der politisch erfahrenen Gründerinnen des Hausfrauensyndikats, Chabela Zanutig. nicht den Fehler beging, die Frauen führen zu wollen, sondern sie aufforderte, eigene Strukturen zu entwickeln.