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Zweimal Ursula

„What the world needs now, is love sweet love“ singt Dionne Warwick zum von Anke Korfhage aus dem Team der Lesbisch-Schwulen Filmtage Hamburg zusammengestellten Jubiläumstrailer, der Filmküsse aus fünfzehn Jahren zeigt. Ob das Programm war oder es auch politischer zuging? Dazu im Folgenden Beobachtungen frisch von der Alster von Ira Kormannshaus

Nach den Neuwahlen in Hamburg gibt es nun endlich auch wieder eine Kultursenatorin, die diese Bezeichnung verdient und gar das Publikum in ihrem Grußwort zitiert: „Die Lesbisch-Schwulen Filmtage sind eine absolute Bereicherung, für die es sich lohnt, im Oktober eine Woche Urlaub zu nehmen.“ Offensichtlich keine Einzelmeinung, denn das Publikum strömte: Viele Vorstellungen waren ausverkauft, Filmfans saßen auf dem Boden, manche Vorstellungen wurden außerplanmäßig wiederholt.

Zur Eröffnung gab’s die lesbischen Agentinnen D.E.B.S. – vgl. Berlinale-Bericht in Gigi Nr. 30 –: Ja, die Welt braucht tatsächlich Liebe, denn Liebe kann das Böse besiegen! Gepflegte Langeweile und nur halbherzig unterdrückte Homosexualität dagegen in Andy Warhols Flesh, aber der ist auch von ‘68 und nicht ‘now‘.

Im Kurzfilm sind neben dem nie aussterbenden Thema Coming out Musik und das Spielen mit Geschlechterrollen schwer angesagt – reflektiert auch in den Gewinnern der diesjährigen „Ursula“, des traditionellen Kurzfilmpreises beim ältesten deutschen schwullesbischen Filmfestival. Die „Ursula“ wurde in diesem Jahr zum ersten Mal gesplittet in einen lesbischen und einen schwulen Teil, da in der Vergangenheit die Lesben den Preis davonzutragen pflegten.

Schwarzes Stiefelchen und Muttersöhnchen

In Colette Bursons Little Black Boot holt sich die verliebte Heldin Rat bei ihrem besten Freund, ist dann in elegantem Anzug die große Unbekannte beim Schulball und überzeugt ihre Angebetete – auch nachdem die Maskerade aufgeflogen ist. Mit Einfühlungsvermögen gewann die norwegische Regisseurin Katarina Launing das schwule Publikum für sich: Mama’s Boy gewann die schwule „Ursula“. Festivalmitbegründerin Dorothee von Diepenbroick zeigte nicht nur ein eigenes Programm mit Kurzfilmen aus fünfzehn Jahren, sondern war auch im Wettbewerb mit ihrem Clip zu Peter Maffays Und es war Sommer vertreten.

Die Football-Spielerinnen in Chiedu Egbuvines Squeeze Play beweisen detektivische Fähigkeiten im nachträglichen Aufspüren und sportlichem Rückzahlen von Seitensprüngen. Esme Seeking findet es absolut uncool, auf einer Hochzeit im wahrsten Sinne des Wortes verKleidet sein zu müssen – den ihr zugeworfenen Brautstrauß hinterlassend macht sie sich auf zum Drag-King-Contest. Ein großes schauspielerisches Talent kam höchstselbst aus Brooklyn nach Hamburg, um ihren Film Begin Again vorzustellen: Anika Burt. In dem Streifen überzeugt sie letztlich die Französischlehrerin zum Coming out, mit dem Film überzeugte sie das Publikum.

Die Lesbisch-Schwulen Filmtage waren seit jeher ein Festival, das das kurze Format hegt und pflegt. Ganz in diesem Sinne gab es in diesem Jahr ein Programm Made in Hamburg mit lokalen Talenten – auffällig hierbei die starke Auseinandersetzung mit TV-Formaten. Um auch weiterhin Nachwuchs zu ermutigen, gab Nathalie Percillier im Rahmen des Festivals einen Film-Workshop, der großen Anklang fand.

Daß guter Kurzfilm nicht notwendigerweise aus Nordamerika oder vielleicht noch Europa kommt, bewies der Gründer und Leiter des Q FilmFestival Indonesia John Badalu mit seinem Programm South East Asian Delights. In einem Land ohne staatliche Filmförderung oder eine nationale Kinemathek (deren Aufbau er sich zum Ziel gesetzt hat) queere Filme zu produzieren, ist wahrlich eine Heldentat!
Zurück zu den Langfilmen. Corey Yuens grandiosen Hongkong-Film So Close, in dem endlich gute, akrobatische asiatische Kampfkunst zurückkehrt, auf eine deutsche Leinwand zu bringen, war nicht so einfach – Hollywood-Studios gehen zunehmend dazu über, Filme von vornherein für die Video- und DVD-Verwertung zu produzieren. (So hat auch D.E.B.S. noch Hürden bis zum Kinostart zu überwinden.)

Auf andere Traditionen bezieht sich Franziska Meletzky mit ihrem Diplomfilm Nachbarinnen. Wer Karoly Makks Eine andere Liebe von 1983 gesehen hat, wird sich an die hervorragende polnische Darstellerin Grazyna Szapolowska erinnern, die in diesem Film die aktivere ist, Dagmar Manzel für eine Weile aus ihrer Einsamkeit reißt und ihr letztlich ins Leben zurückhilft.

