Tiger
mit Nasenbluten
Ohne Moos nix los.
Das gilt auch für Potenzmittel. Ein Zwölfer-Pack Viagra kostet zwischen
60 und 130 Euro, Cialis und Levitra wirken ähnlich, sind aber ebenfalls
rezeptpflichtig. Dazu komen lästige Arztbesuche und Grinsen in der Apotheke.
Daß in der Schwulenszene Mondpreise für eine einzige schwarz gehandelte
Pille bezahlt werden, macht Generika interessant, über deren Wirkung
es aber keine gesicherten Daten gibt. Erfahrungen von Bekannten verschiedenen
Alters beobachtete
Florian Mildenberger
Im Jahre 1998 stellte
der Pharmariese Pfizer das Medikament Viagra vor und avancierte dank dieses
Präparates binnen Monaten zu einem der umsatzstärksten Unternehmen
der Branche: Sex sells. In Dosen zu 25, 50 und 100mg ist der Wirkstoff in
den blauen Pillen enthalten. Der Wirkmechanismus ist recht einfach. Der Phosphodiesterase-5-Hemmer
aktiviert das Enzym Guanylatzyklase. Das sorgt wiederum dafür, daß
die Ausschüttung cyklischen Guanosinmonophosphata (cGMP) in die Höhe
schnellt. Eine Muskelentspannung entsteht im Schwellkörper (Corpus Cavernosum),
es fließt mehr Blut ein und das Genital wird steif vorausgesetzt,
der Anwender ist überhaupt sexuell erregt. Andernfalls bringt die Pille
nämlich nichts. Die Wirkungsdauer ist auf den heterosexuellen Geschlechtsverkehr
abgestimmt, bei hektisch fickenden schwulen Saunagängern etwa reicht
die kleine Investition also für mehr als einmal. Eine gleichzeitige Einnahme
der blauen Pille mit Poppers, nitrathaltigen Medikamenten (gerne bei Senioren
eingesetzt) und Präparaten der HIV-Kombinationstherapie ist keinesfalls
zu empfehlen.
Sowohl Wirkungsweise als
auch Gefahren sind bei den Generika-Präparaten ebenfalls gegeben. Sie
stammen zumeist aus Indien, die Herstellerfirmen tragen klangvolle Namen wie
Ranbaxy Laboratories, Ajanta Pharma Ltd. oder gar
German Remedies. Indien ist nicht nur das Kernland der Generika,
im Sanskrit steht das gleichklingende Wort vyaghra auch für
Tiger ein Symbol für Kraft, Überlegenheit und
Potenz. In deutschen Massenmedien wird oft vor giftigen oder harmlosen Pillen
gewarnt, die im Internet kursieren. Die gibt es auch, aber bisweilen scheint
die Warnung mancher Ärzteverbände eher den Spenden von Pfizer geschuldet
zu sein als dem tatsächlichen Gefahrenpotenzial. Gleichwohl ist es notwendig,
eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Auffallend ist zunächst
die Dosierung. Sie beträgt bei den Generika mindestens 100mg, manchmal
auch bis zu 250mg. Diese Stärke wird nur in kleiner Schrift auf den Packungen
vermerkt, eine Überdosierung ist so leicht möglich. Begünstigt
wird dies dadurch, daß das Einsetzen der Wirkung im Vergleich zur Viagra
unterschiedlich erfolgt. Dies könnte damit zusammenhängen, daß
in Indien und dem westlichen Kulturkreis unterschiedliche Vorstellungen über
Sexualkultur existieren und daher die Wirkungsentfaltung der Generika den
kulturellen Vorgaben im Herstellungsland folgt. Wirft der Konsument verärgert
eine weitere Pille nach, kommt er dem sozialverträglichen Frühableben
etwas näher.
Die Wirkung ist nicht
nur je nach Präparat unterschiedlich, auch die einzelnen Pillen eines
Herstellers zeitigten im Rahmen eines Versuchs unterschiedliche Folgen. Die
Generika scheinen keine festen Normmengen an Wirkstoffinhalten zu enthalten.
