Die Familie
Brunner lebt seit 1929 in einem der ersten fertiggestellten und gemessen an
der bisherigen Wohnsituation von Wiener Arbeiterfamilien hoch komfortablen
Gemeindebauten. Die Mutter ist gelernte Näherin, der Vater Schiffsheizer
auf einem Donaudampfer. Beide sind zwar katholisch erzogen worden, jedoch
bereits in jungen Jahren der Kommunistischen Partei Österreichs beigetreten.
Fritzi, wie man das kleine Mädchen ruft, wird daher von der Kirche eher
ferngehalten. Es ist eine Zeit härtester Klassenkämpfe und eines
politischen Umbruchs, der in die Katastrophe führen wird: Als Fritzi
1939 eingeschult wird, hängen in der Aula ein Hitlerbild und die Hakenkreuzfahne.
Daheim
werden die Eltern immer mehr in den Widerstand und damit ihre politische Arbeit
in die Illegalität gedrängt. Ihr Onkel Hans ist 1938 nach dem Anschluß
Österreichs ins Konzentrationslager deportiert worden, zwei Cousinen
leben als aktive Jungkommunistinnen äußerst gefährlich, und
der vor den Nazis geflohene Vater ist auf langen Dienstreisen
untergetaucht. So lernt Elfriede früh, daß es einen Unterschied
zwischen dem an der Schule Vermittelten und der Realität der Eltern,
der Familie gibt. Eine schizophrene Situation, die, verbunden mit den häuslichen
Spannungen (bis zum siebzehnten Lebensjahr muß sie sich ein winziges
Zimmer mit ihrem Bruder Herbert teilen), frühe Spuren hinterläßt:
Fritzi beginnt zu stottern und flüchtet sich beizeiten ins Schriftliche,
indem sie ihre Gedanken auf Papier verarbeitet.
Nach dem
Krieg soll Elfriede als erste in der Familie die Matura machen und eine vernünftige
Ausbildung im Verwaltungswesen erhalten. Sie aber erträgt den damit verbundenen
Druck nicht, bricht frühzeitig die Schule ab und verläßt umgehend
das Elternhaus. Ein Job findet sich als Kassiererin und Aushilfssekretärin
am linksorientierten Scala-Theater. Wenig später, 1952, lernt sie auf
dem Wiener Völkerkongreß für den Frieden den um einiges älteren
Journalisten Fred Wander kennen. Er arbeitet in der gleichen Zeitungsredaktion
wie die von ihr so verehrte Cousine. Wanders bisheriges Leben war ein dramatisches:
Als Jugendlicher mit seinen Eltern aus Wien nach Amsterdam geflohen, wurde
seine gesamte Familie 1942 von dort nach Auschwitz verschleppt und ermordet;
er selbst hat insgesamt fünf Jahre in Konzentrationslagern zugebracht
und überlebt. Der 35-Jährige ist verheiratet und hat ein
Kind, trennt sich aber wegen Elfriede von seiner Frau. Zu dieser Zeit hat
sich Elfriede bereits selbstbewußt einen neuen Vornamen zugelegt und
nennt sich nun: Maxie. Als Fred, den sie 1956 heiratet, 1958 eine Arbeit in
der DDR angeboten bekommt, ziehen sie in die Nähe Berlins dorthin,
wo drei Jahre später die Grenze zum Westteil der Stadt durch ihren Garten
laufen wird: in die Prominenten-Kolonie Kleinmachnow.
Das Leben im geteilten Deutschland der Nachkriegszeit ist vor allem im Ostteil schwer und voller Entbehrungen aber auch Chancen: Gerade dort treffen nämlich Menschen aufeinander, die nach einer der schlimmsten Katastrophen der Menschheit einen grundsätzlichen Neuanfang nicht nur mitwagen, sondern auch mitgestalten wollen und dafür grundsätzliche Entscheidungen für ihr eigenes Leben zu treffen bereit sind. Etwa die, vom stockkonservativen, aber vertrauten Österreich in einen noch sehr jungen Staat mit unklarem Status, mit unsicherer Perspektive und vor allem ungleich schlechteren ökonomischen Grundlagen als die sonstigen Folgestaaten des Dritten Reiches zu ziehen: die DDR.
