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Schwedens einzigartiges Sex-Kaufverbot: Über seine Genese, bigotte Ideologie und die staatliche Manipulation der Öffentlichkeit eine Recherche von Eike Stedefeldt

Den 1. Januar 1999 feierten die Ex-Sozialministerin und heutige EU-Kommissarin Margot Wallström sowie die Ex-Jugend- und heutige Kommunikationsministerin Ulrica Messing im Aftonbladet als „ersten Tag, an dem Sex-Kauf in Schweden ungesetzlich ist“. Seither steht im Gesetz: „Die Person, die sich gegen Bezahlung eine zufällige sexuelle Beziehung beschafft, wird – sofern die Tat nicht mit einer Strafe nach dem Strafgesetzbuch belegt ist – wegen Kaufs sexueller Dienste zu einer Geldstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten bestraft. Der Versuch des Kaufs wird gemäß Kap.23 Strafgesetzbuch geahndet.“ Mit diesem Gesetz hatte sich der Reichstag nicht nur mehrheitlich gegen die Forderung internationaler Prostituiertenverbände nach vollständiger Legalisierung von Sexarbeit sowie das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und Privatheit gestellt, sondern als erstes Land Europas seit 1948, als Rumänien Homosexualität wieder total verbot, erneut bestimmte konsensuale homosexuelle Kontakte kriminalisiert.

Ungeachtet der Interessen von Menschen, die keinen anderen Zugang zu Sex haben (Alte etwa, Behinderte oder Strafgefangene), beabsichtigten Wallström und Messing, „den Kampf gegen die Prostitution zu intensivieren und damit auch alle Kriminalität, die es um sie herum in Form von Zuhälterei, Rauschgifthandel, illegalen Clubs, Geldwäsche und Frauenhandel gibt“. Prostitution sei „kein notwendiges Übel“, sie lasse „sich bekämpfen und minimieren“. Das Gesetz „erzielt ganz eindeutig eine störende Wirkung bei den Kunden“, so Camilla Ömdahl von der Reichskriminalpolizei, ihres Zeichens Sonderberichterstatterin zum „Sexhandel“ für Regierung und Europol (!), am 2. Juli 2003 dem Internetportal sweden.se. Schon das erste Quartal hatte jedoch die bloße räumliche Verlagerung des „Sexhandels“ gezeigt. Laut Stockholmer Polizei sanken lediglich die Geschäfte auf der Straße um 80 Prozent, wichen Prostituierte in Bars, Hotels und Hinterzimmer aus, inserierten im Internet oder folgten in Malmö den Freiern kurzerhand über die Øresund-Brücke nach Kopenhagen. Derweil die zu Schützenden in Milieus hoher Brutalität und Erpreßbarkeit abgedrängt wurden, boomte die Überwachung öffentlicher Räume. Millionen Kronen flossen in Videoanlagen und Personal; allnächtlich jagen nun Zivilfahnder potentielle Freier.

Evident ist zudem ein juristisches Dilemma: Legal seinen Körper zu verkaufen heißt, eine Straftat zu begünstigen und ggf. auch noch als Zeuge vor Gericht zu stehen. Seit im Februar 1999 der erste Mann wegen Sex-Kaufs zu einer Geldstrafe von umgerechnet 1.500 Euro verurteilt wurde, stieg die Zahl der Verfahren stetig an. Wurden 1999 laut offizieller Statistik insgesamt nur fünf Bußgelder (außergerichtlich für „Geständige“) und sechsmal Geld- oder Haftstrafen vor Gericht verhängt, lagen die Quoten 2003 bereits bei 61 bzw. 35, wobei die Gesamtzahl allein gegenüber 2002 auf 213 Prozent hochschoß. – Nicht genug für den im NIKK magasin (1/2003) der „große alte Mann der schwedischen Forschung in den Bereichen Gender, Gewalt, Sexualität und Prostitution“ genannten Göteborger Professor Sven-Axel Månsson, der Schwedens Regierung als Kronzeuge dient: „Ein von Männern stark dominierter Polizeiapparat erhält den Auftrag, ein Gesetz umzusetzen, das gegen traditionelle männliche Wertvorstellungen vorgeht. Die Fähigkeit männlicher Polizisten, diese Pflicht zu erfüllen, wird von der Tatsache auf die Probe gestellt, daß sie sich wahrscheinlich viel eher mit den Sexkäufern identifizieren als mit den Anbietern von Sex.“ Der Verbreiter „wahrscheinlicher Tatsachen“, der zwei Jahrzehnte für ein solches Gesetz focht, beklagt auch das Absehen von einer Elemente von Denunziation und Sippenhaft beinhaltenden Strafverschärfung, die das Gesetz gar nicht vorsieht: daß nämlich „die Behörden eine Ausnahme von den Regeln machten, wenn Männer darum baten, gerichtliche Schreiben nicht an ihre Wohnanschrift gesandt zu bekommen – aus Rücksicht auf den Umstand, daß die Männer Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen und Kinder hatten. (...) Natürlich werden sie nie offen zugeben können, daß sie den Kauf sexueller Dienste nicht für kriminell halten – doch schützen sie auf verschiedene Weise Männer, die solche Dienste kaufen.“

Gleichwohl das Gesetz geschlechtsneutral von „Personen“ spricht, waren alle 235 Bestraften der letzten fünf Jahre (nur in zwei Fällen wurde von Anklagen abgesehen) männlich. Dies verweist auf den Status weiblicher sexueller Bedürfnisse bei der Exekutive: Obwohl selbstverständlich auch Frauen Stricher, Callboys, Gigolos, Huren oder „Masseure“ mieten, sind sie als Sex-Kundinnen offiziell nicht existent. Was wiederum mit der amtlichen Ideologie korrespondiert, die sozial-biologistisch Frauen und Mädchen keinen anderen Status zuzuweisen vermag als den des Opfers. So dekretiert der Tatsachenbericht Prostitution und Frauenhandel des Stockholmer Ministeriums für Wirtschaft vom Januar 2004 bereits im ersten Satz: „Prostitution wird in Schweden als Form männlicher Gewalt gegen Frauen und Kinder definiert.“ Und in einem im selben Monat von der Regierung herausgegebenen Reader meint Gunilla S. Ekberg, Sonderberaterin des Wirtschaftsministeriums für Gleichstellungsfragen, daß der „eigentliche Prostitutionsakt“ „eine extreme Form der männlichen sexuellen Gewalt darstellt – Vergewaltigung“.

Wenn es ein amtliches Dokument gibt, das alle politischen und wissenschaftlichen Zweifel am „von Schweden eingeschlagenen Weg“ bestätigt, dann ist es der besagte „Tatsachenbericht“, welcher klar formuliert: „Es wurde lange davon ausgegangen, daß Männer, die prostituierte Frauen und Mädchen kaufen und ausbeuten, aus einem ‘natürlichen’ männlichen Sexualtrieb heraus handeln.“ Implizierend, es gebe keinen „natürlichen Sexualtrieb“, es könne also nur ein „unnatürlicher“, sprich: krimineller Trieb sein, der Männer – und nur sie allein – (käuflichen) Sex suchen läßt, gipfelt die Erforschung deren „eigentlicher Motive“ in der in höchstem Maße manipulativen, weil die Antwort bereits vorgebenden Frage: „Wer sind also die Männer, die es als ihr Recht betrachten, die Körper von Frauen und Mädchen zu kaufen, um sie zu demütigen und schmerzhaften sexuellen Übergriffen auszusetzen?“

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