Dies ergab eine von mir in Auftrag gegebene Untersuchung zweier Pillen derselben
Firma (Caverta) aus unterschiedlichen Lieferungen. Die eine enthielt
ungefähr die auf der Packung genannte Wirkstoffmenge (96 statt 100 mg),
die andere hätte allenfalls einen Placebo-Effekt entfalten können
(<10 mg).
Unterschiedliche Reaktionen
verschiedener Patienten auf identische Arzneimengen ereignen sich natürlich
auch bei ganz normalen Medikamenten wie Aspirin und hängen
mit dem Lebenswandel des einzelnen Konsumenten sowie seinem Alter zusammen.
Ein Mann, der Genußgifte weitgehend vermeidet, reagiert rascher auf
ein Medikament als jemand, dessen Immunsystem und/oder innere Organe Vorschädigungen
aufweisen. Hinzu kommt die Tatsache, daß Menschen je nach den regionalen
klimatischen Umständen anders reagieren und die Beimengungen in den Arzneien
(Bindemittel) je nach Land differieren.
Strenge Auswahlkontrollen
und Forschungen zur Gesundheitsgefährdung haben in Europa und den USA
dazu geführt, daß in den letzten zwanzig Jahren Bindemittel nicht
mehr verwendet wurden, die eventuell auf andere Medikamente in einer Weise
wirken, wie dies in der westlichen Welt nicht bekannt ist. Daher
ist beim Einsatz dieser Arzneien, die unter den Handelsnamen Sildenafil
Citrate/Caverta, Vigora 100 oder Kamagra im
Internet auftauchen, Vorsicht angebracht, gerade wenn man andere Medikamente
verwendet. Bisweilen kursieren auch noch flüssige Verabreichungsarten
in Form eines Gelees mit Orangengeschmack (Oral Jelly). Die Einnahme
erfolgt gemeinhin oral. Eine Beschleunigung der Wirkung durch das Zerstampfen
der Tabletten und anschließende Aufnahme über die Nasenschleimhäute
ist wenig erfolgversprechend. Es stellt sich nämlich häufig Nasenbluten
ein.
Da der Autor selbst aufgrund
seines Lebenswandels im Arzneimitteltest eher für Kontrollgruppen denn
für Untersuchungsreihen taugt, befragte er Sexpartner in Berliner Sexclubs
hinsichtlich der Folgen des Konsums von Viagra-Generika. Demnach ergab sich
nach Einnahme einer halben roten Tablette der Marke Caverta trotz
aufreizend hübscher Gestalten in der nächsten Umgebung kaum eine
Reaktion im Genitalbereich dreier Personen aller Altersspektren (24/43/67
Jahre). Die Konsumenten hatten offenbar eine Tablette mit homöopathischer
Dosierung erwischt. Ein anderes Mal jedoch setzte die Wirkung nach nur fünf
Minuten (anstelle der in der Packungsbeilage angegebenen 20 Minuten) ein,
die Erektion dauerte dann mehr als zwei Stunden ununterbrochen an. Damit wäre
eines der wichtigsten Probleme der indischen Tabletten angesprochen: Die Erektion
kann nicht beseitigt werden, das heißt, das Gemächt bleibt stets
steif, auch unmittelbar nach dem Orgasmus. So läßt sich beispielsweise
in Saunen oder Darkrooms mühelos erkennen, wer bei der Optimierung des
eigenen Körpers mit Tabletten nachgeholfen hat. Dies kann zu Peinlichkeiten
führen. Bei Vigora 100 sind diese Folgen nach Ansicht zweier
Konsumenten (40/45 Jahre) nicht ganz so drastisch, die Tabletten einer Packung
sind in der Wirkung zumindest ähnlich. Am Tag nach der Einnahme büßt
der Konsument den Spaß jedoch mit brüllenden Kopfschmerzen, die
sich auch durch die Einnahme von Aspirin bisweilen nicht in den Griff bekommen
lassen. Die Ursache dürfte in den Bindemitteln der Hersteller zu suchen
sein, zum Beispiel Kupfersulfat.
