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Hartz IV für Velvet-Mafiosi

Verspricht das Männermagazin Mate im Untertitel „all about men“, so droht das übliche: Extase, Wellness, Beziehungen. Mate bedeutet „Kumpel“, zu verstehen als dezenter Hinweis auf solvente Leser mit eher diskretem Faible für Männerfleisch. Aber nicht nur die keusche Ästhetik fast nackter Herrenmodels weiß das vierteljährlich zum Preis von 4,50 Euro erscheinende Hochglanzblatt zu zelebrieren, sondern auch sozialpolitische Fragen. Ansprechend für Käufer aus der upper class aufbereitet, erleben so Aschenputtelthemen wie Hartz IV und Sozialabbau ihr Coming out als Cinderella. Mate gelesen hat Dirk Ruder

"Luxury“ lautet der Schwerpunkt des Mate-Hefts 5/2004. Denn „jenseits jedes materiellen Geschichtspunktes“ sei Luxus vor allem eine Angelegenheit „persönlichen Empfindens“ – und nicht etwa des Geldes, findet die Redaktion. Beim Luxus komme es allenfalls „auf den Standpunkt an“. Wer nach Durchsicht ganzseitiger Werbeannoncen von Telefonfirmen wie O2 und Debitel bis hin zum Renterwiederbelebungsschnaps „Doppelherz“ indes den Standpunkt vertritt, eine Vase aus Meißner Porzellan zur „unverbindlichen Preisempfehlung“ von knapp 2.900 Euro sei nicht nur „schöner als die Wirklichkeit“, sondern auch teurer als diese, hat bei Mate ausgesucht schlechte Karten. Denn um Luxus genießen zu können, muß man, so weiß Mate, „ein paar Regeln beachten“. Zum Beispiel die, daß die mit prächtigen Farbfotos beworbene „Vinotherapie“ im Umland von Bordeaux nicht über die Allgemeine Ortskrankenkasse gebucht werden kann. Oder die, daß man Streß am Flughafen vermeidet, indem man auf Charterflüge umsteigt. Kunden, die „auch schon mal zum Samstag-Shopping nach Paris oder zum Sonntags-Golfen nach Dänemark“ düsen, werden das sicher gern hören. Mate kann es nämlich überhaupt nicht leiden, wenn vielfliegende Manager bei Linienflügen erst zu spät zum Check-in am Airport erscheinen und dann auch noch ihr „Wenn ich diese Maschine nicht bekomme und den Termin verpasse, werde ich nächstes Jahr Hunger leiden“-Gesicht aufsetzen. Wer will über den Wolken schon mit derartigem sozialen Elend konfrontiert werden?

Solche und andere Fauxpas gilt es tunlichst zu vermeiden, weiß man doch in Society-Kreisen nur zu gut, daß schon die unüberlegte Wahl des Urlaubsziels den gesellschaftlichen Tod bedeuten kann. Vom schweizerischen Davos ist abzuraten, da mit Gründung des Weltwirtschaftsforums die „heile Bergwelt“ vergangen und „Steine werfende Demonstranten“ gekommen seien, warnt darum Mate. Recht so, schließlich ist niemand glücklich, wenn die teuer bezahlte Aussicht aufs Gebirge tagelang von polizeilichem Reizgas vernebelt wird. Im „Hotel Palace“ in Gstaad ist die Suite „mit 2.100 Euro pro Nacht“ trotz „mehrerer Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bäder, mit eigner Sauna und einer Wanne im kreisrunden Turm“ zwar „nicht gerade billig“, doch auf der Dachetage des Hotels geht es mit 8.000 Euro pro Nacht etwas luxuriöser zu. „Wer das Besondere liebt“ muß allerdings „kein Vermögen für seinen Urlaub bezahlen. Manch kleines Bed & Breakfast umsorgt seine Gäste liebevoller, als große Hotels das je könnten.“ Na bitte.

Aber warum immer in die Ferne schweifen? Berlin als „Enternainment-Metropole mit internationaler Relevanz“ hat bekanntlich auch die eine oder andere Attraktion zu bieten. Den schwulen Bürgermeister Klaus Wowereit von der SPD etwa, Parteigenosse seit seinem 18. Lebensjahr. Wie lange der an seiner legendären Coming-out-Phrase gedrechselt habe, will Mate wissen. Wowereit: „Das war überhaupt nicht überlegt ... Ich habe mich vorher nie speziell um die Emanzipation von Schwulen gekümmert. Ich bin eigentlich ein Finanzspezialist.“ Daß er während der CDU/SPD-Koalition unter Eberhard Diepgen maßgeblich zur Pleite Berlins beitrug, die er heute verwaltet, verrät der Regierende Partymeister Mate natürlich nicht. Wichtiger ist, was dem Finanzspezialisten zum Thema Luxus einfällt: „Ich komme aus bescheidenen Verhältnissen. Wir waren fünf Geschwister, meine Mutter hat geputzt. Dank den von der sozial-liberalen Regierung Brandt beschlossenen Förderungsmaßnahmen war ich der erste in der Familie, der studieren konnte. Ich renne aber nicht mit meiner Proletariervergangenheit herum.“ Mit derart zur Schau gestellter Anpassungsleistung konfrontiert, verliert selbst der Mate-Interviewer kurzzeitig die Contenance: „Herr Wowereit, ich merke, Sie sind kein emanzipierter Schwuler.“ Aber nicht doch!