Das Leben? Einen Augenblick, bitte!An diesem
Punkt beginnt der zweite, für die weitgehend posthume öffentliche
literarische wie politische Wahrnehmung der Maxie Wander bedeutsamere
Teil ihrer Vita. Das hat wohl auch Wanders bisher einzige Biographin, Sabine
Zurmühl, erkannt und folglich diesem Abschnitt den bei weitem größten
Teil ihres im Jahre 2001 vorgelegten Buches Das Leben, dieser Augenblick
gewidmet. Gewidmet haben sollte Zurmühl diesem Leben jedoch vor
allem einen Augenblick mehr des Nachdenkens. Und zwar darüber, wie sich
eine im Westen aufgewachsene Biographin (das Schicksal teilt die Autorin dieses
Artikels) einem derartigen Lebenslauf annähern kann, ohne daß Personen
und Umstände fehlinterpretiert werden! Wie dieser außergewöhnlichen
Frau gerecht zu werden ist, ohne sie zu ikonisieren, zu banalisieren
oder ... ja: fürs eigene feministische Ego zu instrumentalisieren.
Ein äußerst schwieriges, vielleicht ein unmögliches Unterfangen
und eventuell sogar der tiefere Grund dafür, daß sich so eng mit
der Heldin befreundete DDR-Kolleginnen wie Gerti Tetzner, Helga Königsdorf
und Christa Wolf nicht bemühten, Maxie Wander ein literarisches Denkmal
zu setzen? Nicht einmal ihr Ehemann Fred Wander hat sich daran gewagt, das
Leben seiner erst nach ihrem frühen Krebstod 1977 berühmt gewordenen
Frau nachzuerzählen oder gar zu deuten. Respektvoll hat er der Nachwelt
nur Anhaltspunkte gegeben mit der Veröffentlichung einiger ihrer Tagebuchaufzeichnungen
und Briefe.
Nicht
draufloserzählt
Denn das
Authentischste, das jemals über Maxie Wander geschrieben wurde, ist in
ihren eigenen Frauenportraits überliefert, die sie Ende der 70er Jahre
über Nacht in der DDR und darüber hinaus bekannt werden ließen.
Mit einem ähnlichen Ansatz wie im Westen Alice Schwarzer mit ihrem
Skandalbuch Der kleine Unterschied hatte auch Maxie Wander ihre
siebzehn Gesprächspartnerinnen einfach draufloserzählen lassen
über ihren Alltag in der DDR, über ihre Träume und über
das, was daraus geworden war, schreibt wahrscheinlich
Zurmühl im Umschlagtext. Und das eben ist falsch. Das Besondere an diesen
(im übrigen 19) Protokollen über den realsozialistischen Alltag
aus weiblicher Sicht war und ist nämlich gerade, daß
Maxie Wander sich nicht ausschließlich an die geführten Tonband-Interviews
hielt, sondern eigene Gedanken und Empfindungen in deren Niederschrift einfließen
ließ. Damit erst wurden sie zur Literatur, das trennt sie vom heute
so beliebten wie und das ist keineswegs ein Widerspruch allzu
oft Realität und Geschichte grob verfälschenden Oral-History-Journalismus.
Wander beschränkte sich eben nicht auf die Rolle der weitgehend passiven
Zuhörerin und Protokollantin, sondern emanzipierte sich, indem sie sich
quasi ins Umfeld ihrer Protagonistinnen und deren Biotop (das letztlich ja
ihr eigenes war) integrierte, zur Autorin, zur Schriftstellerin (zu der Alice
Schwarzer nie geworden ist).
