Start

Und alles ohne Binnen-I


Am 3. Januar 1933 kommt im Wiener Arbeiterviertel Hernals, im 17. Bezirk, Elfriede Brunner zur Welt. Das Mädchen wird eine außergewöhnliche Karriere machen – und kurz vor ihrem frühen Tod im Jahre 1977 mit dem Buch „Guten Morgen, du Schöne“ aus dem Schatten ihres als Schriftsteller schon hochdotierten Mannes treten. Doch da heißt sie längst nicht mehr Elfriede Brunner, sondern ist Maxie Wander und lebt in der DDR. Im letzten Jahr erschien die erste Biographie über die Autorin. Aus Anlaß ihres 70. Geburtstages eine Ehrenrettung von Lizzie Pricken

Die Familie Brunner lebt seit 1929 in einem der ersten fertiggestellten und gemessen an der bisherigen Wohnsituation von Wiener Arbeiterfamilien hoch komfortablen Gemeindebauten. Die Mutter ist gelernte Näherin, der Vater Schiffsheizer auf einem Donaudampfer. Beide sind zwar katholisch erzogen worden, jedoch bereits in jungen Jahren der Kommunistischen Partei Österreichs beigetreten. Fritzi, wie man das kleine Mädchen ruft, wird daher von der Kirche eher ferngehalten. Es ist eine Zeit härtester Klassenkämpfe und eines politischen Umbruchs, der in die Katastrophe führen wird: Als Fritzi 1939 eingeschult wird, hängen in der Aula ein Hitlerbild und die Hakenkreuzfahne.

Daheim werden die Eltern immer mehr in den Widerstand und damit ihre politische Arbeit in die Illegalität gedrängt. Ihr Onkel Hans ist 1938 nach dem Anschluß Österreichs ins Konzentrationslager deportiert worden, zwei Cousinen leben als aktive Jungkommunistinnen äußerst gefährlich, und der vor den Nazis geflohene Vater ist auf langen „Dienstreisen“ untergetaucht. So lernt Elfriede früh, daß es einen Unterschied zwischen dem an der Schule Vermittelten und der Realität der Eltern, der Familie gibt. Eine schizophrene Situation, die, verbunden mit den häuslichen Spannungen (bis zum siebzehnten Lebensjahr muß sie sich ein winziges Zimmer mit ihrem Bruder Herbert teilen), frühe Spuren hinterläßt: Fritzi beginnt zu stottern – und flüchtet sich beizeiten ins Schriftliche, indem sie ihre Gedanken auf Papier verarbeitet.

Nach dem Krieg soll Elfriede als erste in der Familie die Matura machen und eine vernünftige Ausbildung im Verwaltungswesen erhalten. Sie aber erträgt den damit verbundenen Druck nicht, bricht frühzeitig die Schule ab und verläßt umgehend das Elternhaus. Ein Job findet sich als Kassiererin und Aushilfssekretärin am linksorientierten Scala-Theater. Wenig später, 1952, lernt sie auf dem Wiener Völkerkongreß für den Frieden den um einiges älteren Journalisten Fred Wander kennen. Er arbeitet in der gleichen Zeitungsredaktion wie die von ihr so verehrte Cousine. Wanders bisheriges Leben war ein dramatisches: Als Jugendlicher mit seinen Eltern aus Wien nach Amsterdam geflohen, wurde seine gesamte Familie 1942 von dort nach Auschwitz verschleppt und ermordet; er selbst hat insgesamt fünf Jahre in Konzentrationslagern zugebracht – und überlebt. Der 35-Jährige ist verheiratet und hat ein Kind, trennt sich aber wegen Elfriede von seiner Frau. Zu dieser Zeit hat sich Elfriede bereits selbstbewußt einen neuen Vornamen zugelegt und nennt sich nun: Maxie. Als Fred, den sie 1956 heiratet, 1958 eine Arbeit in der DDR angeboten bekommt, ziehen sie in die Nähe Berlins – dorthin, wo drei Jahre später die Grenze zum Westteil der Stadt durch ihren Garten laufen wird: in die Prominenten-Kolonie Kleinmachnow.

