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Wilhelms Freunde


Deutsches Reich im Jahre 1907. Kaiser Wilhelm II. betreibt eine expansive Weltmachtpolitik, um den Traum vom „Platz an der Sonne“ zu verwirklichen. Grobschlächtig und inkompetent, hat er sich mit einem Kreis von Offizieren und Adligen umgeben, die ihn politisch beraten. Einer ist seit Anfang der 1890er Jahre Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld. Das Mitglied des Diplomatischen Corps ist auf internationalen Ausgleich bedacht, besonders mit dem „Erbfeind“ Frankreich. Dafür wird er von Offiziers-Corps wie Deutsch-Nationalen verachtet, zumal „Seine Majestät den Philipp Eulenburg mehr liebt als irgendeinen lebenden Menschen“, wie schon 1880 Herbert von Bismarck an seinen Vater, den Reichskanzler, schrieb. Seine Majestät bezeichnet den Fürsten als „Busenfreund“, und als solcher ist er Teilnehmer auffallend frauenloser kaiserlicher Vergnügungen: Jagdgesellschaften bei und auf Schloß Liebenberg sowie Kreuzfahrten auf Wilhelms Yacht „Hohenzollern“. Über pikante Details dieser Lustbarkeiten ist auch einer der seinerzeit bekanntesten Journalisten im Bilde: Maximilian Harden. Ihm hatte Bismarcks Leibarzt 1901 dessen Bemerkung über Eulenburg hinterbracht: „Es soll einige gute Generale unter den cinaedi geben, aber mir sind keine guten Diplomaten von der Sorte begegnet.“ Sechs Jahre später setzte Harden sein Wissen um Eulenburgs homosexuelle Vorlieben ein, um dessen mäßigenden Einfluß auf die Politik Wilhelms II. zu brechen. Die Denunziation führte zu einem Skandal bis dato nicht gekannten Ausmaßes. Eulenburg und andere Beschuldigte mußten nach öffentlichen Prozessen, die sich über Jahre hinzogen, kapitulieren. Resultat war eine Wende zugunsten einer aggressiven deutschen Kriegspolitik. Insofern sie ein Meilenstein war auf dem Weg in die Katastrophe von 1914 ist die Affäre um „Die Freunde des Kaisers“ (so der Titel des hier zu empfehlenden Buches von James Steakley) von weit höherer historischer Bedeutung als nur im Kontext der durch sie ausgelösten, für das kaiserliche Deutschland gänzlich neuen Debatte um Sitte, Anstand, (Homo-)Sexualität und Moral.

Steakley wählte einen originellen Ansatz, um zu der „nach dem Fiasko des deutschen Nationalismus im Dritten Reich sowie einer sich allmählich entwickelnden größeren Aufgeschlossenheit gegenüber homosexuellen Fragen“ gebotenen „genaueren Untersuchung der biopolitischen und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte dieser Affäre“ beizutragen. Er widmet sich deren Widerspiegelung in zeitgenössischen Karikaturen des In- und Auslands, wodurch etwas sehr wesentliches im Wortsinne sichtbar wird: Die sich darin dokumentierende Antihomosexualität wird überwiegend antisemitisch und frauenfeindlich kontextuiert und reflektiert die Aversion gegen virulente Emanzpationsbestrebungen, etwa die Gründung von Frauen- und Homosexuellenvereinen, darunter als bekannteste Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitäres Komitee (WhK; gegründet 1897) und Adolf Brands Gemeinschaft der Eigenen (1903 vom WhK abgespalten). Diese Aversion fiel indes auch auf den Urheber des Skandals zurück. Harden (dessen eitler Manieriertheit Karl Kraus mit seinem spöttischen „Harden-Lexikon“ ein Kabinettstückchen der Sprachkritik widmete) glaubte wohl, seine deutsch-nationale, Heer und Marine gegen homoerotische Untergrabung verteidigende Attitüde mache ihn unantastbar. Doch wandte sich die Hatz alsbald gegen ihn selbst, den, so Wilhelm II., „Giftmolch aus dem Pfuhl der Hölle, Schandfleck an unserem Volk“: Er war der Jude, der das Militär der sexuellen Verderbnis zieh, das unappetitliche Intimleben höherer Kreise zulasten von Deutschlands Ruf im Ausland an die Öffentlichkeit zerrte – so, wie auf der Gegenseite Magnus Hirschfeld der Jude war, der zugunsten der Angeklagten als Experte fungierte, im Geschlechtsleben der Deutschen stocherte, „perverse“ Sexualität als verbreitet und normal bezeichnete, ja sogar deren Legitimität forderte. Antisemiten waren nicht-rassische Unterschiede egal.

Doch Steakley verweist noch auf diverse andere Implikationen im Kontext der Zeit. So schien in der Eulenburg-Affäre auch eine „intime“ Seite des Klassenkampfs auf: Mittels drastischer Anti-Homosexualität grenzte sich ein kapitalistisches Bürgertum gegen andere Klassen und deren „dekadente“ oder „verlotterte“ Sexualmoral ab: nach oben gegen den ohnehin „inzestuösen“ Adel und nach unten den zum politischen Subjekt erstarkten Klassenfeind Proletariat. Diese Klassen repräsentierten im Eulenburg-Skandal adlige Offiziere und Diplomaten einer- und sich prostituierende Soldaten andererseits. Die allgemeine Homophobie fand dabei im Militarismus besonders der Oberschichten sowie im Status des Militärs als die staatliche Zuchtanstalt ihren Nährboden, da letzteres (als Ausdruck von Frauenfeindlichkeit) plötzlich als verweichlicht, sprich: weibisch und somit geschwächt erschien und überdies die Hierarchien im Militär sexualisiert wurden. Insofern, als die „häßliche“ deutsche Frau (alter Typus) oder die „maskuline“ politisierte (neuer Typus) beim „Feind“ als Ursache für das Ausufern des Schwulseins denunziert, dieses aber zugleich für das Erstarken der Frauenbewegung verantwortlich gemacht wurde, warf die Affäre beide Emanzipationsbestrebungen um Jahre zurück. Darum mag in geschlechter- und sexualpolitischer Hinsicht das vielleicht wichtigste Resümee dieses wichtigen, sowohl optisch als auch mit seinen zahlreichen Quellenverweisen und Anmerkungen hervorragend edierten Buches Steakleys Feststellung sein, daß viele der Karikaturen „wie verschiedene Variationen derselben Verunsicherung angesichts des durch die Moderne ausgelösten Wertewandels und ihrer als pervers empfundenen Sexualvorstellungen wirken“.

Eike Stedefeldt

James Steakley: Die Freunde des Kaisers. Die Eulenburg-Affäre im Spiegel zeitgenössischer Karikaturen. MännerschwarmSkript / Bibliothek rosa Winkel, Hamburg 2004. 191 S., 20,00 Euro