Und noch
in anderer Hinsicht war Guten Morgen, du Schöne, das im übrigen
eine ganze Flut von wirklichkeitsnaher Literatur auslöste,
emanzipatorisch: Das Buch markiert Maxie Wanders eigenständigen Schritt
heraus aus dem Schatten jenes angesehenen Schriftstellers, der ihr Ehemann
und dessen faktische Sekretärin sie war. Und welch ein Schritt war das!
Schließlich führte Maxie Wander das in der DDR für Frauen
durchaus übliche Doppelleben, war einerseits Hausfrau und Mutter von
zwei leiblichen und einem adoptierten Kind, ging andererseits aber eigenständigen,
immer wieder wechselnden Erwerbstätigkeiten nach. Beides hätte ihr
Leben hinreichend ausfüllen können, doch das erwies sich trotz zeitweiliger
Versuche, es in etwa so einzurichten, für diese kreative Frau als ganz
und gar unmöglich. Den Weg zur Schriftstellerin fand sie durchs zunächst
bloße Abtippen der Manuskripte Fred Wanders, dann im Fotografieren für
seine Reisebücher sowie im Schreiben engagierter Gerichtsreports für
Zeitungen.
Dies alles
kann die Biographin Sabine Zurmühl auf über 300 Seiten
offenbar ebenso wenig ausloten, wie sie dazu in der Lage ist, das gewiß
widersprüchliche Verhältnis der Wanders zu ihrer Gastheimat
zu begreifen. Sicher ist es Aufgabe der Biographin, auch die charakterlichen
oder politischen Schattenseiten der Portraitierten aufzuzeigen,
nur gehört dazu der erklärende Kontext. So klingt stets etwas wie
Genugtuung hindurch, wenn die selbst kinderlose Zurmühl Maxie Wander
als launisch oder cholerisch beschreibt, besonders im Hinblick auf den Adoptivsohn,
dem sie angeblich auch schon mal mit der Axt hinterherläuft und dabei
droht, ihn umzubringen. Hat man aber weder die genauen Umstände der Heldin
noch diese selbst persönlich gekannt, liegt die Gefahr nahe, anstelle
einer echten Offenbarung ihr lediglich die eigenen Vorstellungen davon überzustülpen,
wie es gewesen sein, wie es in ihr Wander ausgesehen haben könnte.
Doch nicht
nur in dieser Hinsicht gerät Zurmühl ins Orakeln. Beispielsweise
ist ihr, ähnlich wie den meisten Westmenschen, völlig
unvorstellbar, wie man freiwillig Informationen an eine Institution wie das
Ministerium für Staatssicherheit weitergeben konnte. Sie bezieht sich
dabei auf die Berichte, die vor allem Fred Wander, den sie nach all
dessen Erfahrungen! zur traurigen Sonne hinabbanalisiert
und laienpsychologisch als verstört fürs Leben beschreibt,
nach seinen Auslandsreisen an die Auslandsaufklärung weitergab. Dabei
vergißt sie, bei allen berechtigten Zweifeln an den Methoden der diversen
Geheimdienste, daß es sich immerhin um die Zeit des Kalten Krieges handelte,
in der ein jüdischer Kommunist seinen Klassenfeind und politischen Gegner
praktisch in direkter Nachfolge seiner ehemaligen Peiniger und potentiellen
Mörder vorfand. Außerdem erlebten die Wanders eben aufgrund ihrer
Reisefreiheit den Kontrast zwischen dem einen und dem anderen Deutschland
als besonders intensiv, sie mußten sich geradezu zwangsläufig immer
wieder damit auseinandersetzen. Eine Mühe, die sich die ehemalige Kulturredakteurin
der Westberliner Frauenzeitschrift Courage nicht macht. Sie hat es nicht nötig,
denn sie steht ja auf der vermeintlich richtigen, nämlich der Gewinnerseite
der Geschichte. Deshalb treibt sie auch immer wieder die dümmliche Frage
um, warum Maxie Wander sie unterstellt ihr im Buch ein permanentes
Heimweh nicht nach Wien zurückkehrte, besonders, nachdem sie ihre
Krankheit entdeckt hatte. Daß es vielleicht eine von Maxie Wanders Stärken
war, zu ihrer Entscheidung zu stehen, um ihr Dasein und den eigenen Ausdruck
zu kämpfen, kommt Zurmühl nicht mal als These in den Sinn. Dabei
hat sie zuvor aufgeschrieben, daß Maxie Wander, als die erst zehnjährige
Tochter tödlich verunglückt, ein großes Stück ihres Lebensmutes
verliert. Trotzdem schreibt sie weiter und gelingt es ihr noch, kurz bevor
die Kräfte ganz versagen, ihr Buch Guten Morgen, du Schöne
herauszubringen. Hätte sie das auch aus einem Wiener oder Münchner
Vorort heraus geschafft?
