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Fit for SexOpa?


Die kühne These, Bravo Girl! sei eine Jugendzeitschrift, führt unter Umständen zur Annahme, junge Menschen bedürften deren spezieller Art von Sexualaufklärung. Kurt Starke hat den Einfluß des Magazins auf die Wahrnehmung von Sexualität durch Kinder und Jugendliche analysiert. Wichtiges ist ihm dabei entgangen, meint Lizzie Pricken

Wie wirken Sexbeiträge in den Medien auf Kinder und Jugendliche? Dieser Frage geht eine Studie nach, die am Anfang des neuen Jahrtausends in mehreren deutschen Städten unter der Leitung des Leipziger Sexualwissenschaftlers Kurt Starke durchgeführt wurde. Auf der Basis zweier Beiträge aus dem Jahre 1998 mit den Titeln „Fit for Sex“ und „Sex Power“, die im Jugendmagazin Bravo-Girl! erschienen, wurden Kinder, Jugendliche, sowie Sexualwissenschaftler zu ihren Eindrücken in Bezug auf sexuelle Darstellungen in den Medien befragt. Starke, der bereits zu DDR-Zeiten als „Sexguru“ galt und seit nunmehr 30 Jahren zum Thema „jugendliches Sexualverhalten“ publiziert, versucht dabei seine Ausgangsthese zu verifizieren, daß Kinder und Jugendliche durch zu frühe Konfrontation mit dieser Thematik negativ beeinflußt werden könnten und dadurch in ihrer weiteren Entwicklung gefährdet seien.

Diese These revidiert er jedoch sehr schnell, denn insbesondere bei der Befragung von Kindern zwischen acht und zwölf Jahren kommt unisono heraus, daß sie sich von selbst noch gar nicht für das Thema Sex interessieren. Sie werden offenbar von einer inneren Barriere geschützt und überblättern folglich derartige Artikel in diesen den Jüngeren unter ihnen eher zufällig in die Hände geratenen Publikationen.

Nun hätte man auch mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes zu einer solchen Erkenntnis gelangen und das Thema damit abschließen können. Wenn allerdings ein Wissenschaftler die Frage „Haben Kinder ein objektives oder subjektives Interesse an Sexbeiträgen?“ in den Raum stellt, tauchen schon Irritationen auf. Was zum Beispiel ist ein „objektives Interesse“? Die Antwort sucht man jedoch in der Studie ebenso vergebens wie auf eine Erklärung zu den doch recht unterschiedlichen Methoden der Erhebung. Werden einige der TeilnehmerInnen der Studie mündlich interviewt, so müssen andere einen Fragebogen ausfüllen, was dann aber im Resümee ebensowenig berücksichtigt wird wie die Frage nach kulturellem und ethnischem Hintergrund. Irritierend ist ferner die Suche nach Quellenangaben, die praktisch völlig fehlen. Dafür gibt es allerdings eine acht Seiten lange Literaturliste, in welcher der Autor der geneigten Leserschaft seine eigenen gesammelten Werke präsentiert – und zwar nur seine. Wem so etwas nicht peinlich ist, der behauptet auch in Hinblick auf die zu den Beiträgen befragten Experten, daß sich selbige – sofern sie aus dem Anschlußgebiet nach Artikel 23 Einigungsvertrag stammen – durchweg gegen Zensur und Verbote aussprächen, da sie derlei selbst lange genug erlebt hätten. Da es sich bei besagten Experten vorwiegend um Frauen handelt, wäre es schon spannend gewesen, ob und wie sie sich selbst in den Darstellungen von Weiblichkeit beziehungsweise weiblichem Sexualempfinden wiederfinden konnten. Schließlich ist das unter bundesdeutschen Verhältnissen vermittelte Idealbild der Frau doch ein etwas anderes als das einer Frau im „Arbeiter- und Bauernstaat“.

Aber das wollen Herr Professor gar nicht wissen; Starke behauptet stattdessen, daß 50 Prozent der LeserInnen von Bravo-Girl! 18 Jahre und älter und unter ihnen 10 Prozent (junge) Männer seien. Da hätte man gern erfahren, wie er denn darauf kommt. Und wer sind eigentlich die anderen 50 Prozent der Bravo-Girl!-KonsumentInnen? Offenbar hat Starke auch den Verlag – den Hamburger Mediengiganten Bauer – nicht danach befragt, welche Klientel er denn im Visier hatte mit seinem Medium. Selbst für außerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft Stehende sieht nämlich die Zeitschrift, auf die sich die Studie hauptsächlich stützt, viel eher aus, als sei sie für Männer in den „besten Jahren“ gemacht, die ihrer verlorenen Jugend nachtrauern und/oder ihre erotischen Phantasien auf die jungen Mädchen oder auch Jünglinge projizieren.