Das Leben im geteilten Deutschland der Nachkriegszeit ist vor allem im Ostteil schwer und voller Entbehrungen – aber auch Chancen: Gerade dort treffen nämlich Menschen aufeinander, die nach einer der schlimmsten Katastrophen der Menschheit einen grundsätzlichen Neuanfang nicht nur mitwagen, sondern auch mitgestalten wollen und dafür grundsätzliche Entscheidungen für ihr eigenes Leben zu treffen bereit sind. Etwa die, vom stockkonservativen, aber vertrauten Österreich in einen noch sehr jungen Staat mit unklarem Status, mit unsicherer Perspektive und vor allem ungleich schlechteren ökonomischen Grundlagen als die sonstigen Folgestaaten des „Dritten Reiches“ zu ziehen: die DDR.

Das Leben? Einen Augenblick, bitte!

An diesem Punkt beginnt der zweite, für die weitgehend posthume öffentliche – literarische wie politische – Wahrnehmung der Maxie Wander bedeutsamere Teil ihrer Vita. Das hat wohl auch Wanders bisher einzige Biographin, Sabine Zurmühl, erkannt und folglich diesem Abschnitt den bei weitem größten Teil ihres im Jahre 2001 vorgelegten Buches „Das Leben, dieser Augenblick“ gewidmet. – Gewidmet haben sollte Zurmühl diesem Leben jedoch vor allem einen Augenblick mehr des Nachdenkens. Und zwar darüber, wie sich eine im Westen aufgewachsene Biographin (das Schicksal teilt die Autorin dieses Artikels) einem derartigen Lebenslauf annähern kann, ohne daß Personen und Umstände fehlinterpretiert werden! Wie dieser außergewöhnlichen Frau gerecht zu werden ist, ohne sie zu „ikonisieren“, zu banalisieren oder ... ja: fürs eigene feministische Ego zu instrumentalisieren. – Ein äußerst schwieriges, vielleicht ein unmögliches Unterfangen und eventuell sogar der tiefere Grund dafür, daß sich so eng mit der Heldin befreundete DDR-Kolleginnen wie Gerti Tetzner, Helga Königsdorf und Christa Wolf nicht bemühten, Maxie Wander ein literarisches Denkmal zu setzen? Nicht einmal ihr Ehemann Fred Wander hat sich daran gewagt, das Leben seiner erst nach ihrem frühen Krebstod 1977 berühmt gewordenen Frau nachzuerzählen oder gar zu deuten. Respektvoll hat er der Nachwelt nur Anhaltspunkte gegeben mit der Veröffentlichung einiger ihrer Tagebuchaufzeichnungen und Briefe.

Nicht „draufloserzählt“

Denn das Authentischste, das jemals über Maxie Wander geschrieben wurde, ist in ihren eigenen Frauenportraits überliefert, die sie Ende der 70er Jahre über Nacht in der DDR und darüber hinaus bekannt werden ließen. „Mit einem ähnlichen Ansatz wie im Westen Alice Schwarzer mit ihrem Skandalbuch ‚Der kleine Unterschied’ hatte auch Maxie Wander ihre siebzehn Gesprächspartnerinnen einfach draufloserzählen lassen – über ihren Alltag in der DDR, über ihre Träume und über das, was daraus geworden war“, schreibt – wahrscheinlich – Zurmühl im Umschlagtext. Und das eben ist falsch. Das Besondere an diesen (im übrigen 19) Protokollen über den realsozialistischen Alltag aus weiblicher Sicht war – und ist – nämlich gerade, daß Maxie Wander sich nicht ausschließlich an die geführten Tonband-Interviews hielt, sondern eigene Gedanken und Empfindungen in deren Niederschrift einfließen ließ. Damit erst wurden sie zur Literatur, das trennt sie vom heute so beliebten wie – und das ist keineswegs ein Widerspruch – allzu oft Realität und Geschichte grob verfälschenden Oral-History-Journalismus. Wander beschränkte sich eben nicht auf die Rolle der weitgehend passiven Zuhörerin und Protokollantin, sondern emanzipierte sich, indem sie sich quasi ins Umfeld ihrer Protagonistinnen und deren Biotop (das letztlich ja ihr eigenes war) integrierte, zur Autorin, zur Schriftstellerin (zu der Alice Schwarzer nie geworden ist).

