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Wie queer ist "schwul"?

Ein Standpunkt zur Diskussion um die Umbenennung des Berliner Schwulen Museums von Andreas Heilmann

Das Schwule Museum befindet sich in einer Identitätskrise und sucht einen neuen Namen. Die Diagnose in der öffentlichen Diskussion am 23. September im vorgelagerten Schwulen-Zentrum SchwuZ (oder bald „Queez“?) lautete schnell: „Schwul“ ist zu eng und überdies ausgrenzend, um die Vielfalt sexueller Identitäten und Thematiken zu repräsentieren, die in einem erweiterten Museumskonzept künftig Platz finden sollen. Es ehrt das Schwule Museum, daß es seine Selbst-Befragung in guter Tradition seines Namens zu einer öffentlichen Angelegenheit machte. Sprechen durften alle Anwesenden. In der Einladung hervorgehoben waren jedoch ausschließlich „Protagonist_innen queeren Denkens und Lebens“. – Kein Wunder also, daß die Debatte alsbald um die Alternative „schwul“ oder „queer“ kreiste. Eine vorschnelle Polarisierung. Denn sie unterstellt einen Gegensatz, der beim genaueren Blick auf die Ursprünge des politischen Kampfbegriffs „schwul“ dahinschwindet.

Im Archiv des Museums, sozusagen im Gedächtnis der Schwulenbewegung, finden wir eine Dokumentation über die einflußreiche Strategiedebatte des Tuntenstreits von 1973. Was als „queere Praxis“ in der aktuellen Namensdiskussion im SchwuZ eine Leerstelle mit vielen Fragezeichen blieb: Hier finden wir sie am gelebten Beispiel! Wir lesen von einer Angst der angepaßten Homophilen vor der öffentlichen Identifizierbarkeit. Ihr schleuderte die effeminierte Tunte ein selbstbewußtes schwules Coming-out entgegen. Die politisch „bewußte Tunte“ bildete die Avantgarde der Bewegung, denn sie trat ebenso mit ihrer Homosexualität wie mit der Verquerung der Geschlechtsrollen sichtbar in die Öffentlichkeit. Damit forderte sie die homophoben und sexistischen Vorurteile der Gesellschaft heraus und provozierte eine öffentliche Reflexion über die herrschenden Normen von Geschlecht und Sexualität. Zugleich rief sie den Homosexuellen ins Bewußtsein, in welchem Ausmaß sie die gesellschaftliche Unterdrückung als Selbsthaß verinnerlicht hatten. „Schwul“ wurde vom diskriminierenden Schmähbegriff zur allgemein verständlichen Auszeichnung für einen autonomen politischen Standpunkt, von dem aus erst radikaler Widerstand gegen die „allgemeine Sexualunterdrückung“ artikuliert werden konnte. Schwulsein hieß öffentliches Bekenntnis unter Einsatz der eigenen Person. Es richtete sich auch gegen die Haltung der sogenannten Integrationisten in der Bewegung, die ihre Feigheit vor der öffentlichen sexuellen Selbstpositionierung mit akademisch-marxistischer Rhetorik zu maskieren verstanden.

Wir lesen gar von feministischen Männergruppen und von schwulen Frauen in der HAW, der Homosexuellen Aktion Westberlin. Damals umfaßte die schwule Bewegung noch selbstverständlich Lesben, Transen, Ledermänner und Pädosexuelle. Gegenüber dieser ursprünglichen Queerness hat sich seither die Bedeutung von „schwul“ unbestreitbar auf männlich-homosexuelle Identität verengt. Aber nach wie vor provoziert das öffentliche Bekenntnis als „Schwuler“ die Frage nach der eigenen Geschlechtsidentität und nach den herrschenden Normen von Männlichkeit.

Im Alltag hat „schwul“ ebenso wie „lesbisch“ noch immer eine größere geschlechter- und sexualpolitische Brisanz als „queer“, das meist so verstanden wird, daß es eigentlich alles und alle meint. Denn auch „queer“ ist außerhalb seines akademischen Kontexts meist verengt auf einen marktgängigen Sammelbegriff für Schwule, Lesben, Trans- und alle „usw.“ Gleichwohl fühlen sich heute viele „queere“ Menschen von dem Begriff „schwul“ nicht (mehr?) angesprochen. Aber sollte deshalb eine etablierte und lebendige Institution, die ihre Entstehung maßgeblich der Schwulenbewegung verdankt, gleich jeden Verweis darauf aus ihrem Namen tilgen? Aus guten Gründen bekennt sich das Schwule Museum namentlich zu den queeren Ursprüngen in der Schwulenbewegung. Diese Gründe sprechen nicht gegen eine lebendige Erweiterung des Museumskonzepts unter einer queeren Perspektive. Viel spricht jedoch gegen ein „Queer branding“, das der Selbstvermarktung näher steht als der Selbstpositionierung.