Um nochmals einen Eindruck davon zu vermitteln, wie dünn die Basis der Studie ist, sei angemerkt, daß sie sich im wesentlichen auf sage und schreibe zweimal „4 erotische Seiten mit Test!“ und „22 garantiert neuen Kicks“ stützt. Der Rest des Druckwerks Bravo Girl! besteht indes überwiegend aus Klatsch aus der „Welt der Stars“ sowie Modetips und ist deshalb voll von Lolita-look-alike-Girls und „süßen Boys“, die als „zum Anbeißen“ bezeichnet werden – das ist im übrigen eindeutig Erwachsenenjargon (erwachsene Schwule sprechen von „Sahneschnittchen“) – und „Girl testet den Sex-Appeal der drei knackigen Leckerbissen“ (Bravo Girl! Nr. 21 vom 26. September 2001). Auch insofern stellt sich die Frage, ob nicht eine Studie zu den HerausgeberInnen dieser Art von „Jugendzeitschrift“ und deren Einstellungen zu Sexualität und Geschlecht bei weitem aufschlussreicher gewesen wäre als stundenlang Dritt- bis Fünftklässler mit Sex zu belästigen. Vielleicht gibt über den wissenschaftlichen Nährwert der Studie überdies die Art und Weise Auskunft, mit der die Haltung einer Mutter ausgelegt wird, die diese Inter-views für ihre Kinder ablehnte: „Die Familie wohnt in der Großstadt, gehört der Mittelschicht an und ist stark religiös gebunden. Die Kinder wachsen offensichtlich sehr behütet auf.“ Im Klartext: Sexualfeindliches Biotop. Dass die Mutter womöglich ihre Kinder gut kennt – besser zumindest als der Sexpapst – wird gar nicht erst in Erwägung gezogen. Daß sich Starke darüber wundert, dass unter den Kindern keine „ausgesprochenen Fans“ von Sex zu finden gewesen seien – nicht jeder, der sucht, findet eben auch – verrät allerdings mehr über ihn als über die vorgebliche Zielgruppe.

Das soll nun keineswegs bedeuten, dass sich aus der Studie nun gar keine Erkenntnisse gewinnen ließen. Immerhin behaupten einige der älteren Befragten (14- bis 18-Jährige), daß durch die Lektüre von Bravo Girl! ein lockeres Verhältnis zur Sexualität entstehen könne. Die – leider unbeantwortete – Frage ist lediglich, wie „verklemmt“ sie vorher waren. Ist doch das Bild, das ihnen gerade in diesem Medium vermittelt wird, alles andere als das eines auch sexuell emanzipierten jungen Menschen. Nicht zuletzt deshalb empfinden selbst jene Jugendliche, die sich schon für Sexualität im weiteren Sinn interessieren (Intimität, Zusammenleben, Freundschaft, Liebe) die dort gezeigten Darstellungen eher als abstoßend. Kein Wunder, sie sind ja in der Regel von Erwachsenen gemacht, dem Ton nach von sexuell frustrierten Männern im Vorruhestand. Doch Vorsicht: Im Impressum von Bravo Girl! stehen vorwiegend weibliche Namen. Da tut sich ein Wust neuer Fragen zur Zielgruppe und ProduzentInnen auf.

Obwohl in den Erotik-Specials des Massenblattes immer wieder betont wird, daß die Leserinnen nichts von dem tun müssen, was nicht allein ihre Freunde von ihnen erwarten (außer wenn sie dies auch wirklich wollen), so schließt doch gerade eine bestimmte Art der Formulierung von vorneherein aus, daß ein Mädchen sehr wohl eine eigene Phantasie und das Bedürfnis nach Initiative haben kann. In Bravo Girl! liest sich das dann so: „Schließe die Augen und gib Dich Deinem Freund hin. Du kannst nur dann gut sein, wenn Du locker bist und falsche Schamgefühle keine Rolle spielen. Noch etwas: Dein Freund wird 100% zu einem noch tolleren Lover, weil ihn Deine absolute Hingabe in seiner Leidenschaft antörnt und seine erotische Phantasie reizt!“ Früher gaben Mütter ihren frischverheirateten Töchtern ähnliche Hinweise mit auf den Weg ins Schlafzimmer: „Augen zu und Zähne zusammen“, weil Frauen nun mal am besten passiv „genießen“. Die vielen formschönen Abbildungen der Paare beim Körperkontakt runden die so beschriebene „Sinnlichkeit“ ab zu einem pseudoästhetischen Ganzen. Alle abgebildeten Jungen und Mädchen sehen aus wie Models, sie sind durchweg weiß und ohne körperliche Einschränkungen. Nichtmal Brillen oder Zahnspangen sind statthaft. So bekommen schon Anfänger suggeriert, daß nur mit einem schönen Körper auch schöner Sex zu haben ist. Offenbar machen sich die Herausgeber weniger Gedanken um die Sorgen und Komplexe von pubertierenden Halbwüchsigen, als vielmehr darum, sich mit Andeutungen und Suggestionen eines weitgehend tabuisierten Themas eine treu zahlende Leserschaft aufzubauen. Und so ganz nebenbe werden die Mädchen eingebunden in die Welt der glücklichen Konsumentinnen, deren höchstes Ziel es zu sein scheint, möglichst lange möglichst jung und appetitlich auszusehen – „zum Anbeißen“ eben. Könnte es sein, daß dies das größte Problem der HerausgeberInnen von Bravo Girl! ist?

Nach ihren Eindrücken zur Sexualaufklärung im Heimatkundeunterricht befragt, antwortet ein 11jähriges Mädchen im Rahmen der Studie: „Das war genauso interessant wie Thüringen.“ Sexualität muß man also nicht zwangsläufig gleichsetzten mit Styling und Show. Warum eigentlich werden Aufklärungsbroschüren nicht gleich von Jugendlichen für Jugendliche gemacht?


Die Autorin dankt Annett Schönmeyer für die fachwissenschaftliche Konsultation.

Starke, Kurt: Fit for SexPower? Eine wissenschaftliche Studie zu Bravo-Girl! Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 2001. 395 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 98,00 DM