Und noch in anderer Hinsicht war „Guten Morgen, du Schöne“, das im übrigen eine ganze Flut von „wirklichkeitsnaher Literatur“ auslöste, emanzipatorisch: Das Buch markiert Maxie Wanders eigenständigen Schritt heraus aus dem Schatten jenes angesehenen Schriftstellers, der ihr Ehemann und dessen faktische Sekretärin sie war. Und welch ein Schritt war das! Schließlich führte Maxie Wander das in der DDR für Frauen durchaus übliche Doppelleben, war einerseits Hausfrau und Mutter von zwei leiblichen und einem adoptierten Kind, ging andererseits aber eigenständigen, immer wieder wechselnden Erwerbstätigkeiten nach. Beides hätte ihr Leben hinreichend ausfüllen können, doch das erwies sich trotz zeitweiliger Versuche, es in etwa so einzurichten, für diese kreative Frau als ganz und gar unmöglich. Den Weg zur Schriftstellerin fand sie durchs zunächst bloße Abtippen der Manuskripte Fred Wanders, dann im Fotografieren für seine Reisebücher sowie im Schreiben engagierter Gerichtsreports für Zeitungen.

Das Orakel von Zurmühl

Dies alles kann die Biographin Sabine Zurmühl – auf über 300 Seiten – offenbar ebenso wenig ausloten, wie sie dazu in der Lage ist, das gewiß widersprüchliche Verhältnis der Wanders zu ihrer „Gastheimat“ zu begreifen. Sicher ist es Aufgabe der Biographin, auch die charakterlichen oder politischen „Schattenseiten“ der Portraitierten aufzuzeigen, nur gehört dazu der erklärende Kontext. So klingt stets etwas wie Genugtuung hindurch, wenn die selbst kinderlose Zurmühl Maxie Wander als launisch oder cholerisch beschreibt, besonders im Hinblick auf den Adoptivsohn, dem sie angeblich auch schon mal mit der Axt hinterherläuft und dabei droht, ihn umzubringen. Hat man aber weder die genauen Umstände der Heldin noch diese selbst persönlich gekannt, liegt die Gefahr nahe, anstelle einer echten Offenbarung ihr lediglich die eigenen Vorstellungen davon überzustülpen, wie es gewesen sein, wie es in ihr – Wander – ausgesehen haben könnte.

Doch nicht nur in dieser Hinsicht gerät Zurmühl ins Orakeln. Beispielsweise ist ihr, ähnlich wie den meisten „Westmenschen“, völlig unvorstellbar, wie man freiwillig Informationen an eine Institution wie das Ministerium für Staatssicherheit weitergeben konnte. Sie bezieht sich dabei auf die Berichte, die vor allem Fred Wander, den sie – nach all dessen Erfahrungen! – zur „traurigen Sonne“ hinabbanalisiert und laienpsychologisch als „verstört fürs Leben“ beschreibt, nach seinen Auslandsreisen an die Auslandsaufklärung weitergab. Dabei vergißt sie, bei allen berechtigten Zweifeln an den Methoden der diversen Geheimdienste, daß es sich immerhin um die Zeit des Kalten Krieges handelte, in der ein jüdischer Kommunist seinen Klassenfeind und politischen Gegner praktisch in direkter Nachfolge seiner ehemaligen Peiniger und potentiellen Mörder vorfand. Außerdem erlebten die Wanders eben aufgrund ihrer Reisefreiheit den Kontrast zwischen dem einen und dem anderen Deutschland als besonders intensiv, sie mußten sich geradezu zwangsläufig immer wieder damit auseinandersetzen. Eine Mühe, die sich die ehemalige Kulturredakteurin der Westberliner Frauenzeitschrift Courage nicht macht. Sie hat es nicht nötig, denn sie steht ja auf der vermeintlich richtigen, nämlich der Gewinnerseite der Geschichte. Deshalb treibt sie auch immer wieder die dümmliche Frage um, warum Maxie Wander – sie unterstellt ihr im Buch ein permanentes Heimweh – nicht nach Wien zurückkehrte, besonders, nachdem sie ihre Krankheit entdeckt hatte. Daß es vielleicht eine von Maxie Wanders Stärken war, zu ihrer Entscheidung zu stehen, um ihr Dasein und den eigenen Ausdruck zu kämpfen, kommt Zurmühl nicht mal als These in den Sinn. Dabei hat sie zuvor aufgeschrieben, daß Maxie Wander, als die erst zehnjährige Tochter tödlich verunglückt, ein großes Stück ihres Lebensmutes verliert. Trotzdem schreibt sie weiter und gelingt es ihr noch, kurz bevor die Kräfte ganz versagen, ihr Buch „Guten Morgen, du Schöne“ herauszubringen. Hätte sie das auch aus einem Wiener oder Münchner Vorort heraus geschafft?