Im Fall des Gelees mit
Orangengeschmack namens Kamagra der Firma Ajanta Pharma Ltd. stellt
sich noch ein Taubheitsgefühl auf der Zunge ein, wodurch der aktive Oralverkehr
behindert wird. Dieses vergeht erst nach etwa einer Viertelstunde; bei Personen
die gleichzeitig das in der Schwulenszene beliebte Poppers eingenommen haben,
kann die Lähmung aber bis zu einer Stunde anhalten (Befragung zweier
Männer im Alter von 23 beziehungsweise 29 Jahren).
Die Frage, wie sich Interessierte
die Droge Viagra beschaffen, läßt sich leicht beantworten.
In einer globalisierten Welt genügen einige Stichworte in einer Suchmaschine
und schon flattern dem potentiellen Kunden die Angebote über den Bildschirm.
Tabletten und Gelees werden von den verschiedenen Anbietern im neutralen Umschlag
nach Hause geschickt, die Bezahlung im Internet erfolgt über Kreditkarte.
Die Kosten betragen für eine Schachtel mit 20 bis 24 Tabletten zwischen
50 und 70 Euro. Häufig erfolgen in der Szene Gruppenbestellungen,
da bei größeren Mengen der Preis pro Pille sinkt. An dieser Stelle
erscheint es notwendig zu betonen, daß die Generika keine Altherrenangelegenheit
darstellen. Sie werden von neugierigen oder auch psychischem Dauerstreß
ausgesetzten jungen Männern ebenso konsumiert wie von Personen jenseits
der 35 Jahre.
Hinsichtlich der Folgen
eines Dauerkonsums unterhielt sich der Autor mit zwei Schwulen im Alter von
40 und 43 Jahren. Sie hatten über mehr als neun Monate hinweg das Präparat
Vigora regelmäßig (zweimal pro Woche) geschluckt. Beide
klagten über Beklemmungszustände in der Brust und gelegentliche
Angstattacken, die in einem Fall in Weinkrämpfe mündeten. Beide
Männer betonten, zuvor nicht unter derartigen Anfällen gelitten
zu haben. Das Absetzen der Tabletten bewirkte innerhalb kurzer Zeit das Verschwinden
der Vorkommnisse. Dies könnte auf eine Wechselwirkung mit anderen Medikamenten
hindeuten.
Nicht unerwähnt bleiben
soll die Tatsache, daß einige der befragten Konsumenten gar nicht leugneten,
daß die Ursache der Erektionsprobleme eher psychischer als somatischer
Natur sei. Indes ermöglichten es ihnen die Tabletten, unter Umgehung
eines Psychotherapeuten wieder Sex haben zu können. Die Nebenwirkungen
werden dabei billigend in Kauf genommen, Hauptsache, niemand erfährt
von den Problemen in der Hose. Sind das die mündigen Patienten von morgen?
Die keinen Arzt mehr benötigen, der ihnen wider besseres Wissen irgendwelche
Tranquilizer (Tavor etc.) verschreibt, und die ihre gesundheitlichen Probleme
diskret und unter Umgehung der Krankenkassen erledigen?
Vielleicht liegt ja hierin
die Antwort auf die Frage, warum es in Deutschland mittlerweile einfacher
und gefahrloser ist, Viagra-Generika zu kaufen, als geschmuggelte Zigaretten
zu erwerben. Sex ist schließlich Privatsache und der Staat verdient
daran nicht unmittelbar. Zudem hat das Vorurteil aus den Tagen der Eugenik
überdauert, wonach hierzulande ohnehin nur die minderwertigen
Bürger ständig Sex hätten. Und warum sollte man sich dann sonderlich
um deren Gesundheit kümmern?
Der Autor dankt den zuvorkommenden Medizinisch-technischen Assistenten im Labor des Berliner Universitätsklinikums Charité für ihre Hilfe. Ohne ihre unbezahlten Überstunden wäre diese Untersuchung nicht möglich gewesen.