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Wie lesbisch ist Deutschland?


„Deutschland, einzig’ Homoparadies? Leider nein. Lesben werden meist übersehen. Gelten als uncool. Grund: Statt lifestyligen Optimismus zu verströmen, verharren sie in der Opferrolle. Sind sie selbst schuld an ihrem Imageproblem?“ So sinnierte unter dem schönen Titel „Wie lesbisch ist Deutschland?“ am 10. November Autorin Katrin Raetz in der tageszeitung. Bei dem Vorhaben, ein paar der Ergebnisse des raetzelhaften Nachsinnens einem breiteren LeserInnenkreis zugänglich zu machen, sei es unmöglich gewesen, sich des einen oder anderen Kommentars zu enthalten, meinen Jule Blum und Elke Heinicke

Zu Beginn ihres Artikels freut sich Raetz über die sichtbare Vielfalt (?) amerikanischer Star-Lesben. In Deutschland gebe es bloß Hella von Sinnen, Ulrike Folkerts und Maren Kroymann. Letztere hätte sicher einiges zum Thema Karriereknick nach Coming-out als lesbische Feministin beitragen können. Leider wurde sie vorsichtshalber gar nicht erst dazu befragt, wie sich zum Beispiel eine Kritik an absurden Konstrukten zum Verteilen von Privilegien wie die Homoehe auf eine Karriere auswirkt.

Im Weiteren vermißt die Autorin prominente lesbische Politikerinnen in Deutschland. (Gibt es die eigentlich irgendwo auf der Welt?) Scheinbar kommt ihr nicht in den Sinn, daß das Hinterbänklerinnendasein lesbischer Politikerinnen irgendetwas damit zu tun haben könnte, daß sie mit unpopulären lesbisch-feministischen Haltungen gar nicht erst in die Nähe der vorderen Bänke kommen. „Alice Schwarzer hat unlängst im Editorial der Emma zu Recht nach hochrangigen lesbischen Politikerinnen gefragt und ihre Antwort gleich mitgeliefert: Der gesellschaftliche Druck auf Frauen sei eben ungleich größer als der auf (schwule) Männer.“ Da hat Alice Schwarzer unbestreitbar recht, aber wie kommt es dann, daß selbst in der Emma Lesben so wenig sichtbar sind?

Die Sibyll und die Sarah-June von den Hartz-IV-Parteien

„Zu den wenigen offen lesbisch lebenden Politikerinnen zählt Sibyll Klotz, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie lebt mit Freundin, Tochter und zwei Katern in Berlin-Kreuzberg. Ihr Coming-out löste kein so gewaltiges Medienecho wie bei Wowereit oder Westerwelle aus. ‘Wer nie im Schrank saß, braucht nicht mit Getöse herauszukommen’, so Klotz. Zumindest bei den Grünen nicht.“

Klar gibt es massenweise Aufmerksamkeit der meinungsBildenen Mainstreampresse, wenn ein Schrankschwuler, von dem es eigentlich eh alle schon immer gewußt haben, mit großer Geste ein „mutiges persönliches Bekenntnis“ ablegt. Das selbstverständlich-selbstbewußte Offenleben von Lesben wird dagegen sowohl aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung als auch aus der „Berichterstattung“ konsequent herausgefiltert. Sie werden als Freundinnen, Mitbewohnerinnen, alleinerziehende Mütter, die sich gegenseitig stützend unter die Arme greifen, etikettiert, damit das vertraute Bild der patriarchalen (Männer-) Weltordnung nicht in Frage gestellt wird.

Auch die stellvertretende Vorsitzende der Schwusos, Sarah-June Jäckel, findet, daß Lesben im gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert seien. Dies sei aber weniger ein Problem von Homo- oder Heterosexualität, sondern spiegele nur das Verhältnis von Frauen in der Gesellschaft wider: „Wenn sich Frauen in der Politik engagieren, bleiben ihnen nur die klassischen Frauenressorts. Kompetenzen in Wirtschafts- oder Technologiefragen werden ihnen kaum zugesprochen.“ Ganz so viel kritische Gesellschaftssicht war der Autorin dann doch unbehaglich und wurde gleich folgendermaßen abgebürstet: Es sei wohl zu kurz gedacht, „alles nur traditionell als Opfer der patriarchalen Verhältnisse zu deuten ...“

„Akzeptanz muß man sich selbst schaffen, findet denn auch Eva Kreienkamp von den Wirtschaftsweibern e.V., dem lesbischen Pendant zum Völklinger Kreis, einem Verband schwuler Führungskräfte. Ihr erklärtes Ziel: „Mehr Macht und Geld für Lesben“. Dieser platte Spruch darf hingegen von der Autorin unkommentiert stehen bleiben. Und das Patentrezept heißt Diversity, ein Wirtschaftswunderkonzept zur Vermeidung von Verlusten an ausbeutbarer Arbeitskraft und Kreativität von Lesben, Schwulen und anderen Randgruppen.