Der erste und hoffentlich letzte Versuch einer Biographie Maxie Wanders ist gründlich mißlungen. Geschrieben in der langweiligsten aller biographischen Darstellungsformen: der chronologischen ohne jede Rückblende, dafür angefüllt mit überaus peinlichen, weil infantil wirkenden Einsprengseln angeblichen Wienerischs, kann sie allenfalls ein an Bild der Frau, Brigitte und EMMA geschultes Publikum überzeugen.

Kaschiertes Scheitern

Mit Maxie Wander hat dieses Buch wenig zu tun, sehr viel hingegen mit Sabine Zurmühl. Denn zurück bleibt der Eindruck – und damit nochmals zum Begriff „instrumentalisieren“ –, hier habe sich eine Vertreterin des mit Ausnahme weniger kosmetischer Gesellschaftsretuschen (inklusive Binnen-I) gescheiterten, weil theoretisch wie praktisch treu und brav im Schoße des Profitsystems gebliebenen Westfeminismus’ an einer gelebten DDR-Realität abarbeiten wollen. Einer Realität, die Frauen in der DDR nach westlichem Duktus „bloß“ von oben vorgesetzt bekamen, die ihnen aber einen Status zuerkannte, den westliche Feministinnen ihrer Klientel in über 30 Jahren nicht annähernd zu erkämpfen vermochten. Die Figur Maxie Wander bietet sich zum Kaschieren des eigenen Scheiterns prächtig an: Sie hat sich, indem sie dort hinging und blieb, bewußt für die DDR und das sozialistische Experiment und gegen den Westen und das dort täglich scheiternde kapitalistische entschieden. In ihrer Person manifestiert sich das Wissen oder doch wenigstens der Instinkt dafür, daß Feminismus nichts erreicht ohne die radikale Negierung des übergeordneten Ausbeutungsmechanismus’. Das Ende der DDR und damit des Versuches, diesen Mechanismus aufzuheben, erhebt scheinbar die übriggebliebenen West-Feministinnen über die „bloß“ werktätigen Ost-Schwestern.

Als Person war Maxie Wander in der DDR ein literarischer Shooting Star, fast so was wie eine ost-feministische Legende. Ihr Staat ist passé, die Legende seit über 20 Jahren tot – und damit zur kommerziellen und politischen Benutzung freigegeben. Diese Chance hat Sabine Zurmühl genutzt. Zum Glück hat ihr niemand einen Roman nahegelegt. Maxie Wanders Leben hätte dieses Genre sicher am besten entsprochen, doch dafür schreibt Zurmühl nicht gut genug.
Zur ernsthaften Befassung mit Maxie Wander bleibt also weiter nur, auf deren eigene Texte zurückzugreifen.

Sabine Zurmühl: Das Leben, dieser Augenblick. Die Biographie der Maxie Wander. Henschel Verlag, Berlin 2001, 320 Seiten, 19,90 Euro