Der erste
und hoffentlich letzte Versuch einer Biographie Maxie Wanders ist gründlich
mißlungen. Geschrieben in der langweiligsten aller biographischen Darstellungsformen:
der chronologischen ohne jede Rückblende, dafür angefüllt mit
überaus peinlichen, weil infantil wirkenden Einsprengseln angeblichen
Wienerischs, kann sie allenfalls ein an Bild der Frau, Brigitte
und EMMA geschultes Publikum überzeugen.
Mit Maxie
Wander hat dieses Buch wenig zu tun, sehr viel hingegen mit Sabine Zurmühl.
Denn zurück bleibt der Eindruck und damit nochmals zum Begriff
instrumentalisieren , hier habe sich eine Vertreterin des
mit Ausnahme weniger kosmetischer Gesellschaftsretuschen (inklusive Binnen-I)
gescheiterten, weil theoretisch wie praktisch treu und brav im Schoße
des Profitsystems gebliebenen Westfeminismus an einer gelebten DDR-Realität
abarbeiten wollen. Einer Realität, die Frauen in der DDR nach westlichem
Duktus bloß von oben vorgesetzt bekamen, die ihnen aber
einen Status zuerkannte, den westliche Feministinnen ihrer Klientel in über
30 Jahren nicht annähernd zu erkämpfen vermochten. Die Figur Maxie
Wander bietet sich zum Kaschieren des eigenen Scheiterns prächtig an:
Sie hat sich, indem sie dort hinging und blieb, bewußt für die
DDR und das sozialistische Experiment und gegen den Westen und das dort täglich
scheiternde kapitalistische entschieden. In ihrer Person manifestiert sich
das Wissen oder doch wenigstens der Instinkt dafür, daß Feminismus
nichts erreicht ohne die radikale Negierung des übergeordneten Ausbeutungsmechanismus.
Das Ende der DDR und damit des Versuches, diesen Mechanismus aufzuheben, erhebt
scheinbar die übriggebliebenen West-Feministinnen über die bloß
werktätigen Ost-Schwestern.
Als Person
war Maxie Wander in der DDR ein literarischer Shooting Star, fast so was wie
eine ost-feministische Legende. Ihr Staat ist passé, die Legende seit
über 20 Jahren tot und damit zur kommerziellen und politischen
Benutzung freigegeben. Diese Chance hat Sabine Zurmühl genutzt. Zum Glück
hat ihr niemand einen Roman nahegelegt. Maxie Wanders Leben hätte dieses
Genre sicher am besten entsprochen, doch dafür schreibt Zurmühl
nicht gut genug.
Zur ernsthaften Befassung mit Maxie Wander bleibt also weiter nur, auf deren
eigene Texte zurückzugreifen.
Sabine Zurmühl: Das Leben, dieser Augenblick. Die Biographie der Maxie Wander. Henschel Verlag, Berlin 2001, 320 Seiten, 19,90 Euro