Nach einem gewissen Boom in den späten 80er/frühen 90er Jahren ist es wieder stiller um den israelischen Film geworden, obwohl von dorther häufig Filme kommen, die durch ihre Authentizität, Fähigkeit zur stimmigen Personenzeichnung und Emotionen auf den Punkt zu bringen bestechen. Ein solcher Film ist Shahar Rosens Round Trip, der die Busfahrerin Nurit aus ihrer langweiligen Ehe ausbrechen läßt. Um bei permanenter Arbeit ihre Kinder (die der Ehemann unbedingt zu sich holen will) versorgt zu wissen, nimmt sie die Ghanaerin Mushidey bei sich auf. Eine zarte, von Konflikten nicht freie Liebesgeschichte entsteht, in deren Verlauf Nurit und ihre Kinder ihren Rassismus überwinden – nicht aber der israelische Staat, der Mushidey abschiebt.

Nun soll auch nicht unterschlagen werden, daß nicht alle Filme das Cineastinnenherz höher schlagen lassen konnten. Es gab auch seichte US-Filmchen wie Helen Lesnicks Inescapable. Der ist nicht nur dramaturgisch unausgereift – es bleibt eigentlich bis zum Schluß unklar, ob die gegenseitige Anziehung zweier liierter Frauen (ihre Partnerinnen haben die Beziehung miteinander schon hinter sich) aufgewärmt ist oder spontan entstand. Moralisch – ja, auch eine solche Meinung darf in Gigi vorkommen – ist jedenfalls die Glorifizierung des Seitensprungs und also des Doppellebens eine fragwürdige Botschaft. Auch das ewige Problem von Lesbenfilmen, eine wirklich gute und erotische Darstellung von Sexszenen, löst dieser Film nicht. RTFM (Read The Fucking Manual) heißt H.L. Winklers Debütfilm, der wiederum die Überarbeitung der Programmiererin Dev derart langatmig rüberbringt, als wolle er die 48 Stunden aus dem Leben der Heldin in Echtzeit zeigen.

Zu den Highlights zu zählen waren unterdessen zwei Filme der viel zu selten gezeigten, 1979 verstorbenen Pionierin Dorothy Arzner – eine der wenigen Regisseurinnen, die sich in Hollywood durchsetzen konnten und selbstverständliche Lesbe auch in der Botschaft ihrer Filme zu einer Zeit, als das nicht so leicht war. Dance, Girl, Dance von 1940 feiert die Frauensolidarität. Als die Managerin der Tanztruppe stirbt, sorgt Bubbles (Lucille Ball), die sich schon vorher für einen lukrativeren Job abgesetzt hat, dafür, daß auch die talentierte Judy (Maureen O’Hara) unterkommt. In Christopher Strong von 1933 sehen wir die junge Katharine Hepburn als Fliegerin und eigentlich der Liebe abhold. Als sie sich in einen verheirateten Mann verliebt und die üblichen Spiele losgehen, begeht sie Selbstmord, indem sie zu hoch fliegt – hinterher heißt es dann „umgekommen beim Aufstellen eines neuen Höhenrekordes“.

Zwei weitere Höhepunkte des diesjährigen Programms waren die Deutschland-Premieren von Gus Van Sants Gerry und Ilan Iqbal Rashids Touch of Pink. Filme, wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten, aber genau darin meisterlich unterschiedliche filmische Konzepte repräsentieren. Van Sant arbeitet sehr reduziert, mit langen Einstellungen und kaum Dialog. Zwei Freunde (Casey Affleck und Matt Damon) gehen in die Wüste – was „the thing“ ist, das sie suchen, ist unwesentlich, daß sie es nicht finden, ebenfalls. In ihrer Naivität („Jeder Weg führt dahin“) gehen sie drauflos und müssen bald realisieren, daß die Wüste sie nicht mehr freigibt ... Daß Freigabe und also Freiheit (zumindest unter Großstadtbedingungen) vom eigenen Mut abhängt, zeigt einmal mehr Ilan Iqbal Rashid in Touch of Pink. Fotograf Alim, in Kenia geborener und in Kanada aufgewachsener Sproß einer muslimischen indischen Familie, lebt in London mit seinem Lover Giles, und entsprechend wird die gemeinsame Wohnung entschwult – unter weiser Mithilfe eines imaginären Mentors: dem Geist von Cary Grant. Die Mutter schafft es zwar, Chaos in das scheinbar so wohlgeordnete Leben des Sohnes zu bringen, am Ende steht aber ein erfolgreiches Coming out auf der Hochzeit des Cousins (der auch nicht so ganz hetero ist), und das Ganze wird so liebevoll und gekonnt mit Rückgriffen auf filmische Konventionen der 40er und 50er Jahre erzählt (unter anderem auch mit makelloser Aussattung), daß dieser Film einfach unwiderstehlich ist.

Der Wert der Verpackung

„Was wird aus dem Queer Cinema im 21. Jahrhundert?“ fragte eine Podiumsdiskussion – und unentschieden blieb die Frage, ob es denn nun an Produzenten, Verleihern, Presse oder dem Publikum liege, daß es nach einem Boom in den frühen Neinzigern wieder stiller geworden ist. Vielleicht bietet Touch of Pink ja auch darauf die Antwort, ganz im Sinne des von Verleiher Björn Koll (Edition Salzgeber) Gesagten: Auf die Verpackung kommt es an.

Zuletzt noch eine traurige Nachricht: Das Hamburger kommunale Kino Metropolis, seit langem die Heimstatt des guten Films und für anderthalb Dekaden Heimstatt des Festivals, wird im kommenden Jahr abgerissen, um einer Kinopassage Platz zu machen. Einen Ausweich-Spielort soll es geben und in drei Jahren soll es in der neuen Passage dann auch wieder Platz fürs Metropolis geben. Doch selbst wenn das so umgesetzt wird, geht damit auf jeden Fall eine ziemlich einmalige Kino-Architektur in diesem Land für immer verloren.

Zuallerletzt doch eine gute Nachricht: Die Lesbisch-Schwulen Filmtage Hamburg wird es weiter geben!