Dann lieber gleich da fragen, wo der Luxus „viele Gesichter“ hat. Das von Jörg Melsbach zum Beispiel, Geschäftsführer des „Völklinger Kreises“, dem Bundesverband schwuler Führungskräfte. Der Manager „tritt dafür ein, daß eine sichere Arbeitsstelle in dieser Republik nicht zum Luxus werden darf“, verkündet Mate. Nicht, daß Melsbach wöchentlich zur Montagsdemo geht. Vielmehr läßt er wissen, „die momentane schwierige Wirtschaftslage“ könne sich durch „positives Denken“ ändern. Geholfen hat das vermutlich auch Arthur, der in Moskau lebte, als „in Rußland noch die Generalsekretäre herrschten“. In einem Intourist-Hotel habe er „den Manager eines deutschen Telekommunikationskonzerns“ – O2? Debitel? – getroffen. „Der verliebte sich auf der Stelle unsterblich in den blonden Knaben und nahm ihn mit in das frisch wiedervereinigte Deutschland“, wo der blonde „Luxuskörper“ alsdann eine Karriere als hochbezahlter Edelstricher startete. Freiheit pur eben – im kommunistischen Rußland wäre so einer „schnell im Arbeitslager“ geendet, erinnert Mate.

Im Westen hingegen Amusement allerorten. Selbst in den Slums von New York, „irgendwo zwischen Harlem und Bronx“, wo sich in den Ghettos heruntergekommener Bars „die ärmsten Schwulen der Stadt amüsieren“. Gern feiern die wirklich Reichen auf den Fummelbällen der wirklich Armen, wo man „Glamour am wenigsten vermuten“ würde. Und siehe da: Luxus auch dort, sogar „lebendiger und mit mehr Hingabe“ als „im Manhattan der reichen Heteros.“ Wie deprimierend muß Mate dagegen das glanzlose Leben der schwulen Millionäre von der Velvet-Mafia erscheinen, „eine wunderbar gelungene Bezeichnung für die hochdotierten und einflußreichen Edel-Homos der Stadt“: In „exklusiven Penthouse-Appartments“ vegetieren die dahin und dürfen ihren ehrlich verdienten Luxus nichtmal zeigen. „In New York, dieser Stadt der extremen Kontraste zwischen Arm und Reich, werden Privilegien überraschenderweise eher diskret und hinter verborgenen Türen ausgelebt“, wundert sich das Magazin. Verständlich, daß sich manch besserverdienende Tunte mit dem Schnittblumengewerbe über den längst fälligen Suizid hinwegtröstet: „Der Floral Designer kommt einmal pro Woche, um für jeden Raum ein eigens entworfenes Bouquet anzufertigen.“ Die Welt ist schlecht.

Luxus „muß man sich eben verdienen“, resümiert Mate. „Gerade der Mangel mag es sein, den der Luxus als Gegenpol braucht, um als Besonderheit wahrgenommen zu werden. Von den Angehörigen altreicher Familien wissen wir (!) doch längst, daß sie mit ihrem Geld oftmals nichts anzufangen wissen.“ Und: „Moralisch gesehen haben Luxusbefürworter von vorneherein einen schlechten Stand.“ Das wußte schon Österreichs Kaiserin Sisi, der Mate-Herausgeber Olaf Alp einen verhängnisvollen Mehrseiter widmet. „Biographische Parallelen zwischen der Kaiserin Sisi und Prinzessin Diana“ gilt es aufzuzeigen. Sisis „enorm verschwenderisches Leben“ habe im „krassen Gegensatz zu ihrem Urteil über die Monarchie gestanden“, schreibt Alp und zitiert ein von der Monarchin in lichter Stunde verfaßtes Verslein: „Wer weiß! Gäb’s keine Fürsten/Gäb’ es ach keinen Krieg/Aus wär das teure Dürsten/Nach Schlachten und nach Sieg.“ – Hat da etwa jemand Revolution gerufen?

Apropos: Nach bislang nicht dementierten Presseberichten sollen Eigentümer und Chefredaktion von Mate mit der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft verbandelt sein, der Medienholding der SPD.