„Amerika, du hast es längst besser: (Ach ja?) Auch, weil dort Schwule und Lesben an einem Strang ziehen. Schwule, Lesben und andere sexuell Abweichende (Bedarf sowas tatsächlich noch irgendwelcher Kommentare?) gehen dort zusammen den langen Weg in die Mitte der Gesellschaft; der gemeinsame Nenner lautet: Queer. Die Queertheory umklammert nicht nur (nonheterosexuelle) Minderheiten und zielt in ihrem radikalen Gleichheitsansatz auf alle Mitglieder der Gesellschaft: Gleichheit statt Differenz.“ Zur Queertheory sollte sich die Autorin vielleicht doch noch einmal etwas genauer belesen. Das klingt ein bißchen so, als hätte sie diese kluge Zusammenfassung in einem Glückskeks gefunden. Irgendwie stimmt das schon ungefähr, aber irgendwie eben auch nicht ganz.

„In Deutschland hingegen ist der eigentlich längst überholte Differenzfeminismus aus den Siebzigerjahren immer noch populär, besonders unter Lesben: So räumt auch Antje Ferchau vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands (LSVD) ein, daß der Umgang mit Lesben von vielen als schwierig eingeschätzt wird, da diese oft einen sehr autonomen Lebensstil pflegten und sich teilweise der Zusammenarbeit – egal ob schwul oder hetero – verweigern.“ Hören wir da etwa ein leises Bedauern darüber heraus, daß der „L“SVD sich so weit für Lesben geöffnet hat?

Interessanterweise kam der Autorin offensichtlich gar nicht in den Sinn, neben diesem SCHWUL-lesbischen Verein vielleicht auch mal überregionale Lesbenorganisationen wie zum Beispiel SAFIA, den Lesbenfrühlingsverein, die Landesarbeitsgemeinschaften oder gar die Dachorganisation Lesbenring zu befragen.

„Manuela Kay, Chefredakteurin des L-mag, des ersten kostenlosen Magazins für Lesben: ‘Erfolgreiche Vorbilder wären besonders für junge Lesben ausgesprochen wichtig.’“ Wer darf denn definieren, was erfolgreich ist? Hoffentlich nicht L-mag, das im übrigen ab der nächsten Nummer recht teuer zu bezahlen (und damit erfolgreich?) sein wird.

Brautkleid bleibt Brautkleid!

„Outing“ sei heutzutage ganz einfach: „So unterrichtete die Bild-Zeitung ihr Publikum akkurat über die angeblichen Hochzeitspläne der olympischen Silbermedaillengewinnerin im Radsport von Athen, Judith ‘Stinkefinger’ Arndt, mit ihrer Lebensgefährtin Petra Rößner.“ Nur ein Coming-out in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben ist offensichtlich in den Augen der Autorin ein gelungenes. Bei Lesben jedoch reicht es nicht, aus dem Schrank zu kommen, sie sollten es besser mit einem Brautkleid bekleidet und aufs Standesamt strebend tun.

Im weiteren beklagt Katrin Raetz die mangelhafte Medienwirksamkeit von Lesben und zitiert die Gründe aus fachkundiger Quelle: „Die Bild-Zeitung griff gar die lifestyligen Vorteile des gemeinen Homosexuellen auf: Ja, ja, mit denen kann frau so schön shoppen, sie beweisen mehr Geschmack und Stil, interessieren sich für Kunst und Kultur und sind die besseren Zuhörer – echte Frauenversteher eben. ‘Schwul ist cool’, heißt es allerorten. Vom Lesbischsein ist nie die Rede. Es gibt eben keine kompetenten Fachmänner, die über ihre beste lesbische Freundin Auskunft erteilen könnten: Mit Lesben kann man so toll Fußball spielen und Bier trinken gehen. Lesben haben keinen Kuschelbonus, sie sind nicht ‘schrill’, nicht ‘immer gut drauf’ und ‘gut aussehend’, zumindest nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. An ihnen haftet kein gut gemeintes Klischee. Lesbisch zu sein gilt als irgendwie uncool.“ Da kann lesbe doch eigentlich ganz froh sein, wenn ihr nicht so sagenhaft dümmliche Vorurteile angehängt werden.

Lesben hätten in Deutschland ein Imageproblem: „Anders als in den USA gelten sie als langweilig und schlecht gelaunt. Ein Vorurteil, das sie als Werbeträgerinnen disqualifiziert.“ Von deutlich geringeren Einkommen und Kaufkraft der Lesben, ganz zu schweigen von denen mit Kindern, wollen wir ja lieber gar nicht erst anfangen. Damit können wir in den strengen Augen der Autorin nur wieder in den unangenehmen Schubladen „Diffferenzfeminismus“ oder „Opferrolle“ unterkriechen.

Immer wieder kann die Autorin nicht umhin zu realisieren, daß es in unserer patriarchalen Gesellschaft eine Geschlechterhierarchie gibt, die Frauen und damit auch Lesben erheblich benachteiligt. Aber dieses unangenehm feministische Gedankengut wird sofort wieder mit Plattheiten verpflastert und die Lesbenheit dazu aufgefordert, Ungleichbehandlung und Diskriminierung mit etwas mehr Pep als marginal zu ignorieren und (trotzdem) Spaß zu haben beziehungsweise den anderen, sprich: dem Mainstream Spaß zu machen. – Eine schöne Utopie?

ie Autorinnen sind Sprecherinnen des Lesbenrings, der größten Organisation lesbischer Frauen in Deutschland